Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden über einen Einzelplan und über ein Sachgebiet der Politik, die es uns eigentlich nicht schwermachen sollten, zu gemeinsamen Lösungen und gemeinsamen Aussagen zu kommen. Ich persönlich denke auch mit Dank an die gute Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Dr. Kreutzmann, aber auch mit allen Kollegen im Innerdeutschen Ausschuß in diesen beiden Jahren zurück, in denen wir in einem Klima miteinander gearbeitet haben, das, meine ich, der Sache dienlich war.
Aber in den Erörterungen der letzten Wochen und auch heute in der Debatte hat ein Begriff eine Rolle gespielt, mit dem man sich doch wohl auseinandersetzen muß: die Kontinuität der Deutschlandpolitik. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich mit einem Zitat beginnen, das genau hierauf deutliche Rückschlüsse zuläßt. Dort heißt es zur Deutschlandpolitik — ich zitiere —:
Wir sind der Überzeugung, daß eine solche Politik im besonderen Maße geeignet wäre, die deutsche Frage aus ihrer gegenwärtigen Isolierung zu befreien und neue Ansatzpunkte für ihre Lösung zu schaffen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich Bundesregierung und Bundestag darüber hinaus die Aufgabe stellen,
eine nüchterne Bestandsaufnahme der Lage im geteilten Deutschland vorzunehmen und sie zur Grundlage einer möglichst von allen Bundestagsparteien getragenen realistischen Deutschlandpolitik zu machen,
die Gefahr eines weiteren Auseinanderlebens zwischen den beiden Teilen Deutschlands durch ein Maximum an innerdeutschen Begegnungen zu bannen,
solche Kontakte auch dadurch zu ermöglichen, daß unter der Verantwortung der Vier Mächte in Berlin gesamtdeutsche technische Kommissionen für die wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und privaten Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands geschaffen werden,
in diesem Zusammenhang besonders die wirtschaftliche Verklammerung der beiden Teile Deutschlands zu fördern durch eine weitere Liberalisierung des innerdeutschen Handels, durch eine großzügige Kreditpolitik der Bundesrepublik und durch eine gesamtdeutsche Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Außenhandels,
Berlin weiter zu einer Stätte der Begegnung zwischen Ost und West auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet auszubauen und schließlich
bei allen internationalen Verhandlungen darauf hinzuwirken, den Zusammenhang zwischen europäischer Sicherheit, kontrollierter Abrüstung und deutscher Wiedervereinigung wiederherzustellen bzw. ganz allgemein Fortschritte auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit mit Schritten auf dem Wege zur Überwindung der Spaltung Deutschlands zu verbinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war ein Zitat aus einer Entschließung des 17. Bundesparteitages der FDP vom 7. Juni 1966. Es wird unschwer möglich sein, dem Hohen Hause deutlich zu machen, daß eine Partei mit einem solchen Zitat, das auch heute unverändert als Maxime der Deutschlandpolitik gelten könnte, allerdings mit dem Begriff „Kontinuität" keinerlei Schwierigkeiten hat.
Etwas anders sieht das aus, wenn ich diese Frage nach der Kontinuität an die Opposition richte. Dabei nehme ich ausdrücklich das aus, was der Kollege Dr. Kreutzmann hier heute abend gesagt hat. Aber ich kann nicht übersehen — und ich sage dies mit allem Nachdruck —, daß das Auftreten des Kollegen Ehmke und das Auftreten des Kollegen Voigt gegenüber dem ehemaligen Koalitionspartner heute und bereits zu verschiedenen Malen mit der Wiederholung der persönlichen Angriffe auf den Außenminister und Bundesvorsitzenden meiner Partei den Eindruck erwecken, als hätte die SPD ein außerordentlich kurzes Gedächtnis
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Ronneburger
und als wäre sie nicht mehr in der Lage, Herr Kollege Voigt, sich daran zu erinnern, daß sie 13 Jahre mit der FDP zusammengearbeitet hat. Ich wäre auch bei Herrn Kollegen Kreutzmann dankbar gewesen, wenn das, was in den vergangenen 13 Jahren geschehen ist, nicht nur als eine Politik der SPD, sondern auch als Koalitionspolitik dargestellt worden wäre. Aber ich sage Ihnen, Herr Kollege Voigt: Eines haben Sie auf jeden Fall vergessen, daß nämlich 13 Jahre lang die Regierungsfähigkeit der SPD davon abgehangen hat, daß meine Fraktion zur Zusammenarbeit mit Ihnen bereit war!
— Das ist das, worauf ich abstelle, Herr Kollege Wehner,
aber von Ihrer Seite wird so getan,
als hätte es diese 13 Jahre nicht gegeben.
Wir bekennen uns zu diesen 13 Jahren — mit allen Leistungen und Mißerfolgen und Rückschlägen,
mit allen Chancen und Schwierigkeiten, und ich wäre sehr dankbar, wenn dies deutlicher zum Ausdruck käme, als es heute in den angeführten Äußerungen der Fall gewesen ist.
Die Frage nach der Kontinuität wird insofern mit einer besonderen Qualität an die Opposition gestellt werden müssen.
Aber auch bei der Debatte zwischen der Union und der Freien Demokratischen Partei kann die Frage nach der Kontinuität nicht ausgeschlossen werden, und das liegt nicht nur daran, daß der Kollege Lintner und ich möglicherweise bestimmte Schwierigkeiten dabei haben, zu einer gemeinsamen Interpretation dieser Vokabel zu kommen, sondern, meine Damen und Herren, sicherlich auch an sehr weit zurückliegenden Nichtübereinstimmungen, über die wir uns verständigen müssen und bei denen ich davon überzeugt bin, daß wir uns verständigen können.
Ich möchte noch einmal an das Jahr 1966 erinnern und zitiere aus einem Artikel des Abgeordneten Genscher, FDP, heute Bundesaußenminister und Vorsitzender der FDP. Es heißt in diesem Artikel:
Noch vor wenigen Tagen schienen die in der kommenden Woche beginnenden Gespräche über die Deutschlandpolitik innerhalb und außerhalb des Kabinetts allein der Diskussion der Methoden der Deutschlandpolitik zu dienen. Nach dem Interview, das der Vorsitzende der CSU, Bundesminister a. D. Strauß, der „Zeit"
gegeben hat, geht es nicht mehr nur um die Methoden, sondern auch um die Ziele der gemeinsamen Deutschlandpolitik. Strauß erklärte: ,,... und ich glaube nicht an die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates, auch nicht in den Grenzen der vier Besatzungszonen." Er bejahte die Frage, ob er an das normale Zusammenleben eines westdeutschen und eines ostdeutschen Staates innerhalb einer übergreifenden europäischen Struktur glaube.
Meine Damen und Herren, wenn ich allerdings Äußerungen aus der jüngsten Zeit höre, dann kommt die Frage, ob uns die Übereinstimmung, die es zwischen den Koalitionsabmachungen jener CDU/CSU-FDP-Koalition damals und denen von heute auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik unbestreitbar gibt, in die Lage versetzt, eine gemeinsame Politik für Deutschland und für die deutschen Menschen zu betreiben. Ich könnte aus beiden Koalitionsabmachungen zitieren. Ich hoffe, daß das unnötig ist, weil beides wahrscheinlich bekannt ist. Auch damals ging es um die Erhaltung des Friedens — so ausdrücklich abgemacht —: als erstes Ziel die Erfüllung des Verfassungsauftrags des Grundgesetzes, die deutsche Einheit in gesicherter Freiheit zu vollenden, sodann die Festigung der Bindung der Bundesrepublik Deutschland an den Westen.
Ich glaube, dies ist eine gute Grundlage für das, was wir damals gemeinsam zwischen CDU/CSU und FDP vereinbart haben und was jetzt in den Koalitionsabmachungen für diese CDU/CSU-FDPKoalition festgeschrieben worden ist. Danach gilt unverändert — erstens — der Friedensvorbehalt unserer gesamten Deutschland- und Außenpolitik. Zweitens bleibt unveränderbar bestehen, daß diese Politik zunächst einmal die Menschen auf beiden Seiten der Grenze im Auge hat, aus guten Gründen in bevorzugter Weise sicherlich die deutschen Menschen der anderen Seite der Grenze. Drittens bleibt unverändert das Festhalten am Grundgesetzauftrag: Vollendung von Freiheit und Einheit in freier Selbstbestimmung — dies als nicht aufzugebendes Ziel —, gleichzeitig mit der Möglichkeit einer flexiblen, phantasiereichen Politik auf diesem Gebiet.
Zum ersten Punkt Friedensvorbehalt: Er bedeutet Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen auf beiden Seiten der Grenze im jeweiligen Bündnis, Ausübung des Einflusses zum Abbau von Spannungen und zur Abrüstung, etwa in Richtung auf KSZE und eine Konferenz für Abrüstung in Europa.
Zum zweiten Punkt: gemeinsame Interessen über die Grenze hinweg suchen. Ich nenne hier nur Stichworte: Umwelt, Kultur, Rechts- und Amtshilfe, Jugendaustausch als einen ganz besonders wichtigen Punkt, um den Zusammenhalt der Nation auch auf die nächsten Generationen zu übertragen. Vielleicht ist mir hier diese Bemerkung gestattet: Ich hoffe, daß in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages eine Zusammenarbeit mit den Ländern und mit den Kultusministern der Länder in dieser entscheidend wichtigen Frage, was eigentlich in der Bewältigung unserer Geschichte, in der Erhaltung der gemeinsamen kulturellen und auch
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politischen Basis unserer Nation in unseren Schulen getan werden kann, erreicht wird.
Lassen Sie mich abschließen mit einigen wenigen Worten, die an dies alles anschließen. Politik für die deutschen Menschen ist die Voraussetzung für Deutschlandpolitik. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, muß eine Deutschlandpolitik betrieben werden, die konsequent auf den bisherigen Fundamenten aufbaut und damit zur Sicherung des Friedens beiträgt. Nur so kann gewährleistet werden, daß die insgesamt positive Bilanz unserer Deutschlandpolitik durch die getroffenen Verträge und Vereinbarungen für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands erlebbar bleibt. Es sind noch viele Realitäten im deutsch-deutschen Verhältnis zu ändern. Eine Politik, die das will, muß von den Realitäten des heutigen Tages ausgehen. Herr Minister Dr. Barzel, wir sind bei diesem Bemühen zur Zusammenarbeit mit Ihnen bereit und werden Ihrem Haushalt zustimmen.