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ID0912305000

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    Plenarprotokoll 9/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7417 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7417 B Glombig SPD 7425 B Kroll-Schlüter CDU/CSU 7433 B Lutz SPD 7436 D Cronenberg FDP 7438 C Brandt SPD 7442 B, 7463 D Mischnick FDP 7451 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 7459 D Hölscher FDP 7464 A Dr. Vohrer FDP 7466 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7470 A Erklärungen nach § 30 GO Jung (Kandel) FDP 7468 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7469 B Dr. Ehmke SPD 7469 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — Drucksache 9/1909 — 7470 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde — Drucksache 9/1987 — 7470 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes — Drucksache 9/2034 — 7470 C Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/1995 — 7470 C Beratung der Übersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/2005 — 7470 D Nächste Sitzung 7470 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7471"A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7471"C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 7417 123. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 15. 10. Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Austermann 15. 10. Dr. Bardens 15. 10. Beckmann 15. 10. Bredehorn 15. 10. Breuer 15. 10. Brunner 15. 10. Coppik 15. 10. Dallmeyer 15. 10. Dörflinger 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Dr. Götz 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Kolb 15. 10. Dr. Kreile 15. 10. Kühbacher 15. 10. Lowack 15. 10. Magin 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Reddemann ** 15. 10. Regenspurger 15. 10. Repnik 15. 10. Reschke 15. 10. Rosenthal 15. 10. Sauter (Ichenhausen) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 15. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. von Schoeler 15. 10. Schröder (Wilhelminenhof) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schwenk (Stade) 15. 10. Dr. Solms 15. 10. Volmer 15. 10. Wallow 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. Dr. Wieczorek 15. 10. Frau Dr. Wisniewski 15. 10. Zywietz 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1982 mitgeteilt, daß die dem Ausschuß gemäß § 92 der Geschäftsordnung überwiesene Aufhebbare Dreiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/1764) auf Grund der politischen Ereignisse im Ausschuß nicht fristgerecht habe beraten werden können. Ein Bericht werde daher nicht vorgelegt. Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Nichtaufhebbare Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/2007) Zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zur Förderung der kombinierten Erzeugung von Wärme und Kraft - (Drucksache 9/2010) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 35 11 Tit. 698 02 - Abgeltung von Schäden - (Drucksache 9/2020) zuständig: Haushaltsausschuß
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    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Hochverehrter Herr Kollege, zunächst einmal kann ich diesen Bereich ebenso wie den Bereich des Wortbruches klar und deutlich überblicken. In diesem Bereich hat er recht. Im Bereich des Wortbruchs hat er zutiefst unrecht. Ich halte das für einen diffamierenden, unverschämten Vorwurf.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ... SPD-Bundesgeschäftsführer Glotz

    — so schreibt Herr Bölling —
    hat eben auch recht, wenn er der Runde vor Augen stellt, daß die Fraktion zu weiteren Opfern nicht bereit sein wird (die er selber für notwendig hält).
    Der frühere Bundeskanzler, die Kollegen Ehmke und Apel haben diesen Konflikt in ihren Beiträgen völlig ausgespart. Dies ist wohl nur erklärlich, weil die wahren Gründe nicht in die äußerst geschickt inszenierte Verleumdungskampagne passen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Helmut Schmidt hat vielmehr die weitere Zusammenarbeit mit der FDP wegen der anstehenden Haushaltsberatung für unzumutbar erklärt. Er hat gleichsam von Amts wegen verordnet, die FDP wolle diese Beratung nur noch zum Schein führen. Der von mir nach wie vor hochgeschätzte Bundeskanzler a. D. Schmidt möge bitte zur Kenntnis nehmen: Glauben Sie denn allen Ernstes, wir hätten 1981 Scheinverhandlungen geführt, wir hätten im Sommer 1982 Scheinverhandlungen geführt? Herr Kollege Brandt, Sie haben mit am gemeinsamen Tisch gesessen: Ich habe keine Scheinverhandlungen geführt. Und ich hätte sie im Herbst 1982 auch nicht geführt. Ich habe mir die allergrößte Mühe gegeben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Wo nimmt man eigentlich das Recht her, uns so zu diffamieren?
    Helmut Schmidt hat die Unterstellung zum Haushalt durch eine weitere Unterstellung ergänzt. Er hat behauptet, die Vorschläge von Graf Lambsdorff zur Überwindung der Arbeitslosigkeit seien eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne unseres Grundgesetzes.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Sehr richtig!)

    Das ist im Klartext der Vorwurf des Verfassungsbruchs. Dieser Vorwurf bedarf der klaren und eindeutigen Zurückweisung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die vielen Vorschläge von Graf Lambsdorff zur Anpassung des Sozialleistungsniveaus an die verschlechterten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen liegen auf der Linie der Politik der alten Koalition, zum Teil waren sie bereits konkret vereinbart.

    (Stahl [Kempen] [SPD]: Herr Cronenberg, Sie haben das Papier von Lambsdorff doch wohl kaum gelesen!)

    Das gilt z. B. für die Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung bis zur Höhe des Arbeitnehmeranteils, für eine Berücksichtigung des steigenden Rentneranteils bei der Rentenberechnung, für einen Abbau von Leistungsmißbrauch bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten, für die restriktive Anerkennung im Schwerbehindertenbereich. Die Forderungen von Graf Lambsdorff, die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung nicht einzuschränken — ich befürchte, wir müssen daran auch jetzt festhalten —, müssen doch einmal ausdrücklich erwähnt werden. Seine Forderung, die Kosten in der Krankenversicherung verstärkt — verstärkt, Egon Lutz — bei den Leistungserbringern zu dämpfen, hätte sogar die freudige Zustimmung der SPD verdient. Entsprechendes gilt für seine Ausführungen im Bereich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Graf Lambsdorff hat in seinem Papier darauf verzichtet, die zwischen uns so strittigen Karenztage in die Diskussion einzuführen, nicht weil er der Meinung gewesen wäre, daß sie nicht richtig seien — ich wie er sind nach wie vor der Auffassung: sie sind richtig —, sondern nur, um den Konsens zu ermöglichen.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, die Anpassung des Sozialleistungsniveaus ist keine neue Aufgabe. Sie und wir hatten uns dieser Aufgabe seit 1974 zu stellen. Dazu erinnere ich an das Haushaltsstrukturgesetz 1975 — mit fühlbaren Einschnitten bei der Arbeitsförderung —, an die Rentengesetze von 1977 und 1978, an die Kostendämpfung in der Krankenversicherung, an die „Operation '82" und an den gemeinsam bewältigten Teil der „Operation '83", bei dem die FDP ganz offensichtlich nicht nur zum Schein verhandelt hat.
    Bleiben die Überlegungen von Graf Lambsdorff zum Arbeitslosengeld und zur Ausbildungsförderung. Auch darüber haben wir immerhin ehrlich und fair verhandelt.
    Egon Lutz hat eben die Frage gestellt, ob denn die Instrumente, die Leistungserbringer im Gesundheitswesen zur Mäßigung und zum Kostenbewußtsein zu veranlassen, richtig seien. Stellen wir doch gemeinsam und als gemeinsamen Erfolg fest, daß unsere Instrumente, auf einen freiwilligen Verzicht hinzuwirken, mindestens in unserer gemeinsamen Vergangenheit funktioniert haben. Hoffen wir gemeinsam, daß die gleichen Instrumente mit dem



    Cronenberg
    gleichen Ziel und Zweck im Interesse der Sache auch in Zukunft funktionieren werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist das gute Recht — ich nehme das wirklich nicht übel —, daß bei verschiedenen Positionen wie in der Vergangenheit uns hier von den Kollegen der SPD ein klares Nein entgegenschallt. Ich habe vor diesem Nein Respekt und verstehe es auch.
    Es ist aber nicht in Ordnung, wegen dieser Teilvorschläge jede Diskussion über das Gesamtkonzept des Grafen Lambsdorff von vornherein abzulehnen. Erst recht ist es unredlich, das Gesamtkonzept, vom früheren Bundeskanzler erbeten und ausdrücklich als Angebot zur Diskussion verstanden, als verfassungswidrig zu denunzieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Mit Verbitterung habe ich einen Teil dieser Debatte verfolgt. Wenn mich jemand vor vier Wochen — nein, vor einigen Tagen — gefragt hätte, ob ich es für möglich hielte, daß Horst Ehmke hier eine solche Rede hält,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) hätte ich dies mit Überzeugung verneint.


    (Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

    Es war eine Rede, die allein dem Ziel diente, eine demokratische Partei und ihren Vorsitzenden, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hat, schlicht und einfach fertigzumachen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU] — Zurufe von der SPD)

    Ich hätte dies nicht für möglich gehalten. Offensichtlich waren die Einschätzungen und Erwartungen von Graf Lambsdorff zutreffender, denn er hat dies ja vermutet, als mein Vertrauen in menschliche und demokratische Anständigkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Ehrenmänner, Herr Professor Ehmke, würden sich wenigstens für ein solches Verhalten entschuldigen. Darum bitte ich Sie.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Herr Genscher muß sich entschuldigen!)

    — Sie haben uns doch alle des Wortbruchs bezichtigt.

    (Beifall bei der SPD)

    Genauso sollte sich meines Erachtens die von mir verehrte Kollegin Ingrid Matthäus verhalten. Ich bitte sie mit aller Eindringlichkeit darum. Wolfgang Mischnick, der Justizminister Hans Engelhard, meine Wenigkeit und die überwiegende Mehrheit der Fraktion haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Es ist mir unverständlich, wie man uns des Wortbruchs bezichtigen kann.
    Wolfgang Mischnick hat dies in seiner denkwürdigen Rede am 1. Oktober hier überzeugend klargestellt. Wir haben uns nie und nimmer bedingungslos in irgendwelche Abhängigkeiten begeben, und wir werden das auch in Zukunft sicher nicht tun.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Koalition war am Ende. Wie man weiß, gab und gibt es in der FDP- und in der SPD-Fraktion kaum jemanden, der die Fortsetzung dieser Koalition für die Zeit nach 1984 für möglich gehalten hat. Hätten wir eine Minderheitsregierung gefördert, hätten wir die Agonie im Lande gefördert. Wir hätten uns meiner festen Überzeugung nach schuldig gemacht.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Ein krampfhafter Versuch, sich zu verteidigen!)

    Liebe Ingrid Matthäus, fragen Sie sich doch einmal, ob Sie dies wirklich alles uns und Ihrer eigenen Fraktion gegenüber verantworten können.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Reden Sie doch zur Sozialpolitik!)

    Dieser Allein-recht-haben-Standpunkt ist doch eine unverantwortliche Position. Respektieren Sie doch unseren Standpunkt, wie wir Ihren Standpunkt respektieren!

    (Zurufe von der SPD)

    Lassen Sie mich Sie auch bitten, vielleicht ein wenig mehr die Ergebnisse Ihrer eigenen Basis — im Kreisverband, im Bezirksverband und im Landesverband — zu respektieren.

    (Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

    Die Grundzüge unserer Sofortmaßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise sind klar. Wir wollen die Wachstumskräfte stärken durch eine deutliche Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben, durch einen weiteren Abbau der strukturellen Defizite — ich betone: der strukturellen, nicht der konjunkturellen Defizite — der öffentlichen Haushalte. Das heißt: Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die veränderten Wachstumsmöglichkeiten, Eindämmung des Sozialkonsums, Stärkung der Eigenverantwortung, Wiedergewinnung des Vertrauens von Unternehmern und Arbeitnehmern mit längerfristigen Konzepten in der Haushalts-, in der Sozial- und in der Wirtschaftspolitik, ergänzende Maßnahmen zur Förderung der privaten Investitionen, insbesondere im mittelständischen Bereich, wo das besonders erforderlich ist.
    Die Wiedergewinnung des Vertrauens ist eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen unseres Programms. Dazu gehört, daß wir Freien Demokraten unsere Meinungsverschiedenheiten über den Kurs bald zum Abschluß bringen. Dazu gehört auch, daß Störmanöver aus München künftig unterbleiben und auch in München der Erfolgszwang absoluten Vorrang vor persönlichen und parteipolitischen Sonderinteressen erhält.

    (Stahl [Kempen] [SPD]: Das wird aber nicht so sein!)




    Cronenberg
    Dazu gehört auch, daß die Sozialdemokraten zumindest auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik wieder zur Sachdiskussion zurückfinden.
    Ich weiß, daß dabei die soziale Ausgewogenheit eine Kernfrage ist. Ich stehe dazu. Ich habe auch Verständnis dafür, daß wir dieses Ziel kurzfristig nicht erreichen können. Ich verweise auf das — mit Rücksicht auf das rote Licht muß es jetzt schnell gehen —, was der Sachverständigenrat in dem Zusammenhang gesagt hat. Investitionen fördern heißt Geld ausgeben, das in der ersten Runde — erste unterstrichen — vor allem den besser Verdienenden zugute kommt. Die soziale Rechtfertigung sieht der Sachverständigenrat darin, daß sich die Vorteilswirkungen ausbreiten, daß die höhere Produktion zu mehr Beschäftigung, zu mehr Einkommen der Arbeitnehmer führt. Schließlich spricht sich der Rat — wie wir in diesem Zusammenhang auch — für eine aktive Vermögenspolitik aus, für die wir um Unterstützung bitten.
    Ich lege daher für meine Fraktion

    (Zuruf von der SPD: Für welche?)

    großen Wert darauf, daß die in der Regierungserklärung angekündigten vermögenspolitischen Initiativen konsequent durchgeführt werden. Ich hoffe, daß es möglich ist, sich in Zukunft über diese Dinge gerade mit den von mir sehr geschätzten Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion offen, fair und erfolgreich auseinanderzusetzen. Hierfür im voraus meinen herzlichen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Das war ein Schuldbekenntnis! Sie haben ein schlechtes Gewissen!)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aussprache dieser drei Tage hat meinen politischen Freunden und mir noch einmal gezeigt: Der Sturz des Bundeskanzlers Helmut Schmidt lag nicht im Interesse unseres Staates

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Er war notwendig!)

    und vor allem nicht im Interesse

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der SPD!) der breiten Schichten unseres Volkes.


    (Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Fragen Sie die erst einmal!)

    Die Debatte zur Regierungserklärung hat die Sorge nicht behoben, sondern verstärkt, daß die nächste Entwicklung durch weniger Ausgewogenheit und weniger Gerechtigkeit gekennzeichnet sein wird.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: 2 Millionen Arbeitslose!)

    Ich komme darauf zurück und will zunächst festhalten, was sich hier zum Thema der Neuwahlen zugetragen oder besser: nicht zugetragen hat. Gezeigt
    hat sich nämlich, daß die neue Regierung, Herr Bundeskanzler, ihre Bringschuld nicht erfüllt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Am 17. September 1982 hatte Helmut Schmidt von dieser Stelle aus Neuwahlen vorgeschlagen. Er hatte den Weg dahin aufgezeigt und begründet, weshalb die Wähler neu zu Wort kommen müßten, wenn der Wählerauftrag vom Herbst 1980 auf den Kopf gestellt werden sollte.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun lassen Sie mich bei der Gelegenheit, Herr Bundesaußenminister, etwas zu einem Teil Ihrer Rede vom vorgestrigen Tag sagen. Der Bundesaußenminister hat — sicher nicht wider besseres Wissen, sondern weil ihm der Sachverhalt nicht geläufig war — behauptet, die SPD habe Ende 1966 beim Auseinanderbrechen der Regierung Erhard/ Mende keine Neuwahl gefordert.
    Das entspricht nicht der Wahrheit. In der hier am 8. November 1966 durchgeführten Debatte über den Antrag der SPD-Fraktion, den Bundeskanzler Erhard zu ersuchen, gemäß Art. 68 des Grundgesetzes im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, ging der damals amtierende Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner — denn unser unvergessener Fritz Erler war todkrank — auch auf den Vorwurf der anderen Parteien ein, die SPD wolle auf diese Weise zur Auflösung des Bundestages und zu Neuwahlen kommen. Er sagte:
    Wieso wird von unserem Begehren nach Neuwahl, von unserer Ansicht, daß Neuwahl des Bundestages die sauberste, die anständigste Art sei, diese Krise zu überwinden, wieso wird davon im Tone des Vorwurfs gesprochen? Das Vorrecht der Demokratie ist es doch — im Gegensatz zu totalitären und autoritären Staaten oder Gebilden —, frei wählen zu können.
    Herr Bundesaußenminister, so war es also. Es war natürlich auch so, daß damals der Kollege Barzel, der jetzt auf der Regierungsbank sitzt, Herr von Kühlmann-Stumm für die Freien Demokraten und der praktisch schon abgesetzte damalige Bundeskanzler Erhard dem, was Herr Wehner vorgetragen hatte, widersprochen haben.
    Eine Verfälschung der historischen Wahrheit, wenn auch ohne böse Absicht vorgenommen, wollte ich auch in dieser Frage nicht durchgehen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie ist nun die Lage? Nach dem Vorschlag von Bundeskanzler Schmidt am 17. September hat Herr Kohl Neuwahlen für die Zeit nach dem Regierungswechsel zugesagt. Herr Strauß — mit dem ich bekanntlich nicht immer einer Meinung bin — hat Neuwahlen noch in diesem Jahr für richtig gehalten. Die Herren Kohl und Genscher haben den 6. März 1983 als Termin in die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Sie haben betont, daß sich dies, wie es selbstverständlich ist, im Rahmen der Verfassung halten werde.
    Nun wäre es doch ganz gewiß fällig gewesen, dem Bundestag und den betroffenen Bürgerinnen und



    Brandt
    Bürgern klar zu sagen, wie es zu Neuwahlen bekommen soll.

    (Beifall bei der SPD)

    Bundeskanzler Kohl hat diese Klarheit nicht geschaffen. Er hat keinen Vorschlag gemacht, sondern nur zu Gesprächen eingeladen. Wir hätten gern gehört, worüber gesprochen werden soll.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Über Neuwahlen!)

    Im übrigen: Schönen Dank für die Einladung, Herr Bundeskanzler. Ich würde gar nichts dagegen haben, wenn Sie bei solcher Gelegenheit einen guten Tropfen Pfälzer Weins anbieten würden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber das ändert doch alles nichts am Kern der Sache. Wir wollen Wahlen. Und wir werden sorgfältig und zügig prüfen, was Sie uns vorgeschlagen haben, wenn Sie uns etwas vorzuschlagen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Doch ich muß darauf aufmerksam machen, daß der amtierende Bundeskanzler am Mittwoch einen Hinweis darauf gegeben hat, daß in diesem Zusammenhang vielleicht über eine Verfassungsänderung zu sprechen wäre. Wir würden selbst dazu, Herr Bundeskanzler, aufmerksame, aufmerksam kritische Gesprächspartner sein. Aber eines müssen Sie sich schon heute sagen lassen: Erst haben Sie in Aussicht gestellt, Sie wollten im Rahmen der bestehenden verfassungsmäßigen Bestimmungen wählen lassen,

    (Beifall bei der SPD — Stahl [Kempen] [ SPD]: Dann muß er zurücktreten, und zwar noch im Dezember!)

    jetzt haben Sie am Mittwoch angedeutet, daß Sie erst die Verfassung ergänzen, also ändern wollen, wenn das der Sinn des Hinweises auf die Enquete-Kommission gewesen ist.

    (Zuruf von der FDP: Das hat doch Schmude gesagt!)

    Ich habe nicht überhört, was dazu gestern aus den Reihen der Freien Demokraten — ich weiß nicht, ob für die Fraktion — von einem wichtigen Mitglied der Freien Demokratischen Partei gesagt worden ist.

    (Dr. Linde [SPD]: Ausdrücklich für die Fraktion!)

    Jedenfalls die Art, in der Sie, Herr Bundeskanzler, das Thema Neuwahlen zu Beginn der Arbeit Ihrer Übergangsregierung vor sich hergeschoben haben, ist in hohem Maße unbefriedigend.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber es ist ja auch klargeworden — daran ändert das, was Sie, lieber Herr Cronenberg, soeben gesagt haben, nichts —, wie sehr dieser Übergangsregierung die Schwäche anhaftet, die sich aus dem Verhalten der FDP-Führung und aus dem desolaten Zustand ergeben hat, in den die FDP-Führung ihre Partei geführt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser desolate Zustand schwächt die neue Regierung und verlängert die Krise in Bonn.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich war tief erschrocken über das Bild, das Sie, Herr Bundesaußenminister, hier am Mittwoch geboten haben — zur Person und zur Sache. Sie haben mir leid getan.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Ihre Darlegungen haben mich nicht überzeugen können, auch wenn sie nur als ein Plädoyer für mildernde Umstände gemeint gewesen sein sollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Der forsche Entlastungsversuch des Grafen Lambsdorff gestern früh hat die Sache nicht besser gemacht.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundesminister Genscher, wir haben im Laufe der Jahre manches vertrauensvolle Gespräch miteinander geführt, bis in den Sommer dieses Jahres. Wir waren natürlich nicht immer einer Meinung, wir haben einander vielleicht auch einmal enttäuscht — Sie jedenfalls mich. Aber Schwamm drüber!

    (Lachen bei der FDP)

    Aber Sie können nicht guten Gewissens sagen, Herr Bundesminister, der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, von dem Sie wissen, daß er 1963 die schwierigen Dinge in Berlin gemeinsam mit den Freien Demokraten in die Hand genommen hat, von dem Sie wissen, daß er 1966 nicht von allen unterstützt wurde, als er die sozialliberale Koalition angeboten und mit unterstützt hat, habe sich nicht immer wieder bemüht, Schwierigkeiten in der Koalition beiseiteräumen zu helfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun füge ich gleich hinzu: Was hier und anderswo über den Münchner Parteitag der SPD und — was in eine ganz andere Schublade gehört —über törichte, aber manchmal auch verfälschte Äußerungen einzelner Sozialdemokraten vorgebracht worden ist, sind — selbst bei sehr wohlwollender Betrachtung — Schutzbehauptungen; bei kritischer Prüfung sind es Irreführungen der öffentlichen Meinung.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt, Herr Bundeswirtschaftsminister und andere Kollegen, die sich hierauf bezogen haben, keinen Gegensatz zwischen dem wirtschaftspolitischem Beschluß unseres Münchner Parteitages und dem Beschluß, den sich unser Parteivorstand am Montag zu eigen gemacht hat. Es handelt sich vielmehr um eine Konkretisierung und natürlich — so ist das bei uns — auch um das Ergebnis des Diskussionsprozesses, der durch den Münchener Beschluß in Gang gesetzt wurde und in Gang gesetzt werden sollte. Ob es Ihnen Spaß macht oder nicht: Wir werden auch sonst — ich hoffe, umfassend — in der Lage sein, die Erfahrungen der vergangenen 13 oder 16 Jahre aufzuarbeiten, wo es sein muß, auch selbstkritisch aufzuarbeiten.



    Brandt
    Sie haben hier Feindbilder aufgebaut.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer?)

    Einige von Ihnen erinnern mich dabei an Zeiten,

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    in denen man Sozialdemokraten vom Tisch der Demokratie wegdrücken wollte.

    (Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/CSU)

    Kaum einer der Unionsredner — wobei ich jetzt die Bundesminister Genscher und Lambsdorff einschließe — hat von der SPD, die es — mit ihren Stärken und Schwächen — gibt, gesprochen.

    (Beifall bei der SPD)

    Man hat von einer SPD geredet, von der man gern hätte, daß sie so wäre,

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    damit man seine taktischen Kalküle aufgehen lassen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, mit Legendenbildungen, Herr Bundesminister Genscher, wird man Ihre Partei nicht über den Berg bringen. Auf Legendenbildungen, Herr Bundeskanzler, wird man keine gedeihliche Regierungsarbeit gründen können.

    (Beifall bei der SPD — Frau Pack [CDU/ CSU]: Ja, sehr richtig!)

    Sie haben keinen guten Start gehabt; dies war kein überzeugender Neubeginn.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Sie wissen doch selber, daß der Kanzler einen glänzenden Start hatte!)

    Der kann j a auch nicht gelingen, wenn man sich der Verantwortung nicht hinreichend stellt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sag doch mal was Neues! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer Helmut Schmidt gestürzt hat, obwohl er versprochen hatte, ihn zu stützen, sollte der Öffentlichkeit nicht einreden wollen, ausgerechnet die Sozialdemokraten hätten ihren Bundeskanzler im Stich gelassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Wie war es denn beim SPD-Vorsitzenden! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Aus dieser Verdrehung kann auch durch serienhafte Wiederholung keine Wahrheit werden.

    (Beifall bei der SPD — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Regierung als Regierung der Mitte — ich komme Ihnen entgegen und sage: der rechten Mitte — vorgestellt. Ich habe vor 14 Tagen von dieser Stelle aus von unserem Bemühen gesprochen, in einer sich wandelnden Gesellschaft und bei nicht gleichbleibender Bewußtseinslage der Menschen immer wieder der neuen Mitte nachzuspüren. Ich habe von der Verankerung in der Mitte der sozialen Solidarität gesprochen. Ich will das heute nicht weiterführen, sonst könnten die Mitbürger uns noch für Leute halten, die Politik mit Gesäßgeographie verwechseln,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    als handelte es sich darum, daß die breiten Hintern der einen von den noch breiteren Hintern der anderen weggedrückt würden.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD — Dr. Marx [CDU/CSU]: Ein schöner Stil! — Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Ein echter Brandt!)

    Nein, der Begriff „Mitte" kann vernünftigerweise nur dies bedeuten: sich um jenen Punkt zu bemühen, an dem der einzelne für sich und, wenn es geht, mit seinen Freunden das Für und Wider der Argumente zur Entscheidung bringt. Mitte ist insoweit weder Stand- noch Sitzort, sondern Fähigkeit zum Ausgleich.

    (Beifall bei der SPD)

    In diesem Sinne der Mitte zugehörig ist, wer für sich — und wenn er es kann, mit anderen — Entscheidungen so abwägt, daß er sich, so gut es geht, von Vorurteilen freimacht und die Prämissen der Entscheidungsfindung nicht unter den Verdacht des Vorurteils stellt.
    Herr Bundeskanzler, der eigentliche Neubeginn kann allerdings erst kommen, wenn die Wähler ihren Auftrag neu formulieren und, wie ich hoffe und wofür wir streiten, dafür sorgen, daß die Sozialdemokraten als stärkste Fraktion in diesen Bundestag zurückkehren.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Wunschdenken!)

    Meine Kollegen aus der Fraktion haben während dieser Debatte gezeigt, daß wir nicht nur die uns neu aufgetragenen Pflichten annehmen, sondern daß wir uns auf unsere Weise bemühen, und zwar sehr ernsthaft, uns den Herausforderungen dieses Jahrzehnts entschlossen zu stellen.

    (Graf Stauffenberg [CDU/CSU]: Auf Ihre Weise!)

    — Ja, glauben Sie, es gäbe nur eine Weise, verehrter Zwischenrufer?

    (Graf Stauffenberg [CDU/CSU]: Sie haben gezeigt, was Ihre Weise ist!)

    Das ist ja das Totalitätsdenken, von dem wir wegkommen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier kann doch der eine und der andere nur ringen, um dem, was wahr ist und richtig für unser Volk, so nahe wie möglich zu kommen. Ich habe doch nicht gesagt, daß ich die Wahrheit gepachtet habe.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)




    Brandt
    Aber ich widerspreche, wenn Sie so tun, als hätten Sie sie gepachtet.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Meine Freunde haben hier deutlich gemacht — ich will es nachdrücklich unterstreichen —: Wir stellen uns der neuen Aufgabe, übrigens auch als die demokratische Unruhe, die unser Volk braucht. Ich will das nachdrücklich unterstreichen, was hier gesagt worden ist, worum es uns geht. Es geht darum, erstens Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Frieden zu sichern,

    (Beifall bei der SPD)

    zweitens den liberalen Rechtsstaat zu verteidigen und, wo es notwendig ist, auszubauen,

    (Beifall bei der SPD)

    drittens den Frieden in Europa und in der Welt sicherer zu machen. Dies ist der Kern der zwölf Punkte, die Helmut Schmidt hier am 1. Oktober vorgetragen hat, denen wir ausdrücklich zugestimmt haben und die sich in das einfügen, was die SPD als Ergebnis ihrer Meinungsbildung beschlossen hat und was hier vorgestern und gestern und auch noch heute früh vielfach verdreht und verfälscht oder sogar verteufelt worden ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Ob es anderen paßt oder nicht: Die Sozialdemokratie wird sich als eine große politische Kraft erweisen — erneut —, die sich den neuen Herausforderungen aufgeschlossen und kraftvoll stellt und die sich nicht mit dem Rückgriff auf alte Rezepte der jetzt gestellten Verantwortung entzieht.
    Die auf bekannte Weise — ich will darauf nicht noch einmal eingehen — zustande gekommene Übergangsregierung hat hier nicht glaubhaft machen können, daß sie die Zeichen der Zeit hinreichend verstanden hätte.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei bezweifle ich keinen Augenblick, daß es dem Bundeskanzler, daß es Ihnen, Helmut Kohl, ernst ist mit dem, was Sie aus Ihrer Sicht zur geistig-politischen und zur politisch-moralischen Orientierung vorgetragen haben. Darin steht manches, was ich als Sozialdemokrat nicht überhören kann und worauf wir gern bei allem, was uns trennt, zurückkommen werden — übrigens auch gerade mit zur Bestimmung des schwierigen Verhältnisses zwischen Individuum, Staat und Gesellschaft und zur rechten Zuordnung von Solidarität und Subsidiarität. Doch ich muß offen sagen, die eher konturlosen Sinnsprüche von einem „Staat mit menschlichem Antlitz" und vom „seelischen Wohlergehen unseres Volkes" helfen jetzt wenig weiter.

    (Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Die haben Sie nur nicht begriffen! — Weitere Zurufe)

    Diese Sinnsprüche, Herr Bundeskanzler, ersetzen jedenfalls keine Antwort auf ganz reale Herausforderungen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Und nun füge ich, bewußt zugespitzt, hinzu: Was Sie, die neue Koalition, hier in Gang setzen: Ihr Strickmuster, Herr Bundesminister Blüm — wenn Sie die Güte hätten, mir zuzuhören —, vernachlässigt auf entscheidenden Gebieten das Gebot der Solidarität.

    (Beifall bei der SPD)

    Vorsicht ist ohnehin immer dann geboten, wenn es die Mächtigen und die Reichen oder die sind, die sich zu ihrem Sprecher machen lassen,

    (Beifall bei der SPD)

    die an die Schwächeren und Ärmeren appellieren, Wir-Gefühle zu entwickeln

    (Beifall bei der SPD)

    und sich im Interesse des Gesamtwohls zurückzuhalten, d. h. in diesem einseitigen, ja pervertierten Sinne solidarisch zu sein.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wenn die kleinen Leute ihren Anspruch auf Teilhabe am allgemeinen Wohl geltend machen, dann darf man das eben nicht — wie es auch heute früh so schrecklich durchklang — als Ausfluß einer totalen Anspruchsmentalität denunzieren wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Man darf, Herr Bundeskanzler und an die Adresse welchen Ministers das auch gerichtet sein mag, den Leistungswillen der materiell Starken nicht im umgekehrten Verhältnis zur Höhe ihres Einkommens in Anspruch nehmen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist nicht solidarisch, wenn man den kleinen Leuten dauerhafte Lasten aufbrummt und die Reichen mit kleinen Verzichten davonkommen läßt, deren Gegenwert sie außerdem noch bald zurückbekommen sollen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Es ist eben nicht solidarisch, wenn man bei der Mitbestimmung und bei der Humanisierung der Arbeitswelt dem Stillstand oder gar dem Abbau das Wort redet.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn eine solche Haltung könnte die Rückkehr zum Herr-im-Hause-Standpunkt bedeuten.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen, meine Kollegen von der Union und die, die es aus der FDP angeht — es sind ja nur einige, die dies aus der FDP angeht —: Es heißt falsch Zeugnis reden, wenn man unserem Volk einreden will, die Regierung der sozialliberalen Koalition habe die Bundesrepublik in eine Insel des



    Brandt
    Elends inmitten eines Meeres von Wohlstand verwandelt.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Wer sagt denn das? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Jeder sollte wissen, daß das nicht stimmt. Dann soll man es auch nicht so sagen und das Volk verdummen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: „Falsch Zeugnis reden"!)

    — Ich weiß, das tut Ihnen weh. Ich kann es Ihnen nicht ersparen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das hat niemand gesagt! Sie drehen das Wort im Munde herum! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Es ist falsch Zeugnis, wenn man bestreiten will, daß die materielle, soziale und rechtliche Stellung der deutschen Arbeitnehmer, natürlich wesentlich mit Hilfe ihrer Gewerkschaften, entscheidend gestärkt worden ist, seit die Sozialdemokraten vor 16 Jahren in Bonn Regierungsverantwortung übernommen haben.

    (Beifall bei der SPD — Graf Stauffenberg [CDU/CSU]: Wer hat denn die Arbeitslosigkeit verursacht?)

    Niemand wird uns daran hindern können, den deutschen Arbeitnehmern und allen anderen, die es angeht, jeden Tag von jetzt ab bis zum 6. März die Tatsachen über die wirklichen Zusammenhänge darzulegen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bitte meine Freunde überall in der Bundesrepublik, sich jetzt hinreichend auf diesen Wahlkampf, der ins Haus steht, vorzubereiten.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: „Holzen"!)

    Wir werden den Arbeitnehmern und allen anderen, die es angeht, auch darlegen, was hier gegen wen durchgesetzt werden mußte,

    (Beifall bei der SPD)

    leider also wohl auch in Zukunft durchgesetzt werden muß,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    und auch darüber, daß denjenigen, die den solidarischen Gedanken verhöhnen, nicht viel mehr einfällt, als daß sie von anderen fordern, den Gürtel enger zu schnallen.

    (Beifall bei der SPD — Kiechle [CDU/ CSU]: Die Wahrheit muß sich wieder durchsetzen!)

    Seit 1966, seit Sozialdemokraten in Bonn Regierungsverantwortung tragen, zunächst mit den Christdemokraten, seit 1969 mit den Freien Demokraten, ist für die Arbeitnehmer eine Menge er-
    reicht worden. Das können Sie hier auch nicht wegzaubern.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Zwei Millionen Arbeitslose!)

    1965 betrug der durchschnittliche Nettojahresverdienst eines Arbeitnehmers 7 731 DM.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Und die Arbeitslosigkeit?)

    1980 waren es 21 177 DM. Nach Abzug der Preissteigerungen bleibt eine reale Zunahme der Kaufkraft des Lohnes von 51% in 15 Jahren.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Und wie ist es mit der Staatsverschuldung?)

    Zweitens. Es gibt seit dieser Zeit den Anspruch auf arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung für kranke Arbeitnehmer. Dabei soll es auch bleiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Die Renten haben sich in dieser Zeitspanne nominal um 143 % erhöht. Die reale Kaufkraft der Renten stieg im Schnitt um 50 %.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Viertens. Neue Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sind zumal durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 eingeführt worden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Marx [CDU/CSU]: Und die Arbeitslosigkeit?)

    Die Rechte des Betriebsrats wurden wesentlich erweitert, die Jugendvertretung ausgebaut, eine starke Stellung der Gewerkschaften verankert. Das war richtig, und das muß so bleiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Fünftens. 1969 haben 47,8% der Haushalte eine Urlaubsreise von fünf und mehr Tagen unternommen. In diesem Jahr sind es 70,3 %.
    Sechstens — ich kann keinen vollständigen Katalog aufmachen. Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld wurden auf 68%, Arbeitslosenhilfe auf 58 % erhöht. Der Mutterschaftsurlaub wurde erweitert. Wir sind stolz, daß dies möglich gewesen ist.
    Meine Damen und Herren, auch wenn dies nur eine Übergangsregierung ist, — —

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Sagen Sie auch etwas zu den Schulden!)

    — Ich komme gleich darauf. Warten Sie einen Augenblick.

    (Kiechle [CDU/CSU]: Und die Arbeitslosigkeit? Und die Pleiten?)

    Wir werden bei allen Vorbehalten und Gegensätzen der neuen Regierung helfen, wo wir meinen, daß ihre Maßnahmen hilfreich sein können, um die Beschäftigungsprobleme weniger drückend zu machen. Andernfalls werden wir unsere alternativen Vorstellungen erarbeiten, an denen sich die Regierung messen kann. Wir werden unsere Gemeinwohlpflichten dort wahrnehmen, wo uns der Wähler



    Brandt
    und wo uns die Regeln der parlamentarischen Demokratie hinstellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Natürlich ist es zutreffend, daß nicht die Wirtschaftskrise von der sozialen Sicherheit kommt, sondern daß sich die Probleme der sozialen Sicherheit und ihrer Finanzierung aus der Krise ergeben, aus der Arbeitslosigkeit,

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    von der Sie so tun, als sei sie ein deutsches Phänomen, vom Grafen Lambsdorff und anderen produziert.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Das ist doch ein Witz!)

    Ich beschreibe unsere Haltung für die nächsten Monate. Wir werden nicht die Fehler nachmachen, die uns die CDU/CSU in ihrer Opposition der letzten über 13 Jahre vorgemacht hat. Dies geht aber nur, wenn die bis zur Hetze gesteigerte Desinformation zur Erblast aufhört,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    die ja nur die Funktion hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie Spiegelfechter!)

    Schwierigkeiten auf das selbstgemachte Feindbild lenken zu können

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie beschreiben sich selbst!)

    und Volksverdummung — ich wiederhole das Wort: Volksverdummung —

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Harken" und „holzen"!)

    in dem Sinne zu betreiben, als habe die Regierung Schmidt/Genscher die Arbeitslosigkeit produziert. Sie wissen, daß das nicht wahr ist.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Soweit sich, meine Damen und Herren, das Wort von der Erblast auf die Staatsfinanzen bezieht, ist jede Kritik seitens der neuen Koalition nur dann glaubwürdig und nur insofern glaubwürdig und mehr als der Aufbau von Feindbildern, als es zugleich selbstkritisch ist. Meine Kollegen Zurufer von vor ein paar Minuten, hat die bisherige Opposition nicht 13 Jahre lang höhere Ausgaben gefordert,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    dem Staat Einnahmen verweigert und die Kreditfinanzierung verteufelt?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Diese Verweigerung der Rolle einer großen Opposition war nicht gut. Wir werden das nicht nachmachen. Aber wir wollen es uns auf den Oppositionsbänken natürlich auch nicht zu bequem machen;
    denn wir gedenken, mit Hilfe unserer Mitbürger dort nicht allzulange sitzen zu bleiben.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Sie wären als Kanzlerkandidat ein Gewinn!)

    Ich habe soeben schon anklingen lassen, meine Damen und Herren: Rezepte aus der Zeit des Wiederaufbaus können die gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht beheben. Auch Beschwörungen dessen, was mit dem Namen und der Leistung von Professor Ludwig Erhard verbunden bleibt, können uns jetzt nicht helfen. Unser Land ist mehr als jedes andere in die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge eingebettet.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Haben Sie das auch schon gehört?)

    Das werden auch diejenigen noch lernen und zugeben müssen, die heute so tun, als lebten sie allein auf der Welt und könnten allein alles besser machen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Wo waren Sie denn gestern, als wir darüber diskutierten?)

    Wer das besser machen will, was durch nationale Anstrengung besser gemacht werden kann, der darf jetzt nicht eine deflationistische Haushaltspolitik zur Schrumpfung der Nachfrage machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn dies würde mit Sicherheit nicht zur Belebung der Investitionstätigkeit führen. Wir brauchen neben privaten Investitionen auch eine nachdrückliche Förderung öffentlicher Investitionen. Wir brauchen — differenziert und ausgerichtet am Produktivitätsfortschritt — auch weitere Verkürzungen der Arbeitszeit. Wir brauchen auch eine organische Beteiligung der Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivvermögens. Meine Damen und Herren, Anstrengungen der öffentlichen Hände müssen dazu beitragen, daß ein langfristiger, qualitativer Wachstumsbeitrag geleistet wird. Damit meinen wir Ausgaben für berufliche Qualifikation,

    (Frau Fischer [CDU/CSU]: Wo waren die in den letzten 13 Jahren eigentlich?)

    Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Technologie, für Innovationsförderung und für das Einsparen von Energie.
    Der Schutz der natürlichen Umwelt bedarf natürlich internationaler Anstrengungen und Verträge, wenn man allein an die Flüsse denkt. Aber man muß ja auch an die sauren Regen denken, mit denen wir anderen und andere uns etwas zufügen. Aber wir brauchen jetzt ganz gewiß auch eine neue nationale umweltpolitische Offensive.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer weiß, wie es in vielen unserer Städte heute um das Trinkwasser bestellt ist, wer weiß, daß unsere Wälder sterben — es gibt ein altes deutsches Wort: Wo der Wald stirbt, stirbt das Volk —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nach euren 13 Jahren!)




    Brandt
    der kann nicht überhören, was von uns erwartet wird, um Ökonomie und Ökologie in ein neues Gleichgewicht zu bringen.

    (Borchert [CDU/CSU]: 13 Jahre haben Sie Zeit gehabt!)