Rede von
Dr.
Jürgen
Warnke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem der Herr Kollege Holtz die Erwartungshorizonte in diesem Hause erheblich hochgesetzt hat,
möchte ich zunächst zur Sache zurückkehren und sagen: In der Tat, diesem Hause liegt ein Beratungsergebnis mit 6,3 Milliarden DM für den Entwicklungshaushalt des Jahres 1983 vor, das den ursprünglichen Ansatz vom Sommer diesen Jahres in der Größenordnung gehalten hat. Das Wachstum unserer Leistungen für die Dritte Welt ist, wie Herr Kollege Vohrer richtig hervorgehoben hat, mit nahezu 4 % eindeutig überdurchschnittlich gegenüber der Gesamtsteigerung des Bundeshaushaltes 1983. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Zeichen schwerer Belastung unserer Staatsfinanzen.
Ich danke dem Hohen Hause, und ich danke insbesondere den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit für eine Entscheidung, die weit über die Rechengröße von 6,3 Milliarden DM hinaus politische Aussage, politische Entscheidung, ja, politisches Bekenntnis ist. Bundeskanzler Kohl hat am 13. Oktober 1982 mit Zustimmung aller Seiten dieses Hauses erklären können: Der Frieden ist nicht nur durch Rüstung und durch Waffen bedroht, sondern auch durch Armut, Hunger und Tod in der Dritten Welt. Mit seiner heutigen Entscheidung zieht der Deutsche Bundestag die Folgerung aus dieser Einordnung der Entwicklungspolitik in die aller deutschen Politik übergeordnete Zielsetzung der Friedensbewahrung.
Aber täusche sich keiner: In einer Zeit, da unsere Arbeitnehmer wie die Verbraucher, da junge Menschen in der Ausbildung wie Rentner an ihrem Lebensabend spürbare Einschränkungen auf sich nehmen müssen, in dieser Zeit bedarf unsere Entscheidung mehr denn je der Begründung, der Erklärung, ja der Rechtfertigung vor der Bevölkerung. Sparsam mit dem Geld des Steuerzahlers umzugehen ist unsere Pflicht — auch und gerade in der Entwicklungshilfe.
Ich habe deshalb Weisung gegeben, die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen zu überprüfen. Ziel muß es sein, daß unsere Hilfe auch wirklich den Bedürftigen zugute kommt und daß sie nicht in Prestigeprojekten vergeudet wird oder in nationalen oder internationalen Bürokratien versickert.
Nun dachte ich ja eigentlich, die Darlegungen des Kollegen Schröder hätten Mißverständnisse oder Unfähigkeit des Verständnisses bezüglich der Finanzierungsschwierigkeiten, denen wir uns im Jahre 1983 gegenüber sehen, ausgeräumt. Aber die Ausführungen des Kollegen Holtz haben mir gezeigt, daß es hier doch noch einiger durchaus wohlwollender Nachhilfe bedarf.
Ich habe in der Kasse für das Jahr 1983 500 Millionen DM weniger vorgefunden, als zur termingerechten Bedienung der Forderungen, der eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Dritten Welt, notwendig gewesen wären. 500 Millionen DM weniger — abgestimmt mit dem Bundesfinanzministerium, anerkannt vom Bundesfinanzministerium. Aber, Herr Kollege Holtz, wir leben doch nicht in Wolkenkuckucksheim. Wir bekommen doch nicht 500 Millionen DM mehr bei diesem Zustand der öffentlichen Finanzen, bloß weil ein Defizit im Haushalt für 1983 vorhanden ist. Ich muß diese Erblast durch Streckung an und für sich fälliger Zahlungen über mehrere Jahre hinweg bewältigen.
— Keinen Menschen in den Entwicklungsländern
interessieren hier haushaltsmäßige Spitzfindigkei-
8672 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Warnke
ten, ob das nun ein Defizit oder eine Finanzlücke oder ein rechnerisches Risiko ist.
Was wir dort riskieren, ist, auf Grund von Zahlungen — in der Höhe von Hunderten von Millionen DM —, die später eintreffen als erwartet, statt Genugtuung politische Verärgerung und uns abträgliche Einstellung zu produzieren. Das ist ja wohl eine politische Negativmeisterleistung der ersten Größenordnung.
Ich habe meinem Amtsvorgänger ausdrücklich bescheinigt, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß er von
der Planungslücke nicht unterrichtet war. Aber ich kann Ihnen den Hinweis nicht ersparen, daß ein Planungsfehler in der Größenordnung von 2,3 Milliarden DM kennzeichnend ist für die Lässigkeit, mit der unter sozialdemokratischer Verantwortung mit dem Geld des Steuerzahlers umgesprungen worden ist.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich durch ein ungewöhnlich hohes Maß an interfraktioneller Übereinstimmung im Parlament aus. Kein anderer Bereich hat meines Wissens eine von allen Fraktionen angenommene Zusammenstellung gemeinsamer Grundüberzeugungen, wie sie in der Entschließung des Deutschen Bundestags vom 5. März 1982 vorliegt. Die Bundesregierung ist sich des Wertes dieser parlamentarischen Gemeinschaftsleistung bewußt und legt ihn ihrer Politik zugrunde.
Aber eines ist auch klar: So, wie wir das Bewährte fortsetzen, wird die Regierung Kohl/Genscher dort, wo es notwendig ist, neue Impulse geben. Von Schlafmützigkeit, einfach im alten Trott weiterzumachen, kann bei uns nicht die Rede sein.
Ich nenne diese neuen Impulse. Erstens. Wir wollen mehr Partnerschaft mit den Entwicklungsländern. Entwicklungspolitik soll ein ehrliches Angebot an die Dritte Welt sein, nicht nur eine Reaktion auf Wünsche und Forderungen, die an uns herangetragen werden.
Herr Kollege Holtz, in der Entwicklungszielsetzung geben die Interessen des Partnerlands den Ausschlag. Ist das klar?
Bei der Durchführung werden wir unsere legitimen eigenen Interessen freimütig zur Sprache bringen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Nenner für die berechtigten Interessen beider Partner zu finden.
Auch dafür nenne ich Ihnen ein Beispiel. Angesichts von zwei Millionen Arbeitslosen in unserem Land werden wir dort, wo der Charakter des Projektes es zuläßt und wo die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist, auf solche Maßnahmen hinwirken, die beschäftigungswirksam für die deutsche Wirtschaft und für den deutschen Arbeitnehmer sind.
Wenn Sie, Herr Kollege Schluckebier, sagen „Das ist ein alter Hut!", will ich Ihnen antworten: In der Tat, das ist auch früher schon geschehen, nur etwas versteckt und durch die Hintertür. Wir wollen uns ehrlich zu diesem Grundsatz bekennen.
Wir leisten mit diesem Bekenntnis auch einen Beitrag zur Annahme des Gedankens der Entwicklungshilfe durch breite Schichten der Bevölkerung.
Ohne diese breite Zustimmung wird im demokratischen Gemeinwesen auf Dauer keine wirksame Entwicklungsförderung betrieben werden können.
Zweitens. In der Tat: Wir werden die private Initiative ermutigen, um so bisher ungenutztes Entwicklungspotential im privaten Bereich stärker als bisher zu nutzen.
Ein Beispiel ist die Entwicklungsarbeit der Kirchen. Bei sparsamster Haushaltsführung leisten sie wirksame Arbeit für die bedürftigen Menschen vor Ort. Aber auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft, im Handwerk, im mittelständischen Gewerbe, liegen unerschlossene Reserven, die es zu nutzen gilt. Dafür haben wir haushaltsmäßige Vorkehrungen bei der Beratung dieses Etats getroffen.
Nur, meine Damen und Herren: Mehr private Initiative — wir scheuen uns nicht, das auszusprechen, und Sie sollten sich nicht scheuen, das einzusehen — ist auch in den Entwicklungsländern sinnvoll. Wir haben aus über zwei Jahrzehnten Entwicklungspolitik die Erfahrung gewonnen: Marktwirtschaftliche Elemente — von mehr ist ja gar nicht die Rede — in der Politik der Entwicklungsländer haben sich als ein guter Nährboden für jene Selbsthilfe erwiesen, ohne die Entwicklungspolitik zur Weltsozialhilfe verkümmert.
Wir begrüßen daher marktwirtschaftliche Elemente. Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen haben, Herr Kollege Holtz. Aber wir lassen auch gar keinen Zweifel daran: Die Regierung Kohl/Genscher wird Entwicklungspolitik ideologiefrei betreiben — klat-
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schen Sie nicht zu früh! —, nach rechts, aber auch nach links.
Wir wissen: Für die Erreichung des Entwicklungsziels, nämlich die Überwindung menschenunwürdigen und friedensgefährdenden Elends, kommt es auf den Inhalt und die Wirksamkeit, aber nicht auf das Etikett an.
Drittens. Bildung und Ausbildung schaffen erst die Voraussetzung dafür, daß die Masse der Bevölkerung in der Dritten Welt finanzielle Leistungen der Entwicklungshilfe dauerhaft zur Selbsthilfe nutzen kann. Ich habe eine Verbesserung der Richtlinien für betriebliche Ausbildungsmaßnahmen mit dem Ziel veranlaßt, 1983 zusätzliche Mittel in der Größenordnung von 10 Millionen DM aufwärts für solche Ausbildung in der Dritten Welt zur Verfügung zu haben.
Viertens. Die Verschuldung in der Dritten Welt wächst in einem erschreckenden Ausmaß. Ein finanzieller Kollaps würde nicht nur ein einzelnes Entwicklungsland oder die Mehrzahl der Entwicklungsländer, er würde uns selbst als Gläubigerland in größte Gefahren bringen. „Black friday" ist keineswegs ein einmaliges, ein unwiederholbares Phänomen der Wirtschaftsgeschichte. Deshalb wird es eine wichtige Aufgabe unserer künftigen Entwicklungspolitik sein, darauf zu achten, daß die von uns geförderten Maßnahmen nicht die strukturelle Außenverschuldung der Entwicklungsländer erhöhen. Wir werden den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank bei ihren darauf gerichteten Bemühungen nach Kräften unterstützen.
Entwicklungspolitik als Friedenspolitik ist natürlich wesentlicher Bestandteil unserer auswärtigen Beziehungen. Wir werden uns auch in der Entwicklungspolitik bewußt bleiben, daß jene Loyalität und Solidarität, die wir von unseren Bündnispartnern in Schicksalsfragen unseres Landes erwarten und erhalten, keine Einbahnstraße sein kann, d. h. im Klartext: im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit unseren Verbündeten weder Wohlverhalten noch Provokation, sondern geduldige Konsultation mit Freunden, mit denen wir eine gemeinsame Lösung erreichen wollen und erreichen können.
Deutsche Entwicklungspolitik wird sich unter dieser Regierung nachdrücklich darum bemühen, die Übertragung des Ost-West-Konflikts auf die Dritte Welt zu verhindern. Dort, wo diese Übertragung bereits erfolgt ist, werden wir die Rückkehr zu wahrer Blockfreiheit fördern.
Anderslautende Behauptungen der Opposition haben weder direkt noch indirekt, weder wörtlich noch sinngemäß eine Grundlage in den Äußerungen und Richtlinien dieser Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder.
Ich möchte nur eines zu den Beispielen sagen, die der Kollege Holtz genannt hat. An der Aussage, daß derjenige, der uns vor das Schienbein tritt, nicht unser bevorzugter Partner sein wird, halten wir allerdings fest.
Sie sollten einmal ein bißchen Rückkoppelung zu dem aufnehmen, was die Bevölkerung wirklich empfindet, Herr Kollege Holtz. Bis weit hinein in Ihre sozialdemokratische Stammwählerschaft werden wir zu dieser Erklärung massive Zustimmung bekommen.
Wer nicht in der Lage ist, eine so klare Aussage auch wirklich zu erfassen, muß sich selber Gedanken darüber machen, warum das so ist.
Alles andere — Freund-Feind-Denken, Einschwenken auf den Reagan-Kurs, Ost-West-Dimension in der Entwicklungshilfe oder Wohlverhalten — ist nicht nur nicht gesagt, sondern zum Teil ist genau das Gegenteil gesagt worden.
— Sie haben sich nicht rechtzeitig informiert, Herr Kollege.
Sie sind Ihren eigenen Wunschvorstellungen, einen Popanz haben zu müssen, auf den Sie mangels wirklicher Meinungsverschiedenheiten eindreschen können, zum Opfer gefallen.
Ich komme zum Schluß. Entwicklungspolitik eignet sich nicht als Knüppel für den Wahlkampf. Wir werden sie dazu nicht mißbrauchen.
Aber wir werden mit Festigkeit unseren Standpunkt wahren. Entwicklungshilfe bleibt für uns menschliche Verpflichtung zur Beseitigung unerträglicher Armut und politischer Auftrag zur Sicherung des Friedens für uns, für unsere Kinder und für unsere Enkel.