Rede von
Ingeborg
Hoffmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Antrag auf Freilassung des Bürgerrechtlers Jo-zef Lipski und anderer politischer Häftlinge in Polen möchte ich wie folgt begründen.
Um die Jahreswende 1981/82 haben u. a. die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die EG-Außenminister und auch der Deutsche Bundestag ihre Besorgnis über die Zustände in Polen geäußert. Der Machtübernahme durch das Militär am 13. Dezember 1981 und dem Kriegsrecht folgt massive Einschränkungen der ohnehin geringen bürgerlichen und gewerkschaftlichen Rechte.
Uns als Bürgern Europas darf das Schicksal Polens nicht gleichgültig sein.
Als Deutsche sind wir dem polnischen Volk zudem in ganz besonderer Weise verpflichtet. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, diesen internationalen Verantwortlichkeiten gerecht zu werden, hat doch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung betont, daß wir für die Verwirklichung der Menschenrechte überall in der Welt eintreten werden.
Wir freuen uns darüber, daß Lech Walesa aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Ein erster Schritt, eine erste Hoffnung. Professor Mazowiecki und andere Internierte warten aber noch auf ihre Freilassung. Selbst Arbeitsminister Gorski hat am letzten Freitag in Genf die Zahl der Internierten noch mit 700 angegeben.
Eine Solidarność-Delegation in der Schweiz sprach von 800 und betonte, daß mehrere tausend Mitglieder zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Wir — die CDU/CSU-Fraktion — setzen uns mit diesem Antrag für alle politischen Gefangenen ein.
Jan Jozef Lipski steht nicht nur deshalb im Mittelpunkt dieses Antrages, weil er sehr bekannt ist. Im Oktober 1981 erschien in der Exilzeitschrift „Kultura" sein großer Aufsatz „Zwei Vaterländer — Zwei Patriotismen". Lipski hatte den Mut und die geistige Vornehmheit, eine Meinung zu äußern, die ihn nicht nur ins Visier der polnischen Regierung brachte. Er rechnet gleichzeitig gnadenlos mit dem übersteigerten Nationalismus ab. Er bekennt sich zur Aussöhnung und europäischer Zusammenarbeit.
Im Sommer 1976 hatte Lipski öffentlich gegen die Verhaftung streikender Arbeiter in Ursus und Radom protestiert. Er wurde Gründungsmitglied des Komitees zur Verteidigung der Rechte der Arbeiter.
Nach Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 eilte Lipski zu „seinen" Ursus-Arbeitern, um sie zur Mäßigung anzuhalten und Blutvergießen zu vermeiden. Der schwerkranke Intellektuelle wurde dennoch als „Streikleiter" vor Gericht gestellt. Dank der Bitten englischer Freunde wurde der Prozeß im Mai 1982 unterbrochen. Lipski durfte zur Krankenbehandlung nach England ausreisen. Und wieder Mut: er kehrte am 15. September 1982 freiwillig nach Warschau zurück. Verhaftung am Tag darauf. Nun steht er wieder vor Gericht wegen angeblicher Streikführung.
Ich würde mich freuen, wenn der Antrag einhellige Unterstützung finden könnte; es wäre ein Zeichen europäischer Verbundenheit mit Polen und mit Jozef Lipski, einem aufrechten Europäer. — Ich danke Ihnen.