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    Plenarprotokoll 9/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7417 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7417 B Glombig SPD 7425 B Kroll-Schlüter CDU/CSU 7433 B Lutz SPD 7436 D Cronenberg FDP 7438 C Brandt SPD 7442 B, 7463 D Mischnick FDP 7451 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 7459 D Hölscher FDP 7464 A Dr. Vohrer FDP 7466 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7470 A Erklärungen nach § 30 GO Jung (Kandel) FDP 7468 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7469 B Dr. Ehmke SPD 7469 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — Drucksache 9/1909 — 7470 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde — Drucksache 9/1987 — 7470 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes — Drucksache 9/2034 — 7470 C Beratung der Sammelübersicht 44 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/1995 — 7470 C Beratung der Übersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/2005 — 7470 D Nächste Sitzung 7470 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7471"A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 7471"C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Oktober 1982 7417 123. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 15. 10. Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Austermann 15. 10. Dr. Bardens 15. 10. Beckmann 15. 10. Bredehorn 15. 10. Breuer 15. 10. Brunner 15. 10. Coppik 15. 10. Dallmeyer 15. 10. Dörflinger 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Dr. Götz 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Kolb 15. 10. Dr. Kreile 15. 10. Kühbacher 15. 10. Lowack 15. 10. Magin 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Reddemann ** 15. 10. Regenspurger 15. 10. Repnik 15. 10. Reschke 15. 10. Rosenthal 15. 10. Sauter (Ichenhausen) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 15. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. von Schoeler 15. 10. Schröder (Wilhelminenhof) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Schwenk (Stade) 15. 10. Dr. Solms 15. 10. Volmer 15. 10. Wallow 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. Dr. Wieczorek 15. 10. Frau Dr. Wisniewski 15. 10. Zywietz 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1982 mitgeteilt, daß die dem Ausschuß gemäß § 92 der Geschäftsordnung überwiesene Aufhebbare Dreiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/1764) auf Grund der politischen Ereignisse im Ausschuß nicht fristgerecht habe beraten werden können. Ein Bericht werde daher nicht vorgelegt. Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Nichtaufhebbare Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksache 9/2007) Zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zur Förderung der kombinierten Erzeugung von Wärme und Kraft - (Drucksache 9/2010) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 35 11 Tit. 698 02 - Abgeltung von Schäden - (Drucksache 9/2020) zuständig: Haushaltsausschuß
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    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich möchte auch den Damen und Herren der SPD einmal den ganzen Katalog dessen vorführen, was möglich ist. Dann sollten wir in Ruhe abwarten, wie die Arbeitnehmer an den Werkbänken und Schreibtischen über Ihre Politik und über meine denken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn Sie wollen, kann ich eine ganze Liste von Gewerkschaften aufmachen, die zu solcher Tarifpolitik fähig waren. Übrigens verweise ich noch einmal auf das große Beispiel von Otto Brenner, den ich nur mit großem Respekt nennen kann.

    (Westphal [SPD]: Und was ist mit den Unternehmern?)

    Niemand verlangt von den Gewerkschaften, für nichts einen Verzicht zu leisten. Ausbildungs- und Arbeitsplätze wären eine Gegenleistung, Verzicht auf den Tabu-Katalog, Preisstabilität. Ich kenne die Frage: Wie erreichen Sie dies? Nun, der Sachverständigenrat hat schon vor Jahren vorgeschlagen, Tarifverträge mit Nachverhandlungsklauseln abzuschließen, um den Gewerkschaften nicht zuzumuten, die Katze im Sack zu kaufen, von den Ereignissen überrollt zu werden.
    Es ist nur notwendig, neue Wege zu beschreiten. Ich habe etwas dagegen, wenn in der Theorie immer über neue Wege geschrieben und gestritten wird. Aber wehe, jemand wagt es, einmal neue Wege in der Praxis einzuschlagen: Schon fallen alle über ihn her. Ich fürchte nur, die alten Wege führen in die Sackgasse. Wir brauchen neue Wege, um aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bin auch ganz gelassen, was die öffentliche Diskussion anbelangt. Die Arbeiter an den Werkbänken, an den Schreibtischen haben längst begriffen, daß die Lohnerhöhung relativ wenig über ihren Lebensstandard aussagt. Was nützt eine Lohnerhöhung von 6 %, wenn anschließend die Preise um 5 % steigen, die Steuer mehr als vorher abkassiert? Und was dann von der Lohnerhöhung noch nicht aufgezehrt ist, das geht für die hohen Arbeitslosenversicherungsbeiträge drauf. Die Arbeiter haben längst kapiert, daß die nominalen Lohnabschlüsse relativ wenig über die realen Verhältnisse aussagen.
    Ich bin ebenso gelassen und sicher wie die Abstimmung ausgeht, wenn die Arbeitnehmer bei der AEG an der Brunnenstraße in Berlin die Wahl hätten, ihren Arbeitsplatz zu sichern und dafür vorübergehend auf Lohnerhöhungen zu verzichten oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Da brauche ich kein Meinungsbefragungsinstitut. Das kann ich Ihnen sagen: Die Mehrheit wäre auf unserer Seite, die überwiegende Mehrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Dr. Ehrenberg [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Lassen Sie mich den Zusammenhang herstellen. Bei Funktionären mag das anders aussehen. Natürlich braucht die Gesellschaft Funktionäre. Aber ich gebe den guten Ratschlag, daß auch die Funktionäre sich nicht das Monopol anmaßen, sie wüßten immer alles, was die Arbeiter denken und wollen. Vor diesem Hochmut warne ich. Hochmut kommt bekanntlich vor den Fall.
    Im übrigen: Ich bin auch nicht der Arbeitsminister der Funktionäre; ich bin der Arbeitsminister der Arbeitnehmer, der Unternehmer, all derer, die



    Bundesminister Dr. Blüm
    1 arbeiten und der Behinderten, der Arbeitslosen; deren Arbeitsminister bin ich in erster Linie.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich habe hier keine Funktionärsbeschimpfung vorgenommen. Man darf nie mit Kollektivurteilen arbeiten.

    (Zuruf von der SPD: Alaaf!)

    — Ich weiß auch nicht, was es hier „Alaaf" zu schreien gibt, wenn ich Ihnen ein Zitat von Karl Haunschild vorlese, einem bedeutenden Gewerkschaftsführer, dem Vorsitzenden der IG Chemie. Er sagt:
    Ich glaube aber, daß mehr und mehr gescheite Arbeitnehmer — und ich halte die Mehrzahl der Arbeitnehmer für gescheit —, wenn man mit ihnen vernünftig diskutiert, zu verstehen beginnen, daß die Bäume der Lebensstandardsteigerung nicht mehr in den Himmel wachsen.
    Es hat sich längst herumgesprochen, und es hat gar keinen Sinn, die Wahrheit zu verheimlichen.
    Warum wir dies alles brauchen? Wir brauchen Geld für Arbeitsplätze, und zwar für moderne Arbeitsplätze, damit wir konkurrenzfähig bleiben. Die 15 000 Unternehmen, die in diesem Jahr zugemacht haben, haben nicht zugemacht, weil die Unternehmer alle versagt hätten — da kann ich nur sagen: 1969 waren es nur 3 800 Unternehmen, die zugemacht haben — sondern die haben zum überwiegenden Teil zugemacht, weil entweder die Kosten
    ) zu hoch waren oder weil sie auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig waren, weil sie nicht die modernste Technologie hatten, um auch auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Dafür brauchen wir Geld. Dafür müssen auch die Zinsen gesenkt werden, damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Je moderner, um so teurer sind die Arbeitsplätze. Und je moderner, um so sicherer sind sie auch für die Zukunft.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Gestatten Sie mir, daß ich die Nennung derjenigen, die zu dieser Frage Stellung genommen haben, ohne Ihre Unterbrechung zu Ende bringe.
    Gestern ist die EKD-Denkschrift „Solidargemeinschaft von Arbeitenden und Arbeitslosen" veröffentlicht worden, eine bedeutsame Denkschrift. Ich bitte Sie alle, sich mit etwas mehr Gelassenheit anzuhören, was die Kirchen den Gewerkschaften und Arbeitgebern sagen. Von den Arbeitgebern verlangt die Studie, Entlassungen als allerletzte Konsequenz zu behandeln und bei der Preisgestaltung Zurückhaltung zu üben. Ich nenne das Atempause. Von den Gewerkschaften fordert die Evangelische Kirche Deutschlands — ich zitiere —, „bei den Tarifauseinandersetzungen sich nicht auf Einkommenszuwachs zu fixieren, sondern die Arbeitslosigkeitsproblematik entscheidend mit einzubeziehen".

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Atempause!)

    Ich nenne das Atempause.
    Die Polemik schreckt mich nicht, die gerade aus sozialdemokratischer Ecke mir entgegengebracht wurde. Ich komme nicht auf dem hohen Roß daher. Ich gehe zu Fuß, aber nicht unbewaffnet. Merken Sie sich das!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Da lese ich im Sozialdemokratischen Pressedienst:

    (Löffler [SPD]: Sie sind ein echter Berliner: Große Schnauze ist seine Waffe!)

    — Das ist ein Kompliment. Ich bedanke mich sehr für das Kompliment. — Ich darf den Kollegen Rappe zitieren. Er sagt:
    Ich bedaure, daß gleich zu Beginn der Bundesarbeitsminister Hoffnungen zerstört, die man in ihn gesetzt hat. Nach seinen Ankündigungen tiefer sozialer Einschnitte und seinem Appell zugunsten einer Lohnpause gibt es nun keine Vertretung von Arbeitnehmern im Kabinett Kohl mehr.
    Ich frage Sie: Wer entscheidet eigentlich, wer Arbeitnehmer vertritt? Haben wir neue Päpste in diesem Parlament, die entscheiden, wer Arbeitnehmerinteressen vertritt?

    (Zurufe von der SPD — Abg. Westphal [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Kollege Westphal, lassen Sie mich diese Antwort zu Ende bringen.
    Ich möchte den Kollegen Rappe bitten, darauf zu achten: Wer im Glashaus sitzt, der soll nicht mit Steinen werfen. Wer hat denn am 9. September 1982 um 8. 18 Uhr im Saarländischen Rundfunk die Frage: Sie meinen also, man müßte zu einer nettobezogenen Rente kommen? beantwortet mit — ich zitiere —:
    Ja, wir müssen zu einer nettolohnbezogenen Rente kommen.
    Das war nicht Blüm (CDU/CSU), das war Rappe (SPD).

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Sie erregen sich darüber, daß die Investitionsanleihe zu gering sei. Ich kann nur sagen: Sie haben immer nur geredet. Diese Anleihe ist mehr als das, was Sie zustande gebracht haben. Sie haben nämlich nichts zustande gebracht. Wenig ist immer noch mehr als nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei allen sozialen Kürzungsmaßnahmen, die Sie vorgesehen haben, gab es an keiner Stelle Einkommensgrenzen. Sie haben die Höher- und Besserverdienenden bei den Kürzungen im Sozialbereich völlig ungeschoren gelassen. Sie sind mit der Heckenschere vorwärtsmarschiert.

    (Dr. Spöri [SPD]: Das ist doch atemberaubend! Sie wissen doch, wo der Bremser sitzt, da drüben!)




    Bundesminister Dr. Blüm
    Wir lassen, obwohl uns das schwerfällt, auch im sozialen Bereich Unterschiede, wem mehr Opfer zugemutet werden können und wem weniger.
    Da Sie, meine Damen und Herren, jetzt, zu Beginn unserer Legislaturperiode das Wort Mitbestimmung erwähnen: Wo waren Sie eigentlich, als Franz Josef Strauß — die CDU/CSU die Montanmitbestimmung sichern wollte? Da mußte man Sie doch auf dem Meeresboden suchen. Da waren doch alle Gewerkschaftler verschwunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Lassen Sie mich die gesamte Liste zu Ende bringen. Eine Partei, die mit den Grünen poussiert, läßt die Arbeiter im Stich. So ist das nun einmal.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Roth hat gestern gesagt, wir hätten die neue soziale Frage vergessen, und er hat dagegen polemisiert. Nein, Sie haben die alte soziale Frage wieder zum Leben erweckt. Wir müssen erst wieder die alten sozialen Fragen beantworten — Arbeit für jedermann —, bevor wir zu dem kommen, was eigentlich der Stil und die Aufgabe unserer Politik sind. Wir haben für Arbeit zu sorgen; denn um eine Sozialpolitik gestalten zu können, müssen wir davon ausgehen, daß jedermann Arbeit hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich bin für jede Diskussion, auch für jeden Streit zu haben. Das ist der Reiz der Demokratie. Wir werden sicherlich noch viel zu streiten haben. Aber, meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn es uns in allem Streit, auch in aller harten Auseinandersetzung gelingen würde, einen Konsens über die Grundlage unserer Sozialpolitik herzustellen. Herr Kollege Glombig hat vor wenigen Wochen aufgerufen zu einer neuen Anstrengung, den Konsens herzustellen. Ich habe ihm damals aus der Sicht eines Mitglieds der Oppositionspartei zugestimmt. Inzwischen haben unsere Rollen gewechselt. Ich bleibe bei der Bereitschaft,

    (Löffler [SPD]: Dann reden Sie anders!)

    bei allem Streit zu versuchen, gemeinsame Grundlagen festzuhalten; denn die Sozialpolitik braucht Sicherheit und Beständigkeit. Sie kann nicht bei jedem Regierungswechsel wieder bei Null beginnen.
    Ich möchte für meinen Teil als Beitrag unsererseits den Vorschlag zur Diskussion stellen, ob wir uns nicht auf den Weg machen sollten, die soziale Sicherheit, soweit es geht, zu entstaatlichen. Das heißt nicht, sie zu privatisieren, sondern sie der solidarischen Selbsthilfe zu übergeben. Gliederung und Überschaubarkeit schaffen überhaupt erst Spielräume für Selbstverwaltung. Ich finde, der Sozialpolitik kann nichts Besseres passieren, als daß sie von der Hektik eines Gesetzgebers abgehängt wird, der ständig Veränderungen bringt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir müssen — Herr Westphal hat es kritisiert, Herr Apel hat es kritisiert — aus Betroffenen Beteiligte machen. Ich verstehe gar nicht, wie dieser Satz der Kritik würdig sein kann. Das ist die ganze Philosophie der Mitbestimmung, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Das ist die Philosophie der Selbstverwaltung. Wer gegen diesen Satz polemisiert, polemisiert gegen Mitbestimmung und Selbstverwaltung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube nicht an die Allmacht und die Allwissenheit des Staates. Unser Zutrauen zur Lebensklugheit der Betroffenen ist größer als das Zutrauen zur Weisheit des Staates. Wir schätzen die Erfahrungen aus der Praxis mehr als die Kenntnisse der großen Apparate. Sozialpolitik sollte lebensnah sein. Wir wollen eine Sozialpolitik ohne Vormundschaft, eine Sozialpolitik, die den aufrechten Gang ermöglicht, eine Sozialpolitik, die vom Gängelband des Staates abgeschnitten wird.
    Heute ist es ja so: Der Staat beschließt Gesetze und die Sozialversicherung bezahlt sie. Das ist die bequemste Arbeitsteilung. Wir wollen, daß Kompetenz und Konsequenz wieder vereint werden,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    daß diejenigen, die die Kompetenz haben, auch die Konsequenzen tragen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deshalb werden wir die Trennlinien zwischen staatlichen Aufgaben und Aufgaben der Sozialversicherung schärfer ziehen. Wenn der Staat, der Gesetzgeber, aus Zweckmäßigkeitsgründen der Sozialversicherung Aufgaben überträgt, muß er das Geld mitliefern; oder er muß, wenn er das Geld nicht hat, darauf verzichten, diese Aufgaben abzugeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen die Beziehungen zwischen Staat und Sozialversicherung und zwischen den Sozialversicherungen auf verläßliche Kriterien gründen, auf verläßliche Kriterien, die gegen Manipulation geschützt sind. Deshalb ändern wir die Bemessungsgrundlage in der Arbeitslosenversicherung, für die Berechnung der Rentenversicherungsbeiträge; Sie sollen sich an der Höhe des Arbeitslosengeldes orientieren. Es ist nicht eine Bemessungsgrundlage, die von Rechenkünstlern erfunden wurde, sondern eine Bemessungsgrundlage, die in der Sache gerechtfertigt ist. Wir wollen die Lohnersatzfunktion in allen Sozialversicherungsbereichen als den Orientierungsmaßstab nehmen, nach dem Leistungen an andere Versicherungen bemessen werden.
    Wir wollen das gegliederte System aufrechterhalten und wollen im gegliederten System einen Wettbewerb der Sparsamkeit, einen Wettbewerb der Ideen initiieren. Dazu ist es notwendig, daß sparsame Haushaltsführung auch honoriert wird. Ein überdimensionierter Finanzausgleich zwischen verschiedenen Kassen nimmt der Selbstverwaltung den Spaß am Sparen;

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Blüm
    denn sollte sie gespart haben, ist der Finanzklau nicht weit, nimmt das Geld und trägt es zu einer anderen Kasse. Wir wollen ein gegliedertes System der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
    Wir werden in der Sozialpolitik das Prinzip „Leistungsgerechtigkeit" stärken. Wo immer es Spielräume für das Prinzip „Leistung für Gegenleistung" gibt, werden wir diese Spielräume erweitern.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Das ist in der Rentenversicherung so, und es wird auch beim Arbeitslosengeld so sein, weil ich denke, dies ist nicht nur ein Unterschied in Mark und Pfennig, sondern dies ist ein Unterschied in Sachen Selbstachtung der Empfänger von Sozialleistungen. Denn es macht einen großen Unterschied aus, ob die Sozialleistungen als staatliches Geschenk oder als Gegenleistung für eigene Leistung angesehen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch deshalb werden wir diesem Leistungsgedanken Rechnung tragen und werden die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach der Dauer der Beitragsleistung bemessen. Auch hier gilt das Prinzip: Wer mehr geleistet, also länger gezahlt hat, kann auch länger Arbeitslosengeld beziehen.
    Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Thema „Mißbrauch", das j a sehr aktuell ist,

    (Zuruf von der SPD: Für Sie!)

    sagen. Ich warne uns alle davor, mit Kollektivurteilen zu arbeiten. Unser Volk ist kein Volk von Kriminellen, kein Volk derjenigen, die Mißbrauch üben. Mißbrauch ist die Ausnahme. Dennoch muß der Mißbrauch bekämpft werden, denn in Zeiten knapper Kassen ist er doppelt herausfordernd. Mißbrauch der Sozialversicherung ist Diebstahl an den Kollegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen den Mißbrauch treffsicher bekämpfen, aber nicht alle über einen Kamm scheren. Deshalb scheint uns der Vertrauensarzt die beste Institution zu sein, wenn es darum geht, Mißbrauch in der Krankenversicherung zu bekämpfen.
    Unser Mißbrauchsverdacht richtet sich gegen jedermann. Alle sind Menschen, und überall gibt es die Ausnahme des Mißbrauchs. Deshalb werden wir auch Ärzte, die Gefälligkeitsatteste ausstellen, mit Bußgeldern belegen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Auch hier arbeiten wir nicht mit Kollektivurteilen,

    (Zurufe von der SPD)

    weil auch wir wissen, daß dies die Ausnahme ist.

    (Zuruf von der SPD: Sprüche!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das Thema „Mißbrauch" ausweiten. Ich halte Aussteiger für Ausbeuter. Aussteiger, die sich die Philosophie zurechtlegen, sie seien Selbstversorger, müssen
    sich die Frage der Arbeiter gefallen lassen: Und wer soll die Rentner mitversorgen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) wer soll die Behinderten mitversorgen?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn jeder nur noch für sich selbst sorgt, gibt es keine Mitmenschlichkeit, gibt es keine Solidarität, gibt es keine Hilfe für die Schwachen. Wenn diese Aussteigerphilosophie noch mit der Sicherheit vorgetragen werden kann, daß im Notfall der Rettungswagen der Sozialhilfe bereitsteht, erweist sie sich als doppelt und dreifach egoistisch, selbst wenn sie mit hohem sozialen Pathos vorgetragen wird.
    Ein weiterer Punkt unserer Sozialpolitik wird die Differenzierung sein. Ich glaube, für Uniformierung besteht weder Nachfrage noch Nachschub. Wir werden die Arbeitszeitordnung so gestalten, daß mehr Wahlmöglichkeiten für den einzelnen enthalten sind. Wir können den technischen Fortschritt auch zur Individualisierung von Arbeitszeiten nutzen. Wenn einer nur vier Stunden arbeiten will, warum zwingen wir den zu einem Acht-Stunden-Arbeitstag? Wenn einer mit 60 in die Rente gehen will, warum nicht? Er muß nur bereit sein, dieses frühzeitige Ausscheiden nicht der Rentenversicherung zu übertragen; denn sonst würde der 65jährige Arbeiter dem 60jährigen Rentner die Rente bezahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden die Politik der Eigentumsbildung verstärken, weil wir darin Eigenverantwortung sehen, auch ein Instrument der Machtverteilung, und weil wir glauben, wenn wir an Investitionen interessiert sind — und wir sind interessiert —, dann dürfen nicht nur die investieren, die bisher immer investiert haben, sondern auch diejenigen, die es bisher nicht konnten. Insofern ist die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand auch ein Akt der Balance zu dem, was wir als Investitionsanleihe anbieten.
    Meine Damen und Herren, soziale Verantwortung, wie wir sie verstehen, kann keine Gesellschaft ertragen, in der alles von den anderen geleistet wird. Schuld und Versagen zu eliminieren ist kein menschlicher Fortschritt, Fehler dürfen nicht belohnt werden, sonst lohnt sich Anstrengung nicht mehr. Anstrengung und Leistung dürfen allerdings nicht auf den Erwerb, auf die herkömmliche Arbeit beschränkt werden. Was die Mutter zur Erziehung leistet, ist eine ebenso hohe Arbeitsleistung wie jede andere. Deshalb werden wir, wenn wir eine Rentenreform durchführen, sie nur dann mit dem Wort Reform belegen können, wenn wir auch die Erziehungszeiten berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir versprechen nichts; wo kein Geld ist, können wir keine weiteren Schritte unternehmen. Ich warne vor einer Politik des Etikettenschwindels. Reform ist nur Reform, wenn in der Tat das Unrecht gegenüber jenen Mitbürgerinnen beseitigt wird, die Kinder erzogen haben, deshalb nicht erwerbstätig werden konnten und im Alter häufig in



    Bundesminister Dr. Blüm
    die Sozialhilfe abrutschen. Das ist ungerecht, und das werden wir beseitigen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will meinen Dank an all diejenigen richten, die ehrenamtlich den Sozialstaat stützen. Was wäre der Sozialstaat ohne die „Amateure"?! Der heilige Martinus hatte nicht erst Verteilungstheorie studiert, bevor er seinen Mantel teilte.

    (Heiterkeit)

    Er war ein Amateur der Nächstenliebe. Wir brauchen mehr Amateure. Ich bedanke mich bei all den freiwilligen Helfern.

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich weiß, Sie haben es immer gerne in Kolonnen, beamtet und auf Planstellen. So sind wir eigentlich nicht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bedanke mich bei allen in den Behindertenverbänden, beim Roten Kreuz, bei der Freiwilligen Feuerwehr usw. Ich denke, es ist schon Zeit, auch in der herkömmlichen Sozialpolitik über die Leistungen derjenigen zu reden, die in der Reichsversicherungsordnung nicht auftauchen und dennoch für unseren Sozialstaat wichtig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden noch mehr Zeit und Gelegenheit haben, dieses Thema zu vertiefen.
    Lassen Sie mich schließen. Ich sehe für die Entscheidung der Wähler in der Wahl, die uns bevorsteht, die Möglichkeit zu unterscheiden, nicht in der dritten Stelle hinter dem Komma, sondern zwischen zwei Wegen: Eine Politik der Geschenke oder der Opfer. Es ist neu, daß wir ohne Geschenkversprechungen in den Wahlkampf gehen. Wir sind die erste Regierung, die in einen Wahlkampf geht und dem Wähler Opfer zumutet. Ich bin sicher, die Wähler sind so aufgeklärt, daß sie wissen, daß Versprechungen, denen keine Leistungen folgen, blauer Dunst sind, und von blauem Dunst halten sie so wenig wie von der roten Fahne.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Erst die Wahrheit wird uns handlungsfähig machen. Wir haben nicht nur Geld eingesammelt, sondern die Türen für eine sozialpolitische Perspektive aufgestoßen. Die Krise ist kein Naturschicksal, die Krise ist gemacht. Deshalb können wir ihr auch ein Ende machen, wenn alle mitmachen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)