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ID0914102000

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    Plenarprotokoll 9/141 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 141. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Lampersbach . . . 8937 A Regelung für Vorlagen nach § 77 Abs. 1 GO nach Auflösung des Bundestages . . . . 8937 C Nachträgliche Abstimmung über zwei Entschließungen zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz 8937 D Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes — Drucksache 9/2304 —Dr. Kohl, Bundeskanzler 8938 A Brandt SPD 8939 D Dr. Dregger CDU/CSU 8948 B Genscher FDP 8951 C Dr. Waigel CDU/CSU 8956 B Duve SPD 8958 D Schmidt (Kempten) FDP 8960 B Frau Schuchardt fraktionslos 8962 C Hofmann (Kronach) fraktionslos . . . 8965A Coppik fraktionslos 8966 B Dr. Ehmke SPD 8968 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 8968 C Gansel SPD (Erklärung nach § 32 GO) . 8970 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 32 GO) 8970 C Präsident Stücklen 8968 A Namentliche Abstimmung 8971 A, C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8975* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Eymer (Lübeck) (CDU/ CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304) 8975* A Anlage 3 Nebentätigkeiten, insbesondere Lehrverpflichtungen, des Chefs des Bundeskanzleramtes und eines Abteilungsleiters MdlAnfr 1, 2 03.12.82 Drs 09/2226 Schäfer (Offenburg) SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Schäfer (Offenburg) SPD . . . 8975* B Anlage 4 Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministers im Ermittlungsverfahren gegen Friedrich MdlAnfr 84 03.12.82 Drs 09/2226 Gansel SPD ErgSchrAntw StMin Dr. Jenninger BK auf ZusFr Jungmann SPD 8975* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8937 141. Sitzung Bonn, den 17. Dezember 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Benedix-Engler 17. 12. Junghans 17. 12. Lagershausen 17. 12. Löffler 17. 12. Mischnick 17. 12. Müller (Bayreuth) 17. 12. Neuhaus 17. 12. Rayer 17. 12. Frau Schmedt (Lengerich) 17. 12. Schmöle 17. 12. Wehner 17. 12. Weiskirch (Olpe) 17. 12. Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (Drucksache 9/2304): Die von Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl dargelegten Gründe für die Neuwahl des Deutschen Bundestages teile ich. Ich halte den Weg zur Auflösung des Deutschen Bundestages nach Artikel 68 Grundgesetz nicht für verfassungskonform. Ich werde mich deshalb an der Abstimmung über die Vertrauensfrage nicht beteiligen. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Fragen des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) (Drucksache 9/2226 Fragen 1 und 2, 136. Sitzung, Seite 8409 D f.): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 1982 haben Sie im Zusammenhang Anlagen zum Stenographischen Bericht mit Ihren Fragen Nr. 1 und 2 folgende Zusatzfrage gestellt: Trifft es zu, daß der Abteilungsleiter für innere Angelegenheiten und Planung Beamte und Mitarbeiter seines Amts mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren, also amtsfremd sind? Ich habe Ihnen zugesagt, diese Fragen zu prüfen und Ihnen eine schriftliche Antwort zukommen zu lassen. Die Antwort lautet wie folgt: Es trifft nicht zu, daß der betreffende Abteilungsleiter Beamte und Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes mit der Erledigung von Aufgaben betraut hat, die aus der Lehrverpflichtung herrühren. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Jenninger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann (SPD) zur Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 9/2226 Frage 84, 136. Sitzung, Seite 8416 D): In der Fragestunde am 9. Dezember 1982 hatten Sie im Zusammenhang mit der Frage 84 des Kollegen Gansel folgende Zusatzfrage gestellt: Herr Minister, können Sie uns mitteilen, ab wann der Rechtsanwalt des Bundesministers Graf Lambsdorff Einsicht bekommen hat und wie lange die Einsichtnahme in die Akten - durch diese Länge oder Kürze der Einsichtnahme kann ja der Gesamtprozeß auch verzögert worden sein - gedauert hat? Ich hatte Ihnen zugesagt, die Antwort zur Dauer der Akteneinsicht schriftlich nachzureichen: Der Anwalt von Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat Anfang Juli sechs Hauptbände, ein Sonderheft und 14 Leitz-Ordner zum Zwecke der Akteneinsicht erhalten. Noch Mitte Oktober sind ihm weitere zwei Hauptbände und 7 Leitz-Ordner überlassen worden. Die Bundesregierung wiederholt daher ihre Auffassung: Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff hat mit der anwaltlichen Stellungnahme vom 1. Dezember, die dazu führen soll, den Verdacht auszuräumen, alles in seiner Macht Stehende getan, um zu einer raschen Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Die Staatsanwaltschaft sieht sich, wie sie selbst erklärt hat, durch die gestellten Beweisanträge auch veranlaßt, weitere Ermittlungen anzustellen.
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    Rede von Karl Hofmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seinem Antrag zur Vertrauensfrage das vorher festgelegte Verhalten der beiden Koalitionsfraktionen damit begründet, daß die Bundesregierung ein nach der Regierungsübernahme abgegebenes Versprechen einhalten wolle und die Bundesregierung nur für einen inhaltlich und zeitlich befristeten Auftrag das Vertrauen der Abgeordneten der CDU, der CSU und der FDP erhalten habe. Dieser Auftrag hieß nach Koalitionsversion: Verabschiedung des Bundeshaushalts 1983 und der entsprechenden Begleitgesetze. Wenn das so ist, dann müßten Herr Dr. Kohl und seine Regierung zurücktreten; denn ihre Aufgabe ist erfüllt.
    Doch statt dessen will der Bundeskanzler, der im Gegensatz zu der Regierung Brandt/Scheel 1972 oder zu der Minderheitsregierung Helmut Schmidt vom September 1982 eine ausreichende Mehrheit hinter sich hat, über eine künstlich gestellte und ebenso künstlich beantwortete Vertrauensfrage eine vorzeitige Auflösung des Deutschen Bundestages erreichen. Ich halte dieses Verfahren verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch für unzulässig, aber nicht aus dem vielleicht naheliegenden Grund, daß ich durch diese Maßnahme in meinen mir durch das Grundgesetz übertragenen Rechten unmittelbar gefährdet wäre; Sie wissen, der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. Nein, meine Einwände sind anderer Natur. Ich will sie in sechs Punkten darlegen.
    Erstens. Die Verfassungsväter des Parlamentarischen Rates haben auf Grund der Weimarer Erfahrungen die Möglichkeit zur Auflösung des Bundestages so weit wie möglich eingeschränkt. Die Auflösung sollte immer nur Ultima ratio, letzter Weg, sein. Gerade diese Absicht, dieses Wollen der Verfassungsväter wird durch die heutige getürkte Vertrauensfrage eindeutig durchkreuzt.
    Zweitens. Durch das heutige, vom Bundeskanzler eingeleitete Verfahren und die — möglicherweise — Billigung des Bundespräsidenten wird die Machtbefugnis des Bundeskanzlers in unzulässiger Weise ausgeweitet. Hier wird ein Präzidenzfall geschaffen, der es dem jeweiligen Kanzler ermöglicht, künftig zu einem ihm gelegenen Zeitpunkt die Parlamentsauflösung zu betreiben. Die Meinungsforscher, ihre Umfrageergebnisse und deren Auswertung haben dann Vorrang vor dem Grundgesetz.
    Drittens. Eine weitverstandene Auflösungsmöglichkeit nach Art. 68 GG — mit der dadurch eröffneten Möglichkeit für den Mehrheitskanzler, jederzeit an das Volk zu appellieren — würde zu einer erheblichen Verstärkung des plebiszitären Elements führen. Mit diesem Beugen — um nicht zu sagen: Verbiegen — des Grundgesetzes kommen wir nahe an Weimar und seine Folgen; genau das wollten die Verfassungsväter nicht.
    Viertens. Das nun eingeschlagene Verfahren führt meines Erachtens zu einer Herabwürdigung des Verfassungsinstruments der Vertrauensfrage zum technischen Notbehelf für die Herbeiführung von Neuwahlen. Hier wird der Charakter der Vertrauensfrage grundsätzlich geändert. Die Ablehnung des Vertrauens für den Bundeskanzler hat künftig nicht mehr die Bedeutung eines Makels oder Scheiterns der Regierung.
    Fünftens. Die Regierung Kohl/Genscher hat eine regierungsfähige wie handlungsfähige Mehrheit; für die Auflösung des Bundestages besteht keine Not. Die Wahlergebnisse in Hamburg und Hessen lassen darauf schließen und befürchten, daß wir heute eine Parlamentsstabilität gegen eine instabile Bundestagszusammensetzung tauschen werden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Das wollen wir einmal abwarten!)

    Die Warnung vor der Unregierbarkeit unseres Landes unterstreiche ich voll und ganz. Mir ist aber unverständlich, daß gerade die davor warnen, die mit den Neuwahlen das Tor für die öffnen, die unser Land unregierbar machen — auf Kosten der FDP. Die damit erneute, aber dann tatsächlich notwendig werdende Auflösung des Bundestages wird heute heraufbeschworen und eingeleitet. Ich erinnere auch hier an die Auflösung der Reichstage in der Weimarer Zeit. Dies sage ich im Wissen um die drastisch steigende Zahl der Arbeitslosen wie der Firmenzusammenbrüche. Sollten wir dem als Drittes einen instabilen Bundestag hinzufügen, wie der Reichstag es damals war?
    Sechstens. Mit der heutigen Vertrauensfrage, die sicher so beantwortet wird, wie die Parteien das wünschen, wird die Entscheidung über das Wohl unseres Volkes der Verantwortung eines einzelnen übertragen. Der Bundespräsident kommt in den Zwang, abzuwägen, wodurch den Gesamtinteressen des Staates am besten gedient wäre: durch die Ablehnung des Vorschlags des Bundeskanzlers oder durch die Auflösung des Bundestages. Wird die Entscheidung vom Geiste des Grundgesetzes getragen sein, oder wird die Entscheidung den Wünschen der Parteien entsprechen? Wird dem Willen der Verfassungsväter nachgekommen, damit sich Weimar nicht wiederhole? Diese Entscheidung wird nicht nur von der Bevölkerung mit Spannung erwartet, sondern sie wird sicher auch die Verfassungsrichter interessieren, ja interessieren müssen.
    Aus den aufgezeigten Gründen halte ich das heutige Verfahren zur Auflösung des Deutschen Bundestages für unzulässig.
    Zu dieser Auffassung gelange ich auch auf Grund der Art des Verfahrens. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage werden die Freunde dem Freund indirekt das Vertrauen entziehen, das sie ihm gestern gegeben haben und ihm morgen wieder geben wollen. Dieser Umgang vor allem auch mit dem Grundgesetz ist der parlamentarischen Demokratie nicht würdig. Eine rasch hingeworfene Zusage, Neuwahlen durchzuführen, kann nicht höherwertig sein als die Achtung vor dem Grundgesetz.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Entscheidung gilt daher nicht einer Person
    und nicht einer Partei, sondern gilt allein dem Verfahren und ist allein geprägt von der Sorge um den
    8966 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Hofmann (Kronach)

    Erhalt der freiesten Staatsform unseres Volkes und der Regierbarkeit unseres Landes.
    Ich fordere Sie, Herr Bundeskanzler, daher auf, die übernommene Verantwortung weiter zu tragen oder, wenn Sie diese Verantwortung nicht mehr tragen wollen, zurückzutreten. Das Verfahren aber, heute von der Mehrheit der Vertretung des Volkes indirekt das Aussprechen des Mißtrauens zu verlangen und morgen das Volk direkt um Vertrauen zu bitten, schlägt nicht nur als Unglaubwürdigkeit auf alle Parteien zurück, sondern birgt auch die Gefahr in sich, daß sich die Wähler auf den Arm genommen fühlen müssen und sich eben jenen zuwenden, denen wir alle Deutschland nicht anvertrauen können. Diesem Verfahren kann ich nicht zustimmen.
    Es geht heute nur um das Verfahren; denn der Kanzler hat eine Mehrheit, die sofort sichtbar würde — wie gestern —, wenn jeder einzelne seinem Gewissen entsprechend die Stimme abgäbe.

    (Windelen [CDU/CSU]: Unglaublich! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Unerhört! — Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn überhaupt?)

    Meine Damen und Herren, wir haben gestern viel von Gewissen gehört; nicht vom eigenen, sondern vom Gewissen anderer, von der Gewissensentscheidung junger Leute zur Wehrdienstverweigerung. Wir sind heute zum Thema Gewissen selbst gefordert.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Unverschämtheit!)

    — Wir haben zu zeigen — und jungen Menschen vorzuleben —, wie wir mit unserem Gewissen dem Staat gegenüber umgehen. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Manfred Coppik


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Hansen und ich, die beiden Mitglieder der Partei „Demokratische Sozialisten" in diesem Haus,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn das für ein Verein?)

    werden bei der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers Kohl mit Nein stimmen.

    (Oh-Rufe bei der CDU/CSU)

    Uns interessieren dabei nicht fadenscheinige Begründungen für Stimmenthaltungen, um verfassungsrechtliche Manipulationen durchzuführen. Wir sagen nein zu der Vertrauensfrage, weil wir die Politik der Regierung Kohl inhaltlich ebenso ablehnen, wie wir in vielen Punkten die Politik der Regierung Schmidt in den letzten Jahren ablehnen mußten.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Wir Demokratischen Sozialisten lehnen eine Politik ab, die die Aufrüstung immer weiter vorantreibt,
    den Frieden gefährdet, volkswirtschaftliche Ressourcen vergeudet und wertvolle soziale Errungenschaften zerstört. Gerade am Dienstag wurde der Rüstungshaushalt wieder einmal um 2 Milliarden DM erhöht. Allein für das Mehrzweckkampfflugzeug Tornado, eine reine Offensivwaffe, sollen im nächsten Jahr über 4 Milliarden DM ausgegeben werden.
    Wenn man auf der anderen Seite sieht, wie eine sozial schwache Bevölkerungsgruppe nach der anderen zur Kasse gebeten wird, um diese Aufrüstungspolitik zu finanzieren, dann halten wir das für unverantwortlich.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Diese Aufrüstungspolitik findet in einer Welt statt, in der ohnehin schon jährlich über 500 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben werden, in der gleichzeitig Hunderte von Millionen Menschen hungern und verhungern. Immer wieder lesen wir von verhungernden Kindern in vielen Teilen der Welt. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen zählt die Millionen. In den letzten Jahren sank die Zahl nie unter 10 Millionen jährlich.
    Die menschliche Phantasie reicht nicht aus, um sich das Elend vorzustellen, das sich hinter diesen Zahlen verbirgt. Wir brauchen uns aber nur das Schicksal eines einzigen betroffenen Kindes vor Augen zu führen, um vielleicht zu begreifen, was dieses Leben für dieses Kind war.
    Die Vergeudung volkswirtschaftlicher Ressourcen für die Aufrüstung ist schon heute in ihren Wirkungen Völkermord, und jeder, der daran mitwirkt, macht sich mitschuldig.
    Wir Demokratischen Sozialisten lehnen die Bundesregierung Kohl ab, weil sie mit Hunderten von Millionen Mark die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland vorbereitet. Die Bundesregierung macht sich damit zum Vollstrecker einer amerikanischen Politik, die einen Atomkrieg für gewinnbar hält und ihn möglichst auf Europa begrenzbar machen will.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist ein großer Quatsch, den Sie da verkünden! — Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    Eine solche Politik entspricht nicht den Lebensinteressen der Menschen, die hier leben.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Wenn ich mir die Berechnung von Herrn Genscher bezüglich der SS 20 angehört habe, muß ich sagen: als ob nicht gegenüber bestimmten Waffensystemen auch andere, etwa U-Boot-gestützte Waffensysteme, bei denen der Westen eine Überlegenheit hat, genauso als Gegenmittel bestehen könnten!
    Wer globales Gleichgewicht durch regionales Gleichgewicht, durch ein Gleichgewicht von Waffensystemen und ähnliches ersetzen will, führt schließlich eine Politik, die zu absurdesten Ergebnissen führt; zu Ergebnissen, daß man schließlich im Kreis Eschwege eine zusätzliche Rakete statio-
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8967
    Coppik
    nieren muß, weil im Kreis Jena drei Panzer mehr stehen.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Ich halte es in einer Situation, in der jede Seite in der Lage ist, die andere mehrfach zu vernichten, für eine absurde Politik, den Rüstungswettlauf fortzusetzen.
    Wir Demokratischen Sozialisten lehnen die Regierung Kohl ab, weil sie mit zutiefst unsozialen Maßnahmen den Sozialabbau fortsetzt, den die Regierung Schmidt begonnen hatte. Bereits vor ihrer Regierungsübernahme hat die CDU/CSU über ihre Bundesratsmehrheit und den Vermittlungsausschuß in einer Art Allparteienkoalition am Sozialabbau mitgewirkt. Ich erinnere an solche Maßnahmen wie die Kürzung des Taschengelds für Altenheimbewohner, wo es nachher niemand gewesen sein wollte, der für diese Maßnahme verantwortlich war. Plötzlich haben sich alle überboten, es rückgängig zu machen.
    Die Demokratischen Sozialisten haben von Anfang an dagegen gestimmt, ebenso wie sie gegen andere Maßnahmen des Sozialabbaus gestimmt haben, die nicht wieder rückgängig gemacht wurden, weil die Betroffenen keine organisierten Verbände hatten, die lauten Protest anmelden konnten. Ich denke da z. B. an die Kürzung der Mehrbedarfszuschläge für Alte, Kranke, Behinderte, alleinstehende Mütter mit Kindern. Da wurden die sozial Schwächsten der Schwachen getroffen, und die Regierung Kohl hat das durch weiteren realen Abbau der Sozialhilfe noch mehr verschärft.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Immer höhere Belastungen der Arbeitnehmer, Reallohnabbau, Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung, bei Arbeitslosen, bei Behinderten, beim Wohngeld, bei der Ausbildungsförderung, laufende Mehrwertsteuererhöhungen, Mieterhöhungsgesetze, auf der anderen Seite immer mehr Steuergeschenke für die Unternehmer — das ist eine Politik, die Demokratische Sozialisten nicht mitmachen. Wir wissen, daß Massenarbeitslosigkeit nicht durch Geschenke an die Unternehmer beseitigt wird, sondern durch eine Wirtschaftspolitik, deren entscheidendes Kriterium die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Profitinteressen der Kapitaleigner sind.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Rationalisierungen, die — sozial kontrollierbar — im Interesse der Menschen in Arbeitszeitverkürzung umgesetzt werden, Investitionen, die der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit den Vorrang vor den Profitinteressen des Kapitals einräumen, umfassende Demokratisierung der Wirtschaftsordnung — das alles ist das Gegenteil von dem, was wir von der Regierung Kohl zu erwarten haben.
    Wir wissen, daß viele unserer Kritikpunkte auch gegenüber der alten SPD/FDP-Regierung galten, und wir haben sie auch geltend gemacht. Die Strategie der SPD, Reformen zugunsten der arbeitenden Menschen, Reformen zugunsten der breiten
    Schichten der Bevölkerung in der Umarmung mit den Kräften des Kapitals umzusetzen, ist gescheitert. Man kann keine Machtverschiebung zugunsten arbeitender Menschen und zu Lasten des Kapitals ohne Konfliktbereitschaft durchsetzen. Spätestens in einer Wirtschaftskrise merken wir wieder, daß es nach wie vor jene wirklich Mächtigen gibt, die die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel haben, die über die Investitionen entscheiden, die über Ausbildungsplätze, über Arbeitsplätze entscheiden, und andere, die diese Entscheidung über sich ergehen lassen müssen.
    Herr Dregger hat heute mit einer Deutlichkeit, die man eigentlich nur begrüßen kann, den Gleichklang zwischen Kapitalinteressen und den Interessen der neuen Regierung zum Ausdruck gebracht.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos])

    Wir merken wieder, was das sogenannte Unternehmerrisiko bedeutet, daß nämlich bei einer Betriebsschließung die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze verlieren und die Unternehmer ihre Schäfchen ins Trockene bringen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! — Unverschämt!)

    Das ist die kapitalistische Wirtschaftsordnung, für die die Regierung Kohl steht und die Demokratische Sozialisten überwinden wollen.
    Wir wissen, daß das eine langfristige Aufgabe ist, unabhängig von zufälligen aktuellen Parteienkonstellationen. Die ökonomische Machtfrage wird auch am 6. März nicht endgültig entschieden. Aber wer da bei bestimmten Wahlergebnissen über Unregierbarkeit redet, der sollte einmal darüber nachdenken, ob die Unregierbarkeit, die demokratische Unregierbarkeit dieses Landes nicht vielmehr durch ein Dreiparteiensystem herbeigeführt wurde, in dem eine 6-%-Partei als geborene Regierungspartei über Jahrzehnte hinweg die Richtlinien der Politik erpressen konnte.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich habe übrigens gelesen, daß bis 6. März Kabarettsendungen nicht mehr gesendet werden dürfen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich weiß nicht, ob man Konkurrenz zu den Wahlveranstaltungen befürchtet. Aber vielleicht will man auch nur dem Flüsterwitz wieder eine Chance einräumen.

    (Zuruf des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU])

    Wir Demokratischen Sozialisten wollen jedenfalls eine andere Politik. Wir wollen anknüpfen an Grundwerte, Erkenntnisse und Traditionen, die bereits vor über 100 Jahren die deutsche und internationale Arbeiterbewegung entwickelt hat und die heute noch global, aber auch national nach wie vor ihre Bedeutung haben. Nach wie vor gilt der Satz aus dem Programm des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1867, daß die kapitalistische Gesellschaft auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und auf der Ausbeutung der Massen
    8968 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
    Coppik
    zugunsten weniger beruht. Das waren die Ursprünge der SPD.
    Aber wenn ich mir die Politik der SPD in ihren letzten Regierungsjahren in Erinnerung rufe, dann war von diesen Grundwerten der Sozialdemokratie nichts, aber auch nichts mehr zu spüren. Die Tradition ihrer Grundwerte hat die SPD nicht wie ein brennendes Feuer, wie eine Flamme in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingebracht. Sie hat sie wie nutzlose Asche allenfalls aus Pietät aufbewahrt.
    Demokratische Sozialisten in der Bundesrepublik suchen und ringen um eine Alternative. Der Kern ihres sozialistischen Strebens wird die Idee einer klassenlosen Gesellschaft bleiben, die die ökonomische und politische Unterdrückung hinter sich gelassen hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie in Moskau!)

    eine Gesellschaft, in der die Menschen frei von bürokratischen Repressionen mit einem Maximum an Phantasie und Kreativität in einem demokratischen Willensbildungsprozeß ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen. Dafür werden wir kämpfen und dabei auch in internationaler Solidarität alte, unerfüllte Forderungen nicht vergessen: Brot und Wissen für alle, Frieden und Freiheit allen Völkern.

    (Beifall des Abg. Hansen [fraktionslos] — Lachen bei der CDU/CSU)