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ID0913800200

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    Plenarprotokoll 9/138 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 138. Sitzung Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 Inhalt: Eintritt der Abg. Ginsberg und Riebensahm in den Deutschen Bundestag . . . 8577 A Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Haushaltsgesetz 1983) — Drucksachen 9/1920, 9/2050, 9/2139 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 9/2141, 9/2281 — . . . . 8577 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 9/2142, 9/2281 — . . . . 8577 C Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 9/2143, 9/2281 — . . . . 8577 D Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 9/2144, 9/2281 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 9/2145, 9/2281 — Dr. Dregger CDU/CSU 8578A Dr. Ehmke SPD 8584 B Hoppe FDP 8592 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 8596 C Dr. h. c. Leber SPD 8607 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 8616 C Rapp (Göppingen) SPD 8619 D Genscher, Bundesminister AA 8623 B Voigt (Frankfurt) SPD 8629 B Möllemann, Staatsminister AA 8633 D Picard CDU/CSU 8636 B Coppik fraktionslos 8638 B Wieczorek (Duisburg) SPD 8639 C Präsident Stücklen 8596 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 9/2154, 9/2281 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksachen 9/2165, 9/2281 — in Verbindung mit Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 9/2158, 9/2281, 9/2289 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 in Verbindung mit Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 9/2160, 9/2281 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 8640 B Frau Traupe SPD 8641 C Dr. Zumpfort FDP 8644 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 8644 B, 8659 B Neumann (Stelle) SPD 8651 C Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 8653 D Popp FDP 8655 B Meinike (Oberhausen) SPD 8656 D Hansen fraktionslos 8659C, 8682A Kolbow SPD 8661 D Schluckebier SPD 8663 C Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 8665 A Dr. Vohrer FDP 8667 D Dr. Holtz SPD 8669 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 8671 B Dr. Kreutzmann SPD 8673 D Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 8675 D Ronneburger FDP 8677 B Dr. Barzel, Bundesminister BMB . . . 8679A Wieczorek (Duisburg) SPD 8682A, B Reddemann CDU/CSU 8682 C Vizepräsident Wurbs 8681 D Nächste Sitzung 8683 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8684* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8577 138. Sitzung Bonn, den 14. Dezember 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 14. 12. Dr. van Aerssen * 16. 12. Böhm (Melsungen) ** 15. 12. Brandt 16. 12. Junghans 17. 12. Lagershausen 17. 12. Lampersbach 17. 12. Liedtke 15. 12. Löffler 17. 12. Frau Luuk 14. 12. Mischnick 17. 12. Müller (Bayreuth) 17. 12. Rösch ** 16. 12. Schmidt (Wattenscheid) 14. 12. Schmöle 17. 12. Dr. Vohrer ** 16. 12. Weiskirch 17. 12. *für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. Oktober wurde Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. In den zehn Wochen danach wurde folgendes bewirkt:
    Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hat wieder eine voll handlungsfähige Regierung, die sich auf eine Mehrheit stützen kann, die zur Zusammenarbeit, d. h. auch zum Kompromiß bereit und fähig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Zeit der Lähmung und der Zerstrittenheit, die die letzten Jahre der Regierung Schmidt gekennzeichnet hatten, ist beendet. In Bonn wird wieder regiert und zielstrebig gearbeitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Spöri [SPD]: Schneidg, schneidig!)

    Innenpolitisch galt es zunächst, die Fahrt in den finanziellen Abgrund abzubremsen — nicht zu stoppen; das ist in acht Wochen nicht zu machen — und erste wirksame Anstöße für die Wirtschaftsbelebung und damit für die Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit zu geben. Das geschieht zum Teil durch Maßnahmen der Ressorts, die den Haushalt nicht berühren, z. B. im Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie oder des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, im übrigen durch den Nachtragshaushalt 1982 und den Ergänzungshaushalt 1983, die wir mit den Begleitgesetzen am Donnerstag dieser Woche verabschieden werden.
    Ich möchte diese Haushaltsgesetze politisch bewerten als das erste Gesetz und das zweite Gesetz zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In dieser Bezeichnung kommt unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, gleichsam im Taktverfahren
    unser Land Schritt für Schritt aus der Krise herauszuführen.
    Meine Damen und Herren, mit diesen Gesetzen, die unter dem Druck einer sich verschärfenden Wirtschafts- und Finanzkrise in kurzer Zeit entworfen, beraten und beschlossen werden mußten, haben beide, die neue Regierung und die neue Koalition, ihre erste große Bewährungsprobe bestanden — mit Bravour bestanden, möchte ich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wehner [SPD]: Selbstlob!)

    Außenpolitisch kam es für die neue Regierung darauf an, Irritationen im westlichen Bündnis auszuräumen, die nicht nur durch die sogenannte Friedensbewegung, sondern auch durch widersprüchliche Positionen innerhalb der Regierungspartei SPD entstanden waren.

    (Westphal [SPD]: Gestern war die letzte!)

    Auch diese außenpolitische Aufgabe wurde in einem Ausmaß und in einer Schnelligkeit erfüllt, wie es nur wenige erwartet hatten. Zu diesem ohne Zweifel weitgehend persönlichen Erfolg des Bundeskanzlers möchte ich ihm unseren Glückwunsch aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese in nur zehn Wochen erreichten Erfolge der Regierung Kohl/Genscher erlauben es, ohne Schaden für unser Land den Weg zu Neuwahlen zu öffnen. Diese Neuwahlen werden von allen demokratischen Parteien und, wie die demoskopischen Umfragen bestätigen, auch von der großen Mehrheit der Wähler gewollt. Der Bundeskanzler hat sich entschlossen, zu diesem Zweck den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes zu stellen. Die Abstimmung über diesen Antrag wird am Ende dieser Woche stattfinden. Da aber beides, die Verwirklichung unseres Gesetzgebungsprogramms und die Abstimmung über diesen Antrag, unmittelbar aufeinander folgen und beides auch in einem inneren Zusammenhang steht, möchte ich gleich zu Beginn der Debatte dazu einige Bemerkungen machen.
    Die neue Regierung hat von der neuen Koalition einen inhaltlich und zeitlich begrenzten Auftrag erhalten. In der Bundestagsdebatte am 13. Oktober habe ich das Regierungsprogramm als ein Programm der Konzentration auf das jetzt Wichtigste und Dringlichste bezeichnet. Andere bedeutsame, aber weniger dringliche Aufgaben z. B. in der Innen- und Rechtspolitik blieben in den Koalitionsvereinbarungen und im Regierungsprogramm ausgespart.
    Der inhaltlichen Begrenzung entspricht die zeitliche Begrenzung des Regierungsauftrags. Es war von Anbeginn Geschäftsgrundlage der neuen Koalition, daß sie sich am 6. März 1983 den Wählern stellt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Auf der Grundlage dieses inhaltlich und zeitlich begrenzten Auftrages wurde Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt.
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8579
    Dr. Dregger
    Diesen politischen möchte ich einige wenige verfassungsrechtliche Bemerkungen hinzufügen.

    (Westphal [SPD]: Da sind wir aber gespannt!)

    Der Bundeskanzler ist jederzeit berechtigt, den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes zu stellen. Dieser Antrag richtet sich an uns, den Deutschen Bundestag.
    Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich: Um die Wirtschafts- und Finanzkrise meistern und die schwerwiegenden außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir stehen, treffen zu können, braucht die Regierung eine volle Legislaturperiode. Deshalb wollen wir Neuwahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Um für den Herrn Bundespräsidenten eine klare Entscheidungsgrundlage zu schaffen, füge ich hinzu: Ohne Neuwahlen sind wir nicht bereit, diese oder eine andere Regierung parlamentarisch zu unterstützen. Wir haben diesen Entschluß nicht aus Willkür, sondern aus wohlerwogenen Gründen gefaßt. Deshalb ist er unumstößlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Auch bei kritischer Prüfung wird man sagen müssen: Mit diesem Entschluß bleiben wir Abgeordneten im Rahmen der Rechte, die die Verfassung uns zuweist. Die politischen Erwägungen, die unserem Beschluß zugrunde liegen, sind unsere Sache. Daß wir, die freigewählten Abgeordneten des deutschen Volkes, unsere Entscheidungen allein nach unserem Gewissen zu treffen haben,

    (Westphal [SPD]: Und uns der Stimme enthalten!)

    entspricht dem Wortlaut und dem Geist unserer Verfassung, dem Geist der repräsentativen Demokratie. Deshalb sind wir überzeugt: Unsere Entscheidung ist verfassungsgemäß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Unsere Haltung in der Neuwahlfrage ist eindeutig, wahrhaftig und für jedermann verständlich. Sie ist auch mutig.

    (Dr. Spöri [SPD]: Na?)

    Wir treten nicht mit haltlosen Versprechungen und Geschenken vor die Wähler — und, meine Damen und Herren, nicht mit Unwahrheiten, wie andere Regierungen es zuvor getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Bei uns wird es weder einen Renten- noch einen Finanzbetrug geben. Auf unser Wort kann sich jeder verlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Unruhe bei der SPD)

    Angesichts der schwierigen Wirtschafts- und Finanzlage setzen wir bei dieser Wahl unser ganzes Vertrauen in unser Volk.

    (Dr. Spöri [SPD]: Er trieft vor Selbstgerechtigkeit, dieser Mensch!)

    Wir trauen ihm die Bereitschaft zu, mit uns gemeinsam auf dem von uns aufgezeigten Weg die Krise in Freiheit zu meistern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Einige Beispiele mögen unsere Haltung erläutern. Erstens. Um die Renten zu sichern, hat die Regierung eine Rentenerhöhungspause für ein halbes Jahr anordnen müssen.

    (Walther [SPD]: Anordnen?)

    Der Bundesminister für Arbeit, unser Freund und Kollege Dr. Norbert Blüm,

    (Zuruf von der SPD: Tusch!) hat das zum Anlaß genommen,


    (Zuruf von der SPD: Der Lohnpausenminister!)

    die Tarifpartner zu bitten, diesem Beispiel zu folgen.
    Anders als z. B. die sozialistische Regierung in Frankreich, die einen gesetzlichen Lohn- und Preisstopp eingeführt hatte, lehnen wir jeden Dirigismus ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Gewerkschaften und Unternehmer sind und bleiben in ihren Entscheidungen frei. Aber sie müssen die Verantwortung tragen, die aus ihrer Freiheit erwächst. Auf diese ihre Verantwortung weisen wir sie mit Nachdruck hin.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Auch Herrn Steinkübler!)

    Wir vertrauen darauf, daß sie dieser ihrer Verantwortung gerecht werden auf diesem oder einem anderen Weg.

    (Zuruf von der SPD: In diesem unseren Lande!)

    Zweitens. In den Bereichen, in denen Regierung und Parlament selbst die Verantwortung tragen, nehmen wir sie wahr. Die Regierung hat nicht die Tarifverhandlungen für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes abgewartet, um, wie bisher üblich, auf ihrer Grundlage die Entscheidung über die Beamtenbesoldung zu treffen. Die Regierung hat die Erhöhung der Beamtenbesoldung vorweg auf 2 % begrenzt.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Ist das kein Dirigismus?)

    Das bringt gewiß Probleme mit sich, auch für die Gewerkschaften. Aber in einer Lage wie der jetzigen muß die Regierung in ihrem eigenen Verantwortungsbereich Signale setzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Drittens. Die Haushaltspläne 1982 und 1983 sehen trotz unserer außerordentlichen Sparanstrengun-
    8580 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
    Dr. Dregger
    gen immer noch eine Nettoneuverschuldung vor, deren Höhe wir beklagen, im Gegensatz zur SPD-Fraktion, die ja voll damit einverstanden ist.

    (Reuschenbach [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    — Das haben Sie in der letzten Debatte erklärt. Vielleicht haben Sie Ihren Kollegen nicht zugehört.
    Die theoretisch denkbaren Alternativen haben wir sorgfältig geprüft und verworfen. Eine weitere Kürzung von Leistungen wäre jetzt ebenso falsch wie noch stärkere Steuer- und Abgabenerhöhungen oder der Verzicht auf vorgesehene Investitionsanreize für die Bauwirtschaft. In den Zwängen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir nicht gemacht, sondern vorgefunden haben, haben wir weder resigniert noch falsche Zahlen vorgelegt. Wir haben uns für den möglichen Weg entschieden, der solide und wahrhaftig ist. Dieser Weg wird verkörpert durch den Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg.

    (Dr. Spöri [SPD]: Und Lambsdorff vor allen Dingen!)

    Das Vertrauen in seine Finanzpolitik hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesbank in der Lage sah, in relativ kurzem Abstand zweimal die Zinsen zu senken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Zinssenkung verbessert die Investitionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und, wie ich hoffe, auch ihre Investitionsbereitschaft.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Karneval haben wir noch nicht!)

    Viertes Beispiel: BAföG. Als es zunächst für Studenten und dann für Schüler eingeführt wurde, hatten wir nicht nur finanzielle Handlungsspielräume, die inzwischen verlorengegangen sind, viele Politiker waren damals auch von der falschen These des Professor Picht beeindruckt, der für die Bundesrepublik Deutschland einen Bildungsnotstand wegen zu geringer Abiturienten- und Akademikerzahlen voraussagte. Jetzt ist der Bildungsnotstand da, aber aus anderen Gründen. Nach vorliegenden Schätzungen werden z. B. in den kommenden Jahren ca. 150 000 zu Lehrern ausgebildete junge Menschen keinen Arbeitsplatz in ihrem erlernten Beruf finden — eine tragische Tatsache für die Betroffenen, auch für uns, wie ich finde.
    Notwendig ist hier zweierlei. Die einseitige Bevorzugung des Abiturs und des akademischen Studiums in der Bildungsförderung muß beendet werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Die praktischen Bildungsgänge müssen demgegenüber in den Vordergrund treten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Ein tüchtiger Facharbeiter oder Handwerksmeister
    wird bei der gegenwärtigen Akademikerinflation
    bessere Zukunftschancen haben als ein Akademiker,

    (Dr. Linde [SPD]: Warum sind Sie nicht Handwerker geworden?)

    der sich auf einen überfüllten Beruf vorbereitet und dort nur Durchschnittliches leistet.
    Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, darf der berufliche Aufstieg nicht an den Einkommensverhältnissen scheitern. Das ist nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Die Förderung von Begabten ist auch notwendig, um unseren Rang als Wissenschaftsnation und damit als Industrienation zu behaupten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das aus finanziellen Gründen eingeschränkte BAföG muß daher durch eine gezielte Begabtenförderung ergänzt werden. Eine Kommission des Präsidiums meiner Partei arbeitet zur Zeit an entsprechenden Vorschlägen. Meines Erachtens ist das ein Feld, dem die Länder als Träger der Kulturhoheit ihre besondere Aufmerksamkeit widmen sollten. Ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen weist ebenfalls in diese Richtung.
    Meine Damen und Herren, diese vier Beispiele sollen deutlich machen, daß wir auf nahezu allen Feldern der Politik umdenken müssen, daß wir besonnen, selbstkritisch und entschlossen handeln müssen, wenn wir die Krise in Freiheit meistern wollen.
    In den 70er Jahren hat die Politik die Menschen zu Ansprüchen ermuntert, die von vornherein über unsere Möglichkeiten hinausgingen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Diese Ansprüche wurden zum Teil auf Pump befriedigt, d. h. auf Kosten der Zukunft. Viele Bürger haben gespürt, daß das nicht so weitergehen würde. Jetzt sind wir — wie voraussehbar — an unsere Grenzen gestoßen. Rückblickend wird man sagen müssen, daß es eine Kultur der Unbescheidenheit war,

    (Walther [SPD]: Bitte, was?)

    die in den 70er Jahren propagiert wurde. Die Regierungen Brandt und Schmidt haben das zunächst gefördert, nachher hingenommen. Die Kraft, das Steuer herumzuwerfen, hat ihnen gefehlt. Die Balance von Anspruch und Pflicht ging dabei verloren. Das hat die Menschen nicht zufriedener gemacht, im Gegenteil.

    (Dr. Spöri [SPD]: Aber jetzt kommt Dregger!)

    Zum Fordern erzogen lernten viele junge Menschen das Glück der Leistung nicht kennen.

    (Lachen bei der SPD)

    Was man der eigenen Leistung verdankt, das genießt man mit Stolz.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP — Zurufe von der SPD)

    Was man zum Geschenk erhält, ohne es vorher oder
    nachträglich verdienen zu müssen, das wird man
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8581
    Dr. Dregger
    verachten, übrigens mitsamt dem Schenker, sei es der Staat oder der eigene Vater.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Solange wir über unsere Ansprüche besser Bescheid wissen als über unsere Pflichten, sind wir zur Unzufriedenheit verurteilt.

    (Zuruf von der SPD: Bei Flick trifft das zu!)

    Noch eines: Junge Menschen haben ein Recht auf Vorbilder. Vorbilder sind wir Älteren nur dann, wenn wir klare Positionen beziehen und dabei auch die Gegnerschaft junger Menschen aushalten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß junge Menschen mögliche Vorbilder prüfen, indem sie sie bekämpfen. Sie prüfen auch, ob unser Reden mit unserem Handeln übereinstimmt. Sie beachten, was uns wichtiger ist: die Menschen selbst oder irgendwelche Sachwerte. Zeiten der Einschränkung sind auch Zeiten der Besinnung.

    (Dr. Spöri [SPD]: Jetzt kommt die besinnliche Phase!)

    In dieser Besinnung steckt die große Chance, näher zusammenzurücken, meine Damen und Herren von der SPD, und das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden.
    Sparsamer zu leben bedeutet zugleich, mehr Verständnis zu entwickeln

    (Zuruf von der SPD: Sparen Sie mal!)

    für das, was wir wirklich brauchen. Aber es geht für einen Politiker gewiß nicht darum, das einfache Leben zu predigen. Die Politik muß auch neue Wege aufzeigen.
    Ein Beispiel. Wenn die Arbeitnehmer durch Lohnzurückhaltung Investitionen ermöglichen, um dadurch ihre Arbeitsplätze zu sichern, und wenn durch diese Lohnzurückhaltung das Produktivvermögen wächst,

    (Zuruf des Abg. Dr. Spöri [SPD])

    dann ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, die Arbeitnehmer an diesem auch durch ihre Lohnzurückhaltung wachsenden Produktivvermögen zu beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das soll nicht zwangsweise durch Gesetz angeordnet werden. Die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers und des Unternehmens

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    sollen gewahrt bleiben. Das Gesetz soll lediglich die Rahmenbedingungen schaffen; aushandeln müssen es die Gewerkschaften und die Arbeitgeber.
    Ich habe darüber in den letzten Wochen mit allen Beteiligten gesprochen. Das positivste und konstruktivste Echo auf der Gewerkschaftsseite habe ich bei der DAG und dem CGB gefunden.

    (Zurufe von der SPD)

    Auch bei Einzelgewerkschaften des DGB gibt es positive Ansätze. Ich bin überzeugt, daß der DGB in einigen Jahren allgemein dieser Entwicklung folgen wird, wenn wir Ihr nur Bahn brechen.
    Eine Kommission des Präsidiums meiner Partei arbeitet an der Verbesserung und Vervollständigung eines Gesetzentwurfes, den das Land Niedersachsen im Bundesrat eingebracht hat. Nach dem 6. März werden wir ein solches Gesetz verabschieden.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Oh!)

    Was wir jetzt brauchen, sind Partnerschaft und Solidarität. Solidarität, zu der sich Sozialdemokraten und Freie Demokraten ebenso bekennen wie wir, heißt, die Freiheitsspielräume nicht nur zu nutzen, sondern ihnen auch einen auf das Ganze bezogenen Sinn zu geben.

    (Zurufe von der SPD)

    Nur wer die Grenzen der Freiheit achtet, wird die Freiheit behalten. Nur wer den Rechtsstaat als ein hohes Gut hütet, wird vor dem Unrechtsstaat bewahrt bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang. In Zeiten der Krise müssen wir Gegensätze, die uns trennen, zurückstellen. Solidarität heißt hier auch, füreinander einzutreten statt gegeneinander anzutreten.

    (Dr. Spöri [SPD]: Nennen Sie doch Gegenbeispiele! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Was alle Demokraten verbindet, auch Sie und uns, meine Damen und Herren von der SPD, zählt in Zeiten der Krise doppelt. Das sollten wir nicht vergessen, auch nicht in dem Wahlkampf, der uns bevorsteht.

    (Dr. Spöri [SPD]: Erst prügeln, dann säuseln!)

    — Wenn Sie sich meinem Stil anpassen, dann haben wir einen guten parlamentarischen Stil.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch und Lachen bei der SPD)

    Was für die Innenpolitik gilt, gilt auch für die Außenpolitik. Der Regierungswechsel ist nicht die Stunde Null. Die neue Regierung hat das Erbe so anzunehmen, wie es ist,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider!) um es dann weiterzuentwickeln.


    (Zuruf von der SPD: Das braucht Ihr nicht!)

    Die neue Bundesregierung steht in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierungen, allerdings nicht nur in der Kontinuität der unmittelbar vorausgegangenen Regierungen Brandt und Schmidt, sondern auch in der Kontinuität der Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Und Brüning!)

    Diese unionsgeführten Regierungen haben die Grundlagen geschaffen, auf denen Existenz und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland beruhen. An diesen Grundlagen zu rütteln, wie es manche in den letzten Jahren versucht haben,
    8582 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
    Dr. Dregger
    heißt, an den Grundlagen unserer freien Existenz zu rütteln.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zu erinnern ist an folgende drei große Vertragswerke.
    Erstens an den Deutschlandvertrag des Jahres 1952. Er verpflichtete die drei Westmächte auf ein nationales und demokratisches Ziel der Deutschen: auf ein wiedervereinigtes Deutschland mit einer demokratischen Verfassung.
    Zweitens nenne ich den Beitritt zur NATO im Jahre 1955. Er war Ausfluß der Erkenntnis, daß wir als Mittelmacht an der Grenze zwischen Ost und West nicht allein bestehen, daß wir Frieden und Freiheit nur im Bündnis mit denen bewahren können, die unsere Wert- und Verfassungsordnung teilen.
    Drittens. Die dritte Grundlage unserer freiheitlichen Existenz ist die schrittweise Einigung der freien Völker Europas. Europarat, WEU, Montanunion, Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Gemeinschaft sind die Stationen, die zurückgelegt wurden. Auch dieses Werk ist unvollendet. Wir beglückwünschen den Außenminister und FDP-Vorsitzenden Genscher zu der Initiative, die er zusammen mit dem Außenminister Italiens zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft ergriffen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Politik gegenüber der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern muß vor allem der Sicherung des Friedens dienen. Für uns Deutsche gibt es zum Frieden wirklich keine Alternative. Unser Land würde bei Ausbruch eines europäischen Krieges — ob atomar oder konventionell — Hauptkriegsschauplatz sein und damit nahezu vollständig zerstört werden. Frieden entsteht nicht aus Unterwerfung oder Unterwerfungsbereitschaft. Er ist das Ergebnis von Abwehrfähigkeit, verbunden mit der Bereitschaft, mit dem möglichen Gegner zusammenzuarbeiten. Daß Abwehrfähigkeit eine unentbehrliche Komponente der Friedenssicherung ist, war in den 60er Jahren noch nahezu unbestritten.
    In den 70er Jahren folgte dann der Hochkunjunktur in der Wirtschaft die Hochkonjunktur in den guten Absichten, sehr unüberlegten guten Absichten allerdings, die die Natur des Menschen ebenso verkennen wie die geschichtlichen Erfahrungen und die politischen Kraftfelder, die von außen auf uns einwirken. Es ist ein geistig-moralischer Hochmut, der dem materiellen Hochmut gefolgt ist. Gepflegt wird er vor allem in Alternativkulturen, in der Propaganda der Angst und der sogenannten Friedensbewegung. Was wir erleben, ist eine Krise, die unser Menschenbild betrifft. Um ihr zu begegnen, muß gesagt werden, daß radikaler Idealismus die Gewalt fördert. Der Mensch ist nicht durchweg gut. Er bleibt der Unsicherheitsfaktor Nummer 1. Das ist keine Frage des politischen oder gesellschaftlichen Systems, sondern ein Wesenszug der gefallenen, wie wir Christen sagen, der sündhaften
    Natur des Menschen. Der Mensch will und bewirkt nicht nur das Gute; er will und tut auch das Böse. Deshalb bedarf er wie der Staat, der ihm Schutz gewährt, der Sicherung nach innen und außen. Wer es mit guten Absichten rechtfertigt, auf uns gerichtete offensive Systeme zu verkennen, der wird über kurz oder lang dem Machtwillen dieser Systeme erliegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer aus Friedenswillen auf die Sicherung des Friedens durch Abwehrfähigkeit verzichtet, der verspielt den Frieden und dazu die Freiheit, ohne die es einen menschenwürdigen Frieden nicht geben kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aus dieser Einschätzung der Natur des Menschen, aus der geschichtlichen Erfahrung und einer realistischen Beurteilung der Weltlage heraus stehen wir Christlichen Demokraten voll hinter der Nordatlantischen Allianz. Wir bekennen uns zu ihrer Wertordnung und zu ihrem rein defensiven Sicherheitskonzept.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der NATO-Doppelbeschluß, der Helmut-SchmidtDoppelbeschluß, wie er auf Grund der besonderen Verdienste des früheren Kanzlers um diesen Beschluß mit Recht genannt wird, ist verbindlich. Die SPD sollte nicht den Eindruck entstehen lassen, sie würde derartige Beschlüsse als leere Hülsen betrachten, die man einfach wegwerfen könne, nur um innerparteilichen Schwierigkeiten zu entgehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, die sowjetischen Mittelstreckenraketen bedrohen nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, die sie gar nicht erreichen können; sie bedrohen uns. Es waren die Europäer, die die USA gedrängt haben, dieser Bedrohung ein Gegengewicht in Europa entgegenzustellen. Helmut Schmidt vor allem war es, der das als erster gefordert hat. Die Amerikaner jetzt dafür zu beschimpfen, daß sie dieser Forderung nachgekommen sind, und ihnen unsinnige Atomkriegspläne zu unterstellen, ist nicht nur ein Erfolg der sowjetischen Desinformationskampagne, sondern auch ein Zeichen für das kurze Gedächtnis und das mangelnde politische Urteilsvermögen mancher Publizisten und Politiker in Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wünschen dem Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses in Genf Erfolg, damit die Nachrüstung vermieden werden kann. Wir fordern alle Beteiligten, auch und insbesondere die Sowjetunion, auf, außer dem eigenen Sicherheitsbedürfnis auch das Sicherheitsbedürfnis der anderen zu würdigen. Nur eine gegenseitige Rücksichtnahme kann dem Rüstungswahnsinn, der sich in einer Überrüstung äußert, ein Ende setzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn geht es aber nicht nur um Sicherheit und Handelsaustausch; es geht auch um die Wiederherstel-
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8583
    Dr. Dregger
    lung eines alten Vertrauensverhältnisses, das durch die Erschütterungen der letzten Jahrzehnte, durch Krieg, Mord und Vertreibung unterbrochen worden ist. Ich habe kürzlich einen hochrangigen sowjetischen Gesprächspartner nicht nur als Vertreter der UdSSR, sondern auch als einen Vertreter des russischen Volkes begrüßt, denn hinter den Systemen, die ja nicht ewig sind, stehen die Menschen und in ihrer historischen Kontinuität die Völker. Ich habe diesen Vertreter der Sowjetunion und des russischen Volkes gebeten, in mir nicht nur den Inhaber eines bestimmten Amtes in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen, sondern ebenfalls einen Vertreter des deutschen Volkes, und zwar des ganzen deutschen Volkes. Ich habe ihn an die langen und glücklichen Perioden der deutsch-russischen Geschichte erinnert, in denen unsere Länder auf der Basis der Gleichheit Partner waren. Ich habe gemeint, das sollte die Perspektive für unsere künftigen Beziehungen sein, die die Wiederherstellung der Rechte des deutschen Volkes einschließen müßte.
    Das, was ich jetzt sage, richtet sich an die Adresse aller, nicht nur der Sowjetunion: Jeder im Westen und im Osten sollte davon ausgehen, daß die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung — so formuliert es das Grundgesetz, und der Herr Bundeskanzler hat es in seiner Regierungserklärung unterstrichen — immer das Ziel deutscher Politik bleiben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich weiß, daß die Sowjetunion das nicht gern hört, der eine oder andere westliche Politiker oder Publizist ebenfalls nicht. Aber was andere gern hören, kann ja nicht der einzige Maßstab unserer politischen Ziele und unseres politischen Handelns sein.

    (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Die Teilung unseres Landes und die Teilung seiner Hauptstadt, Teilungen, die nur durch Mauer, Stacheldraht, Minen und Schießbefehl aufrechterhalten werden können, verstoßen gegen die rechtlichen und sittlichen Normen der Völkergemeinschaft.

    (Beifall der der CDU/CSU und der FDP)

    Das sollte niemand verdrängen, weder die Sowjetunion noch unsere Verbündeten, noch wir selbst, meine Damen und Herren.
    Der Grundvertrag und die Ostverträge sind bindendes Recht. Sie haben aber an der Gültigkeit des Deutschlandvertrags nichts geändert, wie es durch den Brief zur deutschen Einheit, die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestags vom 7. Mai 1972, die salvatorischen Klauseln in den Verträgen selbst und durch die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eindeutig klargestellt worden ist.
    Die Sieger des Zweiten Weltkrieges stehen heute in verschiedenen Lagern, aber die Verantwortung für Deutschland als Ganzes tragen sie gemeinsam. Die Besiegten sind für den Krieg verantwortlich, die Sieger für den Frieden. Zu dieser gemeinsamen
    Verantwortung der Sieger gehört auch die Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und die Menschenrechte in ganz Deutschland zu verwirklichen. Nur diese gemeinsame Pflicht kann heute, über 35 Jahre nach dem Ende des Krieges, die Mitwirkungsrechte der Siegermächte in Deutschland rechtfertigen.
    Machtausübung zu anderen Zwecken, etwa zur dauernden Rechtsverweigerung den Deutschen gegenüber, wäre ebenso illegitim, wie jede Machtausübung illegitim ist, die nicht den rechtlichen und sittlichen Normen der Völkergemeinschaft entspricht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir alle wissen, daß die Wiederherstellung der Rechte unseres Volkes nur im Einvernehmen mit allen Nachbarn verwirklicht werden kann. Auch deshalb wollen wir die Ostverträge mit Leben erfüllen. Das steht mit unserem Oppositionsverhalten bei der Erarbeitung und der Verhandlung dieser Verträge nicht im Widerspruch. Wir wollten vor allem bessere Verträge, wir wollten zur Wahrung der nationalen Interessen des deutschen Volkes für diese Verträge eine Interpretation durchsetzen, die wir dann in gemeinsamen Entschließungen und einschlägigen Verfassungsgerichtsentscheidungen auch erreicht haben.
    Nachdem die Verträge gültig sind, sind sie zu Instrumenten der deutschen Außenpolitik geworden. Nur auf ihrer Grundlage können wir Politik machen, die Vertrauen erweckt. Nur so können wir im Interesse unseres Volkes die Möglichkeiten nutzen, die auch diese Verträge uns bieten. Dazu sind wir entschlossen, wie schon die ersten Wochen der Arbeit der neuen Regierung eindrucksvoll gezeigt haben.
    Meine Damen und Herren, insbesondere der SPD, vielleicht ist das eine außenpolitische Perspektive, auf die sich die große Mehrheit des Hauses einigen kann. Ich sage das, weil wir Christlichen Demokraten gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik den Konsens mit allen demokratischen Kräften, insbesondere selbstverständlich auch mit der großen Sozialdemokratischen Partei, wünschen. Wir jedenfalls stehen in der Kontinuität der Friedens- und Sicherheitspolitik aller Regierungen der Bundesrepublik Deutschland. Wir würden es begrüßen, wenn das auch von den Sozialdemokraten ausnahmslos gesagt werden könnte. Es wäre tragisch für Sie und es läge nicht in unserem nationalen Interesse,

    (Bindig [SPD]: Das bestimmen Sie?!)

    wenn Sie gerade die Kontinuität mit den Teilen unserer Außen- und Sicherheitspolitik aufkündigen würden, die den besonderen Stempel des letzten Bundeskanzlers tragen, den Sie gestellt haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Zum Schluß dieser außenpolitischen Bemerkungen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler danken für die kluge, jede Schroffheit nach außen vermei-
    8584 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
    Dr. Dregger
    dende und zugleich souveräne Art, in der er die deutschen Interessen wahrnimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unser Dank gilt auch dem Herrn Bundespräsidenten, der es in hervorragender Weise versteht, unser Land auch nach außen mit Würde und Klugheit zu vertreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Es war das Ergebnis besonderer Umstände, daß vor wenigen Wochen zwei wichtige Begegnungen gleichzeitig stattfanden. Der Herr Bundespräsident traf als erstes westliches Staatsoberhaupt mit dem neuen sowjetischen Generalsekretär in Moskau zusammen; gleichzeitig verhandelte der Herr Bundeskanzler mit dem amerikanischen Präsidenten in Washington.

    (Bindig [SPD]: Er radebrechte!)

    Beide Gespräche, in Moskau wie in Washington, verliefen in guter, von gegenseitigem Respekt getragener Atmosphäre, in Washington auf Grund der engen Bündnisbeziehungen natürlich in besonderer Herzlichkeit.
    Was im zeitlichen Zusammentreffen ein Zufall war, hat doch symbolische Bedeutung. Die Bundesrepublik Deutschland ist heute wegen ihrer Stärke und wegen ihrer Besonnenheit ein geachteter Friedensfaktor der internationalen Politik. Daß die neue Regierung besonders geeignet ist, der sich daraus ergebenden Verantwortung gerecht zu werden, hat damit zu tun, daß sie sich auf Parteien stützen kann, an deren geschlossener Bündnistreue ebensowenig gezweifelt werden kann wie an ihrer Bereitschaft, den Frieden zu wahren und zu diesem Zweck auch eng mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern zusammenzuarbeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist die innere Übereinstimmung zwischen Regierung und Koalition, die unserem Eintreten für den Frieden besonderes Gewicht verleiht. So soll es bleiben im Interesse des Friedens und im Interesse des deutschen Volkes.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Monaten hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung für die Rechtskoalition von CDU/CSU und FDP

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    einen politischen Neuanfang, eine wirtschaftliche Wende und eine geistig-politische Erneuerung versprochen. Wir Sozialdemokraten haben bereits damals darauf hingewiesen, daß das Zustandekommen dieser Regierung, ihre personelle Zusammensetzung und ihr Koalitionsprogramm nicht zu einem Gewinn, sondern zu einem Verlust an Stabilität und politischer Glaubwürdigkeit führen werden.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Die vergangenen Wochen haben uns in unseren Sorgen und Befürchtungen bestätigt.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Der Bundeskanzler hat zwar ein beachtliches Programm an Reisen, Lächeln und Händeschütteln absolviert. Auch die übrigen Regierungsmitglieder sind fleißig in die Medien gegangen, und der Propagandaapparat der CDU läuft auf Hochtouren. Die tatsächlichen Probleme unseres Landes aber, verehrte Kollegen, haben sich verschärft.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Dazu haben Sie in 13 Jahren einen Beitrag geleistet!)

    Daher ist es zu begrüßen, daß diese Übergangsregierung abtritt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Art, in der Sie, Herr Bundeskanzler, die Frage der Neuwahlen in Unklarheit wochenlang vor sich hergeschoben haben, war allerdings eine zusätzliche Zumutung für den Bürger, vom Herrn Bundespräsidenten gar nicht zu sprechen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten wollen seit Wochen Neuwahlen.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Höchstens in Ihrer Fraktion wollen Sie Neuwahlen!)

    Wir werden Ihre Vertrauensfrage aus politischer Überzeugung mit einem klaren Nein beantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Die verfassungsrechtliche Verantwortung, Herr Bundeskanzler, für den Weg zu Neuwahlen, den Sie gewählt haben, liegt allerdings allein bei Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei uns gibt es unter diesem Aspekt gegen den von Ihnen gewählten Weg Bedenken. Wir hätten einen Rücktritt für die saubere Lösung gehalten.

    (Beifall bei der SPD — Schwarz [CDU/ CSU]: Das hätten Sie mit Schmidt machen sollen!)

    Daß die Kollegen von der FDP Neuwahlen mit gemischten Gefühlen entgegensehen, kann man verstehen. Die FDP befindet sich nach Ihrem Wortbruch in einem desolaten Zustand; das Hamburger Wahlergebnis wird das erneut bestätigen. Viele Mitglieder haben die Partei verlassen. Die Restpartei hat uns in den vergangenen Wochen ein jammervolles Schauspiel geboten.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Meinen Sie Matthäus-Maier?)

    Scheinkämpfe etwa um den BAföG-Abbau oder um den Rhein-Main-Donau-Kanal standen Seite an Seite mit einem kläglichen Umfallen selbst in so wichtigen politisch-moralischen Fragen wie denen
    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8585
    Dr. Ehmke
    der Kriegsdienstverweigerung oder der Menschenrechte in der Türkei.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Kritiker, glaube ich, haben recht: Eine zu einem Mitläufer der Unionsparteien werdende FDP hat keine politische Funktion mehr, sie ist überflüssig.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Nur als Mehrheitsbeschaffer für Sie, da geht es!)

    Die FDP befürchtet daher zu Recht, daß ihr die Wähler am Wahltag diese Tatsache bestätigen werden.
    Die Unionsparteien dagegen hoffen, nach Neuwahlen ohne die FDP regieren zu können. Das voreilige Gerangel um Ministerposten ist dabei ein erneuter Ausdruck ihres schon beim Sturz von Bundeskanzler Schmidt deutlich gewordenen Mangels an Respekt vor dem Wähler. Jetzt muß aber erst einmal der Wähler das Wort haben, damit sich die neue Regierung — anders als die Übergangsregierung — in einer schwierigen Zeit für ihre Politik auf ein Vertrauensvotum des Wählers stützen kann.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Das wird sie bekommen!)

    Diese Übergangszeit hat auch durchaus ihr Gutes gehabt, vor allem in Sachen politischer Klarheit. Selbst die Unionsparteien beteuern nun eifrig, daß unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten Folgen einer Weltwirtschaftskrise sind.

    (Lintner [CDU/CSU]: Erblast!)

    Die Unwahrheit Ihrer Oppositionsaussage, an allem seien nur die Sozial-Liberalen schuld,

    (Lintner [CDU/CSU]: So ist es!)

    schleppen Sie zwar in Ihrer „Erblast"-Kampagne noch weiter mit sich herum. Angesichts der Entwicklung der Weltwirtschaftskrise schlägt diese Kampagne aber mehr und mehr gegen Sie selbst zurück.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Abwarten!)

    Diejenigen Bürger, vor allem junge Bürger, unseres Landes, die dem Eindruck erlegen waren, es gebe zwischen den Unionsparteien und der SPD gar keine Unterschiede mehr, sind von Ihnen in einem Schnellkurs eines Besseren belehrt worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Selbst großen Teilen Ihrer eigenen Anhängerschaft haben Sie geradezu brutal klargemacht, daß Ihr verbales Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit in Ihrer politischen Praxis nicht viel mehr Bedeutung hat als Ihre erhabenen Allgemeinheiten über die geistig-moralische Krise.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihre personalpolitische Glaubwürdigkeit ist sicher nicht dadurch größer geworden, daß Sie dem
    Fall Zimmermann noch die Fälle Schwarz-Schilling und Geißler hinzugefügt haben.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sagt Ehmke! — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Sie haben es nötig!)

    Ihre Glaubwürdigkeit ist auch nicht dadurch gewachsen, daß Sie verfassungsrechtliche Bedenken etwa in den Fragen der Zwangsanleihe oder in den Fragen des Finanzausgleichs geflissentlich beiseite geschoben haben.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Professor Dreckschleuder!)

    Schließlich sind Sie nicht dadurch glaubwürdiger geworden, daß Sie an Ihren verhängnisvollen Plänen zum Abbau des sozialen Mietrechts und der Ausbildungsförderung sowie zur weiteren Verschlechterung des Kriegsdienstverweigerungsverfahrens festgehalten haben, obwohl doch selbst viele Ihnen nahestehende Organisationen und Personen gegen Ihre Vorhaben massive Bedenken erhoben haben. Die Art, wie Sie diese Gesetze durch den Bundestag gepeitscht und die Anhörungen zur Farce gemacht haben, hat darüber hinaus der Glaubwürdigkeit unseres parlamentarischen Verfahrens geschadet.

    (Beifall bei der SPD)

    Und all das, verehrte Damen und Herren von den Unionsparteien, für eine tief fragwürdige Politik.
    Über diese Politik sagen die zwei Monate Ihrer Übergangsregierung mehr aus, als alle Wahlreden und Wahlversprechen noch aussagen werden. An Ihren Taten kann man Sie in der Tat erkennen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Das wollen wir auch!)

    Sie haben sich zwar angesichts der Neuwahlen noch zurückgehalten, aber das, was Sie getan haben, reicht durchaus aus, dem Bürger deutlich zu machen, wie Ihre Politik aussehen würde, wenn Sie nach Neuwahlen etwa keine Rücksicht mehr zu nehmen hätten.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ach, ist das primitiv!)

    Sie haben vor wenigen Wochen großsprecherich verkündet, das wirksamste Konjunkturprogramm sei ein Regierungswechsel.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)

    Dieses politische Eigenlob ist schneller geplatzt als eine Seifenblase.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Wirtschaftskrise, verehrte Kollegen, hat sich in den letzten zwei Monaten erheblich verschärft. Die wirtschaftlichen Trendzahlen, nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sind fast alle negativ.

    (Zuruf des Abg. Schwarz [CDU/CSU])

    Es gibt einzelne positive Einsprengsel, auch sie übrigens Erbe der sozialliberalen Koalition, etwa die
    Nichterhöhung oder gar Senkung von Krankenkas-
    8586 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
    Dr. Ehmke
    senbeiträgen oder die Fortsetzung der Zinssenkungspolitik der Bundesbank. Aber wir sind der Meinung: Man darf diese Zeichen nicht überschätzen.
    Die sozialliberale Regierung hat sich, leider, von Graf Lambsdorff und anderem sogenanntem wirtschaftlichem Sachverstand 1980 einreden lassen,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ich denke, die wurde von einem Weltökonomen geleitet!)

    wir hätten es nur mit einer „Flaute" zu tun, die wir im ersten Halbjahr 1981 „durchsegeln" würden, um dann wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erleben. Jetzt, verehrte Kollegen, sind wir am Jahresende 1982 und die sogenannte Flaute sieht eher wie ein Sturmtief aus.
    Angeblich aus Gründen der Wirtschaftspsychologie abgegebene zu optimistische Lagebeurteilungen waren und bleiben fatal. Das gleiche gilt für zu optimistische Prognosen. 3 % Wachstum für 1983 hat Herr Lambsdorff noch vor wenigen Monaten geweissagt. Verehrte Kollegen von den Unionsparteien, wir haben bitteres Lehrgeld für diese Fehler im Jahre 1980 gezahlt. Machen Sie doch nicht noch einmal den gleichen Fehler.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Die Bürger haben gezahlt!)

    Wir müssen uns der Tatsache der Weltwirtschaftskrise stellen. Der Kanzlerkandidat der SPD, unser Freund Jochen Vogel, hat in Übereinstimmung mit Helmut Schmidt zu Recht auf die Notwendigkeit gemeinsamer internationaler Anstrengungen hingewiesen. Und da sieht es nicht gut aus. In den GATT- wie in den EG-Verhandlungen ist es diesmal nicht gelungen, die Versuchungen des Protektionismus zurückzuweisen. Dieser Fehlschlag, Herr Kollege Dregger, wird auch nicht dadurch wettgemacht, daß Sie uns wiederholt versichern, das Konferenzklima sei besonders gut gewesen.
    Der amerikanisch-europäische Streit um den freien Welthandel auch mit dem Osten ist nicht beigelegt. Der Herr Bundeskanzler hat zwar nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten von einer „substantiellen Einigung" gesprochen, in Wirklichkeit hat man sich aber lediglich auf die Einsetzung einiger Kommissionen einigen können.
    In der Politik gegenüber der Dritten Welt schließlich hat der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit deutlich werden lassen, daß sich die Vorstellungen der Unionsparteien mühelos mit den ideologischen Vorstellungen der amerikanischen Rechten in Übereinstimmung bringen lassen. Zwar ist Herrn Warnke inzwischen offenbar bis zur Neuwahl Zurückhaltung anempfohlen worden, aber das Zögern der Bundesregierung hinsichtlich der Zustimmung zur Seerechtskonvention spricht in bezug auf ihre Anpassung an amerikanische Positionen eine ebenso beredte wie alarmierende Sprache. Denn gerade die amerikanische Politik hat — und nicht nur in bezug auf die Dritte Welt — in den vergangenen Jahren wesentlich zu den Turbulenzen der Weltwirtschaft beigetragen.

    (Dr. von Geldern [CDU/CSU]: Bar jeder Sachkenntnis!)

    Sie hat das übrigens aus dem gleichen neokonservativen Geist heraus getan, der auch diese Rechtskoalition beseelt.
    Die Warnungen und Empfehlungen der BrandtKommission

    (Zuruf von der CDU/CSU: Des Bibel-Verkäufers!)

    hinsichtlich der Entwicklung des Nord-Süd-Verhältnisses werden in den Wind geschlagen, obwohl unsere eigene wirtschaftliche Zukunft und die Zukunft unserer Kinder von der Lösung dieser Fragen abhängt.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Die nationalen wirtschaftlichen Faktoren und Indikatoren haben sich ebenfalls verschlechtert, teils auf Grund der weltwirtschaftlichen Entwicklung, teils auf Grund der von der Übergangsregierung eingeschlagenen Politik. Ich verstehe zwar, meine Damen und Herren von der Rechtskoalition, daß Sie sich dagegen zu wehren suchen,

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Ausgerechnet ein Linksprofessor spricht von einer „Rechtskoalition"!)

    daß diese Verschlechterung Ihnen angekreidet wird. Aber Sie sind insoweit doch nur die Opfer Ihrer eigenen Propaganda aus der Oppositionszeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer so oft und so laut verkündet hat, an allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien nur die Sozialdemokraten schuld, der darf sich nicht wundern, wenn die Bürger jetzt von ihm die schnelle Einlösung seiner leichtsinnigen Versprechen fordern.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen haben wir schon in der Debatte über die Regierungserklärung und in der ersten Lesung des Haushalts 1983 dargelegt, warum die von Ihnen eingeschlagene Politik die Krise noch verschärft, Sie also für die negative Entwicklung mitverantwortlich sind.
    Sie geben Steuergelder an Leute zurück, die diese Gelder nicht investieren, sondern weit eher wieder in hochverzinslichen Papieren anlegen werden. Auf der anderen Seite schränken Sie durch Ihre massiven Einschnitte in die Sozialleistungen und durch die Mehrwertsteuererhöhung die Nachfrage und damit den Binnenmarkt zusätzlich ein mit der Gefahr, daß sich daraus ein selbstnährender Schrumpfungsprozeß entwickelt. Unser Beschäftigungsprogramm lehnen Sie ab. Die ohnehin schon eng begrenzten Möglichkeiten der Gemeinden zu öffentlichen Investitionen schränken Sie weiter ein, und dies trotz des Protestes von Kommunalpolitikern aus Ihren eigenen Reihen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8587
    Dr. Ehmke
    Industriepolitisch wird bei Ihnen, und zwar keineswegs nur im Bereich von Kohle und Stahl, die verhängnisvolle Tendenz deutlich, die Dinge treiben zu lassen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch gar nicht wahr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir Sozialdemokraten wissen, daß auch wir mit unseren Vorschlägen die Arbeitslosigkeit nur dämpfen, nicht aber schnell beseitigen könnten. Aber wir haben die Bundesrepublik mit unserer Politik besser über die Krise gebracht als jedes andere vergleichbare Land,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    und an diesem Maßstab werden Sie sich messen lassen müssen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie versagen sich aber nicht nur einer aktiven Beschäftigungspolitik. In enger Bindung an den Arbeitgeberverband tabuisieren Sie auch das Thema der Arbeitszeitverkürzung. Einige Kollegen von Ihnen machen da zwar inzwischen im Gegensatz zum Bundeskanzler Lockerungsübungen. Aber Sie haben unser Arbeitszeitgesetz ebenso abgelehnt wie unseren im Beschäftigungsprogramm enthaltenen Vorschlag einer Vor-Ruhestands-Regelung, die auf Anregungen des Kollegen Döding zurückgeht. Dabei ist es in der ernsthaften Diskussion ganz unbestritten, daß die Arbeitszeitverkürzung in einer „Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht", um Hannah Arendt zu zitieren, genauso wichtig ist wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch private und öffentliche Investitionen.
    Gerade an diesem Thema wird auch deutlich, daß die heutige Krise der Weltwirtschaft — Herr Bürgermeister von Dohnanyi hat es hier neulich skizziert —

    (Kolb [CDU/CSU]: Laubfrosch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    andere Ursachen hat und daher andere Fragen aufwirft als die Weltwirtschaftskrise der 20er und der 30er Jahre. Von der Aufbauphase nach dem Krieg ist die heutige Situation so grundverschieden, daß Ihre Hoffnung, die Probleme der 80er Jahre mit einer Rückkehr zur Politik der 50er Jahre lösen zu können, nur als eitel bezeichnet werden kann.

    (Beifall bei der SPD)

    In der Literatur — ich habe mich leider nicht mehr rechtzeitig erinnert, bei welchem Autor — gibt es die Geschichte von einer stillgelegten Fabrik, an deren Tor zu lesen stand: „Wegen Reichtums geschlossen." Angesichts des in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsenen Reichtums in der westlichen Welt könnten wir heute an die Fabriktore vieler stillgelegter Betriebe schreiben: „Wegen ungerecht verteilten Reichtums geschlossen."

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Jetzt kommt der Klassenkampf! — Oh-Rufe und weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Das gilt international wie national, und es gilt auch für die Verteilung der Arbeit.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren der Rechtskoalition, die Sie sich bei der Erörterung der die Menschen unseres Landes bedrückenden Probleme so amüsieren,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    ich will Ihnen etwas sagen: Ich verstehe Ihr hämisches Zwischenrufen; denn in Denkanstößen der Alternativen findet sich mehr Nachdenkliches über diesen Umbruch unserer Arbeitsgesellschaft als in Ihrem ganzen ideologischen Neokonservatismus.

    (Beifall bei der SPD)