Rede von
Dr.
Helmut
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war wie viele Mitglieder des Hauses natürlich gespannt, wie der Sprecher der Opposition, Herr Professor Ehmke, nach den Ankündigungen der letzten Wochen hier die politische Position seiner Partei darlegen würde. Herr Professor Ehmke, ich brauche nicht viel zu dem zu sagen, was Sie hier dargelegt haben. Schimpfen und Beleidigen politisch Andersdenkender, das ist keine politische Alternative.
Wenn Sie einmal mit Ruhe den Text der Rede nachlesen, die Sie heute hier gehalten haben und wenn das auch die große Mehrheit Ihrer eigenen Fraktion tut, habe ich nicht den geringsten Zweifel daran, daß Sie wissen, daß dies nicht der Weg der deutschen Sozialdemokratie in Opposition sein kann.
— Herr Kollege Ehmke, Herr Professor Ehmke, Ihr Rat, das Problem der Neuwahlen über den Rücktritt des Kanzlers zu lösen, hätte mich erfreut, wenn Sie ihn im September Bundeskanzler Helmut Schmidt gegeben hätten.
Herr Abgeordneter Ehmke, dieser einzige Hinweis ist eigentlich für Ihre ganzen Ausführungen symptomatisch. Sie versuchen, Ihre eigene Tätigkeit in der Vergangenheit, Ihre Mitverantwortung an dem, was heute Erblast genannt wird, in der Weise zu vertuschen, daß Sie wild um sich schlagen. Ich kann mir nur wünschen, Herr Abgeordneter Ehmke, daß Sie bis zum 6. März noch viele solcher Reden halten werden.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In meiner Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 habe ich das Programm der von FDP, CSU und CDU getragenen Bundesregierung vorgestellt, und ich habe unsere Absicht bekräftigt, möglichst am 6. März 1983 vor den Wähler zu treten. Es gab in diesen Wochen nie einen Zweifel daran, daß die Koalition von FDP, CSU und CDU diesen Wunsch und dieses Versprechen einhalten wird. Herr Kollege Ehmke, es wäre sehr interessant nachzuforschen, was in Ihren Reihen in diesen Wochen alles diskutiert und erwogen wurde, um um die Neuwahlen herumzukommen.
Wir haben an dieser Absicht immer festgehalten, weil wir unser dem Wähler gegebenes Wort einhalten.
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Deshalb habe ich den Antrag gemäß Art. 68 des Grundgesetzes gestellt. Nach zahlreichen Gesprächen, nach reiflicher Überlegung habe ich die Überzeugung gewonnen, daß dieser Weg der angemessene Weg ist, um unsere Absicht zu verwirklichen.
Der Deutsche Bundestag will am 17. Dezember 1982, am Freitag dieser Woche, über meinen Antrag abstimmen. Ich will diese Frage deshalb heute nicht näher in die Debatte einführen. Es entspricht der verfassungspolitischen Bedeutung eines Antrags gemäß Art. 68 des Grundgesetzes, daß sich der Deutsche Bundestag damit gesondert befaßt. Meine Haltung zu diesem Antrag werde ich deshalb vor der Abstimmung am kommenden Freitag näher darlegen.
Meine Damen und Herren, wenden wir uns heute dem Haushalt zu. Wir stehen heute vor Entscheidungen, die für die Zukunft unseres Landes und aller seiner Bürger von außergewöhnlicher Bedeutung sind. Heute geht es — jeder spürt dies — nicht allein um die alljährlich wiederkehrende Beratung und Verabschiedung eines Haushalts. Es geht darum, unser Land aus der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland herauszuführen.
Zerrüttete Staatsfinanzen, Firmenzusammenbrüche, steigende Massenarbeitslosigkeit und deren harte Folgen für Millionen unserer Mitbürger dürfen und wollen wir nicht hinnehmen. Es muß ein neuer Anfang gemacht werden; wir waren und sind aus unserer Verantwortung zum schnellen Handeln verpflichtet.
Unsere vorrangige Aufgabe ist es, die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Unser Ziel ist es, den Staat wieder zu befähigen, seine Aufgaben zum Nutzen aller Bürger wahrzunehmen, ohne die heranwachsende Generation unserer Kinder mit einem riesigen Schuldenberg vorzubelasten.
Alle öffentlichen Haushalte einschließlich Bahn und Post, meine Damen und Herren, sind gegenwärtig zusammen mit rund 700 Milliarden DM Schulden belastet. Tag für Tag, jeden Tag, muß die öffentliche Hand zusätzlich über 200 Millionen DM Schulden neu aufnehmen. Unerträglich ist das für uns — wie ich hoffe, für uns alle.
— Nun, Herr Kollege, Sie haben doch entscheidend dazu beigetragen.
Herr Kollege Matthöfer, daß Sie in dieser Debatte überhaupt das Wort nehmen, ist schon erstaunlich, denn Sie sind doch einer der Hauptverantwortlichen.
Es ist schon bemerkenswert und gehört zu einer alten sozialistischen Tradition, wie Sie innerhalb eines Vierteljahres versuchen, die Tatsache zu verdrehen. Aber Sie werden keine Chance haben. Die Wähler werden zum 6. März erkennen, wer die Verantwortung für das Desaster trägt.
Unerträglich ist es, daß es heute über 2 Millionen Menschen gibt, die ohne Arbeit sind. Wir befürchten, daß diese Zahl noch weiter zunimmt. Darunter sind viele junge Leute. Daß viele Menschen ohne Arbeit sind, muß für uns alle das größte und bedrückendste Problem bleiben.
Meine Damen und Herren, unser Land ist in diese verhängnisvolle Situation gekommen, weil der Staat überfordert und damit seine finanzielle Grundlage erschüttert wurde, weil soziale Gerechtigkeit mit staatlicher Betreuung und Bevormundung verwechselt wurde und weil die Belastbarkeit der Wirtschaft nicht zuletzt von Ihnen, meine Damen und Herren aus der Sozialdemokratie, im Übermaß erprobt wurde.
Die Eigenkapitalbasis der Betriebe ist ausgehöhlt worden, die Investitionstätigkeit zurückgegangen. Noch nie hat es in der Geschichte unserer Bundesrepublik so viele Firmenzusammenbrüche, vor allem im mittelständischen Bereich, gegeben wie in diesem Jahr. Auch dadurch ging eine große Zahl von Arbeitsplätzen verloren.
Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt und heute die Folgen einer gescheiterten Politik bewältigen, einer Politik, die mit vielen Versprechungen begann und die mit über 2 Millionen Arbeitslosen und drückenden Schulden- und Zinslasten endete. Aus dieser Sackgasse müssen wir wieder heraus. Nur die Umkehr zu wirtschaftlicher Vernunft und Stabilität, zu einem geordneten Haushalt und zu einer Sozialpolitik mit Augenmaß kann bewirken, daß auf die wirtschaftliche Talfahrt kein sozialer Absturz folgt.
Wir wissen, meine Damen und Herren, und wir haben nie etwas anderes gesagt: Keine Politik ist in der Lage, die Folgen der langjährigen Fehlentwicklung kurzfristig zu tilgen. Wir dürfen die Ursachen für unsere Probleme — und das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie, Herr Professor Ehmke, hier wieder behauptet haben — nicht vor allem im Ausland suchen. Wir dürfen nicht darauf warten, daß andere handeln. Dies war im übrigen auch die Auffassung der Regierungs- und Staatschefs auf der Sitzung des Europäischen Rates Anfang Dezember in Kopenhagen. Dort waren sich alle darüber einig, daß man bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, daß man bei der Bekämpfung und schließlich bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit nur dann erfolgreich sein wird, wenn jeder zu Hause anfängt, selbst Hand anlegt und nicht auf andere wartet.
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Das Dringlichkeitsprogramm der Bundesregierung umfaßt nicht nur die den Haushalt 1983 begleitenden Maßnahmen, sondern auch die Stärkung der internationalen Verbindungen der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Probleme so bewältigen, daß uns die Probleme anderer Länder so wenig wie möglich in Mitleidenschaft ziehen. Die Bundesrepublik als eines der führenden Industrieländer der Welt muß bei der Stabilisierung der Weltwirtschaft ihren eigenen Beitrag leisten, und unsere vordringlichste Aufgabe ist es, Arbeit zu schaffen. Deshalb müssen wir die Wirtschaft beleben, deshalb setzen wir auch Wachstum, und deshalb wollen und müssen wir im internationalen Wettbewerb bestehen.
Der Schlüssel zu all dem sind die Investitionen. Die Unternehmer werden aber nur dann wieder investieren, wenn sie Vertrauen in die Zukunft gewinnen, wenn sich Investieren wieder lohnt. Dazu, meine Damen und Herren, ist es notwendig, daß wir die Verschuldung der öffentlichen Hand, die Staatsverschuldung, in den Griff bekommen. In der gegenwärtigen Lage ist es leider unvermeidlich, den konjunkturell bedingten Teil des Haushaltsdefizits durch Kreditaufnahmen auszugleichen; denn die Nachfrage darf sich nicht weiter abschwächen, und weitere Wachstumsverluste dürfen nicht entstehen.
Die Bundesregierung hat — im Gegensatz zur früheren Regierung — den Haushalt auf der Grundlage realistischer gesamtwirtschaftlicher Daten aufgestellt.
Wir haben den Bürgern endlich gesagt, wie es um die öffentlichen Finanzen steht, und wir haben die Wahrheit vor der Wahl im März gesagt.
Bei der Übernahme der Regierung haben wir eine Haushaltslücke von rund 50 Milliarden DM für 1983 vorgefunden. Die Bundesregierung hat mit ihren Maßnahmen die Neuverschuldung auf rund 41 Milliarden verringert.
Bei einer Nettokreditaufnahme in dieser Höhe ist doch, meine Damen und Herren aus der Opposition, der Vorwurf des „Kaputtsparens" einfach lächerlich!
Den strukturellen Teil des Defizits, also den Teil, der auch bei einem Konjunkturaufschwung nicht abschmelzen würde, haben wir kräftig zurückgeführt und haben damit ein deutliches Signal für die Haushaltskonsolidierung gesetzt.
Meine Damen und Herren, die Zinsentwicklung der letzten Wochen und Tage zeigt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden politischen Parteien mit ihrem Kurs richtig liegen.
Wir haben damit begonnen, die Rahmenbedingungen für selbstverantwortliches Wirtschaften zu verbessern. Wir haben damit begonnen, die Rahmenbedingungen für den unternehmenden Mitbürger wieder kalkulierbar zu machen.
Das alles geht nicht ohne Anpassung der Staatsausgaben an die verminderte Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft. Dem Staat und uns allen als Bürgern unseres Staates kann es eben nur so gut gehen, wie es unserer Volkswirtschaft geht. Wer diese Kurskorrekturen bekämpft, verlängert die Wirtschaftskrise und verlängert die Phase, in der Arbeitslosigkeit herrscht. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Politik der Vernunft von der großen Mehrheit unserer Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland verstanden und unterstützt wird.
Ich weiß, daß die Opfer, die wir abverlangen müssen, natürlicherweise Diskussionen und auch Ärger verursachen. Ich weiß, daß die notwendigen Einschränkungen beim BAföG, beim Wohngeld und auch beim Kindergeld für manchen nicht leicht sind, aber wir müssen sie angesichts dieser Lage unseren Bürgern zumuten.
Ich möchte ein Beispiel hierfür herausgreifen: die Umstellung des Studenten-BAföG auf Darlehen. Das Darlehen ist zinslos. Die Rückzahlungsbedingungen sind sozial ausgestaltet, und sie sind einkommensabhängig. Möglichkeiten zu einer erheblichen Minderung der Darlehensbelastung sind geschaffen. Sie werden vor allem jenen Studenten zugutekommen, die ihr Studium zügig und erfolgreich abschließen. Damit, meine Damen und Herren, ist Vorsorge getroffen, daß kein Jugendlicher aus wirtschaftlichen Erwägungen auf ein Studium verzichten muß. Meine Damen und Herren, ich würde es für sehr nützlich halten, wenn Sie hier in die Gesamtdiskussion um das BAföG einmal Vergleiche mit anderen Ländern in der Welt, auch in Europa — die stellen Sie doch immer gern an —, in die Debatte einbeziehen würden.
Ich halte es für ein wesentliches Ergebnis, daß wir trotz des großen Finanzdrucks einen Kahlschlag in der Schülerförderung vermeiden konnten.
Eine Härteregelung stellt sicher, daß alle zur Zeit geförderten Schüler aus Familien mit niedrigem Einkommen bis zu ihrem Schulabschluß weiter gefördert werden können. Die Bundesregierung hat alles getan, um die Belastungen erträglicher zu machen und sie möglichst ausgewogen auf alle Gruppen der Gesellschaft zu verteilen. Dies ist für uns selbstverständlich ein Gebot der Solidarität.
Deshalb, Herr Kollege Ehmke, wurden im Gegensatz zu Ihren Behauptungen einige Maßnahmen auf die Bezieher höherer Einkommen beschränkt, wie z. B. die Neuregelung des Kindergeldes und die Investitionshilfeabgabe. Dabei soll nicht übersehen werden — Herr Kollege Ehmke, das wissen doch
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auch Sie —, daß diese Gruppe ohnedies durch die Progression der Einkommensteuertarife von Jahr zu Jahr stärker in Anspruch genommen wird. Wer hier von Klassenkampf von oben oder gar von Ellenbogengesellschaft spricht, betreibt bewußt Irreführung.
Meine Damen und Herren, es ist alte sozialistische Politik, mit Neid und Mißgunst Politik betreiben zu wollen.
Gehen Sie bitte davon aus,
daß wir in den nächsten Wochen unsere Bürger aufklären werden.
Wir werden unsere Mitbürger aufklären, wer durch seine Politik gegenüber dem kleinen Mann in der Bundesrepublik Ellenbogengesellschaft erzeugt hat.
Ein besonders wichtiger Punkt zur Wiederbelebung der Wirtschaft ist die Förderung des Wohnungsbaus. Dies ist ein besonderer Schwerpunkt unseres Dringlichkeitsprogramms. Wir wollen bessere Möglichkeiten zur steuerlichen Absetzung beim Bau von Eigenheimen, ein Sonderprogramm zur Bauspar-Zwischenfinanzierung, ein Sonderprogramm zur Belebung des Sozialen Wohnungsbaus und Änderungen des Mietrechts. Der Wohnungsbau ist ein Schlüssel der Wirtschaft.
Die Förderung kann hier schnell wirksam werden, kräftige Impulse für die Wirtschaft auslösen und neue Arbeitsplätze schaffen.
Meine Damen und Herren, die Anzeichen und die Reaktionen auf unser Programm sind ermutigend.
Meine Damen und Herren, Sie können hier noch so viel lärmen und versuchen zu stören — Sie werden uns nicht daran hindern, unseren Mitbürgern klarzumachen, wohin der richtige Weg deutscher Politik geht.
Nehmen Sie jetzt zur Kenntnis — das sage ich nun als Vorsitzender der CDU Deutschlands —: Wenn der Wahlkampfstil, den Sie praktizieren, der Stil des Kollegen Ehmke ist, werden Sie erleben, daß Sie von uns in gleicher Weise angegangen werden, wie Sie dies seit Wochen praktizieren.
Wir suchen diese Form und diesen Stil der Auseinandersetzung nicht, aber wenn Sie ihn erzwingen, dann werden Sie diese Auseinanderstzung bekommen.
Meine Damen und Herren, um die Investitionen zu stärken und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, brauchen wir eine Steuerpolitik, die Investitionen und Leistung fördert.
Deshalb entlastet unser Dringlichkeitsprogramm in einem ersten Schritt kleine und mittlere Betriebe steuerlich und bietet weitere Hilfen für den Mittelstand an.
Wir schaffen einen steuerlichen Anreiz für die Übernahme gefährdeter Unternehmen, um Produktionsstätten und Arbeitsplätze zu erhalten. Wir verbessern die Bedingungen für die Gründung selbständiger Existenzen, stocken die Mittel auf und schaffen damit neue Arbeitsplätze.
Wir richten die Belastung der Wirtschaft mit der Gewerbesteuer künftig stärker als bisher an der Ertragskraft der Betriebe aus. Die Einnahmeausfälle, die dadurch den Gemeinden entstehen, werden wir durch eine Senkung der Gewerbesteuerumlage ausgleichen.
Meine Damen und Herren, wir machen den Weg frei für die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien. Die ersten Schritte sind erfolgt. Durch den Ausbau eines modernen Kommunikationsnetzes werden kräftige Anstöße für Investitionen gegeben. So schaffen wir Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Investitionsausgaben der Bundespost werden im kommenden Jahr insgesamt die Rekordsumme von 14,9 Milliarden DM erreichen. Neue Kommunikationsdienste erhöhen die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Dieser Weg dient der Meinungsvielfalt in unserem Land.
Die Bundesregierung wird die öffentlichen Investitionen verstärken. 1983 werden wir für die Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau, regionale Wirtschaftsförderung, Agrarstruktur, Küstenschutz, Stadterneuerung und Krankenhausbau 500 Millionen DM zusätzlich einsetzen. Ich will in diesem Zusammenhang besonders darauf hinweisen, daß diese Mittel für den Hochschulausbau auch Mög-
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lichkeiten für die Schaffung zusätzlicher Studienplätze eröffnen.
Diese Politik — dessen bin ich sicher — wird mehr Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung bewirken.
Das wird sich für alle, auch und gerade für die Bezieher von Sozialleistungen auszahlen, denn die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Wachstums- und Investitionsförderung zielt auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation aller Bürger ab. Wer die Wirtschaft bevormundet, handelt unsozial. Wer nicht Vorhandenes verteilen will, wer von Klassenkampf statt von Partnerschaft redet, vernichtet Arbeitsplätze.
Wir, meine Damen und Herren, die Koalition der Mitte aus CDU/CSU und FDP, setzen auf Gemeinsamkeit und Partnerschaft. Ich bekomme täglich viele Briefe von Mitbürgern, die sich Gedanken machen, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande verbessert werden können. Ich bekomme auch viele Briefe von jungen Mitbürgern, die nicht nur Kritik üben und unsere Staatsordnung verneinen, sondern mitarbeiten wollen. Das ist eine wichtige Ermutigung auf unserem Weg.
Wir haben in diesen wenigen Wochen in einem sehr wichtigen Bereich versucht, mehr Gerechtigkeit zu verwirklichen.
Seit sieben Jahren wurde der jungen Männergeneration unseres Landes eine Lösung der dringenden Probleme der Wehrdienstverweigerung versprochen; dieses Versprechen konnte nicht gehalten werden. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat in sieben Wochen einen ausgewogenen und tragfähigen Kompromiß erreicht.
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie auch dieses Ergebnis draußen anzweifeln.
Wir sind sicher, daß die große Mehrheit im Lande weiß: Dies ist ein eindrucksvoller Beweis für die Handlungsfähigkeit unserer Regierung.
Wir wollen eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht verwirklichen,
die den Staat aus seiner Verantwortung nicht entläßt, aber nicht alles Heil vom Staat erwartet.
Wir wollen, daß jeder frei von wirtschaftlicher Not und frei von Angst leben
und sich seinen Fähigkeiten gemäß bilden und entwickeln kann.
Wir wollen nicht, daß Mittel, die von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen, auf Bürger umverteilt werden, die selbst leistungsfähig sind.
Wir setzen in der Tat, Herr Kollege Ehmke, auf den Leistungswillen und die Leistungsbereitschaft des einzelnen in unserem Lande.
Und wir setzen auf die Dynamik der gesellschaftlichen Kräfte,
damit Wohlstand für alle möglich bleibt und den wirklich Bedürftigen besser geholfen werden kann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Wochen hat es eine öffentliche Erörterung der finanziellen Lage der Rentenversicherung gegeben. Ich habe viel Verständnis dafür, daß die Verantwortlichen der Selbstverwaltung Alarm schlagen, wenn in den Kassen der Rentenversicherung Probleme drohen. Aber ich will mit aller Deutlichkeit für die von mir geführte Bundesregierung sagen: Der Rentner kann sich darauf verlassen, daß seine Rente sicher ist und pünktlich ausgezahlt wird.
Ich habe eigentlich erwartet, daß Sie sich jetzt dazu zu Wort melden, meine Damen und Herren von der SPD. Denn zum Thema „Renten vor Wahlen" sind Sie doch Spezialisten in den letzten Jahren gewesen.
Deshalb haben wir in unserem Dringlichkeitsprogramm dafür gesorgt, daß es nicht zu Zahlungsschwierigkeiten kommen wird. Ab 1. Juli 1983 erhalten die Rentner ihre Rentenerhöhung.
Aber es liegen in der Rentenversicherung noch eine Menge Probleme vor uns. Ich erinnere an die notwendige Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung. Ich erinnere an die notwendige Anpassung der Rentenversicherung an die demographischen und ökonomischen Bedingungen, die sich seit der Rentenreform von 1957, wie jeder weiß, erheblich verändert haben.
Unser Ziel ist es, für die Rentenversicherung eine tragfähige, sichere und langfristig finanzierbare Grundlage zu schaffen. Ich bin sicher, hier gibt es in Wahrheit keine Differenzen über dieses Ziel zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, zwischen Regierungskoalition und Opposition im Haus. Ich finde, nach der Wahl sollte es möglich
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sein, daß zu diesem wichtigen Punkt ein ruhiges, sachbezogenes Gespräch zwischen allen politischen Gruppierungen zustande kommt. Denn hier geht es um die Daseinsfürsorge, hier geht es um den gesicherten Lebensabend der Generation, die nach dem Krieg das Land aufgebaut hat und auf deren Schultern wir stehen, und wir sind gemeinsam verpflichtet, die Sicherheit dieses Lebensabends zu garantieren.
Wie ich überhaupt bei aller Härte der Auseinandersetzung sagen möchte, meine Damen und Herren von der SPD: Von mir und von meinen Kollegen von der FDP, der CDU und der CSU werden Sie nie das Wort hören: Wir brauchen die Opposition nicht.
Bei aller Schärfe der politischen Auseinandersetzung ist es im höchsten Maß erwünscht, daß es Felder der deutschen Politik gibt, wo wir die Fähigkeit besitzen, bei allen Kontroversen auch zusammenzuarbeiten.
Die Bundesregierung hat nur acht Wochen Zeit gehabt, um die dringendsten Probleme in Angriff zu nehmen. Aber wir haben die Weichen richtig gestellt, und wir haben damit gezeigt, in welcher Richtung es weitergehen wird, um dauerhafte Lösungen zu erreichen.
Vorrangig bleibt für mich im Gesamtkontext unserer Probleme der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, vor allem gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Wir müssen dafür sorgen, daß möglichst viele junge Mitbürger möglichst gut und qualifiziert ausgebildet werden und daß damit ihre Chance wächst, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen.
Ich bin mit allen Verantwortlichen in der Wirtschaft, den Unternehmen wie den Gewerkschaften, darin einig, daß der beruflichen Bildung unserer Jugend größte, allergrößte Bedeutung zukommt.
Beim Eintritt in das Leben des Erwachsenen darf für junge Menschen nicht die bittere Erfahrung der Arbeitslosigkeit stehen. Wir wollen uns gemeinsam, wie ich hoffe, für weit mehr Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, Berufsausbildungsplätze einsetzen. Ich brauche nicht zu betonen, daß davon die Zukunft unseres ganzen Landes abhängig ist.
Meine Damen und Herren, unsere Zukunftschancen werden wir aber nur dann nutzen können, wenn wir die Ertragskraft unserer Wirtschaft, unserer Betriebe weiter verbessern und so die Voraussetzungen für zusätzliche Investitionen schaffen. Deshalb bereiten wir weitere Schritte für ein investitions- und leistungsförderndes Steuerrecht vor. Wir haben fest eingeplant, die steuerlichen Entlastungen zur Stärkung der Investitions- und Innovationskraft der Wirtschaft weiter auszubauen sowie die
Rahmenbedingungen für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu verbessern. Dazu brauchen wir 1984 die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung.
Wir wollen möglichst viele Arbeitnehmer an der Vermögensbildung in der Wirtschaft beteiligen. Damit verbessern wir auch die Eigenkapitalbildung in den Betrieben, die jahrelang vernachlässigt worden ist. Wir sind der Auffassung, daß das Spargeld eben nicht ausschließlich auf das Sparbuch, sondern auch, wenn irgend möglich, in das Produktivvermögen gehen sollte. Dies ist eine zwingende wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit. Deshalb sagen wir schon jetzt, daß eine der ersten gesetzgeberischen Maßnahmen eine Initiative zur Vermögensbildung für Arbeitnehmer sein wird.
Eine weitere wichtige Aufgabe für die Zukunft ist die Reform des Familienlastenausgleichs, der für uns zentrale Bedeutung hat. Es geht auf die Dauer nicht an, daß mit der Zahl der Kinder die wirtschaftliche Leistungskraft einer Familie so abnimmt, daß dies manche Eltern von der Erfüllung ihres Wunsches nach Kindern abhält.
— Herr Abgeordneter Professor Ehmke, wer hat denn in den letzten zehn Jahren in Deutschland diese kinderfeindliche Gesellschaft im wesentlichen herbeigeführt? Das waren doch Sie mit Ihrer Politik.
Dabei geht es uns auch um die familienfreundlichere Gestaltung des Steuerrechts. Nach der jetzt vorgesehenen Umwandlung des Kinderbetreuungsbetrages in einen allgemeinen Kinderfreibetrag wollen wir in der nächsten Wahlperiode das Ehegatten-Splitting in ein Familien-Splitting umwandeln.
Wir werden dabei auch sicherstellen, daß entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Alleinerziehende gerechter als bisher besteuert werden.
Lassen Sie mich ein Wort zum Thema „Ausländerpolitik" sagen. Wir werden die in der Regierungserklärung angekündigte Ausländerpolitik behutsam, aber zielstrebig fortsetzen. Wir wollen die Integration der bei uns lebenden Ausländer. Wir können es jedoch nicht zulassen, daß Ausländer unbegrenzt und unkontrolliert einwandern. Von der Bundesregierung wird derzeitig geprüft, ob und wie Ausländern die Rückkehr in ihre Heimat erleichtert werden kann. Herr Kollege Ehmke, der Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat gerade zu diesen Fragen in der Türkei durchaus erfolgreiche Gespräche geführt. Angesichts dessen, was Sie vorhin hier gegenüber den Kollegen von der Freien Demokratischen Partei im Blick auf die Türkei gesagt haben, sollten Sie einmal überlegen,
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welche Rückwirkungen Äußerungen, wie Sie sie hier getan haben, für diesen Fragenbereich haben.
Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, unsere Umwelt zu schützen, um in ihr ohne Gefahren leben zu können. Wir stehen in der Pflicht, unsere natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen zu erhalten. Dies ist auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Umweltschutz schafft auch Wirtschaftswachstum. Wir, die Koalition der Mitte, haben uns auch dieser Aufgabe gestellt.
— Es wird ja wohl hier noch erlaubt sein, an die Reden vor ein paar Wochen zu erinnern. Nach Abgabe meiner Regierungserklärung Anfang Oktober war hier eine leidenschaftliche Debatte darüber, daß zum Thema Luftreinhaltung in der Regierungserklärung keine Zusage gegeben worden sei. Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur eine Zusage gegeben, wir haben sie auch eingehalten. Die TA Luft ist verabschiedet worden, was Sie in Jahren bei früheren Regierungen nicht zuwege gebracht haben.
Wir setzen unsere Arbeiten auch im Gewässerschutz und in der Abfallwirtschaft mit Nachdruck fort.
Auf Wachstum kann und darf dabei nicht verzichtet werden. Erst eine dynamische Wirtschaft bietet soziale Sicherheit und möglichst zugleich eine menschenwürdige Umwelt.
Wir können deshalb auf den technischen Fortschritt weder beim Umweltschutz noch bei der Sicherung unserer künftigen Energieversorgung verzichten.
Lassen Sie mich ein Wort zum Thema der inneren Sicherheit sagen. Dies ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Es ist in den letzten Wochen Gott sei Dank gelungen, gegen den Terrorismus in der Bundesrepublik einen entscheidenden Schlag zu führen.
Ich beglückwünsche den Bundesinnenminister Fritz Zimmermann,
das Bundeskriminalamt, den Bundesgrenzschutz, den Generalbundesanwalt sowie die Sicherheitsbehörden der Länder zu diesem Erfolg.
— Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe gar nicht, warum Sie hier lärmen. Stellen Sie
sich einmal vor, der Bundeskanzler Helmut
Schmidt hätte die Chance gehabt, eine solche Erfolgsmeldung hier bekanntzugeben!
Stellen Sie sich einmal vor, mit welch einer Emphase er das getan hätte und mit welchem Beifallssturm von Ihrer Seite!