Rede von
Erich
Meinike
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals nach 20 Jahren wird die SPD-Bundestagsfraktion dem Verteidigungshaushalt ihre Zustimmung verweigern, eine unmißverständliche Antwort auf das, was gemeinhin hier in Bonn als die Wende in der Bundesrepublik umschrieben worden ist. In der bisherigen Aussprache wurde die Ablehnung durch meine Fraktion schon eingehend begründet, vor allem was unser Mißtrauen gegen die Bundesregierung betrifft.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8657
Meinike
Jahrelang haben CDU/CSU alles darangesetzt, die auf dem Konzept der Entspannung beruhende SPD-Sicherheitspolitik zu torpedieren. Wenn meine persönlichen Vorstellungen und die mancher Kollegen aus der Fraktion über den Weg zu Frieden und Abrüstung auch anders als die der meisten meiner Fraktionskollegen sind, so darf und muß an dieser Stelle dennoch gesagt werden: Es gehört zur SPD-Tradition und zum Selbstverständnis, daß sie nie auf seiten derer gestanden hat, die für Kriege verantwortlich waren.
So bleibt es unser Ziel, Kriege zu verhindern und Bedingungen zu schaffen, die einen dauerhaften Frieden erst ermöglichen.
Das Schicksal der Menschen wird davon abhängen, ob wir die Aufrüstung zu stoppen vermögen und in der Lage sind, wirksame Abrüstung einzuleiten.
Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmung hat es in der SPD gerade zu diesen Fragen — das ist unbestritten — immer leidenschaftliche Diskussionen und Debatten gegeben. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, daß das nicht gegen, sondern für die SPD spricht;
denn wer in dieser Frage Uniformität zeigt, der übersieht die Anliegen der Gesamtbevölkerung und kann sie nicht aufnehmen.
Wir sollen heute wie in all den früheren Jahren darüber befinden, ob wir durch eine weitere Aufstockung des Wehretats die Voraussetzung für Abrüstung und friedliches Nebeneinander der Blöcke schaffen. Ich sage: Der Automatismus dieser unseligen Politik, die den Anspruch auf eine möglichst absolut zuverlässige Verteidigung erhebt und praktisch auf eine Überlegenheit abzielt, hat bisher nur bewirkt, den Frieden in der Welt unsicherer zu machen.
— Ich bitte zuzuhören. Aus diesem Grunde werden ich und einige Kollegen der SPD-Fraktion, die am 26. Mai 1981 gegen den ,,NATO-Doppelbeschluß-Entschließungsantrag" im Parlament gestimmt haben, den Einzelplan 14 ablehnen, nicht nur wegen der Höhe des Ansatzes, vielmehr weil wir uns generell gegen diese Politik wehren.
Im Abstimmungsverhalten werden sich Sozialdemokraten hier heute geschlossen zeigen. Was
mich und meine Kollgen unterscheidet, ist die zusätzliche Begründung, die ich Ihnen jetzt vortragen möchte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Demonstranten am 10. Oktober 1981 und am 10. Juni 1982 haben uns und auch Sie eindrucksvoll aufgefordert, hier und jetzt abzurüsten und, falls nötig, auch einen ersten Schritt dazu zu tun. Sie von der CDU/CSU hatten in diesem Zusammenhang damals noch in einem Antrag geschrieben, die Demonstrationen richteten sich gegen die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik.
Das ist auch eine dieser Worthülsen, die so wütend
machen können, als ob sich Demonstranten in aller
Welt etwas anderes wünschten als eben Sicherheit.
— Wie aber kann man sich sicher fühlen, Herr Kollege Haase, wenn wir unser Land mit schrecklichen Waffen vollstopfen und uns damit erst zur Zielscheibe machen? Wie kann sich der sicher fühlen, der auf dem Pulverfaß sitzt?
Jede Rakete ist auch ein Magnet in Ost und West. Welche Sicherheit — besser: wessen Sicherheit — ist da eigentlich bedroht?
Als ob die Rüstung selbst nicht die größte Bedrohung darstellt!
Gelegentlich habe ich den Eindruck, als fehle in der Tat in diesem Hause vielen die nötige Einsichtsfähigkeit. Wie anders ist zu verstehen, daß demonstrativ vorgetragene Wünsche nach Sicherheit und Frieden bereits sicherheitsgefährdend sein sollen? Wer so spricht, wer so denkt, hat sich bereits unrettbar in die Irrationalität verstrickt. Wen auch immer er dabei zu vertreten glaubt, es ist nicht der Bürger draußen, es ist nicht die Bevölkerung. Und die allerorts beklagte Abkehr der Jugend von der Politik, wie wir sie betreiben, ist das Ergebnis auch unserer Versäumnisse und unseres Fehlverhaltens gerade in diesem Bereiche der Politik.
Wir alle werden akzeptieren müssen, daß sich die Menschen in zunehmendem Maße nicht mehr von uns vertreten lassen wollen. Wir werden lernen müssen, daß die Bürger ihre Interessen wieder selbst in die Hand nehmen, wenn wir dies als deren Sachverwalter nicht mehr können.
— Ich glaube, Sie haben das damals nicht nur nicht mitgemacht, Sie haben auch nicht mit verfolgt, was am 10. Oktober in Bonn gewesen ist. Wenn etwas gewaltlos und friedlich gewesen ist, in der Sache
8658 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Meinike
friedliebend, dann war es die Demo am 10. Oktober 1981 in Bonn, Herr Kollege.
Gerade vor dem Hintergrund des Verteidigungshaushaltes gilt auch: unser soziales Netz ist brüchig geworden. Bereinigen wir die Daten, so stehen wir vor über 2,5 Millionen Arbeitslosen. Unsere Arbeiter, so zeigt das jüngste Beispiel von der Saar, müssen ja nun schon dazu beitragen, die eigenen Chefs zu finanzieren, und die Mieter versorgen ihre Vermieter künftig noch besser. Andererseits müssen die Schüler und Studenten ihre Bildungschancen über Darlehen erkaufen. Wir haben vor Jahresfrist das Kindergeld gekürzt. Wir fordern Kranken finanzielle Opfer ab. Wir bitten Bedürftige zur Kasse. Wir rupfen die Leistungsgesetze und sehen tatenlos dem sich verschärfenden Elend der Drittländer zu. Und Herr Wörner ruft dann noch nach mehr Geld
— auf Pump vielleicht — für Kanonen und Panzer.
Die einzigste Idee für ein Beschäftigungsprogramm, die er heute geäußert hat, war ein Beschäftigungsprogramm für die Rüstungswirtschaft.
— Entschuldigen Sie, Herr Wörner: selbst das nicht für eine Ergänzungsgabe. Das ist, glaube ich, nicht unsere Antwort, die wir hier zu geben haben. Und da Sie auch keine Zwischenfrage zugelassen haben,
mache ich das in diesem Falle auch nicht.
— Nur bei der Kollegin und nicht bei Kollegen.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat der für Sicherheitsfragen zuständige Erste Hauptausschuß der UNO-Vollversammlung gegen die Stimmen der meisten NATO-Länder und anderer westlicher Staaten einen totalen Rüstungsstopp bei Atomwaffen gefordert. In einer zweiten Resolution rief der Ausschuß die USA und die UdSSR dazu auf, ihre Atomrüstung für fünf Jahre auf dem heutigen Stand einzufrieren. Es ist gespenstisch und grotesk zugleich. Da werden Völker durch immer mehr Rüstung in ihrer Existenz bedroht. Und da pervertieren wir jeden Gedanken an den Frieden mit steigenden Rüstungskosten und öffnen unser Land auch für vernichtende atomare Mittelstreckenwaffen.
Rüstung hat noch nie zum Frieden geführt. Rüstung hat noch immer die logische Folge, Krieg daraus entstehen zu lassen. Friedenswille kann nur ein Anfang sein. Erst seine konkrete Umsetzung kann ihn auch sichern. Das bedeutet Reduzierung der Rüstungsausgaben.
Wer sich in der Diskussion auf den Rüstungsaspekt beschränkt und Verhandlungsbereitschaft
— wie Franz Josef Strauß es formulierte — „einen Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses" nennt oder wer, wie Herr Kohl, einer Zeitung erklärte, „Verhandlungen seien kein Ersatz für angemessene nukleare Abschreckung", der handelt gegen die Interessen des eigenen Volkes. Der spricht und arbeitet nicht in dessen Namen.
Nun noch ein Wort zum NATO-Doppelbeschluß. Die Entwicklung hat, wie ich und Kollegen der Partei meinen, eindeutig gezeigt, daß es nicht zu den von der SPD gewünschten Verhandlungsergebnissen kommen kann. Wir bestreiten auch den Ernst der amerikanischen Partner, innerhalb der Genfer Abrüstungsverhandlungen
Kontrollverhandlungen mit dem Ziel führen zu wollen, auf die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in unserem Lande zu verzichten.
— Ich habe gesagt, Kollegen der SPD, die am 26. Mai 1981 in diesem Hause gegen die Doppelentschließung gestimmt haben. Es ist wohl erlaubt, auch diese Meinung heute in dieser Debatte, die nicht nur über D-Mark zu führen ist, vorzutragen.
Vielleicht wäre es dienlich, Sie zu fragen: Wie bewerten Sie die Reaktion von Herrn Reagan und der USA auf den neuen Warnke-Vorschlag? Ist das nicht im Grunde eine Konzeption, die der Gesamt-SPD entspricht: Reduzierung sowjetischer Waffen und Verzicht auf neue Mittelstreckenraketen. Das war im Grunde auch immer die Position der SPD. Da gab es nicht diese Null-Null-Lösung, die eh irritiert und die, wenn sie beibehalten wird, Genf scheitern lassen muß.
Nicht in der Notwendigkeit — ich sage das jetzt für mich —, aber in seiner Einschätzung bin ich ausnahmsweise mit Herrn Wörner einig, der — auch Sie, Herr Würzbach; ich habe das nachgelesen
— diesen Doppelbeschluß entsprechend der NATO-Entscheidung vom 19. Dezember 1979 in Brüssel interpretierte: „Die Raketen sollen her, und nebenbei verhandeln wir." Wenn das der Beschluß so sagt und Sie ihn so verfolgen, dann hoffe ich, daß nicht nur ich als Sozialdemokrat, sondern die Sozialdemokraten insgesamt zu diesem Konzept nein sagen, da das nicht die bisherige Regierungspolitik gewesen ist.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8659