Rede von
Dr.
Hildegard
Hamm-Brücher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate möchte ich Art. 38 des Grundgesetzes, nach dem der Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist, für mich persönlich in Anspruch nehmen. Meine Fraktionskollegin Sibylle Engel schließt sich dieser Erklärung an.
Auch heute sehen wir uns veranlaßt, unser Abstimmungsverhalten ganz kurz zu begründen. Am 1. Oktober haben wir gegen einen fliegenden Koalitionswechsel ohne vorheriges Wählervotum gestimmt. Seither haben wir die Mehrheitsentscheidungen loyal respektiert. Bei den gestrigen Abstimmungen über den Bundeshaushalt 1983 haben wir uns der Stimme enthalten. In Konsequenz unserer damaligen Entscheidung sehen wir uns heute veranlaßt, wiederum mit Nein zu stimmen,
um damit unsere persönliche Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, daß unter Beachtung von Wortlaut und Geist des Art. 68 des Grundgesetzes
der von allen Fraktionen gewünschte und versprochene Weg zu Neuwahlen seitens der Regierungsfraktionen nicht durch Stimmenthaltung, sondern durch klare Nein-Stimmen unterstützt werden soll.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine grundsätzlichen Sorgen über die Folgen der Mehrheitsentscheidung vom 1. Oktober, die ich damals zum Ausdruck gebracht habe, haben sich, wie die Problematik des Auflösungsverfahrens des Bundestages und wie die heutige Debatte leider bewiesen haben, als sehr berechtigt erwiesen. Dennoch hoffe ich, meine Damen und Herren, daß es uns allen — und das ist ein Ruf an uns alle — im Interesse des Ansehens unserer parlamentarischen Demokratie trotz aller Meinungsunterschiede, trotz unterschiedlichen Abstimmungsverhaltens gelingen möge, im Interesse unserer demokratischen frei-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8971
Frau Dr. Hamm-Brücher
heitlichen Ordnung unsere Bürger von der Notwendigkeit, von der Rechtmäßigkeit und von der Verfassungsgemäßheit des für vorgezogene Neuwahlen eingeschlagenen Verfahrens zu überzeugen. Mit unseren klaren Nein-Stimmen möchten wir dazu beitragen.