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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
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    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hoffmann wird es mir nachse-



    Hoppe
    hen, wenn ich zu Beginn meiner Ausführungen noch ein Wort zur Koalition sage —

    (Zuruf von der SPD: Zu welcher?)

    nicht nur zum Innenleben; denn das würde den Sinngehalt nicht richtig treffen.

    (Zuruf des Abg. Roth [SPD])

    „Wir haben den Wahlkampf geführt für die Erneuerung des Mandats dieser Bundesregierung. Ich schließe ausdrücklich jeden ein, der dieser Bundesregierung angehört, als Partner." So konnte man es vom Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker auf dem CDU-Landesparteitag in Berlin am 15. Januar 83 vernehmen.
    Nach der Erneuerung und nach der vom Bundeskanzler abgegebenen Erklärung über den Inhalt der Politik der neuen Koalition gibt es für alle Partner gute Gründe, sich diese Äußerung mit besonderem Nachdruck zu eigen zu machen.
    Richard von Weizsäcker fuhr auf dem Parteitag, also noch vor der Wahl, fort:
    Es ist ja völlig legitim, daß eine Partei für sich allein Wahlkampf führt und um die absolute Mehrheit kämpft. Aber das schließt doch nicht aus, daß wir alle miteinander wissen, daß nach unserem Wahlsystem die absoluten Mehrheiten nicht die Regel, sondern die Ausnahmen sind. Und wenn das so ist, dann ist es nicht eine Frage des persönlichen Ärgers oder Gefühls, sondern eine Frage des verantwortlichen Denkens, wie es langfristig in der Bundesrepublik Deutschland nach unserem Wahlrecht weitergehen soll, daß man den Koalitionspartner in der Weise fair behandelt, daß er auch in der Lage bleibt, mit einem zu arbeiten.

    (Beifall bei der FDP)

    — Ein fürwahr zu beherzigender Rat, auch und gerade nach der gewonnenen Wahl. Das Vertrauen der Wähler, ist sonst schneller verspielt als Hoffnungen erfüllt.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

    Meine Damen und Herren, mit Holzhacken soll gemeinhin gespalten und gespänt werden. Das ist eine für den Umgang in der Politik nicht zu empfehlende Methode, jedenfalls dann nicht, wenn und solange Koalitionen eine Zugewinngemeinschaft bleiben sollen.

    (Beifall bei der FDP)

    Dies gilt für Sach- wie für Personalentscheidungen gleichermaßen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! Zimmermann!)

    Die Koalitionsparteien sollten ihre Zusammenarbeit nach Form und Inhalt nicht so gestalten, wie Richard von Weizsäcker die Endzeit der sozialliberalen Koalition analysiert hat: „Am Ende von 13 Jahren hatte die SPD ihren inneren Zusammenhalt verloren, sie hatte sich ihrem Koalitionspartner entfremdet". Der deutschlandpolitische Fehlstart sollte jetzt Lehrgeld genug sein.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Zeigen wir, daß die Koalition besser ist als ihr in den letzten Wochen unnötig angekratzter Ruf.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Die Regierungserklärung jedenfalls gibt Mut und Hoffnung.
    Trotz der herausragenden Bedeutung der Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik bleibt nun einmal — damit komme ich jetzt auf den Diskussionsbeitrag der Opposition, des Kollegen Hoffmann — die Wirtschafts- und Finanzpolitik Dreh- und Angelpunkt, ja sie bleibt unsere Schicksalsfrage. Die hohe Zahl der Arbeitslosen zwingt zum Handeln.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Eine wirksame Beschäftigungspolitik ist gefragt. Aber was ist das?

    (Lachen bei der SPD)

    „Politik bedeutet ein starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" — mir scheint, dieser klassische Satz von Max Weber ist aktueller denn je. Wir alle haben in einer schwierigen politischen Phase der Bundesrepublik Deutschland Anlaß, selbstkritisch zu sein.
    Es geht um die Bewährung unserer demokratischen Ordnung, um die Beweisführung, daß die Soziale Marktwirtschaft auch für Schlechtwetterzeiten taugt, und um den Befähigungsnachweis des Deutschen Bundestages, auf die kritische Lage in Wirtschaft und Gesellschaft mit praktischer Vernunft und befriedender Umsicht reagieren zu können. Die Diskussion über die richtige Wirtschaftspolitik und die Suche nach Entscheidungen, die den Aufschwung stabilisieren und damit endlich auch auf dem Arbeitsmarkt positiv durchschlagen, verlangen jedenfalls das Eingeständnis, daß die Erfolgsrezepte dafür rar geworden sind.
    Bei unserer Debatte geht es allerdings häufig seltsam vollmundig zu. Auch der Beginn unseres Dialogs könnte deshalb vielleicht so beschrieben werden: Die Regierung ist gut und im Aufbruch, die Opposition ist und war schon immer besser. Bei soviel glanzvoller Tradition und geballter Qualität bleibt es allen ein Rätsel, warum es in unserer Gesellschaft so quietscht und klemmt. Ein wenig mehr Bescheidenheit könnte uns alle zieren. Wer sich nicht stärker, als ohnehin schon geschehen, von den Menschen und ihren Nöten entfernen will, sollte es in der Tat schlichter angehen lassen.
    Um bei der Lösung der schier erdrückenden finanz- und wirtschaftspolitischen Probleme den richtigen Kurs zu halten, sollten wir uns auf die Grundlagen und Zielkräfte unserer freiheitlichen Ordnung besinnen. Es gilt, die Beschäftigungskrise zu überwinden, das soziale System in seiner Sub-



    Hoppe
    stanz zu erhalten und die Staatsfinanzen zu sanieren.

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Kein Zweifel, nach einer drei Jahre andauernden Schwächeperiode der Wirtschaft steht unsere marktwirtschaftliche Ordnung in ihrer Bewährungsprobe. Ich zitiere dazu aus der Denkschrift der evangelischen Kirche über die Solidargemeinschaft von Arbeitenden und Arbeitslosen. Sie stellt fest, daß es bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um den inneren Frieden in unserer Gesellschaft geht. Arbeitslosigkeit ist für den einzelnen Menschen unwürdig und fügt der gesamten Gesellschaft Schaden zu. Wachsende Arbeitslosigkeit, fortschreitende Haushaltsprobleme und die Angst um die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme können den Boden für eine politische Systemkrise bereiten.
    Arbeit gehört nun einmal zum Zu-sich-selber-
    Kommen menschlicher Existenz; oder, um es im 500. Geburtsjahr Martin Luthers in dessen plastischer Sprache zu sagen: Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Das gilt nicht für Sie! — Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der Vogel? — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Lieber Herr Apel, Luther konnte den Oppositionsführer wirklich nicht vorausahnen, jedenfalls nicht den von heute.

    (Beifall bei der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Der wußte nicht, was noch über uns kommt!)

    Diese Erkenntnis verlangt gebieterisch nach dem Einsatz all unserer Phantasie, dem gemeinsamen Handeln von Staat, Wirtschaft und Arbeitnehmerorganisationen, nach einer langfristigen Strategie zur Sicherung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Auch sie wird die Arbeitslosigkeit nicht gänzlich beseitigen können. Aber ohne die Mobilisierung aller produktiven Kräfte unserer Volkswirtschaft wäre jeder Versuch zur Trendumkehr von vornherein zum Scheitern verurteilt.

    (Zuruf von der SPD: Wann kommt sie denn?)

    Die Chancen stehen nicht schlecht, nachdem es uns gelungen ist, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in ersten Schritten so weit zu verbessern, daß die Dynamik der Marktkräfte wieder spürbar wird.
    Mit den Beschlüssen zum Bundeshaushalt 1983 und dem Dringlichkeitsprogramm haben wir jedenfalls einen Fuß in jene Tür gesetzt, die mit der Regierungserklärung weiter aufgestoßen werden soll. Sie öffnet den Weg zur langfristigen Unterstützung der Wachstumskräfte, zur Stärkung der unternehmerischen Eigeninitiative und zur soliden Gestaltung des Haushalts. Investoren und Konsumenten können wieder Vertrauen in die Zukunft bekommen. Es geht um eine Balance zwischen angebotsorientierten und nachfragesteuernden Schritten, um der Wirtschaft neue Kraft zu geben. Die
    Bundesregierung ist willens, diesen Kurs zu steuern.
    Dabei wird die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu einem unverzichtbaren Thema und zu einer Mühsal, einem Jäten auf steinigem Acker.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Aufholjagd zur Eindämmung der Neuverschuldung erinnert an das Wettrennen zwischen Hase und Igel. Die neuen Unglücksmeldungen sind allemal schon da, wenn alte Auswüchse gerade beschnitten sind. Lange gepflegte Sünden drücken am schwersten. Das wissen nicht nur Theologen. Wir Politiker stehen ihnen da keinen Deut nach.
    Der Finanzplanungsrat hat uns in seiner Sitzung am 28. April 1983 eine Präzisierung der Aufgabe, vor der wir stehen, geliefert. Dort heißt es:
    Die Finanzpolitik muß in den nächsten Jahren nachhaltig dazu beitragen, die Wachstumskräfte weiter zu stärken und die Arbeitsmarktlage schrittweise zu verbessern. Dazu ist es notwendig, die Haushaltskonsolidierung entsprechend der erwarteten fortschreitenden wirtschaftlichen Belebung in den kommenden Jahren verstärkt voranzutreiben. Konsolidierungsmaßnahmen sind vor allem bei den in der Vergangenheit besonders dynamisch gewachsenen Ausgabenbereichen wie öffentlicher Dienst und Sozialtransfer, aber auch bei den Subventionen anzusetzen. Insgesamt gilt: Die Konsolidierung soll insbesondere durch eine wirksame und dauerhafte Begrenzung der Ausgabenentwicklung erfolgen, nicht durch eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Abgaben- und Steuerbelastung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    — Konsumtive Ausgaben müssen eingeschränkt werden, damit die Finanzierung von beschäftigungs- und investitionsfördernden Maßnahmen gesichert wird.
    — Die Haushaltskonsolidierung ist bei Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich. Die Konsolidierung auf einer Ebene darf nicht überproportional zu Lasten anderer Haushaltsebenen gehen.
    — Zur Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts gehören gleichgerichtete Konsolidierungsmaßnahmen bei den sozialen Sicherungssystemen.
    Dazu ist es erforderlich, den jährlichen Zuwachs der öffentlichen Ausgaben mittelfristig auf drei Prozent zu begrenzen und deutlich unter dem Wachstum des Bruttosozialprodukts zu halten.
    Meine Damen und Herren, das klingt alles sehr plausibel und könnte deshalb sehr wohl zu einer gemeinsamen Handlungsanleitung werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CDU)

    Aber solche richtigen ökonomischen Zielvorgaben
    haben wir auch früher schon gehabt. Die großartige
    Haushaltsrede von Bundesfinanzminister Matthö-



    Hoppe
    fer vom 16. September 1981 bleibt unvergessen. „Konsolidierung jetzt" ließ sich über die „Operation '82" schreiben. Die schwere Operation gelang dann zwar. Aber das Operationsteam ging im Streit über die Nachbehandlung auseinander, und der Patient liegt immer noch auf der Intensivstation, wenn auch mit deutlichen Zeichen der Besserung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist dann auch nicht so besonders einfallsreich, wenn die Opposition die alten, so erfolglos gebliebenen Rezepte jetzt wieder hervorholt. Die Beschäftigungsprogramme, die uns angedient werden, sind uns schon in der Vergangenheit teuer zu stehen gekommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Sehr richtig!)

    Die neue Koalition muß beweisen, daß sie die Kraft hat, die politischen Vorstellungen, die der Bundeskanzler als Leitlinien vorgetragen hat, jetzt in die Tat umzusetzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand hat uns in den letzten Tagen die Mahnung mit auf den Weg gegeben, konsequent zu bleiben. Die Haushaltsberatungen werden für uns alle schnell zu einer Stunde der Wahrheit.

    (Jungmann [SPD]: Das ist wahr! — Beifall des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

    Wir können die Zukunft nur meistern, wenn wir bereit sind, in der Gegenwart allen, auch uns selbst, Opfer abzuverlangen. Eine Kapitulation vor Gruppenegoismen darf es nicht noch einmal geben. Der Allparteienumfall vor dem öffentlichen Dienst war ein beschämendes Ereignis der vorigen Wahlperiode.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Packen wir die wahrhaft große Aufgabe, unsere Haushalts- und Finanzpolitik auf eine solide Grundlage zu stellen, gemeinsam an! Ringen wir dabei um den richtigen Weg! Aber dreschen wir nicht mit billigen Schlagworten wie „Soziale Demontage" und „Kaputtsparen" aufeinander ein. Beherzigen wir endlich die simple Wahrheit, daß sich im öffentlichen wie im privaten Bereich noch nie jemand kaputtgespart hat, sondern daß immer nur der seine Existenz gefährdet, der ständig über seine Verhältnisse lebt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Umdenken bit in allen Bereichen not, bei den Politikern, bei den Unternehmern und bei den Bürgern. Die Finanzkrise kann aber auch zu einer Chance der Erneuerung werden. Ein kluger Mensch sagte einmal: „Jedes Problem ist eine Gelegenheit zum Fortschritt." In diesem Sinne sollten wir uns an die Arbeit machen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) '



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Marburg).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hubert Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat hier ein wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept vorgelegt, in dem viel von Verzicht und viel von Einschränkungen die Rede war.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Verzicht auf Krawatte! — Glos [CDU/CSU]: Und Friseur!)

    Sie haben gesprochen von Haushaltssanierung. Sie haben gesprochen von Drosselung der Staatsausgaben. Sie haben gesprochen von Haushaltsumschichtung. Sie haben gesprochen von der Senkung der Nettokreditaufnahme des Bundes für 1984 auf unter 40 Milliarden DM. Sie haben von weiteren Kürzungen im Bereich der konsumtiven Ausgaben gesprochen. Sie haben hier Kürzungen in Höhe von 6 bis 7 Milliarden DM angesprochen; vermutlich werden es im Endeffekt noch mehr sein.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie haben gut zugehört!)

    Wovon Sie nicht gesprochen haben, das sind die Auswirkungen, die diese Art Haushaltssanierung und Finanzpolitik für viele Menschen in der Bundesrepublik haben wird. Sie haben nicht gesprochen von den Auswirkungen, die diese Politik für die Rentner haben wird. Sie haben nicht gesprochen von den Auswirkungen, die diese Politik für die Arbeitslosen haben wird. Sie haben nicht gesprochen von den Auswirkungen dieser Politik für die Sozialhilfeempfänger, für die Behinderten und für andere Gruppen. Sie haben nicht davon gesprochen, daß sich z. B. durch die erneute Verschiebung der Rentenanpassung, die ja beschlossene Sache zu sein scheint, die Zahl der mehr als eine Million Kleinrentner, die schon jetzt mit einem Einkommen leben müssen, das noch unterhalb des Sozialhilfesatzes liegt, noch beträchtlich erhöhen wird. Sie haben nicht davon gesprochen, daß die erneute Senkung des Arbeitslosengeldes praktisch schon beschlossene Sache ist und gerade diejenigen besonders treffen wird, deren Probleme Ihnen angeblich ganz besonders am Herzen liegen, nämlich die ledigen und damit die jugendlichen Arbeitslosen. Aber für die hat ja Herr Genscher gestern schon ein Rezept vorgelegt. Er hat ihnen nämlich empfohlen, doch bei der Freiwilligen Feuerwehr mitzumachen.

    (Lachen bei den GRÜNEN — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Eine bewußte Verdrehung!)

    Was Sie hier vorgelegt haben, ist das Konzept einer Politik, die den massiven Abbau des Sozialsystems insgesamt betreibt, einer Politik, die die Massenarbeitslosigkeit zum Anlaß nimmt, um auf breiter Linie soziale Leistungen zurückzunehmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Na, wer hat Ihnen denn den Unsinn aufgeschrieben?)

    Sie rechtfertigen diese Politik damit, daß Sie sagen, der Verzicht sei notwendig, um den Aufschwung zu finanzieren, er sei notwendig, damit die private Investitionstätigkeit gestützt werden könne. Nach dem Prinzip „Die Pferde werden gemästet,



    Kleinert (Marburg)

    und von den dickeren Pferdeäpfeln profitieren dann die Spatzen"

    (Kolb [CDU/CSU]: Dicke Pferde können nicht laufen!)

    sollen Rentner, sollen Arbeitslose heute verzichten, sollen sich Arbeiter und Angestellte einschränken und sollen die Gewinne der Unternehmen ansteigen. Dann, so meinen Sie, werden am Ende auch die wieder davon profitieren, die jetzt verzichten sollen. Meine Damen und Herren, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß diese Rechnung nicht aufgehen kann und nicht aufgehen wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Selbst wenn es überhaupt zu dem konjunkturellen Aufschwung kommen sollte, von dem Sie sprechen und den Sie mit Steuererleichterungen für die Großunternehmen herbeiführen wollen — und wir GRÜNEN sehen da im Moment eher bloße Aufschwungrhetorik, und unser Kronzeuge dafür ist kein geringerer als Otto Wolff von Amerongen, der auch gemeint hat, der Konjunkturfrühling spiele sich derzeit noch in den Köpfen der Wirtschaftspolitiker, der Prognostiker, aber auch einzelner Unternehmer ab; wir befinden uns mit dieser Prognose also in bester Gesellschaft —,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Gehen Sie doch mal in mittelständische Betriebe! Haben Sie es mal vor Ort gesehen? — Kolb [CDU/CSU]: Der hat nie gearbeitet!)

    selbst wenn die von Ihnen erhofften Wachstumsraten von 2 % oder 2,5 % tatsächlich Wirklichkeit werden sollten, würde dieses weitere wirtschaftliche Wachstum nichts zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beitragen können.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Im Gegenteil, es spricht alles dafür, daß sich die Arbeitslosigkeit auch dann noch verschärfen wird. Ich will Ihnen dafür nur einige Gründe nennen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Erstens: Die GRÜNEN!)

    Erstens. Ihre Politik der Einsparungen bei der öffentlichen Hand und bei den sozial Schwächergestellten führt zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage nach Verbrauchsgütern.
    Zweitens. Gerade dann aber werden die vorgesehenen Steuererleichterungen nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen, sondern vor allem zu neuen Rationalisierungen, die weitere Arbeitsplätze vernichten.
    Drittens. Das von Ihnen vorgelegte Konzept setzt voll auf die sogenannten neuen Technologien. Es setzt auf Breitbandverkabelung, es setzt auf die neuen Medien und Kommunikationssysteme, auf Industrieroboter, auf automatisierte Maschinenherstellung.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Kernkraftwerke!)

    Durch den Einsatz dieser Technologien wird aber
    doch — und das wissen Sie — wesentlich weniger
    arbeitsplatzintensiv produziert werden als in den sogenannten alten Industrien. Diese Industrialisierungspolitik, die Sie vorhaben und die voll auf die neuen Technologien setzt, wird unter dem Strich mehr Arbeitsplätze vernichten, als daß sie neue schafft.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Schließlich muß gesehen werden, daß allein schon auf Grund der altersmäßigen Zusammensetzung der Bevölkerung das Potential an Arbeitskräften in den nächsten Jahren pro Jahr um ca. 200 000 zunehmen wird. Auch das wissen Sie.
    Das alles zeigt, daß durch das von Ihnen betriebene Konzept des beschleunigten Wachstums die Arbeitslosenzahlen nicht kleiner, sondern noch weiter ansteigen werden.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Selbst wenn Ihre optimistischen Wachstumserwartungen zutreffen sollten — und da sind allerhand Zweifel angebracht —, werden wir bis zum Ende dieses Jahrzehnts 4 Millionen Arbeitslose haben — wenn alles so weitergeht. Schon für Ende 1983 ist — und ich verweise hier nur auf die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit und auf die Zahlen des Wirtschaftsinstituts in Kiel — mit 3 Millionen Arbeitslosen zu rechnen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wie ist Ihr Konzept?)

    — Das kommt noch.
    Der Verzicht wird sich also gerade für die, die ihn leisten sollen, nicht auszahlen.
    Der Haushalt wird sich auf diese Weise auch nicht sanieren lassen; denn mit Ihrer Politik wird sich nur die Zahl derjenigen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen, weiter vergrößern. Die dadurch entstehenden neuen Kosten für die Sozialhaushalte werden Sie dann selbst mit noch radikaleren Kürzungen nicht auffangen können, meine Damen und Herren.
    Ich nehme an, Sie kennen diese Zahlenprognosen. Wenn Sie bloß die Zeitung lesen, dann wissen Sie nämlich, daß alle Prognosen in einem Punkt übereinstimmen: daß, wenn Arbeitslosigkeit ausschließlich durch Wirtschaftswachstum bekämpft werden soll, Wachstumsraten von 4 % benötigt würden, um die Arbeitslosenzahl auch nur auf dem jetzigen Stand halten zu können. Wenn Sie mit dem Rezept „Wachstum" Arbeitslosigkeit beseitigen wollten, dann wären sogar Wachstumsraten von 6 %
    und mehr erforderlich. Das aber sind Wachstumsraten, die Sie selber für völlig ausgeschlossen halten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Da ich annehme, daß Sie das alles wissen, kann ich aus dem Konzept, das Sie hier vorgetragen haben, nur einen Schluß ziehen: Ihnen geht es in Wahrheit gar nicht so sehr um die Arbeitslosigkeit, wie Sie hier immer so gern bekunden. Ihnen geht es eher um die Gewinne der Unternehmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Kleinert (Marburg)

    ) Sie kalkulieren im Grunde genommen doch längst Arbeitslosenzahlen von 3 Millionen, 4 Millionen ein. Sie wollen die Massenarbeitslosigkeit ausnutzen, um eine massive soziale Umverteilung und ein gesellschaftspolitisches Rückwärts durchzusetzen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wollen Sie noch mehr Arbeitslose?)

    Die 3 Millionen — und bald 4 Millionen — Arbeitslosen, die dabei auf der Strecke bleiben werden, sind die offenbar einkalkulierte Konsequenz dieser Politik.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Konzept, das Sie hier mit großen Worten als die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft anpreisen, wird letztlich nur tiefer in die ökonomische und in die ökologische Katastrophe führen, meine Damen und Herren.

    (Bohl [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

    In diesem Zusammenhang muß ich ein Wort zu dem sagen, was Herr Vogel gestern an Kritik der SPD hier vorgebracht hat. Die SPD spricht jetzt zu Recht davon, daß das von der Bundesregierung vertretene Wachstumskonzept nicht dazu führen wird, daß sich die Arbeitslosigkeit auch nur vermindern kann. Auch Sie wenden sich jetzt gegen den Abbau sozialer Leistungen, den die neue Bundesregierung angekündigt hat; das tun Sie jetzt aus der Oppositionsrolle heraus. Als Sie noch die Regierung stellten, da sah das anders aus. Ich darf hier nur an die einschneidenden Sozialkürzungen erinnern, die Sie in Ihrer Haushaltsoperation '82 vorgenommen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, angesichts dieser Entwicklung kann es nicht um die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft durch Vorstellungen aus der wirtschaftspolitischen Rezepteküche der 50er Jahre gehen. In Frage steht vielmehr dieses ganze wirtschaftliche System. In Frage steht ein Wirtschaftssystem, das die gigantische Zerstörung von Natur und Umwelt, zweieinhalb Millionen Arbeitslose und zweieinhalb Millionen Sozialhilfeempfänger gebracht hat. Da hat Herr Kohl noch die Stirn, mit Müller-Armack zu behaupten — ich zitiere —: „Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Beitrag zum Frieden nach innen und außen."

    (Beifall bei Abgeorgneten der CDU/CSU)

    Da wir angesichts dieser Tatsachen keine Flickschusterei betreiben, stellen wir diesem Wirtschaftssystem unsere Alternative einer ökologischen Wirtschaftsweise entgegen. Diese Alternative ist die Grundlage für unsere Vorschläge zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Ich will darauf zum Schluß ganz kurz eingehen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wie funktioniert das denn? — Hauser [Krefeld] [CDU/ CSU]: Mit staatlichen Zuschüssen!)

    — Das werde ich Ihnen gleich sagen.
    Wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird nur durch drastische Arbeitszeitverkürzungen möglich sein, durch Arbeitszeitverkürzungen mit dem eindeutigen Schwerpunkt bei der Verkürzung der Wochenarbeitszeit.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Ah, ja!)

    Verkürzung der Wochenarbeitszeit heißt nicht 39-
    Stunden-Woche, heißt nicht 38-Stunden-Woche, sondern heißt 35-Stunden-Woche.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Rose [CDU/CSU]: Null-Lösung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Verwirklichung der 35-Stunden-Woche — es gibt verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen dazu, die das belegen — könnte zur Schaffung von 1,3 Millionen bis 1,4 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze führen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir sind darüber hinaus durchaus auch für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, aber nicht auf dem Weg, den Sie hier vorschlagen.

    (Glos [CDU/CSU]: Haben Sie schon jemals gearbeitet?)

    Wir sind dagegen, daß das durch Einkommensverzicht finanziert wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wer bezahlt das Ganze? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche wird sich vor allem außerhalb der Parlamente abspielen. Hier sind die Gewerkschaften gefordert. Was wir GRÜNE über die Parlamente tun können, um die Forderung nach der 35-Stunden-Woche zu unterstützen, das werden wir tun. Wir werden in Kürze einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Arbeitszeitordnung hier einbringen, der die Regelarbeitszeit so verringert, daß dadurch die tarifvertragliche Einführung der 35-Stunden-Woche unterstützt werden kann.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn die SPD hier ähnliches vorhat, wie das gestern zu hören war, dann begrüßen wir das.

    (Glos [CDU/CSU]: Grün-rote Koalition!)

    Die Arbeitszeitverkürzung muß mit einer weitgehenden Demokratisierung der Wirtschaft verbunden werden.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das?)

    Alle Versuche, die wenigen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die Arbeiter und Angestellte heute haben, weiter einzuschränken, wie Sie sich das vorstellen, müssen abgewehrt werden.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Welches Vorbild schwebt Ihnen vor?)

    Im Gegenteil ist eine Ausweitung der Mitbestimmung z. B. auf Entscheidungen über die Anschaffung von Maschinen, die Arbeitsbedingungen ver-



    Kleinert (Marburg)

    ändern und die Arbeitsplätze bedrohen, unbedingt notwendig.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nur so wird es auch möglich sein, zu verhindern, daß drastische Arbeitszeitverkürzungen durch neue Rationalisierungsoffensiven der Unternehmer wieder unterlaufen werden.