Rede von
Georg
Leber
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Fraktion gibt mir das dazu, Herr Präsident.
Jemand, der wie ich zur Opposition gehört, hat die Pflicht, eine Regierung auf solche Gefahren hinzuweisen.
Als Sie von der CDU in der Opposition waren, haben Sie es immer abgelehnt, der damaligen Regierung Vorschläge zu machen.
— Das haben Sie von diesem Pult aus immer erklärt. Viele von meinen Freunden, auch ich, würden uns nicht weigern, wenn Sie unseren Rat haben wollen.
Zuerst müssen Sie, Herr Bundeskanzler, den Boden dafür bereiten, indem Sie mit Ihren Schuldzuweisungen aufhören. Niemand von uns kann ausschließen, daß eine Zeit kommt, in der wir der gemeinsamen Anstrengung und der Gemeinsamkeit bedürfen, wenn es um unseren Staat gehen sollte.
Wer immer unser Land vor oder nach dem 6. März 1983 regiert, der darf sich keinen denkbaren Weg zur Lösung einer langfristigen Problematik der Beschäftigung verbauen, weil es vielleicht keinen anderen oder keinen besseren als einen problematischen und einen schwierigen Weg gibt. Ich will nicht meine eigene Meinung anfügen, sondern ich möchte Ihnen die Stimme eines Mannes zitieren, der zu den großen Genies unseres Jahrhunderts gehört. Er war kein Fachmann auf dem Gebiet der Ökonomie oder der Gesellschaftspolitik, aber er hat bewiesen, daß er denken kann, und er hat gewiß auch in einer anderen Zeit gedacht als der, in der wir unter anderen Bedingungen leben. Er hat in sei-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8617
Dr. h. c. Leber
ner Zeit mit Verstand mitgedacht. Auch wenn nicht alles zu gelten braucht, so gilt vieles doch. Sein Name war Albert Einstein. Dieser Albert Einstein hat am Beginn der großen Wirtschaftskrise, Anfang der 30er Jahre — wir haben heute ungefähr soviel Arbeitslose, wie das deutsche Reich damals hatte —,
die dann in viel Schlimmeres mündete, folgendes geschrieben. Ich zitiere jetzt Einstein:
Wenn es etwas gibt, das einem Laien auf dem ökonomischen Gebiet den Mut geben kann zu einer Meinungsäußerung über das Wesen der beängstigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gegenwart, so ist es das hoffnungslose Gewirr der Meinungen der Fachleute. Was ich zu sagen habe, das ist nicht neu, und es will nicht mehr sein als der Ausdruck der Überzeugung eines unabhängigen, eines ehrlichen Menschen, der unbeschwert durch nationale und Klassenvorurteile nichts anderes wünscht als das Wohl der Menschheit und eine möglichst harmonische Gestaltung unseres menschlichen Daseins ...
Nach meiner Überzeugung ist diese Krise insofern nicht vom Charakter der früheren Krisen, als sie auf durch den raschen Fortschritt der Produktionsmethoden bedingten, ganz neuartigen Produktionsverhältnissen beruht.
Das gilt alles bis jetzt. Einstein sagt weiter:
Für mich steht fest: Derselbe technische Fortschritt, der an sich berufen wäre, den Menschen einen großen Teil der zu ihrer Erhaltung nötigen Arbeitslast abzunehmen, ist eine Hauptursache mit des gegenwärtigen Elends ...
An einer anderen Stelle heißt es:
... Es ist durch gesetzliche Verfügungen in den einzelnen Produktionszweigen die wöchentliche Arbeit so zu kürzen, daß dadurch die Arbeitslosigkeit systematisch für alle beseitigt wird ...
So sagte Albert Einstein 1929 in Berlin.