Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Hansen und ich, die beiden Mitglieder der Partei „Demokratische Sozialisten" in diesem Haus,
werden bei der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers Kohl mit Nein stimmen.
Uns interessieren dabei nicht fadenscheinige Begründungen für Stimmenthaltungen, um verfassungsrechtliche Manipulationen durchzuführen. Wir sagen nein zu der Vertrauensfrage, weil wir die Politik der Regierung Kohl inhaltlich ebenso ablehnen, wie wir in vielen Punkten die Politik der Regierung Schmidt in den letzten Jahren ablehnen mußten.
Wir Demokratischen Sozialisten lehnen eine Politik ab, die die Aufrüstung immer weiter vorantreibt,
den Frieden gefährdet, volkswirtschaftliche Ressourcen vergeudet und wertvolle soziale Errungenschaften zerstört. Gerade am Dienstag wurde der Rüstungshaushalt wieder einmal um 2 Milliarden DM erhöht. Allein für das Mehrzweckkampfflugzeug Tornado, eine reine Offensivwaffe, sollen im nächsten Jahr über 4 Milliarden DM ausgegeben werden.
Wenn man auf der anderen Seite sieht, wie eine sozial schwache Bevölkerungsgruppe nach der anderen zur Kasse gebeten wird, um diese Aufrüstungspolitik zu finanzieren, dann halten wir das für unverantwortlich.
Diese Aufrüstungspolitik findet in einer Welt statt, in der ohnehin schon jährlich über 500 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben werden, in der gleichzeitig Hunderte von Millionen Menschen hungern und verhungern. Immer wieder lesen wir von verhungernden Kindern in vielen Teilen der Welt. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen zählt die Millionen. In den letzten Jahren sank die Zahl nie unter 10 Millionen jährlich.
Die menschliche Phantasie reicht nicht aus, um sich das Elend vorzustellen, das sich hinter diesen Zahlen verbirgt. Wir brauchen uns aber nur das Schicksal eines einzigen betroffenen Kindes vor Augen zu führen, um vielleicht zu begreifen, was dieses Leben für dieses Kind war.
Die Vergeudung volkswirtschaftlicher Ressourcen für die Aufrüstung ist schon heute in ihren Wirkungen Völkermord, und jeder, der daran mitwirkt, macht sich mitschuldig.
Wir Demokratischen Sozialisten lehnen die Bundesregierung Kohl ab, weil sie mit Hunderten von Millionen Mark die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland vorbereitet. Die Bundesregierung macht sich damit zum Vollstrecker einer amerikanischen Politik, die einen Atomkrieg für gewinnbar hält und ihn möglichst auf Europa begrenzbar machen will.
Eine solche Politik entspricht nicht den Lebensinteressen der Menschen, die hier leben.
Wenn ich mir die Berechnung von Herrn Genscher bezüglich der SS 20 angehört habe, muß ich sagen: als ob nicht gegenüber bestimmten Waffensystemen auch andere, etwa U-Boot-gestützte Waffensysteme, bei denen der Westen eine Überlegenheit hat, genauso als Gegenmittel bestehen könnten!
Wer globales Gleichgewicht durch regionales Gleichgewicht, durch ein Gleichgewicht von Waffensystemen und ähnliches ersetzen will, führt schließlich eine Politik, die zu absurdesten Ergebnissen führt; zu Ergebnissen, daß man schließlich im Kreis Eschwege eine zusätzliche Rakete statio-
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nieren muß, weil im Kreis Jena drei Panzer mehr stehen.
Ich halte es in einer Situation, in der jede Seite in der Lage ist, die andere mehrfach zu vernichten, für eine absurde Politik, den Rüstungswettlauf fortzusetzen.
Wir Demokratischen Sozialisten lehnen die Regierung Kohl ab, weil sie mit zutiefst unsozialen Maßnahmen den Sozialabbau fortsetzt, den die Regierung Schmidt begonnen hatte. Bereits vor ihrer Regierungsübernahme hat die CDU/CSU über ihre Bundesratsmehrheit und den Vermittlungsausschuß in einer Art Allparteienkoalition am Sozialabbau mitgewirkt. Ich erinnere an solche Maßnahmen wie die Kürzung des Taschengelds für Altenheimbewohner, wo es nachher niemand gewesen sein wollte, der für diese Maßnahme verantwortlich war. Plötzlich haben sich alle überboten, es rückgängig zu machen.
Die Demokratischen Sozialisten haben von Anfang an dagegen gestimmt, ebenso wie sie gegen andere Maßnahmen des Sozialabbaus gestimmt haben, die nicht wieder rückgängig gemacht wurden, weil die Betroffenen keine organisierten Verbände hatten, die lauten Protest anmelden konnten. Ich denke da z. B. an die Kürzung der Mehrbedarfszuschläge für Alte, Kranke, Behinderte, alleinstehende Mütter mit Kindern. Da wurden die sozial Schwächsten der Schwachen getroffen, und die Regierung Kohl hat das durch weiteren realen Abbau der Sozialhilfe noch mehr verschärft.
Immer höhere Belastungen der Arbeitnehmer, Reallohnabbau, Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung, bei Arbeitslosen, bei Behinderten, beim Wohngeld, bei der Ausbildungsförderung, laufende Mehrwertsteuererhöhungen, Mieterhöhungsgesetze, auf der anderen Seite immer mehr Steuergeschenke für die Unternehmer — das ist eine Politik, die Demokratische Sozialisten nicht mitmachen. Wir wissen, daß Massenarbeitslosigkeit nicht durch Geschenke an die Unternehmer beseitigt wird, sondern durch eine Wirtschaftspolitik, deren entscheidendes Kriterium die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Profitinteressen der Kapitaleigner sind.
Rationalisierungen, die — sozial kontrollierbar — im Interesse der Menschen in Arbeitszeitverkürzung umgesetzt werden, Investitionen, die der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit den Vorrang vor den Profitinteressen des Kapitals einräumen, umfassende Demokratisierung der Wirtschaftsordnung — das alles ist das Gegenteil von dem, was wir von der Regierung Kohl zu erwarten haben.
Wir wissen, daß viele unserer Kritikpunkte auch gegenüber der alten SPD/FDP-Regierung galten, und wir haben sie auch geltend gemacht. Die Strategie der SPD, Reformen zugunsten der arbeitenden Menschen, Reformen zugunsten der breiten
Schichten der Bevölkerung in der Umarmung mit den Kräften des Kapitals umzusetzen, ist gescheitert. Man kann keine Machtverschiebung zugunsten arbeitender Menschen und zu Lasten des Kapitals ohne Konfliktbereitschaft durchsetzen. Spätestens in einer Wirtschaftskrise merken wir wieder, daß es nach wie vor jene wirklich Mächtigen gibt, die die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel haben, die über die Investitionen entscheiden, die über Ausbildungsplätze, über Arbeitsplätze entscheiden, und andere, die diese Entscheidung über sich ergehen lassen müssen.
Herr Dregger hat heute mit einer Deutlichkeit, die man eigentlich nur begrüßen kann, den Gleichklang zwischen Kapitalinteressen und den Interessen der neuen Regierung zum Ausdruck gebracht.
Wir merken wieder, was das sogenannte Unternehmerrisiko bedeutet, daß nämlich bei einer Betriebsschließung die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze verlieren und die Unternehmer ihre Schäfchen ins Trockene bringen.
Das ist die kapitalistische Wirtschaftsordnung, für die die Regierung Kohl steht und die Demokratische Sozialisten überwinden wollen.
Wir wissen, daß das eine langfristige Aufgabe ist, unabhängig von zufälligen aktuellen Parteienkonstellationen. Die ökonomische Machtfrage wird auch am 6. März nicht endgültig entschieden. Aber wer da bei bestimmten Wahlergebnissen über Unregierbarkeit redet, der sollte einmal darüber nachdenken, ob die Unregierbarkeit, die demokratische Unregierbarkeit dieses Landes nicht vielmehr durch ein Dreiparteiensystem herbeigeführt wurde, in dem eine 6-%-Partei als geborene Regierungspartei über Jahrzehnte hinweg die Richtlinien der Politik erpressen konnte.
Ich habe übrigens gelesen, daß bis 6. März Kabarettsendungen nicht mehr gesendet werden dürfen.
Ich weiß nicht, ob man Konkurrenz zu den Wahlveranstaltungen befürchtet. Aber vielleicht will man auch nur dem Flüsterwitz wieder eine Chance einräumen.
Wir Demokratischen Sozialisten wollen jedenfalls eine andere Politik. Wir wollen anknüpfen an Grundwerte, Erkenntnisse und Traditionen, die bereits vor über 100 Jahren die deutsche und internationale Arbeiterbewegung entwickelt hat und die heute noch global, aber auch national nach wie vor ihre Bedeutung haben. Nach wie vor gilt der Satz aus dem Programm des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1867, daß die kapitalistische Gesellschaft auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und auf der Ausbeutung der Massen
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zugunsten weniger beruht. Das waren die Ursprünge der SPD.
Aber wenn ich mir die Politik der SPD in ihren letzten Regierungsjahren in Erinnerung rufe, dann war von diesen Grundwerten der Sozialdemokratie nichts, aber auch nichts mehr zu spüren. Die Tradition ihrer Grundwerte hat die SPD nicht wie ein brennendes Feuer, wie eine Flamme in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingebracht. Sie hat sie wie nutzlose Asche allenfalls aus Pietät aufbewahrt.
Demokratische Sozialisten in der Bundesrepublik suchen und ringen um eine Alternative. Der Kern ihres sozialistischen Strebens wird die Idee einer klassenlosen Gesellschaft bleiben, die die ökonomische und politische Unterdrückung hinter sich gelassen hat,
eine Gesellschaft, in der die Menschen frei von bürokratischen Repressionen mit einem Maximum an Phantasie und Kreativität in einem demokratischen Willensbildungsprozeß ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen. Dafür werden wir kämpfen und dabei auch in internationaler Solidarität alte, unerfüllte Forderungen nicht vergessen: Brot und Wissen für alle, Frieden und Freiheit allen Völkern.