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ID0912308800

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    Plenarprotokoll 9/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7417 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7417 B Glombig SPD 7425 B Kroll-Schlüter CDU/CSU 7433 B Lutz SPD 7436 D Cronenberg FDP 7438 C Brandt SPD 7442 B, 7463 D Mischnick FDP 7451 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 7459 D Hölscher FDP 7464 A Dr. Vohrer FDP 7466 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7470 A Erklärungen nach § 30 GO Jung (Kandel) FDP 7468 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7469 B Dr. Ehmke SPD 7469 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — Drucksache 9/1909 — 7470 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde — Drucksache 9/1987 — 7470 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes — Drucksache 9/2034 — 7470 C Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/1995 — 7470 C Beratung der Übersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/2005 — 7470 D Nächste Sitzung 7470 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7471"A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7471"C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 7417 123. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 15. 10. Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Austermann 15. 10. Dr. Bardens 15. 10. Beckmann 15. 10. Bredehorn 15. 10. Breuer 15. 10. Brunner 15. 10. Coppik 15. 10. Dallmeyer 15. 10. Dörflinger 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Dr. Götz 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Kolb 15. 10. Dr. Kreile 15. 10. Kühbacher 15. 10. Lowack 15. 10. Magin 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Reddemann ** 15. 10. Regenspurger 15. 10. Repnik 15. 10. Reschke 15. 10. Rosenthal 15. 10. Sauter (Ichenhausen) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 15. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. von Schoeler 15. 10. Schröder (Wilhelminenhof) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schwenk (Stade) 15. 10. Dr. Solms 15. 10. Volmer 15. 10. Wallow 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. Dr. Wieczorek 15. 10. Frau Dr. Wisniewski 15. 10. Zywietz 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1982 mitgeteilt, daß die dem Ausschuß gemäß § 92 der Geschäftsordnung überwiesene Aufhebbare Dreiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/1764) auf Grund der politischen Ereignisse im Ausschuß nicht fristgerecht habe beraten werden können. Ein Bericht werde daher nicht vorgelegt. Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Nichtaufhebbare Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/2007) Zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zur Förderung der kombinierten Erzeugung von Wärme und Kraft - (Drucksache 9/2010) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 35 11 Tit. 698 02 - Abgeltung von Schäden - (Drucksache 9/2020) zuständig: Haushaltsausschuß
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer dreitägigen Debatte über die Regierungserklärung der neuen Bundesregierung. Es waren drei Tage, die naturgemäß nach den politischen Ereignissen der letzten Wochen aufwühlende Reden und Stunden enthielten.
    Ich habe mich bemüht, in diesen drei Tagen zuzuhören. Ich habe mich bemüht, auch die Anregungen und die konstruktive Kritik, die gekommen ist, in mich und in unsere Arbeit aufzunehmen.
    So will ich hier als erstes ein Wort des Dankes an jene Kollegen von allen Seiten des Hauses sagen, die kritische Anregungen mit auf den Weg gegeben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine Regierung, die von sich selber sagt und in Anspruch nimmt, eine Regierung, eine Koalition der Mitte begründen zu wollen, muß die Fähigkeit haben, Kritik zu ertragen, zuzuhören und hinzuzulernen.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Das zweite, was ich sagen möchte, vor allem an die Adresse der beiden Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen von FDP und CDU/CSU, der Kollegen Mischnick und Dregger, ist ein Wort des Dankes — auch für meine Kollegen in der Regierung — für die Unterstützung, für die wohlwollend kritische Wegbegleitung, die sie uns zugesagt haben.
    Ich war in meinem politischen Leben, wie Sie wissen, in einer Reihe von parlamentarischen Funktionen tätig. Ich war viele Jahre Vorsitzender einer Regierungsfraktion in einem deutschen Landtag. Ich saß dann als Regierungschef eines Bundeslandes auf der Regierungsbank. Ich hatte die Ehre und die Freude — manches Mal war es auch eine etwas geringere Freude —, sechs Jahre hindurch die Opposition im Deutschen Bundestag führen zu dürfen. Ich kann mir also die Gefühle und Empfindungen auf allen Seiten des Hauses aus eigener Erfahrung gut vorstellen. Um so höher bewerte ich das freundschaftliche Wort der Unterstützung und der Wegweisung durch die Vorsitzenden der beiden Koalitionsfraktionen. Gehen Sie bitte davon aus, daß die von mir geführte Bundesregierung weiß, was Koalition heißt: daß man dem anderen nicht zumuten darf, was man nicht selbst zugemutet haben möchte. Zusammenarbeit zwischen Koalitionsfraktionen, Regierungsfraktionen, und Regierung heißt, daß ein partnerschaftliches Verhältnis und kein Verhältnis irgendeiner Abhängigkeit von der einen oder der anderen Seite gegeben ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie können sich darauf verlassen, daß diese Bundesregierung Ihren Rat und Ihre Mitarbeit sucht.
    Das dritte, was ich sagen möchte, ist ein Wort — ich möchte es ganz persönlich sagen — an den Kollegen Brandt, den Kollegen auch in der gemeinsamen Eigenschaft als Parteivorsitzender. Herr Kollege Brandt, zum Thema Neuwahlen will ich nur noch einmal wiederholen, was ich hier gesagt habe: Es bleibt beim 6. März 1983.

    (Zuruf von der SPD: Trojanisches Pferd!)

    Ich habe Sie eingeladen — und ich habe es dankbar empfunden, daß Sie, wenn ich Ihre Formulierung richtig verstehe, diese Einladung angenommen haben —, gemeinsam mit den anderen Fraktions- und Parteivorsitzenden Gespräche über dieses Thema aufzunehmen. Herr Brandt, Sie haben moniert —wir wollen jetzt vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit ganz offen miteinander reden —, daß ich nicht in allen Einzelheiten Vorschläge gemacht habe. Ich habe das bewußt nicht gemacht, obwohl ich es tun könnte und tun kann; denn ich will Gespräche. Gespräche aber setzen voraus, daß ich nicht zu Beginn dieser Gespräche das Prestige der Regierung einbringe und Ihnen dann im Guten oder im Bösen — wir wollen es abwarten — vielleicht die Gelegenheit gebe, leichter ja oder leichter nein zu sagen. Sinn von Gesprächen ist, daß man miteinander redet. Ich habe Sie dazu eingeladen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Wenn ich Ihre Plakate und Ihre öffentlichen Äußerungen richtig interpretiere, kann es gar keinen
    Zweifel geben, daß es im Deutschen Bundestag nur eine einzige starke Willenserklärung gibt: Wir wollen diese Wahlen haben. — Und wir werden sie haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Brandt, ich karte auch nicht nach; denn alles das, was Sie an Verfassungsempfehlungen und-überlegungen hier mit in die Debatte einbrachten, hätte mein geschätzter Amtsvorgänger von dieser Stelle aus praktizieren können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bundeskanzler Helmut Schmidt, Herr Kollege Brandt, hatte es in der Hand, Neuwahlen in Gang zu setzen. Er war nicht bereit, im Rahmen der gegebenen Verfassungslage das Thema Neuwahlen anzugehen, sondern er war dazu nur auf dem Wege über Absprachen neben der Verfassung her bereit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein weiterer Punkt: Herr Kollege Brandt, ich verstehe, daß Ihnen das Wort „Bundesregierung" in unserem Zusammenhang schwer über die Lippen geht. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie von einer „Übergangsregierung" sprechen.

    (Brandt [SPD]: Herr Strauß hat das gesagt!)

    — Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie hier den Kollegen Strauß zitieren. Das ist in diesem Zusammenhang wirklich ganz und gar in Ordnung, wenn Sie das tun. Vor Ihnen steht aber kein Übergangskanzler, Herr Kollege Brandt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Weil ich gesagt habe, daß ich diese Neuwahlen will, will ich auch noch einmal sagen, warum — von allem anderen abgesehen —: Ich, die Koalitionsfraktionen und die von mir geführte Regierung wollen diese Neuwahlen, weil wir den Vertrauenserweis unserer Mitbürger suchen. Wir wollen eine Vertrauensabstimmung. Herr Kollege Brandt, gibt es eigentlich in der parlamentarischen Geschichte der deutschen oder irgendeiner anderen Demokratie einen legitimeren, einen faireren, einen ehrlicheren Vorschlag einer Regierung als den, in einer ganz gewiß schwierigen Lage vor das Volk hinzutreten, dem Volk Opfer zuzumuten, und zu sagen: Jetzt wollen wir dennoch wählen — weil wir die Wahrheit zur Wahl stellen wollen?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage das nicht nur an Ihre Adresse, ich sage das an die Adresse so vieler gutwilliger Mitbürger, auch Wähler aus dem Lager der Union und der FDP, ja, auch meine eigenen politischen Freunde, bis in die-ses Haus, in die Bundestagsfraktion, oder in die Parteiführung der Union hinein: Wir haben gar keinen Grund zum Kleinmut. Herr Brandt, Sie haben recht: Es ist zuviel taktiert worden. Hier wird eben nicht taktiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Hier steht eine Regierung vor Ihnen, hier steht ein deutscher Bundeskanzler vor Ihnen, der den Leuten nicht sagt,es sei alles gut, es werde nur noch besser, sondern der den Leuten die Wahrheit sagt, der die Lösungsmöglichkeiten vor sie hinstellt, der sagt: Wir müssen Opfer bringen, und dennoch bitte ich bei dieser nächsten Wahl um euer Vertrauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden nicht vor die Wähler treten und, wie Sie es 1976 und 1980 getan haben, die Probleme verniedlichen. Wir werden sie auch nicht dramatisieren. Beides bringt uns nichts. Wir werden versuchen, die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit über die wirkliche Lage in der Welt und in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Zuruf von der SPD)

    Herr Brandt, Sie haben dann — das ist doch völlig in Ordnung — die Hoffnung ausgesprochen, daß Sie sich dann nach der Wahl als die stärkste Fraktion hier wiederfinden. Nun, Herr Kollege Brandt, das Prinzip Hoffnung ist ein wichtiges Prinzip. Die Geschichte der parlamentarischen Demokratie hat Ihnen allerdings gezeigt, daß Ihnen persönlich — nicht Ihrem Nachfolger
    — nur ein einziges Mal dieser Vorteil der parlamentarischen Entscheidung zukam. Lassen Sie uns doch jetzt ohne Streit — Streit gibt es im Wahlkampf genug
    — in diese Wahl gehen.

    (Zuruf von der SPD)

    Lassen Sie uns doch gemeinsam an den Wähler appellieren. Der Wähler wird über die Mehrheit entscheiden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Herr Kollege Brandt, ich sehe dieser Entscheidung mit großer Ruhe entgegen.

    (Zuruf von der SPD: Wir auch!)

    Ich bin damals im Jahre 1976 — in einer schwierigen Lage der Union —, nicht von Bonn aus, angetreten und habe es mir zugetraut. Ich habe mit 48,6 % ein Ergebnis erreicht, daß das zweithöchste Ergebnis in der deutschen Parlamentsgeschichte ist. Ich traue mir ein noch besseres Ergebnis von diesem Platz aus zu. Das nur, damit wir ganz klar sehen, wie wir an das Thema herangehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Aber, Herr Kollege Brandt, in diesem Punkt haben
    Sie — wohl aber andere in der SPD haben es getan
    — mich nie unterschätzt. Das, die richtige Einschätzung, verbindet uns.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Brandt, wir werden natürlich den Bürgern auch sagen, was sich in diesen Jahren im Lande ereignet hat.

    (Zuruf von der SPD: Wir aber auch!)

    Herr Kollege Brandt, wir werden davon sprechen, welche Erblast wir von Ihnen übernommen haben. Wir werden den Bürgern sagen, was zu tun ist, um die Krise des Landes zu meistern. Wir werden das in einer nüchternen Weise sagen.
    Wenn ich Sie recht verstanden habe — das klang ja so ein bißchen wie die Ankündigung eines außerordentlichen Wahlparteitages der SPD, was da bei
    Ihnen durchklang —, haben Sie davon gesprochen, daß Sie das jeden Tag sagen werden. Sie können das jede Stunde sagen. Wenn nur ein Quentchen Wahrheit in dem mit enthalten ist, was Sie zu sagen haben, werden Sie jede Stunde über die letzten 13 Jahre zu reden haben. Die Leute erwarten Rechenschaft von Ihnen, Herr Brandt. Sie haben in diesen 13 Jahren regiert. Sie haben versagt. Das muß deutlich werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bravo-Rufe von der CDU/ CSU)

    Herr Kollege Brandt, auch dazu ein offenes Wort: Ich habe großen Respekt vor der Tradition der deutschen Sozialdemokratie. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, daß ich Geschichte und Tradition Ihrer Partei besser kenne und mehr respektiere als einige in Ihren eigenen Führungsgremien.

    (Zurufe von der SPD)

    Wenn Sie aber so selbstverständlich von der Mehrheit im Volke reden und dann sozusagen synonym die Arbeitnehmer hinzunehmen: Das deutsche Volk, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland
    — das sind viele einzelne, das sind viele Gruppen. Die Arbeitnehmerschaft ist ganz gewiß eine ganz entscheidende Gruppe. Es wäre ein Akt politischer Torheit, das nicht zu wissen. Aber wir wissen es j a, denn so — mit den Stimmen der Arbeitnehmer — wurden wir j a zur Mehrheitspartei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber, Herr Kollege Brandt, wer von den Arbeitnehmern redet, muß, wenn er das Ganze im Blick hat, genauso von den Unternehmern, von den Beamten, von den Angestellten, von den Leuten aus dem Mittelstand, von den Bauern, von den Jungen, von den Alten, von den Schülern und Studenten reden. Wir wollen nicht — Blüm hat richtig davon gesprochen
    — zur Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts zurück. Wir wollen nicht, Herr Kollege Brandt, daß die geballte Faust des Genossen, sondern die ausgestreckte Hand des Partners Symbol für unsere Zeit und für die Zukunft ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da wir gerade bei den Arbeitnehmern sind: Was das politische Votum der Arbeitnehmerschaft in der Zukunft anlangt, so bin ich ganz sicher, daß diese Arbeitnehmerschaft auf Grund der immer größer werdenden Einsicht nicht bereit sein wird, Ihren Weg zu grünen fernen Höhen mitzugehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer diesem Weg zu einer Jeinsager-Bewegung folgen wird — denken Sie nur an die Energievorsorge, um nur ein Beispiel für viele zu nennen —, wird unter der Arbeitnehmerschaft gewiß nicht den ersten Zuspruch finden.
    Ein Letztes zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Brandt. Bitte — ich will es freundlich, zurückhaltend sagen — verschonen Sie uns damit, im Zusammenhang mit den notwendigen Sparopfern so zu tun — wenn Sie z. B. über Schüler und BAföG reden —, als kämen die Abgeordneten, die auf Grund schlechter finanzieller Verhältnisse eigene



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    1 Kenntnis, persönliche Lebenserfahrung haben, allein aus dem Lager der SPD. Herr Kollege Brandt, mir muß niemand sagen, was ein Arbeiter, ein Arbeitnehmer denkt. Ich habe diese Erfahrungen auf meinem eigenen Lebensweg gemacht, und ich bin stolz darauf. Ich habe als Werkstudent mindestens soviel gelernt wie auf der Universität. Ich brauche — ich nehme an, das gilt für die meisten der hier sitzenden Kollegen von CDU/CSU und FDP — daher von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Brandt, damit es ganz klar ist — als Bundeskanzler mag es mir erlaubt sein, diesen Einschub in meiner Eigenschaft als Parteivorsitzender zu machen —: Die Union ist nicht die politische Vertretung des Jet-Set oder des Demi-Jet-Set in der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber noch ein Wort an die Kollegen der SPD insgesamt. Viele Ihrer Beiträge — wie ich ausdrücklich einräumen will: nicht alle — in dieser Debatte waren von einer unübersehbaren Verbitterung geprägt. Ich sage das ohne Häme: Das ist verständlich. Die sozialdemokratische Fraktion braucht natürlich Zeit — wir wissen das nur zu gut aus eigener Erfahrung —, sich in die Rolle der Opposition hineinzufinden.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich sage das ganz offen auf Grund eigener Erfahrung; nehmen Sie mir das dann doch bitte so ab. — Opposition erfordert eben mehr, als nur eine verhinderte Regierungspartei zu sein.

    (Zuruf von der SPD: Da haben Sie ja genug Erfahrung!)

    Opposition erfordert eigenen Stil und eigene Formen, erfordert Maß und auch Würde. Zu den Aufgaben der Opposition gehört beispielsweise, daß man fähig ist zuzuhören und nicht von vornherein dagegen ist, bevor der andere überhaupt ausgesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein wichtiger demokratischer Auftrag der Opposition ist eben auch Kontrolle und Kritik. Der, der durch das Vertrauen der Mehrheit zum Regieren berufen ist, muß diese Kritik selbstverständlich ertragen können, auch eine herbe Kritik. Wir sind da gar nicht zimperlich; wir waren es j a auch während unserer Oppositionszeit nicht. Es wäre ja unfair, wenn wir uns jetzt anders verhalten wollten. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen — ich spreche Sie so an —, wenn Sie aber Kritik durch Zorn ersetzen, dann ist das keine gute Kritik. Wenn etwa in diesen Tagen gegen einzelne Mitglieder dieses Hauses förmlich eine Vernichtungsstrategie geführt wird, wenn Kollegen, die sich um das Vaterland verdient gemacht haben, persönlich herabgesetzt werden, dann ist das etwas, was für mich im Wörterbuch eines Demokraten keinen Platz hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe nur die Möglichkeit, Herr Kollege Ehmke und Herr Kollege Apel, Sie zu bitten — ich
    tue das auch in meinem Amte —, noch einmal das nachzulesen, was Sie gesagt haben, vielleicht in einer Stunde des Zorns, vielleicht in einer Stunde — ich sage auch das nicht abwertend —, in der ganz andere Überlegungen — Überlegungen fraktionsinterner Art — eine Rolle spielten. Die deutsche Öffentlichkeit hat diese Reden aber gehört. Sie haben über Mitglieder dieses Hauses — nicht nur über einen einzigen, sondern über mehrere —, die über viele Jahre ihre Pflicht getan haben, Äußerungen getan, die Sie nicht aufrechterhalten können. Ich selbst habe von diesem Platz in diesen letzten Jahren natürlich auch die eine oder andere Äußerung getan, von der ich nicht erst beim Nachlesen, sondern schon beim Gang auf meinen Platz bemerkt habe, daß ich sie besser nicht getan hätte. Ich kann Ihnen nur raten, um des Stils und der Würde der Opposition willen solche Reden in Zukunft nicht zu halten. Denn Haß ist ein schlechter Ratgeber.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Haß ist im privaten Leben ein schlechter Ratgeber,
    und Haß ist in der Politik ein miserabler Ratgeber.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: Das meinen wir auch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wir haben genug Gelegenheit, uns hart und kritisch auseinanderzusetzen: über die wirtschaftliche Lage, über die unterschiedliche Betrachtung der Wege, die zum Ziel führen, über die Fragen, die mit der Entwicklung des Mittelstands und der mittleren Unternehmungen zusammenhängen. Heute war wieder von den 15 000 Konkursen die Rede. Heute war wieder von den über 2,5 Millionen Arbeitslosen die Rede. Das sind doch die wirklichen Probleme, die die Bürger draußen interessieren, die uns jetzt zuschauen. Die Bürger interessiert doch nicht die Tatsache, wie sich der eine oder der andere zu Lasten des Ganzen pofiliert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    In einer sehr schwierigen Stunde übernimmt diese Koalition der Mitte die Regierungsverantwortung, um die wirtschaftliche Talfahrt zu bremsen und dafür Sorge zu tragen, daß daraus kein Absturz wird. Aber — damit auch das klar wird — wir übernehmen nicht die Verantwortung für Ihre Politik, die entscheidend dazu beigetragen hat, daß das Land in diese Lage geraten ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir bekennen uns zu unserer Pflicht, vor Wahlen den Bürgern offen und ehrlich zu sagen, was jetzt geschehen muß — auch dort, wo dies Opfer bedeutet; wir nennen diese Opfer auch beim Namen. Wir werden über das hinaus, was in der Regierungserklärung steht — die ja, wenn sie ehrlich sein soll, notwendigerweise ein Programm für nur ein paar Monate sein kann — selbstverständlich aus den großen Traditionen unserer Politik und unseres Landes leben.
    Herr Kollege Brandt, was soll's eigentlich, wenn wir hier in der Debatte aus Ihrem und anderer



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Mund hören, es gehe darum — ich habe das Zitat aufgegriffen —, daß womöglich die Gefahr besteht, daß an den Rand der demokratischen Entwicklung, des demokratischen Spektrums — ich sage es mit meinen Worten — gerückt wird, wenn Sie davon reden, mehr Demokratie müsse gewagt werden? Das war doch jenes Wort der Hybris zu Beginn Ihrer Amtszeit 1969, das das Ende Ihrer Amtszeit schon beinhaltet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir alle wollen doch mehr Demokratie wagen. Es kann doch keine Rede davon sein, daß die drei großen tragenden Persönlichkeiten, die für die Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland stehen — Theodor Heuss, Kurt Schumacher und Konrad Adenauer — sich etwa in ihrer demokratischen Gesinnung gegenseitig übertreffen wollten. Das waren eigenständige politische Persönlichkeiten, die, aus ihrer politischen Heimat kommend, das Land entscheidend mitgeprägt haben. Hören wir doch damit auf, uns gegenseitig zu bestreiten, daß wir mehr oder weniger für den Frieden oder mehr oder weniger für liberale Geisteshaltung des Bürgers im Land seien.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe in diesen ganzen Jahren meiner Zugehörigkeit zu diesem Haus nie davon gesprochen. Ich war viele Jahre Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes. Herr Kollege Brandt, sprechen Sie doch einmal mit Ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz.
    ) Es ist doch absurd, einem Mann wie mir etwa die Gesinnung der Liberalität in Dingen des Staates absprechen zu wollen. Das ist doch Propaganda und nichts als Propaganda.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen in dieser Koalition der Mitte in diesem schweren Winter, der uns bevorsteht, unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß die wirtschaftliche Talfahrt gestoppt wird, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden und vor allem daß junge Leute Ausbildungsplätze bekommen. Herr Kollege Brandt, wir wollen uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen und mit ganzer Kraft dafür arbeiten, daß wir unseren Beitrag in der uns geschenkten Zeit leisten, den Frieden in Freiheit zu sichern: für unser Volk, für Europa und weltweit.
    Wir wollen Freundschaft und Partnerschaft in Europa und damit das atlantische Bündnis neu beleben. Ich sage es noch einmal: Wir suchen die Verständigung in Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Osten.
    Ich sage auch in dieser Stunde an die Adresse der DDR — ich nehme das Wort des Kollegen Mischnick auf —: Wir suchen das Gespräch und nicht die Polemik, weil wir Lösungen für die Menschen in unserem geteilten Vaterland wollen. — Ich wiederhole es immer wieder: Das ist verabredet, und was verabredet ist, gilt. — Das ist unsere Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Wir als Koalition der Mitte wollen in unserem Volk eine neue Gemeinsamkeit begründen. — Herr Ehmke, wenn Sie das als „erhabene Sprüche" bezeichnen, dann fällt das auf Sie zurück. Für mich ist das nicht irgendein Spruch, für mich ist der Wunsch nach Gemeinsamkeit eine entscheidende Voraussetzung für privates Glück und für das Glück unseres ganzen Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen in dieser neuen Phase in der Geschichte unserer Bundesrepublik Deutschland eine Gesellschaft mit einem menschlichen Gesicht. Zum menschlichen Gesicht gehört für mich, daß wir — wie immer wir politisch denken und auch handeln mögen — zunächst nicht dazu aufgerufen sind, neue Gräben aufzureißen, sondern Gräben zuzuschütten, aufeinander zuzugehen. Das ist es, was wir in diesem Augenblick brauchen, wenn wir Frieden nach draußen stiften wollen. Man kann dem Frieden in der Welt nicht dienen, wenn man nicht bereit ist, dem Frieden im eigenen Land zu dienen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer in diesen Zeiten „Ellenbogenmentalität" oder „-gesellschaft" beschwört, der verfällt doch in den klassenkämpferischen Radikalismus eines untergegangenen Jahrhunderts. Wer die Straße mobilisieren will, wer die Niedergeschlagenheit, die Enttäuschung, die Hoffnungslosigkeit von Arbeitslosen mobilisieren will, der mag vielleicht für den Tag Nutzen für seine parteipolitischen Ziele ziehen; dem Lande, dem Vaterland, dient er nicht.
    Er sollte sich an die Zeit von Weimar erinnern. Für mich als Vertreter der Generation, die die Nazizeit noch als Schüler erlebt hat und dann in der Freiheit unserer Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist, ist ein entscheidendes Erlebnis, daß wir aus vollem Herzen gesagt haben und sagen: Bonn ist nicht Weimar! Bonn wird nicht Weimar! — Das ist ein entscheidender Satz unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit einem Wort: Wir, die Koalition der Mitte, wollen die Gemeinsamkeit mit unseren Freunden und Verbündeten stärken. Wir wollen eine neue Gemeinsamkeit mit Völkern begründen. Wir wollen für den Frieden arbeiten, für die Menschenrechte kämpfen — überall in der Welt, aber auch mitten in unserem deutschen Vaterland. Wir wollen unseren Beitrag leisten, um Hunger und Not überwinden zu helfen. Wir wollen es tun in einem Werk des Friedens, das den Deutschen im letzten Drittel dieses Jahrhunderts gut ansteht. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich erteile dem Abgeordneten Brandt das Wort.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Verehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Satz gesagt, der meiner Meinung nach so nicht stehenbleiben kann. Sie haben gesagt — ich fürchte, das Protokoll wird es ausweisen —, Sie



    Brandt
    würden die Wahrheit zur Wahl stellen. Sie haben einige Sätze später gesagt, bei uns anderen sei kein Quentchen Wahrheit.
    Herr Bundeskanzler Kohl, dieser Staat, diese Bundesrepublik Deutschland basiert auf Pluralität. In diesem Hause ringen Christdemokraten, Freie Demokraten und Sozialdemokraten miteinander. Auch der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland verfügt nicht über die ganze Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD — Bundeskanzler Dr. Kohl: Einverstanden!)

    Deshalb täten Sie gut daran, diesen Anspruch auf Überheblichkeit zurückzunehmen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)