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ID0912305300

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    Plenarprotokoll 9/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7417 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7417 B Glombig SPD 7425 B Kroll-Schlüter CDU/CSU 7433 B Lutz SPD 7436 D Cronenberg FDP 7438 C Brandt SPD 7442 B, 7463 D Mischnick FDP 7451 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 7459 D Hölscher FDP 7464 A Dr. Vohrer FDP 7466 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7470 A Erklärungen nach § 30 GO Jung (Kandel) FDP 7468 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7469 B Dr. Ehmke SPD 7469 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — Drucksache 9/1909 — 7470 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde — Drucksache 9/1987 — 7470 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes — Drucksache 9/2034 — 7470 C Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/1995 — 7470 C Beratung der Übersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/2005 — 7470 D Nächste Sitzung 7470 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7471"A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7471"C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 7417 123. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 15. 10. Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Austermann 15. 10. Dr. Bardens 15. 10. Beckmann 15. 10. Bredehorn 15. 10. Breuer 15. 10. Brunner 15. 10. Coppik 15. 10. Dallmeyer 15. 10. Dörflinger 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Dr. Götz 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Kolb 15. 10. Dr. Kreile 15. 10. Kühbacher 15. 10. Lowack 15. 10. Magin 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Reddemann ** 15. 10. Regenspurger 15. 10. Repnik 15. 10. Reschke 15. 10. Rosenthal 15. 10. Sauter (Ichenhausen) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 15. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. von Schoeler 15. 10. Schröder (Wilhelminenhof) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schwenk (Stade) 15. 10. Dr. Solms 15. 10. Volmer 15. 10. Wallow 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. Dr. Wieczorek 15. 10. Frau Dr. Wisniewski 15. 10. Zywietz 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1982 mitgeteilt, daß die dem Ausschuß gemäß § 92 der Geschäftsordnung überwiesene Aufhebbare Dreiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/1764) auf Grund der politischen Ereignisse im Ausschuß nicht fristgerecht habe beraten werden können. Ein Bericht werde daher nicht vorgelegt. Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Nichtaufhebbare Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/2007) Zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zur Förderung der kombinierten Erzeugung von Wärme und Kraft - (Drucksache 9/2010) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 35 11 Tit. 698 02 - Abgeltung von Schäden - (Drucksache 9/2020) zuständig: Haushaltsausschuß
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    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Dieses Thema beschäftigt in diesem Augenblick Hunderttausende von Arbeitnehmerfamilien. Man dient überhaupt keinem vernünftigen Zweck, wenn man hier Väter und Söhne gegeneinander ausspielen will.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben heute, Herr Bundesarbeitsminister, nicht wie ein Gewerkschafter gesprochen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wie ein verantwortlicher Minister hat er gesprochen!)

    Sie lassen sich durch den Beifall und das Schulterklopfen derer tragen, die für den Facharbeiter und für die Arbeitnehmer überhaupt noch nie viel übriggehabt haben.

    (Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Diffamierung!)

    Sie werden sich vielleicht noch einmal darüber schämen, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie eine falsche Front errichten helfen, und zwar eine Front gegen die Rechte und gegen die Interessen der deutschen Arbeitnehmer.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben von Konsens gesprochen, Herr Bundesarbeitsminister, und in Wirklichkeit haben Sie eine Kampfansage hinausposaunt.

    (Beifall bei der SPD — Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich kann das nur tief bedauern.
    Herr Blüm sprach, und zwar herablassend uns Sozialdemokraten gegenüber, vom Rückfall in das 19. Jahrhundert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das war sehr gut!)

    Ich will auf diese und andere rhetorische Anrempeleien nicht weiter eingehen. Aber eines vergessen wir keinen Augenblick, und in Wirklichkeit wissen Sie das, meine Kollegen von der Union, von der FDP wie wir: Über die ganze westliche Industriewelt zieht sich eine wirtschaftliche Krise, die mehr mit den Sorgen der Vergangenheit als mit Hoffnungen für die Zukunft zu tun hat. Der Arbeitsminister macht daraus auf kleinliche demagogische Weise einen innenpolitischen Streit.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    In Wirklichkeit, Herr Arbeitsminister, haben wir
    uns mit dem größten sozialökonomischen Debakel
    seit dem Zweiten Weltkrieg zu befassen. Was der
    Arbeitsminister in seiner Formulierungssucht vergessen hat, will ich nachtragen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Ihnen hat er da jedenfalls etwas voraus! Jedenfalls redet er nicht so gequält wie Sie!)

    In der OECD sieht die Lage so aus, daß man im vor uns stehenden Winter, nicht mit 30, sondern eher mit 35 Millionen Arbeitslosen rechnen muß.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    In der Europäischen Gemeinschaft sieht die Lage so aus, daß man eher mit 15 als mit 12 Millionen Arbeitslosen rechnen muß.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Für die Bundesrepublik sage ich angesichts dessen, was diese Regierung geboten hat,

    (Lachen bei der CDU/CSU) und bei Beurteilung Ihrer Politik voraus:


    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Fassen Sie sich an die eigene Nase!)

    Diese Politik wird von der Krise der Beschäftigung und von der sozialen Krise anderer konservativ regierter Staaten eingeholt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Was Sie auf jener Regierungsbank jetzt wollen, das haben andere Industrieländer versucht und sind schon damit gescheitert,

    (Beifall bei der SPD)

    nämlich die Masseneinkommen, die Löhne, die Gehälter und Sozialleistungen aus ideologischen Gründen oder einer bestimmten ökonomischen Theorie zuliebe erst einmal herunterzudrücken, die hohen Einkommen nicht wirklich heranzuziehen und damit Entsolidarisierung im extremen Maße zu betreiben.
    Eines ist unübersehbar:

    (Hartmann [CDU/CSU]: Massenarbeitslosigkeit!)

    Die Konservativen haben anderswo tiefe gesellschaftspolitische Eingriffe vorgenommen

    (Zuruf von der CDU/CSU: In Frankreich!)

    — hier will man es offensichtlich nachmachen —, Eingriffe, die zwar als Sparen deklariert werden, aber in Wahrheit nichts anderes als Umverteilung von unten nach oben bedeuten.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Politik der Konservativen, das Niveau sozialer Leistungen zu senken, die Löhne und Gehälter nach unten zu lenken, Sozialstaatlichkeit anzugreifen und auszuhebeln, hohe Einkommen zu begünstigen, hat sich anderswo als eine Politik nicht der Lösung, sondern noch zunehmender Sorgen erwiesen. Dies ist die Politik der Krise, nicht des Auswegs aus der Krise.

    (Beifall bei der SPD)

    Das kann man vernünftigerweise nicht mitmachen.



    Brandt
    Meine Damen und Herren, der Münchener Parteitag und unser Beschluß vom Montag zur Wirtschaftspolitik machen — da ich von Umwelt sprach — im übrigen ganz deutlich, was man tun kann, um auch durch aktive Umweltpolitik Arbeitsplätze nicht zu vernichten, sondern neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist eine Aufgabe, die uns keine grüne Partei abnehmen kann. Das ist eine Aufgabe, die wir in die Hand nehmen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zur Innenpolitik hat Bundeskanzler Schmidt am 1. Oktober im zwölften seiner hier vorgetragenen Punkte folgendes gesagt, was mein rheinhessischer Freund und Kollege Hugo Brandt gestern aufgenommen hat:
    Eine menschliche Gesellschaft bedarf der inneren Liberalität. Über die Qualität unserer Demokratie entscheidet zuallererst der Respekt vor der Freiheit und der Würde des anderen, d. h. das Maß an innerer Liberalität, die wir tatsächlich üben und bewahren.
    Das, Herr Bundeskanzler Kohl, ist der Kernpunkt deutscher Staatsraison — um auf diesen Punkt Ihrer Regierungserklärung zurückzukommen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Sie haben diesen Kernpunkt an einer ganz anderen Stelle festmachen wollen. Diese andere Stelle, nämlich das Bündnis, ist für uns ganz gewiß wichtig. Doch bevor wir im Bündnis wirken können und unsere Interessen vertreten können, geht es um den eigenen Staat, die eigene Verfassung, die eigenen Werte und die eigene Zukunft.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen, Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie eigentlich die in Ihrer Regierungserklärung bemühte Staatsraison mit der Pflicht, für die deutsche Einheit zu wirken, auf einen Nenner bringen?

    (Beifall bei der SPD)

    Auch dies muß gesagt werden: Liberalität zeigt sich für die Sozialdemokraten nie allein in noch so wichtigen formalen Garantien, die dem Bürger gewährt werden. Liberalität heißt auch, daß die sozialen Chancen der Teilhabe nicht durch Herkunft oder durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen beschnitten werden.
    Deshalb war das so wichtig, was Björn Engholm hier gestern über die Bildungschancen gesagt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist heuchlerisch, wenn man den Facharbeiter lobt und es für selbstverständlich hält, daß die eigenen Kinder von vornherein auf die höhere Schule kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich weiß, wovon ich spreche. Ich weiß, wie schwer ich es in Lübeck als Arbeiterjunge gehabt habe, aufs Johanneum gehen zu können.
    Nun hat sich im Laufe der Zeit, in der wir Verantwortung getragen und sozialliberale Bildungspolitik gemacht haben, die Zahl der Arbeiterkinder, die auf
    die hohe und höhere Schule gehen, verdoppelt. Das ist doch nicht schlecht. Davon könne wir doch nicht abgehen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Dieses Stück mühsam erkämpfte Gerechtigkeit und soziale Gleichstellung darf doch nicht zerstört werden.
    Herr Bundeskanzler, ich habe da noch eine große Lücke entdeckt. Wir haben 1969 gesagt, wir wollten die notwendigen Konsequenzen ziehen, um den Frauen mehr als bisher zu helfen, ihre gleichberechtigte Rolle in Familie, Politik und Gesellschaft zu spielen. Und einiges haben wir doch gemeinsam mit den Freien Demokraten zustande gebracht:

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP] und der Abg. Frau Matthäus-Maier [FDP])

    wo es um das Nichtehelichenrecht, um die Kinder und die Mütter ging; wo es um Partnerschaft ging; auch das schwierige Bemühen um die sozial gesicherte Altersrente der geschiedenen Frauen. Wir haben den § 218 StGB reformiert und diese Strafrechtsänderung haben wir mit sozial ergänzenden Maßnahmen verbunden. Die Kollegin Marie Schlei — sie kann jetzt nicht dabei sein — hat sich hierum zusammen mit anderen sehr bemüht. Das war sehr verdienstvoll.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP] und der Abg. Frau Matthäus-Maier [FDP])

    Es war eine Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten, die das uralte Versprechen auf Gleichberechtigung jedenfalls in Teilen eingelöst hat. Daran möchten wir anknüpfen, und da werden wir auf der Hut bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Matthäus-Maier [FDP])

    Im übrigen, Herr Bundeskanzler Kohl, wünschen wir Ihnen — ich jedenfalls für mich — für die Übergangskanzlerschaft Glück, weil wir uns allen, den Deutschen hüben wie drüben, Glück wünschen und Glück wünschen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gilt auch für Europa und für unsere Partner in aller Welt.
    Aber ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler — Sie wissen es eigentlich; sonst werden Sie es neu lernen —: Es gibt kein Glück auf Kosten anderer,

    (Beifall bei der SPD)

    schon gar nicht auf Kosten der Mehrheit der Arbeitnehmer, der kleinen Leute und besonders der jungen Menschen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich erinnere Sie noch einmal an Ihr deplaciertes Mahnwort von der anderen Republik. Ich sage Ihnen: Diese Demokratie und diese Republik werden nicht bestehen, wenn sie nicht täglich im Bündnis



    Brandt
    mit den Arbeitnehmern und mit der Jugend riskiert werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieses Bündnis muß bestehen, weiterentwickelt werden, als ein kritisches Bündnis, weiß Gott, eines, in dem wir klare Positionen zu beziehen haben, nüchtern, selbstbewußt, diszipliniert, prinzipienfest,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist das denn mit Ihnen?)

    doch zugleich offen. Und das wiederhole ich: Verriegeln Sie die Türen dieser offenen Gesellschaft nicht! Es gibt keine Demokratie, an deren Türen steht: „Geschlossene Gesellschaft"

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt Beifall bei der FDP)

    oder womöglich noch: „Zutritt für Andersdenkende untersagt", „Zutritt für Aufbegehrende verboten".

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das geht jetzt auch direkt an Ihre Adresse, Herr Bundeskanzler, es geht an die des sonst so diensteifrigen und aufmüpfigen Herrn Geißler, es geht an die des Herrn Zimmermann und vor allem an die Adresse des Chefs der apokalyptischen Reiter aus München:

    (Heiterkeit bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Wir werden, wo es um uns geht, die Türen unserer Gesellschaft beharrlich öffnen, die andere zu schließen versuchen. Und wir werden verhindern, daß unsere Menschen, gerade auch die jungen, nicht von neuem an demokratischer Atemnot leiden müssen. Ich bleibe bei meinem Wort — das geht nicht immer gleich gut —, daß man Demokratie, auch mehr Demokratie, wagen muß.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer nicht mehr Demokratie will, Tag um Tag, der begibt sich in Gefahr, daß weniger Demokratie herrschen wird.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Zum Schluß: Ich bleibe bei dem Rat, den ich meinen Freunden gegeben habe, nicht vorzeitig oder gar überflüssigerweise in einen Streit mit dem amtierenden Bundeskanzler oder Außenminister über Außen- und Sicherheitspolitik einzutreten. Es fehlt ganz gewiß nicht an Themenbereichen, die umstritten sind, wo das ganz eindeutig ist, und deren Inhalte in lebhafter Auseinandersetzung durchgefochten werden müssen. Die Überschriften und die allgemeinen Texte — wenn ich die Außenpolitik nehme —, die wir bisher kennen, fordern jedenfalls unseren Widerspruch im großen und ganzen nicht heraus. Es wäre im übrigen kein Nachteil, sondern ein Vorteil, wenn die Zusage der Kontinuität, also des Weitermachens dessen, was sich bewährt hat, damit auch des Runterschluckens dessen, was man früher über Ausverkauf und Verrat gesagt hat,

    (Zustimmung bei der SPD) eine praktische Bestätignung erführe.

    An unserer Bereitschaft, auch heute und morgen nationale Mitverantwortung zu tragen, wird es nicht fehlen. Wir werden Sie im übrigen an Ihren Taten messen. Und wo wir es der Sache wegen, also noch einmal: wo wir es in unserem Verständnis der Interessen unseres Volkes wegen, für geboten halten, da werden wir widersprechen, wo erforderlich, laut, jedenfalls vernehmlich.
    Meine Damen und Herren, zu drei Punkten noch je ein Satz oder zwei:
    Erstens. Was Bundeskanzler Kohl zum Begriff der Sicherheitspartnerschaft gesagt hat, das bedeutet soviel wie „schwarzer Neger" oder „weißer Schimmel";

    (Beifall bei der SPD)

    denn es ist doch selbstverständlich, Herr Bundeskanzler, daß sich die westliche Allianz als eine sicherheitspolitische Partnerschaft versteht. Das ist doch selbstverständlich. Und es bleibt richtig, daß die Bundeswehr dazu ihren, den wichtigen Beitrag unseres Staates und Volkes leistet. Aber es geht doch darum — und dazu war kein Wort drin und nicht der Anflug eines Gedankens —, was aus dem Verhältnis zwischen Ost und West in der Welt wird,

    (Beifall bei der SPD)

    wie wir unserer Verankerung im Westen das unermüdliche Bemühen um den Abbau von Spannungen hinzufügen und was aus dem wahnsinnigen Rüstungswettlauf wird,

    (Zustimmung bei der SPD)

    der zunehmend nicht nur den Frieden bedroht, sondern auch die Menschheit ärmer macht.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerade heute früh wurde bekannt, daß Herr Weidenbaum, der als ökonomischer Berater von Präsident Reagan zurückgetreten ist, seinem Präsidenten gesagt hat: Selbst ein wirtschaftlicher Staat wie die Vereinigten Staaten von Amerika hält das mit diesen überhöhten Militärausgaben nicht durch. Und das ist wahr!

    (Beifall bei der SPD)

    Was aus dem wahnsinnigen Rüstungswettlauf wird, bedroht j a nicht nur den Frieden; das macht auch die Lage zwischen Nord und Süd immer schwieriger.
    Aber noch etwas zu dem anderen. Helmut Schmidt hat im siebten seiner zwölf Punkte von dieser Stelle aus formuliert:
    Zur Politik der vereinbarten schrittweisen Abrüstung, des vereinbarten Gleichgewichts auf niedriger Ebene, gibt es keine vernünftige friedenspolitische Alternative. Denn weder der Westen noch der Osten kann allein seinen Frieden garantieren. Sicherer Friede bedarf der Sicherheitspartnerschaft beider Seiten, der Partnerschaft zum Frieden.

    (Beifall bei der SPD)

    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode —.123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 7451
    Brandt
    Dazu wird man noch Stellung nehmen müssen.
    Eine zweite Bemerkung. Herr Bundeskanzler, mit Glasperlenspielen einer fiktiven europäischen Verfassung ist keinem der aktuellen tatsächlichen Probleme beizukommen. Es geht doch heute — wer sich in europäischen Dingen auskennt, weiß das — um sehr viel handfestere, unmittelbar vor uns liegende Probleme der Europäischen Gemeinschaft. Es wäre nicht schlecht, Herr Bundeskanzler, die immer noch interessierten und in jedem Fall betroffenen Bürger voll ins Vertrauen zu ziehen und ihnen zu sagen, worum es morgen und übermorgen in Brüssel und in Straßburg und anderswo gehen wird.
    Das wachsende Bedürfnis vor allem vieler jüngerer Menschen nach einem eigenständigen Lebensentwurf für Europa — nicht nur ganz allgemein für den Westen, sondern für dieses unser Europa — kontrastiert doch in bedrückender Weise mit dem kläglichen Bild, das die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft heute bieten.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Darum sind Sie aus dem europäischen Parlament ausgeschieden!)

    Ich vermute, daß diejenigen auf dem richtigen Weg sind, die einen neuen inhaltlichen, qualitativen Integrationsansatz suchen. Dieser neue Integrationsansatz muß über die wirtschaftliche Verflechtung hinausreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Doch wird da nichts passieren, wenn die Wirtschaftsgemeinschaft verkümmert oder gar zusammenbricht.
    Ich bin also für eine aktive, wenngleich nicht allzu illusionsbereite Europapolitik, Herr Bundeskanzler.
    Ich bleibe drittens der Meinung, daß es sich bei dem Ausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen satten und hungernden Völkern — um die Hungernden aus der Dritten Welt in den Vordergrund zu schieben —, auch um eine der zentralen Aufgaben der Friedenssicherung in unserer Zeit handelt.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Ausgleich kann in den Jahren, die vor uns liegen, zumal dann, wenn Ressourcen, die sonst für die Rüstung verschwendet werden, umgelenkt werden können, zu einem Teil umgelenkt werden können, zugleich zu einem Hebel werden, um der Weltwirtschaft positive Impulse zu vermitteln.
    Wir müssen uns im übrigen davor hüten, die Entwicklung in der Dritten Welt allein an der Meßlatte unserer eigenen Zivilisation zu bewerten. Man muß ganz schön beschränkt sein, sage ich an die Adresse einiger Kollegen in der Union, um Befreiungsbewegungen in kolonialen und halbkolonialen Ländern einfach als „Terrororganisationen" einzustufen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich fasse zusammen: Die Rechtskoalition hat mit ihrer Regierung keine Mehrheit im Volk.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Jetzt ist es wieder eine Rechtskoalition!)

    Eine Mehrheit im Volk will soziale Gerechtigkeit und aktive Beschäftigungspolitik.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Eine Mehrheit im Volk will Verteidigung und Ausbau der demokratischen Freiheiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine Mehrheit im Volk will aktive und selbstbewußte deutsche Friedenspolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: In entscheidenden Momenten der deutschen Geschichte hat sich tragisch ausgeprägt, daß die sozial und liberal motivierten Kräfte, daß junge und alte Reformer nicht zu gemeinsamem Handeln zusammenfanden. Lernen wir aus der Geschichte, wenn wir können. Dies ist keine Zeit, in der sich diejenigen in unserem Volk, die das Bestehende sichern und nach vorn wollen, Zersplitterung leisten können,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern dies ist eine Zeit, zu der ich sage: Gemeinsam gilt es, vom sicheren politisch-geistigen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit den Grünen?)

    nämlich sozialen und freiheitlichen Grund den Aufbruch nach vorn zu wagen. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dregger, ich hatte schon Gelegenheit, Ihnen persönlich alle guten Wünsche für Ihre Arbeit zu übermitteln. In den ersten Gesprächen ist uns klar geworden, welche schwierige Aufgabe Sie und ich zu erfüllen haben. Ich weiß dabei, daß diese Aufgabe gerade von uns Freien Demokraten in der nächsten Zeit sehr viel Einsicht, Engagement, Überzeugungskraft und auch gegenseitige Loyalität fordert. Ich werde mich darum bemühen in der Art, wie ich meine Aufgabe immer gesehen habe: eine übernommene Pflicht, eine übernommene Partnerschaft loyal zu erfüllen. Sie können sicher sein: Ich setze alles daran, daß die Freie Demokratische Partei, diese Fraktion bei dieser Arbeit ihre Pflicht erfüllt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    In den letzten Tagen ist erneut eine Kampagne gegen den Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei in einer Weise betrieben worden — hier mehrfach —,

    (Zurufe von der SPD: Oh!)




    Mischnick
    die mich an die Kampagne gegen den Parteivorsitzenden der Sozialdemokraten in vergangenen Jahren erinnerte. Ich habe damals kein Verständnis dafür gehabt, wie der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten angegriffen worden ist und wie versucht wurde, ihn zu demontieren. Ich hatte gehofft, Sie hätten heute Verständnis dafür, daß das umgekehrt auch nicht die anständigste Art des politischen Umgangs miteinander ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist auf die innere Liberalität Bezug genommen worden, die der frühere Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat. Zur inneren Liberalität gehört auch, daß ich in der Sache hart bin, aber nicht anfange, unmenschlich zu werden. Das kann ich nicht ertragen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das macht mir sehr deutlich, daß der Hinweis auf die Heimstatt für Liberale, die sie jetzt nicht mehr hätten oder verlieren könnten, doch nicht ganz so umfassend sein kann, wie das dargestellt worden ist.
    Es ist schon auf die Erfahrungen des letzten Wahlkampfes in Bayern eingegangen worden. Dabei spielten die Auseinandersetzungen in Weiden eine Rolle. Ich denke an München und Nürnberg. Ich muß offen sagen: Ich war sehr betroffen darüber, in welcher Form versucht worden ist, Veranstaltungen organisiert zu stören. In Nürnberg hat sich mein Parteifreund Hürner auf einer Versammlung — er hatte vorher in dieser Versammlung offen gesagt, daß er mit der Entscheidung in Bonn nicht einverstanden sei — nach meiner Rede und einer Diskussion mit den Zuhörern — ich habe mich trotz der Störversuche nicht gescheut, eine halbe Stunde lang Fragen zu beantworten — hingestellt und gesagt, er schäme sich für seine Vaterstadt, daß in ihr, in der er sich selbst für das Demonstrationsrecht anderer, denen man es habe entziehen wollen, eingesetzt habe, mit Trillerpfeifen und allen möglichen Dingen versucht werde, einer demokratischen Partei die Möglichkeit zu nehmen, sich verständlich zu machen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren, daß nicht Zustände, wie sie in der Weimarer Republik waren und mit zur Radikalisierung geführt haben, eintreten können.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich scheue mich vor keiner sachlichen Auseinandersetzung. Ich habe sie geführt. Nur, bitte überlegen Sie sich wirklich in aller Ruhe, ob es richtig ist, wenn 300, 400 Leute — das würde ich, wenn es bei einer andern Seite passiert, genauso beurteilen — —

    (Brandt [SPD]: In Würzburg erlebt vorige Woche!)

    — Ich sage es ja nach jeder Seite, Herr Kollege
    Brandt. Ich habe es leider in dieser Form in den
    letzten Wochen erlebt. Und es kann doch nicht so
    sein, daß die, die die Plaketten „SPD" haben, die alle irgendwo geklaut haben. Die müssen sie doch vorher irgendwie bekommen haben.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    Dies sage ich nicht, weil man sich etwa nicht sachlich auseinandersetzen soll. Im Gegenteil, ich halte das für notwendig.
    Ich verstehe auch, daß Emotionen wach geworden sind. Aber ich habe etwas dagegen, daß Emotionen, wenn sie vorhanden sind, noch systematisch geschürt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Da muß man doch erwarten, daß von denen, die 20, 30 Jahre Mitverantwortung tragen, viel getan wird, um diese Emotionen bremsen zu helfen.