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    Plenarprotokoll 9/127 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 127. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. November 1982 Inhalt: Ausscheiden der Abg. Frau Matthäus- Maier aus der Fraktion der FDP . . . . 7743 A Wahl der Abg. Dr. Hackel und Schwarz zu Stellvertretern in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 7743 A Gedenkworte für den verstorbenen Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Leonid Iljitsch Breschnew 7786 B Fortsetzung der Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Anlage zum Entwurf des Haushaltsgesetzes 1983 — Drucksache 9/1920) — Drucksache 9/2050 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1982) — Drucksache 9/2049 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) — Drucksache 9/2074 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen — Drucksache 9/2079 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer (Ergänzungsabgabegesetz) — Drucksache 9/2016 — in Verbindung mit Beratung des Sondergutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zur wirtschaftlichen Lage im Oktober 1982 — Drucksache 9/2027 — Dr. Dregger CDU/CSU 7743 D Frau Simonis SPD 7754 C Hoppe FDP 7761 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 7764C, 7857 B Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7768 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. November 1982 Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7778A Dr. Ehrenberg SPD 7786 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7791 A Rappe (Hildesheim) SPD 7799 C Müller (Remscheid) CDU/CSU 7802 D Cronenberg FDP 7806 D Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 7809 D, 7821C Jaunich SPD 7818 D Höpfinger CDU/CSU 7821 D Eimer (Fürth) FDP 7825 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 7826 C Daweke CDU/CSU 7831 D Rossmanith CDU/CSU 7833 B Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 7834 B Frau von Braun-Stützer FDP 7835 C Kuhlwein SPD 7837 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7839 D Lennartz SPD 7842A Dr. Struck SPD 7845 B Deres CDU/CSU 7849 B Purps SPD 7850 C Hoffmann (Saarbrücken) SPD 7853 A Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes — Drucksache 9/2086 — Kittelmann CDU/CSU 7858 D Dr. Spöri SPD 7860 B Dr. Solms FDP 7862 A Lorenz, Parl. Staatssekretär BK . . . 7863 B Nächste Sitzung 7864 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7865* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. November 1982 7743 127. Sitzung Bonn, den 11. November 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode —127. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. November 1982 7865" Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 12. 11. Dr. Böhme (Freiburg) 12. 11. Büchner (Speyer) " 11. 11. Haar 12. 11. Immer (Altenkirchen) 12. 11. Junghans 12. 11. Dr. Lenz (Bergstraße) 12. 11. Frau Dr. Neumeister 11. 11. Picard 12. 11. Schulte (Unna) 12. 11. Voigt (Sonthofen) 12. 11. Dr. Wendig 12. 11. Dr. Wieczorek 12. 11. ' für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herbert Ehrenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den Zeitablauf bis zur Mittagspause war Klaus von Dohnanyi nicht mehr in der Lage, auf einige Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers zu antworten. Er hat mich gebeten, hier einen Punkt vorweg klarzustellen. Ich sehe den Kollegen Lambsdorff leider nicht, nehme aber an, Herr Grüner, daß Sie es ihm übermitteln werden.
    Der Bundeswirtschaftsminister hat hier zu Beginn gerügt, daß Klaus von Dohnanyi seiner Meinung nach freundschaftliche Beziehungen nach einem Koalitionswechsel nicht mehr für möglich halten würde. Dazu will ich gern im Auftrag von Klaus von Dohnanyi sagen, daß er sehr wohl der Meinung ist, daß freundschaftliche Beziehungen über die Parteigrenzen hinweg und auch nach Koalitionsveränderungen notwendig und nützlich sind. Er hat nur in diesem speziellen Falle, Herr Grüner, nachdem Graf Lambsdorff ihn neuerlich in Hamburg in der Öffentlichkeit so angenommen hatte, nicht mehr gewußt, ob Herr Lambsdorff Wert darauf legt, dazugezählt zu werden. Aber er will das gerne wieder pflegen. Das aber nur als ein persönlicher Vorspruch, den ich hier im Auftrag von Klaus von Dohnanyi zu absolvieren hatte.
    Im Anschluß an die, wie ich fand, sehr bemerkenswerten Ausführungen des Hamburger Bürgermeisters zu dem, was wirtschaftspolitisch in diesem Lande not tut, hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, den Rezepten meines Freundes Dohnanyi fehle vor allem, daß er keine Rücksicht auf die Konsolidierung nehme. Hier muß Graf Lambsdorff nicht ganz zugehört haben. Denn Klaus von Dohnanyi hat ausdrücklich sehr nachhaltig von der Einnahmenseite des Haushalts und seinen möglichen Verbesserungen über die Erreichung der alten Steuerlastquote hier gesprochen. Das wäre eine Konsolidierung, die verteilungsgerecht wäre, was man von dem vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht sagen kann.
    Ich würde dem Kollegen Lambsdorff sehr empfehlen, sich doch für die Möglichkeiten, die vor uns liegen, einmal sehr gründlich das Sachverständigengutachten und noch gründlicher die Gemeinschaftsanalyse der Forschungsinstitute anzusehen. Zu diesem Thema schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin:
    Eine hohe Neuverschuldung des Staates ist in
    der gegenwärtigen Situation unvermeidlich.



    Dr. Ehrenberg
    Ein Unterschied besteht freilich, ob sie eingegangen werden muß, um immer wieder neue konjunkturbedingte Einnahmeausfälle und Mehrausgaben zu finanzieren, ober ob sie der Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der Wachstumskräfte dient. Das DIW hält die Bereitwilligkeit, das zweitgenannte Ziel zu verfolgen, für die entscheidende Voraussetzung dafür, daß die akute Schwächephase überwunden und die mittelfristigen Perspektiven verbessert werden können. Nur dann kann die notwendige Konsolidierung erfolgreich sein.
    Diese gründliche wissenschaftliche Analyse kann man verkürzt auch auf die Formel bringen: Jetzt Wachstumskräfte stärken und später konsolidieren. Und nur, wenn wir das tun, meine Damen und Herren von der Regierung, werden Sie mit Ihrer Konsolidierung Erfolg haben und nicht umgekehrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Jetzt sind Sie nämlich dabei, wie Ihr gesamter Haushaltsentwurf und noch viel mehr die haushaltsbegleitenden Gesetze zeigen, genau das Gegenteil zu tun, nämlich mit Ihren Konsolidierungsmaßnahmen das letzte bißchen, was wir an kümmerlichen Wachstumskräften noch sehen können, gründlich kaputtzumachen durch eine massiv von der Bundesregierung verordnete Nachfrageschrumpfung. — Herr Stoltenberg, es hilft nichts, den Kopf zu schütteln; die Zahlen beweisen das.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will es Ihnen gleich im einzelnen aufzählen. Vorher bitte ich Sie aber, dies dem Kollegen Lambsdorff weiterzusagen.
    Ich stimme ihm völlig darin zu, daß wir, wie er hier gesagt hat, großen Wert darauf legen müssen, eine große Zahl selbständiger Existenzen zu erhalten und möglichst noch zu vermehren. Er hat ausdrücklich den Einzelhandel und das Handwerk genannt. Ich kann das nur unterstreichen. Aber gerade die Einzelhändler und die Handwerker werden von den Kürzungen der Renten und Sozialhilfeleistungen besonders betroffen. Das ist keine Stärkung des Einzelhandels, was in den Begleitgesetzen vorgenommen wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich würde den Kollegen Lambsdorff auch gerne bitten, das mittelständische Credo, das er hier so sehr deutlich vorgetragen hat, nicht nur hier vom Pult zu sagen, sondern es in die Tat umzusetzen, indem er beispielsweise bei der Situation der freien Tankstellen und Minerallhöändler unter Beweis stellt, daß ihm wirklich am Mittelstand etwas gelegen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn der Bundeswirtschaftsminister hier vom Pult aus sagt, er habe große Befürchtungen, daß die berechtigten Demonstrationen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften Unruhe stiften könnten, zu gefährlichen Entwicklungen führen könnten, und er sie auch in der Sache nicht für berechtigt halte, weil nämlich weder ein Kaputtsparen noch
    eine Umverteilung von unten nach oben aus dem Haushaltsentwurf und den begleitenden Gesetzen herausgelesen werden könne, dann muß ich doch den Bundeswirtschaftsminister und natürlich auch den Bundesarbeits- und den Bundesfinanzminister bitten, nochmals sehr gründlich in das Sachverständigengutachten hineinzuschauen und sich dann die Fakten der Begleitgesetze in ihrem ganzen quantitativen Ausmaß und in ihren qualitativen Verschlechterungen vor Augen zu halten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Am 4. November hat die neue Mehrheit den „Entwurf eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts" vorgelegt. Im Vorblatt heißt es u. a.:
    Die Zielsetzung des Gesetzentwurfs wird unter möglichst gleichmäßiger Verteilung der Lasten verfolgt.
    Beides, sowohl die Aussage, hier solle eine Wiederbelebung der Wirtschaft erreicht werden, als auch die Aussage „unter möglichst gleichmäßiger Verteilung der Lasten", ist schlicht unwahr und wird auf jeder Seite dieses Gesetzentwurfes widerlegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Klaus von Dohnanyi hat schon eine Reihe von Einzelbeispielen dafür genannt, wie die beschlossene Verschiebung der Anpassung öffentlicher Leistungen um ein halbes Jahr in Einzelhaushalte hineinwirkt. Ich will Ihnen einmal vorführen, was das im Gesamtvolumen bedeutet. Auch der Sachverständigenrat geht davon aus — und ich habe bisher von der neuen Bundesregierung keinen Widerspruch gehört —, daß sich der Preisanstieg im Jahre 1983 bestenfalls auf 4 % begrenzen lassen wird. 4 % im Jahresdurchschnitt, das heißt im ersten Halbjahr mindestens 4 bis 5 %. Wenn die Rentenanpassung und alle an ihr orientierten dynamisierten Leistungen um ein halbes Jahr verschoben werden, heißt das 4 bis 5 % realer Kaufkraftschwund für die davon Betroffenen.
    Die Betroffenen sind — Herr Kollege Blüm, Sie wissen das sicher sehr gut,

    (Zuruf von der SPD: Na, na! — Dr. Spöri [SPD]: Zuviel der Ehre! — Gobrecht [SPD]: Da bin ich nicht so sicher!)

    aber da es sicher nicht alle wissen, will ich die Zahlen hier einmal nennen — 13 Millionen Rentenempfänger, 1,1 Millionen Unfallversicherungsleistungsempfänger, 1,9 Millionen Bezieher von Kriegsopferversorgungsleistungen, 2,1 Millionen Sozialhilfeempfänger, 0,6 Millionen Bezieher landwirtschaftlicher Altershilfe und 0,2 Millionen Lastenausgleichsberechtigte. Wenn man Mehrfachleistungen aussortiert und die Familienangehörigen hinzuzählt, ist das ein Drittel der Bevölkerung unseres Landes. Ein Drittel wird im ersten Halbjahr des nächsten Jahres nach diesen Beschlüssen in seiner Kaufkraft um 4 bis 5 % abgesenkt, und da sagt Herr



    Dr. Ehrenberg
    Lambsdorff, das sei keine Umverteilung von unten nach oben!

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Unerhört!)

    Er hat auch gesagt: Die Nachfragewirkungen werden nur schwach sein, weil viele in den letzten Jahren ihr Konsumniveau so eingependelt haben, daß man davon nichts mehr abstreichen kann. Er stellt Veränderungen der Sparquote nach unten fest und folgert daraus, daß wir jetzt vor allen Dingen ein wenig Mut zum Konsum brauchen. Ich will das sehr unterstreichen; ich bin durchaus für Mut zum Konsum. Nur fehlt bei diesem Personenkreis, bei diesem Drittel der Leistungsempfänger, nicht der Mut, da fehlt es an Kasse, um konsumieren zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese sowieso schon etwas angeschlagene Kasse wird dann durch die Kohl-Blümschen Operationen, die sich hinter dem schönen Titel „Atempause in der Sozialpolitik" verstecken, noch für ein halbes Jahr in der Größenordnung von 4 bis 5 % geschmälert!
    Auch im Sachverständigengutachten wird immer wieder deutlich davor gewarnt, daß Nachfrageschrumpfungen das, was an Wachstumsimpulsen vorhanden ist, übertreffen könnten. In der Ziffer 70 heißt es — und ich bitte die Herren aus Regierung und Regierungsfraktionen darum, das sehr sorgfältig nachzulesen —:
    Damit wieder mehr und längerfristig investiert wird, müssen sich auch die Aussichten auf mehr Nachfrage verbessern, muß das Vertrauen bei Konsumenten und Investoren wiederkehren, daß die Einkommen zukünftig wieder steigen werden ...
    Im ersten Halbjahr kann ein Drittel der Bevölkerung nur mit um 4 bis 5% sinkenden realen Einkommen rechnen. Wenn sich dann noch jene inzwischen vielleicht wieder gestorbene Idee des Arbeitsministers von der Lohnpause — ich hoffe, er nimmt sie heute wieder zurück — durchsetzen sollte, dann haben wir bei 80% der Bevölkerung im Jahre 1983 sinkende Einkommen. Welcher Unternehmer soll dann wohl investieren, wenn er solch eine Nachfrageentwicklung vor Augen hat?!

    (Frau Dr. Timm [SPD]: In der Hoffnung, noch etwas verdienen zu können!)

    Da würde ich gerne wissen, wer investieren soll, wenn ihm dieses an Nachfrageentwicklung vorgesetzt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch vorzeitig ausgewechselt worden wegen Wirkungslosigkeit!)

    Nun zeigt der Haushaltsentwurf durchaus einige positive Anreize für Investitionen. Nur lohnt sich auch da ein genaues Hinsehen, wie denn die Operation '82, die j a massive Verbesserungen der Produktionsbedingungen durch weitgehende Abschreibungserleichterungen gebracht hat, und die Investitionsprämie gewirkt haben. Beides zusammen bringt für Investitionen des Jahres 1982 eine Verdoppelung der Steuerersparnis. Trotzdem wird nicht mehr, sondern es wird weniger investiert. Wenn ich also mit so massiven Steuererleichterungen nicht mehr Investitionen hervorgebracht habe, woher nimmt dann die Bundesregierung, allen voran der Bundeswirtschaftsminister, den Mut zu glauben, mit neuen Steuererleichterungen würde mehr investiert, wenn gleichzeitig die Nachfrage so massiv gedrosselt wird, wie es hier aus den Zahlen hervorgeht?
    Das summiert sich zu 15 bis 16 Milliarden DM. Das ist mehr als 1% des Sozialprodukts. Wenn sich dann noch die Philosophien des Bundesarbeitsministers über die Lohnpause durchsetzen sollten, dann ist ja wohl mit irgendeiner Aussicht auf mehr Investitionen überhaupt nicht mehr zu rechnen.
    Nun ist gestern der Bundesfinanzminister dem Bundesarbeitsminister zur Seite gesprungen und hat versucht, ihm zu helfen, die Idee dieser Lohnpause hier zu verkaufen, indem er darauf hingewiesen hat, daß der unvergessene, langjährige Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Otto Brenner, in seiner Verantwortung für Konjunktur und Beschäftigung bei der hausgemachten Rezession 1966/67 schon einmal dies, was der Kollege Blüm jetzt vorschlägt, praktiziert habe. Ich würde Ihnen allen, bevor Sie das wiederholen, was der Herr Stoltenberg gesagt hat, empfehlen, sich beim Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Metall einmal das Tarifregister zeigen zu lassen und dort hineinzuschauen, bevor das wiederholt wird. Da Sie das so schnell nicht können, will ich Ihnen die Tarifabschlüsse zwischen 1966 und 1969 vorlesen. Am 1. Januar 1966 schloß die Industriegewerkschaft Metall einen Lohntarifvertrag über zwölf Monate ab, am 1. Januar 1967 über 15 Monate gleichzeitig mit einer kräftigen Arbeitszeitverkürzung, am 1. April 1968 auf neun Monate, am 1. Januar 1969 auf acht Monate und am 1. September 1969 auf 13 Monate. Sie haben in diesem gesamten Zeitraum, Herr Bundesfinanzminister, den Sie hier angesprochen haben, lückenlose Tarifverträge, die aufeinander folgten. Wenn über zwei Jahre der eine Tarifvertrag eine Laufzeit von 15 Monaten und der andere von neun Monaten hat, dann wird man diese Verschiebung, die zugunsten einer Vereinbarung über kräftige Arbeitszeitverkürzungen erfolgt ist, wohl nicht mit dem Titel einer Lohnpause versehen können. Hier wird Otto Brenner für etwas in Anspruch genommen, das er nie gewollt und nie getan hat. Ich bitte Sie sehr herzlich, die Gewerkschaft hier nicht mehr als Beweis anzuführen; er stimmt nämlich nicht.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Jetzt kommt es heraus!)

    In der gegenwärtigen Situation von Kürzungen der öffentlichen Leistungen und einer Lohnpause auszugehen, das übersieht völlig — ich hatte eigentlich gedacht, der Arbeitsminister wüßte das —, daß im ersten Halbjahr 1982 die Arbeitnehmereinkommen um 2,7 % und die Unternehmereinkommen um 8,2 % gestiegen sind. Für 1983 sagt der Sachverständigenrat einen Anstieg der Unternehmereinkom-



    Dr. Ehrenberg
    men um 10 % und der Arbeitnehmereinkommen um 4 % voraus.

    (Cronenberg [FDP]: Auf jeweils welchem Niveau?)

    — Ich stimme Ihnen zu, Herr Cronenberg, Ihnen und dem Sachverständigenrat, daß ein Aufschwung, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Tätigkeit kräftige Unternehmergewinne braucht. Ich kritisiere die Annahme des Sachverständigenrates hinsichtlich des Gewinnzuwachses von 10 % nicht. Aber ich kann keinen Arbeitsminister verstehen, der die für die Arbeitnehmer verbleibenden 4 % zugunsten einer Ideologie und nicht auf Grund eines ökonomischen Tatbestandes noch um die Hälfte reduzieren will.

    (Beifall bei der SPD)

    Darum geht es, nicht um die steigenden Unternehmergewinne; die sind für einen Wirtschaftsaufschwung notwendig.
    Noch notwendiger aber als steigende Unternehmergewinne sind für einen Wirtschaftsaufschwung sich verbessernde Absatzerwartungen der Unternehmer. Wenn die Gewinne auf Grund von Steuererleichterungen, auf Grund von Lohnzurückhaltung, auf Grund von Abbau öffentlicher Leistungen steigen, dann werden mehr Investitionen und damit mehr Beschäftigung aus den steigenden Gewinnen nur dann kommen, wenn es auch steigende Absatzerwartungen gibt.

    (Dr. Spöri [SPD]: So ist es!)

    Gibt es diese nicht, werden die steigenden Gewinne langfristig in hochverzinslichen Kapitalmarktpapieren angelegt und eben leider nicht investiert. Das ist die Situation, vor der wir stehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit fängt es dann auch an, fragwürdig zu werden.
    Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben hier vorhin gesagt, Umverteilung von unten nach oben gibt es nicht. Wir haben — von Ihnen noch verstärkte, in den letzten Jahren schon beschlossene — Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge, in der Rentenversicherung wie in der Arbeitslosenversicherung. Für beide werden Einkommen nur bis 4 700 DM im Monat erfaßt. Einkommen, die höher sind, werden durch die Beitragsbemessungsgrenze außen vor gelassen und von der Beitragserhöhung nicht erfaßt.
    Wo liegt denn nun der Beitrag der Besserverdienenden? Er soll in diesem verteilungspolitischen Bastard,

    (Dr. Spöri [SPD]: Mißgeburt, Monster!)

    genannt Zwangsanleihe, liegen, die dann an die Besserverdienenden zurückgezahlt werden soll, wenn die Konjunktur es erlaubt. Abgesehen von dem riesigen Verwaltungsaufwand:

    (Dr. Spöri [SPD]: Welch ein Dirigismus!)

    Es ist doch schon eine sehr merkwürdige Art von
    Verteilungsgerechtigkeit, daß der Stabilitäts- und
    Wachstumsbeitrag der Gutverdienenden zurückgezahlt werden soll, während bei Ihnen natürlich niemand daran denkt, erhöhte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung jemals zurückzuzahlen. Es wird auch nicht gehen, die zurückzuzahlen. Nur, unterlassen Sie es dann bitte, die in der Verfassung vorgesehene Ergänzungsabgabe, mit der wir an die höheren Einkommen herangehen wollen, zu kritisieren. Im übrigen sollten Sie dabei nicht außer acht lassen, daß wir in München und bei allen anderen Gelegenheiten — auch in dem Beschluß der SPD vom 11. Oktober zur wirtschaftlichen Tätigkeit — ausdrücklich bestätigt haben, daß investiv verwendete Einkommen nicht erfaßt werden sollen. Aber die anderen, die Zahnärzte, Wirtschaftsprüfer, die leitenden Angestellten, die gutverdienenden höheren Beamten, die von keiner Beitragserhöhung jemals erfaßt werden, sollen nach Ihrer Vorstellung lediglich eine Vorschußleistung erbringen, die dann später zurückgezahlt wird. Sie haben zwar die Mehrheit, das so zu tun, aber Sie müssen sich dann auch gefallen lassen, daß Arbeitnehmer dies nun wirklich als Umverteilung von unten nach oben bezeichnen, weil es genau das ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wird zur Störung des sozialen Friedens wesentlich beitragen, wenn das so weitergeht.
    Dem Bundesarbeitsminister würde ich gern empfehlen, nicht mehr über die Lohnpause zu reden, sondern sich so intensiv, wie er es vor wenigen Tagen in einem Interview getan hat, um Arbeitszeitverkürzungen zu bemühen. Sie sind unverzichtbar, wenn wir zu besserer Beschäftigung kommen wollen als Ergänzung beschäftigungsfördernder Investitionen. Es gilt hier, die begrüßenswerten Initiativen verschiedener Gewerkschaften zu unterstützen, allen voran Nahrung, Genuß, Gaststätten und die Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik, die durchaus bereit waren, in ihren Lohnverhandlungen eine weitgehende Vorschußleistung zu erbringen, um zu einem Abschluß über Tarifrente zu kommen. Das wird aber nur möglich sein, wenn es ein entsprechendes Rahmengesetz mit der Einbindung der Bundesanstalt für Arbeit gibt, das dafür sorgt, daß Tarifrente statt Arbeitslosengeld gezahlt werden kann. Herr Bundesarbeitsminister, vielleicht können Sie da den Bundeswirtschaftsminister besser überzeugen — ich habe das im Frühjahr vergeblich versucht —, damit wir hier vorankommen. Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei.
    Wenn Sie dann noch in die Schublade der Fachabteilung greifen, finden Sie dort ein rundum fertig erarbeitetes modernes Arbeitszeitgesetz. Wenn Sie den Bundeswirtschaftsminister auch dafür zur Zustimmung dazu veranlassen, bin ich bereit, Ihnen zuzugeben, daß Sie als Arbeitsminister etwas erreicht haben. Aber das müssen Sie bitte leisten.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich kann es nur hoffen. Wenn Sie es machen, werde ich sehr daran interessiert sein mitzuarbeiten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So nicht!)




    Dr. Ehrenberg
    — Es kommt nicht? Dann werden Sie sich weiterhin gefallen lassen müssen, daß Arbeitnehmer von „Umverteilung von unten nach oben" reden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So nicht!)

    Meine Damen und Herren, nicht nur, daß in diesen haushaltbegleitenden Gesetzen die mögliche gesamtwirtschaftliche Nachfrage so weit gedrosselt wird, daß damit alle Wachstumsimpulse in einer vielfachen Weise erdrückt werden und es somit insgesamt durch Ihre Beschlüsse zu weniger und nicht zu mehr Wachstum kommen wird; auch dort, wo Sie mit Recht davon reden, daß die investiven Ausgaben gestärkt werden müssen, findet sich im Haushaltsentwurf leider das Gegenteil. Es werden — gestern in der Aktuellen Stunde ist schon darüber gesprochen worden — die Zuschüsse zum Bau von Kohleheizkraftwerken und zum Ausbau der Fernwärmeversorgung um die Hälfte reduziert. Bei dem so wichtigen Bereich Fernwärme werden die Ansätze um die Hälfte zurückgenommen, und damit wird gleichzeitig energiepolitisch und arbeitsmarktpolitisch größter Schaden angerichtet.
    Es werden auch die Ansätze — zwar nur geringfügig, aber immerhin — der Förderung der Luftfahrttechnik und der Zuschüsse zur Entwicklung von zivilen Flugzeugen zurückgenommen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ein großer Teil der Flugzeugbauer sitzt an Standorten, die heute schon 10% und mehr Arbeitslosigkeit haben, von Friesland bis zur Unterweser und auch in Bremen selbst. Auch Hamburg hat keine wirklich gute Arbeitsmarktstruktur. An all diesen Standorten werden auch geringfügige Kürzungen bei der Luftfahrt als Signal verstanden, daß es weiter abwärts gehen muß. Ich bitte Sie sehr, diesen Titel im Interesse der Arbeitsplätze an den krisengeschüttelten Küsten noch einmal zu überprüfen. In Hamburg und Bremen wartet man darauf.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist leider nur einer von vielen Widersprüchen zwischen dem Anspruch im Titel der Begleitgesetze, zur Wiederbelebung der Wirtschaft beizutragen, und dem, was tatsächlich in diesen Gesetzen steht. Steuererleichterungen werden nach den bisherigen Erfahrungen nur dann etwas bringen, wenn eben gleichzeitig die Unternehmer mit höheren Absatzerwartungen rechnen können. Wie sollen sie das bei Kürzungen öffentlicher Leistungen, die ja alle Umsätze sind, weil sie an Familien ohne Sparquote gehen? Welcher Unternehmer soll in dieser Situation investieren, wenn er mit auf Grund der Regierungsbeschlüsse schrumpfenden Umsätzen rechnen muß?
    Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat hier heute früh gesagt, es würden Vernunft, Verantwortungsbewußtsein und Solidarität verlangt. Im Haushaltsentwurf 1983 und in den Begleitgesetzen dazu muß die ökonomische Vernunft mit der Lupe gesucht werden, Verantwortungsbewußtsein wird gegenüber den Gutverdienenden bewiesen und unter Solidarität haben die Rentner, Arbeitnehmer, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger
    etwas sehr anderes verstanden, als ihnen jetzt in diesen Begleitgesetzen zugemutet wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, meine Damen und Herren, wird in der nächsten Sitzungswoche einen Ergänzungsentwurf vorlegen, aus dem hervorgehen wird, wie diesem Haushaltsentwurf zusätzliche beschäftigungswirksame Maßnahmen hinzugefügt werden können. Nur wenn das geschieht, wird es möglich sein, mit dem Haushalt und den Begleitgesetzen tatsächlich einen wesentlichen wachstumsverstärkenden, beschäftigungsfördernden Beitrag zu leisten.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Haben Sie auch Finanzierungsvorschläge?)

    — Selbstverständlich. Wir haben noch nie etwas ohne Finanzierungsvorschläge vorgeschlagen, Herr Friedmann.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Sehr gut! bei der SPD)

    Wir werden ein durchgerechnetes Programm vorlegen. Sie werden finden, daß wir jene Projekte, die zur Verbesserung der Energieversorgung, zur Verbesserung des Umweltschutzes notwendig sind, heute, bei Vorhandensein nicht genutzter Baukapazitäten, in Angriff nehmen wollen und nicht erst dann, wenn durch noch mehr Schrumpfung auch diese Kapazitäten vernichtet sind und später neue aufgebaut werden müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich hoffe sehr, daß durch diesen Antrag die Einsicht bei Ihnen zunehmen wird, daß man bei sinkender Nachfrage nicht auf wirtschaftlichen Aufschwung und bessere Beschäftigung rechnen kann, sondern nur dann, wenn man eine entsprechende Möglichkeit — vernünftig finanziert — zu mehr Wachstum findet. Die Ergänzungsabgabe ist immer noch das konjunktur- und verteilungsgerechteste Instrument dazu, weil sie dort zugreift, wo die Einkommen hoch sind. Wenn man die investiv verwendeten Einkommen ausspart, ist sie sehr viel konjunkturunschädlicher als jede Beitragserhöhung.
    Sie reicht natürlich nicht für so ein Programm, Herr Friedmann. Aber man könnte überlegen, ob man sie nicht dafür verwenden könnte, davon den Kapitaldienst für auf dem Kapitalmarkt zu finanzierende Projekte zu bestreiten. Mit 2 Milliarden DM könnten Sie dann rund 10 bis 15 Milliarden DM Investitionsvolumen in Bewegung setzen. Wenn wir das nicht tun, werden Sie mit Ihren Beschlüssen von der weltwirtschaftlich bedingten Rezession in eine hausgemachte Depression hineinmarschieren. Genau das steht Ihnen bevor.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundeswirtschaftsminister hat hier zum Schluß gesagt: Die Richtung stimmt. — Ich bezweifle, daß sie stimmt. Sie zeigt, jedenfalls vorläufig, nach unten. Und ich glaube nicht, Herr Kollege Lambsdorff, daß Sie diese Richtung gemeint haben. — Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Als nächster Redner hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß Herr Abgeordneter Ehrenberg mich für lernfähig erklärt hat. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe in den fünf Wochen in diesem Amt schon sehr viel gelernt. Ich habe gelernt, daß die Steuereinnahmen um 10 Milliarden DM geringer sind, als sie von Ihnen angegeben worden waren. Ich habe gelernt, daß der Zuschußbedarf für die Bundesanstalt für Arbeit um 7 Milliarden DM größer als von Ihnen angegeben ist.

    (Zuruf von der SPD: So was müssen Sie lernen?)

    — Haben Sie das vorher gewußt?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das können Sie lesen!)