Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst ein paar Anmerkungen zu den letzten Äußerungen des Verteidigungsministers machen.
Herr Dr. Wörner, Sie haben gesagt, nach Ihrer Meinung fehlten bei den Beschaffungen 6,5 Milliarden DM. Wenn das so wäre und wenn diese Beschaffungen so nötig wären, hätten Sie eine andere Umschichtung vornehmen müssen, als Sie es getan haben.
Über die Längerdienenden und den Verwendungsstau hat Frau Traupe schon etwas gesagt und das, was Sie getan haben, begrüßt. Mein Kollege Kolbow wird noch darauf eingehen. Ein Konzept zur Lösung dieser Probleme haben Sie aber jedenfalls nicht.
Lassen Sie mich nun noch ein paar Worte zu Ihrem Haushalt sagen. Er basiert ja weitgehend auf dem Entwurf Ihres Vorgängers. Sie haben hier nur die Kapitel angesprochen, die von sozialdemokratischer Seite gekürzt werden sollten. Sie haben dabei geflissentlich unterschlagen, daß ja auch Ihre eigenen Haushälter einige Streichungen vorgenommen haben. Ich nenne als Beispiel das MRCA-Programm. Der Ansatz belief sich zunächst auf 3,7 Milliarden DM. Sie boten dann selber eine Kürzung um 100 Millionen DM an. Ihre Haushälter nahmen noch eine weitere Streichung um 50 Millionen DM vor. Wir könnten auch noch einige andere Bereiche heranziehen. Sie haben auch unterschlagen, daß die Sozialdemokraten z. B. eine Aufstockung des Ansatzes für Betriebsstoffe gefordert haben. Das sind alles Dinge, die Sie geflissentlich übersehen; das ist ja so einfach.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben 13 Jahre lang die Verantwortung für die Verteidigung, für die Sicherheit dieses Landes getragen. Wenn die Vertreter der CDU/ CSU als Vertreter der heutigen Regierungsparteien ehrlich sind, müßten sie mit dem Herrn Verteidigungsminister — anders, als es der Herr Kollege Stavenhagen getan hat — zu dem Ergebnis gekommen sein, daß die SPD, wie es Herr Dr. Wörner in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht haben soll, auf dem Sektor der Verteidigungspolitik große Leistungen erbracht hat. Als Vorwurf gegen uns haben Sie dort vorgebracht, daß die Sozialdemokraten ihre großen Leistungen „schlecht verkauft" haben. Geschmackvoller geht es kaum. Das zeigt auch die Glaubwürdigkeit der Person und der Politik des neuen Verteidigungsministers.
8652 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Neumann
Zehn Jahre lang hat der heutige Verteidigungsminister keine Gelegenheit ausgelassen, die bisherige Regierung, vor allem den bisherigen Verteidigungsminister hart anzugreifen — das stand ihm zu —, bis hin zur persönlichen Verunglimpfung, und für höhere Verteidigungsausgaben zusätzlich zu plädieren. Zahllos waren die übertriebenen Forderungen, die Sie aufgestellt haben. Immer wieder haben Sie als Oppositioneller die bedrohungsgerechte Finanzierung der Bundeswehr gefordert und die finanzielle Begrenzung des Einzelplans 14 abgelehnt. Eine laufende 3 %ige reale Erhöhung war Ihre Mindestforderung. Es ist schon erstaunlich, daß das alles heute nicht mehr gilt.
Als der Verteidigungsminister Dr. Wörner Ende November in den Vereinigten Staaten war, spielte er die 3 %ige reale Erhöhung herunter. Die damals gerade aktuelle Forderung des Herrn Rogers kam nach der ZDF-Sendung „heute" vom 31. November 1982, 21 Uhr, für Dr. Wörner „überhaupt nicht in Frage". Wörtlich hieß es damals: „Außerdem hat die Bundesrepublik bisher schon für die Verteidigung so viel wie möglich getan."
Auch für den Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach ist heute die 3 %ige reale Steigerung — so sagte er in der Fragestunde — eine Richtzahl, die „jedoch nur einen von mehreren Faktoren" darstellt, „die bei der Beurteilung der Verteidigungsanstrengungen der NATO-Staaten eine Rolle spielen". In der Vergangenheit hörte sich das bei Ihnen alles anders an.
Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen, daß es außer der Verteidigungspolitik auch noch andere Staatsaufgaben gibt. Das haben Sie inzwischen auch begriffen. Um aber von der westlichen Führungsmacht, von der Bundeswehr und von der deutschen Öffentlichkeit nicht so schnell durchschaut zu werden, haben Sie sich einige Roßtäuschertricks einfallen lassen.
Herr Dr. Wörner, in den USA brüsteten Sie sich damit, 200 Millionen DM mehr als Ihr Vorgänger zur Verfügung zu haben. Sie wissen ganz genau, daß Sie damit die US-Administration getäuscht haben; denn Sie haben 100 Millionen DM weniger, und das wußten Sie schon, als Sie in die Staaten geflogen sind. Der Trick, die 200 Millionen DM aus dem Einzelplan, die auch schon Hans Apel zugesagt bekommen hatte, in den Einzelplan 14 umzubuchen, ist ein ganz übler Taschenspielertrick, für den Sie sich eigentlich hätten zu schade sein müssen. Dafür bekommen Sie unser Vertrauen nicht.
Daß Sie die Vorschläge zur Verbesserung der Entscheidungs-, Informations- und Kontrollprozesse im BMVg und im nachgeordneten Bereich, die die Firma McKinsey gemacht hatte, vom Tisch gefegt haben, hindert uns ebenfalls daran, zu Ihnen und zu Ihrer Politik Vertrauen zu haben; denn die von McKinsey erkannten Schwachstellen, die Ihr Vorgänger mit dem Controller beseitigen wollte, werden durch die Ersatzlösung, die Sie für die Spitze des BMVg gefunden haben, nicht glaubhaft beseitigt.
Sie übernehmen daher eine große persönliche Verantwortung. Sie werden dem Parlament und der Öffentlichkeit, dem Steuerzahler gegenüber zu erklären haben, wieso Sie auf die von anerkannten Experten aufgezeigten Möglichkeiten der besseren Verwendung knapper Finanzmittel im Interesse der Landesverteidigung verzichten wollen. Ich hoffe, daß der Antrag unserer Haushaltsausschußmitglieder, für Ihren Haushalt Kürzungen zu beantragen, Sie dazu zwingen wird, erneut über den McKinsey-Bericht nachzudenken. Für Ihr bisheriges Verhalten in dieser Frage verdienen Sie unser Vertrauen für Ihren Haushalt und Ihre Politik also nicht.
Es gibt für uns einen weiteren Grund, warum wir Ihnen für Ihren Haushalt und Ihre Politik das Vertrauen verweigern. Für die Stelle des Rüstungsstaatssekretärs haben Sie, wie ich schon am 29. Oktober zum Ausdruck gebracht habe, einen für Militärpolitik und Pressearbeit zuständigen Öffentlichkeitsarbeiter im Rang eines Staatssekretärs bestellt. Als Sie das taten, wollten Sie einen Hauptabteilungsleiter „Rüstung" nach B 10 einsetzen, damit der von mir beschriebene Schritt vertretbar erschiene. Nun haben Sie noch nicht einmal die B-10Stelle angemeldet. Es gibt also keinen Hauptabteilungsleiter „Rüstung", aber es gibt einen Öffentlichkeitsarbeiter im Rang eines Staatssekretärs.
— Nein, ich lasse keine Fragen zu.
Soll Propaganda an die Stelle von Sachkompetenz treten?
Will man den Äußerungen der politischen Spitze des BMVg glauben, dann ist in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober die Bundeswehr etwas ganz anderes geworden. Wie man am Sonnabend im „Hamburger Abendblatt" und anderswo lesen konnte, wird z. B. in der Bundeswehr auch nicht gegammelt, wie Sie es jahrelang behauptet haben. Und das alles von einem Tag auf den anderen!
Glaubwürdig machen Sie sich mit so raschen Kehrtwendungen nicht. Vertrauen für Ihre Politik und Ihren Haushalt verdienen Sie damit ebenfalls nicht.
Lassen Sie mich ein paar weitere Gründe nennen, die uns daran hindern, Ihnen für Ihre Politik Entgegenkommen zu zeigen.
Die beschworene Kontinuität ist nach unserer Auffassung ein Lippenbekenntnis. Ihre Ankündigung, den Traditionserlaß zu überprüfen und ändern zu wollen, die angekündigten, in den Auswirkungen nicht abschätzbaren Änderungsabsichten im Bereich der Aus- und Weiterbildung bei Offizieren und Unteroffizieren, die Zweifel, die darüber entstanden sind, ob Sie die früher beabsichtigte gesetzliche Änderung des Vertrauensmännergesetzes noch weiter verfolgen wollen, durch die die Mitwirkungsrechte der Soldaten verbessert werden sollten, die mindestens mißverständlichen Absichtserklärungen, zusätzliche 350 Millionen DM für das NATO-Infrastrukturprogramm der nächsten Jahre bereitzustellen, ohne sich vorher im Parlament ab-
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zusichern, machen es immer schwieriger, Ihnen zu glauben, daß es Ihre ernste Absicht ist, die Kontinuität in der Sicherheitspolitik zu bewahren.
Wir haben im Verteidigungsausschuß allen Kapiteln mit Ausnahme von 14 01— Bundesministerium für Verteidigung und 14 22 — NATO-Infrastruktur — zugestimmt und damit für diese Kapitel die Empfehlung mitgetragen, die der Verteidigungsausschuß dem Haushaltsausschuß gegeben hat. Daß dort andere Vorstellungen bestehen, ist nichts Neues. Das geschah und geschieht jedes Jahr.
Wir Sozialdemokraten werden auch künftig uneingeschränkt für die Belange der Soldaten und Zivilisten der Bundeswehr und für einen angemessenen Verteidigungsbeitrag in der NATO eintreten. Daß bei den Haushaltsbeschlüssen auch für den Verteidigungshaushalt die ökonomische Situation in unserer Republik nicht außer acht gelassen werden darf, sollte aber deutlich sein. In einer Zeit, in der Sie tiefe Einschnitte in das soziale Netz vornehmen, kann man nicht den Eindruck erwecken wollen, als ob überall gekürzt werden dürfe, nur nicht im Verteidigungshaushalt.
Wenn die bisherige Sicherheitspolitik schlecht gewesen wäre — wie Sie das früher behauptet haben —, hätten Sie vielleicht so argumentieren können. Da Sie aber seit dem 1. Oktober 1982 anders reden, wird Ihnen niemand abnehmen, daß wir in schwieriger Zeit nicht auch den Verteidigungshaushalt sorgfältig prüfen müssen.
Im übrigen enthält der Haushalt eine ganze Reihe von Risiken, die Sie verschwiegen haben, auf die wir Sie bereits in der Verteidigungsausschußsitzung hingewiesen haben. Wir sagen mit aller Deutlichkeit, daß die Manipulationen am Verteidigungshaushalt schon am 1. Januar 1983 beginnen werden; denn nur so können Sie die Haushaltsrisiken in den Griff bekommen. Wenn ich an das Kapitel Umschichtungen, Kürzungen einzelner Titel und daran denke, wie Sie das früher kommentiert haben, dann kommt man an dem Begriff „Doppelzüngigkeit" nicht vorbei.
Ich habe Ihnen, Herr Verteidigungsminister, schon im Verteidigungsausschuß gesagt, daß Sie nach Ihrem bisherigen eigenen Selbstverständnis angesichts dieses Haushalts eigentlich den Rücktritt ankündigen müßten;
denn genau das haben Sie von Ihrem Vorgänger immer gefordert. Wie war das denn z. B. am 7. März 1981? Damals sagten Sie:
Wenn die Mittel, die der Herr Apel zur Verfügung hat, nicht ausreichen — und sie reichen nicht aus —, um die Bundeswehr in der Lage zu halten, ihren Auftrag zu erfüllen, dann kann er das nicht dadurch überwinden, daß er in Teilbereichen der Verteidigung streicht, sondern dann muß er die Mittel woanders herholen ... Und ich erwarte eben von einem Verteidigungsminister, daß er dann nicht sagt, gut, dann kürze ich im Bereich der Verteidigung mehr, um die Auftragserfüllung noch mehr zu erschweren oder unmöglich zu machen, sondern dann muß er seinem Auftrag, seiner Verantwortung entsprechend an die Öffentlichkeit gehen und dann sagen: „Ich kann die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mit den verfügbaren Mitteln nicht gewährleisten." Das erwarte ich von einem Verteidigungsminister, der seine Aufgabe ernst nimmt.
Er hat 100 Millionen DM weniger und tut trotzdem nicht, was er von anderen gefordert hat.
Aber mit dem bisherigen Selbstverständnis, sehr verehrter Herr Dr. Wörner, hat das bei Ihnen seine eigene Bewandtnis. Es hat sich rasch, viel zu rasch gewandelt.
Mit der Vorlage dieses Haushalts — das haben wir Ihnen auch schon im Ausschuß gesagt — bakken Sie viel kleinere Brötchen, als Sie früher in Ihrem Angebot hatten. Das Schlimme dabei ist nur, daß Sie mit Ihren früheren Angeboten bei den Soldaten eine Erwartungshaltung geweckt haben, die weder wir noch Sie befriedigen können. An den Folgen der von Ihnen geweckten Erwartungen werden wir alle zu tragen haben. Wir werden alle zusammen alles tun müssen, damit überall in unserem Lande — nicht nur bei denen, denen Sie heute soziale Einschnitte zumuten — bemerkt wird, daß sich die ökonomische Situation radikal verändert hat.
Verantwortungsbewußte Kommandeure, deren Einheiten in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit stationiert sind, haben das schon besser erkannt als Sie, Herr Verteidigungsminister. Weil das so ist, verdienen Sie und Ihre Politik daher unser Vertrauen nicht.
Wir lehnen den Einzelplan 14 ab.