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ID0912222600

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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Engelhard, Sie irren sich. Die Sozialdemokratische Partei will mitnichten, daß die Liberalen aus der politischen Landschaft der Bundesrepublik verschwinden.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    Was wir wollen, ist, daß Sie unbeschädigt durch diese Wendemanöver durchkommen; denn der freiheitliche Liberalismus wird auch in den nächsten Jahrzehnten gebraucht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kleinert [FDP] — Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen: Weder die Taktiererei, die jetzt durch ein paar von Ihnen geboten werden, noch ihr Opportunismus, der gerade angeklungen ist — wie Sie sich langsam an die rechtspolitischen Positionen der Union herangeschlichen haben —,

    (Kleinert [FDP]: Beispiele!)

    keine dieser beiden Verhaltensweisen wird Sie retten, sondern Sie müssen sich jetzt ernsthaft in Ihren Gremien — vor allem auf Ihrem Parteitag — über Ihren künftigen Weg auseinandersetzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich möchte Ihnen eins sagen: In dieser Sozialdemokratischen Partei und in dieser Bundestagsfraktion gibt es viele, die auch über die Art und Weise betroffen sind, mit der Sie sich selbst in Ihrer eigenen Partei auseinandersetzen und wie Sie sich gegeneinander auseinandersetzen. Die Liberalen in Baden-Württemberg, die ja nun weiß Gott in den letzten Jahren ein Zentrum der Liberalität gewesen sind, haben z. B. am letzten Wochenende beschlossen, ihr Parteivorsitzender solle doch gefälligst zurücktreten oder jedenfalls den Weg öffnen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja gar nicht!)

    Wenn Sie dies in Ihrer eigenen Partei haben, dann versuchen Sie doch nicht abzulenken. Das war schon die letzte Bemerkung: Sie sollen für Ihre inneren Diskussionen Zeit haben. Wir wünschen Ihnen dafür einen guten Weg.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich hätte mich gerne heute abend mit Herrn Geißler und Herrn Blüm, die nicht anwesend sind, auseinandergesetzt.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Ich sehe aber, daß Staatssekretäre anwesend sind. Vielleicht können Sie das weitersagen. Herr Blüm stand j a heute nachmittag auf der Rednerliste. Er hat sich abgemeldet, nachdem er gehört hat, daß das Fernsehen abgeschaltet war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch unverschämt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich wollte aber trotzdem zu seinen Themen und zu den Themen des Herrn Geißler ein paar Worte sagen. Vielleicht kann dann anschließend jemand von der Regierung Stellung nehmen.
    Es war j a in den letzten Jahren so, daß die CDU/ CSU — vor allem die CDU und dort vor allem die Sozialausschüsse — uns immer wieder mit dem Problem der „Neuen Sozialen Frage" bedrängt haben. Der Kern dieser Idee oder dieser Auffassung der Neuen Sozialen Frage war das Folgende. Es heißt, wir hätten in unserer Gesellschaft große, starke Gruppen: BDI, DGB. Diese großen starken Gruppen würden praktisch das Sozialprodukt verfrühstücken. Für die, die nicht organisiert wären, bliebe letztlich nichts übrig. Sie haben in Ihrer Mannheimer Erklärung, die diese Diskussion begonnen hat, 1975 gesagt, da die Schwachen, die Nichtorganisierten, die Alten und die Kinder als Gruppe keine Mehrheit haben, bestehe für sie darüber hinaus die Gefahr, daß sie in unserer Gesellschaft auch politisch benachteiligt werden. „Eine solche Entwicklung entspricht nicht unserem Verständnis von Solidarität und ist mit unserer Verfassung, insbesondere mit den in ihr verankerten Grundrechten und mit dem Sozialstaatsprinzip, unvereinbar." So Ihre Erklärung von Mannheim 1975.
    Die CDU hat in ihrem Grundsatzprogramm von 1978 diese Idee bekräftigt. Sie haben immer wieder die schwachen Gruppen genannt, die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitnehmerfamilie mit mehreren Kindern, die Schüler aus sozial schwachen Familien, die älteren Menschen, die Behinderten, die Arbeitsunfähigen und die Arbeitslosen.
    Nun frage ich Sie, die Sie jetzt die neue Regierung bilden: Was bleibt eigentlich nach der Koalitionsvereinbarung und nach der Regierungserklärung von dieser Neuen Sozialen Frage in der praktischen Politik übrig?

    (Beifall bei der SPD)

    Damals hat in einer der Debatten unser Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner gesagt, er halte



    Roth
    die Neue Soziale Frage für ein Propagandamanöver.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Ich bin der Auffassung, das haben Sie in dieser Woche nachhaltig bestätigt.

    (Beifall bei der SPD)

    Genau in diesen Fragen, die Sie selber vor einigen Jahren aufgeworfen haben, haben Sie die Politik mit dem Wortbruch begonnen. Sie hatten uns jahrelang in der Rentenpolitik attackiert. „Rentenbetrug" hieß es, Herr Geißler, bis in den letzten Wahlkampf.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch! — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das war auch so! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Was ist geschehen? Ihre erste Aktion war eine Verschiebung des Rentenanpassungstermins um ein halbes Jahr und eine Erhöhung auf einem niedrigeren Niveau.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie haben den Staat doch bankrott gemacht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich komme jetzt zu einem Punkt, der in dieser Debatte noch keine Rolle gespielt hat. Ich hoffe, daß unser Freund Eugen Glombig morgen darauf noch einmal im Detail zurückkommt. Ich kann es nur andeuten. Die Sozialhilfeempfänger, also die, die mit den kleinsten Einkommen auskommen müssen, werden im nächsten Jahr ein halbes Jahr überhaupt keine Erhöhung der Bedarfssätze bekommen. Dann wird die Erhöhung 2 % sein — aufs Ganze gesehen eine Einkommenskürzung im nächsten Jahr im Schnitt von 12 DM pro Monat für den Haushalt, der von Sozialhilfe abhängt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das Ergebnis Ihrer Politik! — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das haben Sie denen abgenommen!)

    Das ist die Lösung der Neuen Sozialen Frage.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Schuld!)

    Dabei könnte man dafür noch ein bißchen Verständnis entwickeln, wenn dafür eine ökonomische Logik spräche, wenn man sagen könnte, das hat irgendeinen Sinn, wir müssen halt sparen, um es anderswo im Investitionsbereich anzulegen. Aber nein, das Gutachten des Sachverständigenrats hat erwiesen, daß Kürzungen bei denen, die ihr Geld ausgeben müssen — die ihr Geld völlig ausgeben müssen, weil sie nämlich keine Ersparnisse bilden können —, unmittelbar zu weniger Beschäftigung, also zu mehr Arbeitslosigkeit führen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das heißt, auch die ökonomische Logik geht nicht auf, ganz abgesehen davon, daß Sie Ihr Grundsatzprogramm und Ihr Mannheimer Programm verraten.
    Für die Mietenpolitik gilt dasselbe. Wer kann denn Eigentum bilden, Häuser bauen? Das sind die
    Leute mit mittlerem Einkommen. Wir haben in der Vergangenheit viel dafür getan,

    (Breuer [CDU/CSU]: Daß die Häuser in Gefahr kamen!)

    daß sie das machen konnten. Aber wer wohnt zur Miete? Wer wird verdrängt, wenn man die sozialen Mietrechtsklauseln, die wir bisher gehabt haben, im Wohnungsbestand beseitigt? Das sind die kleinen Leute.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Die Mietrechtsklauseln werden doch gar nicht aufgehoben! Sie haben gar nicht richtig gelesen! Sie verstehen auch nichts davon! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Ich habe ja nichts dagegen, daß Sie sich derartige Positionen vom Lambsdorff-Papier aufdrängen ließen. Nur, das muß in diesem Bundestag auch ganz klar zur Sprache kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren bisher eine Partei, die sich zu Recht Volkspartei genannt hat — nach ihrer ganzen Tradition. Ich sage Ihnen nur eines: Wenn Sie die kleinen Leute in Ihrer praktischen Politik auf dieser Ebene Schritt für Schritt außer acht lassen, dann werden Sie diesen Charakter verlieren.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Passen Sie nur auf Ihren Charakter auf! Das ist doch nicht zu fassen!)

    Ich würde da sehr aufpassen. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, das Lambsdorff-Papier — das ist die mittelfristige Strategie Ihres Koalitionspartners — sorgfältig zu lesen. Denn das geht genau in die Irre, die ich gerade gekennzeichnet habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich wäre allerdings auch an der Stelle nicht ganz so kritisch, wenn ich nun entdeckt hätte, daß die Regierung der geistig-moralischen Aufrüstung, wie sie von Ihnen selbst genannt wurde, also diese neue Rechtskoalition, wenigstens im wirtschaftspolitischen Bereich die Fragen, die gestellt sind, aufgenommen hätte.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Aha!)

    Aber kein Wort von den Wirkungen der Mikroelektronik auf die Sicherung von Arbeitsplätzen, kein Wort davon in der Rede des Herrn Bundeskanzlers;

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Wollen wir die verbieten?)

    kein Wort zur Arbeitszeitverkürzung. Ich weiß inzwischen aus großen Konzernen der Bundesrepublik Deutschland, daß das mittlere Management und Teile des oberen Managements allmählich überlegen, ob sie es in der Zukunft anders machen können, wenn sie ihre bisherigen Standards von sozialer Sicherheit aufrechterhalten und keine Leute rauswerfen wollen. Das ist ja das Prinzip bei Daimler-Benz, bei Siemens und vielen anderen bisher gewesen. Ich weiß, daß sie selber nachdenken, ob man nicht über Betriebsvereinbarungen Arbeits-



    Roth
    zeitverkürzungen erreichen kann. Und diese Regierung, der Herr Blüm und Herr Geißler angehören, sagt kein Wort zur Arbeitszeitverkürzung — eine schreckliche Lücke.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr von Dohnanyi hat heute nachmittag davon gesprochen, daß Sie auch zu den Sättigungsgrenzen nichts sagen, beispielsweise zu der Tatsache, daß eine Familie, die ein Auto hat, in der Regel kein zweites kauft. Daß Sie zu der Vorstellung, durch Investitionsförderung allein — ohne Nachfragestabilisierung und ohne Umverteilung zugunsten der Leute, die noch nichts besitzen — neue Wachstumsprozesse in Gang setzen zu wollen, die das alles wieder schnell in Ordnung bringen, nicht einmal ein Wort finden — auch der Wirtschaftsminister hat heute früh kein Wort dazu gefunden —, halte ich wirklich für bedrängend.
    Oder — ein anderes Thema —: Wir alle wissen, daß Wachstumsprozesse Natur beanspruchen, Umwelt beanspruchen. Nun ist es sicherlich so — an einer Stelle wurde das deutlich —, daß diese Umweltprobleme nicht ohne die moderne Technik zu bewältigen sind. Aber kann man ein Zurückträumen auf Ludwig Erhard ernsthaft in den Vordergrund einer Regierungserklärung in den 80er Jahren stellen, wo wir doch alle wissen, daß eine komplizierte Bewältigungsstrategie der Umweltprobleme, der Rohstoffprobleme und der Energieprobleme auf der Tagesordnung der Geschichte steht?

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    In diesem Zusammenhang ist eine Regierungserklärung auch ein Wegzeichen für das, was in der Zukunft geschieht. Wer verkennt, wie kompliziert es ist, Wachstumsprozesse künftig wieder in Gang zu setzen, wie schwierig es ist, die Umweltprobleme auch so in den Griff zu kriegen, daß die Leute das Wachstum akzeptieren, daß sie ja sagen, hat nichts begriffen. Es ist doch kein Zufall, wenn 30 % der jungen Mitbürger die Grünen wählen, sondern Sie glauben, daß Sie als neue Regierung — ich sage selbstkritisch zu uns: wir als frühere Regierung und heutige Opposition — die Umweltproblematik noch nicht in dem Sinne in den Griff bekommen haben, daß die Leute verstehen, daß Wachstum und Umweltverbesserung zusammengehen. Daß dies nach den Wahlergebnissen in diesem Sommer nicht zu einem Mittelpunktthema in einer Regierungserklärung gemacht wird, halte ich nun wirklich intellektuell für bedrängend. Das ist Mainz-Oggersheim und nichts anderes.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist politisch Provinz. Das ist geistig-politisch völlig daneben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der Juso!)

    Graf Lambsdorff, ich möchte jetzt ein paar Bemerkungen zu Ihren Aufgaben machen. Sie haben mich heute früh doppelt enttäuscht, zuerst weil Sie wirklich noch einmal ein Ausweichmanöver auf München zu machen versucht haben. Darauf will
    ich jetzt nicht noch einmal eingehen. Ich glaube, Herbert Ehrenberg wird das anschließend tun.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Uns bleibt aber auch nichts erspart!)

    Daß Sie aber die Veränderung Ihrer politischen Haltung in den letzten Jahren nicht klarer definiert haben und sich hier an dieser Stelle nicht dazu bekannt haben, hat mich enttäuscht. Ihr Papier von Anfang des letzten Monats ist in der Tat ein Papier in der Tradition von Mrs. Thatcher und Herrn Reagan. Daß Sie sich dazu heute nicht mehr bekannt haben, zeigt mir Ihre Flexibilität, aber auch Ihre Beweglichkeit im charakterlichen Bereich.

    (Widerspruch bei der FDP und der CDU/ CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Davon müssen Sie gerade reden!)

    Noch erstaunlicher fand ich aber, daß Sie zu den wirklichen Aufgaben des Wirtschaftsministeriums praktisch überhaupt nichts gesagt haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Sie nicht da!)

    Erstens. Die AEG-Krise ist noch nicht zu Ende. Wie Sie sich in diesem Sommer aus der AEG-Krise herausgehalten und über Karenztage und alles Mögliche geredet haben, das war beschämend für den Wirtschaftsminister dieser Republik.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Die Stahlkrise zieht sich quälend hin. Die notwendige Zusammenführung der deutschen Stahlkonzerne ist immer noch nicht erreicht. Wie lange sollen eigentlich die Stahlarbeiter in Dortmund bei Hoesch noch warten, bis Sie endlich zu einer Lösung in dieser Frage kommen? Wie lange soll das noch gehen?

    (Beifall bei der SPD)

    Dritter Punkt. Wir hören heute von Herrn Gattermann (Dortmund), der dies ja wohl sagen muß, die Kohle habe weiter Vorrang. Auf der anderen Seite hören wir vom Wirtschaftsministerium, daß Druck in Richtung auf Schließung von Kohlezechen ausgeübt wird. Was ist nun wahr: Vorrang der Kohle oder eine Schließung von Zechen im Ruhrgebiet?

    (Beifall bei der SPD)

    Viertens.


Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Roth, ich weiß nicht, wieviel Punkte Sie noch haben. Die Zeit, die Ihre Fraktion für Sie gemeldet hat, ist aber abgelaufen.

(Lampersbach [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist schon lange abgelaufen!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident, dies war eben der vierte Punkt. Danach möchte ich noch ein Wort an den Wirtschaftsminister richten. Wenn Sie es erlauben, tue ich das. Wenn Sie es nicht erlauben, wird ein anderer Kollege das noch aufnehmen.
    Der vierte Punkt bezieht sich auf die Küste, auf die Werften. Wir wissen, daß die Schiffsbaukrise erneut ganz erhebliche Arbeitsmarktprobleme an



    Roth
    der Küste aufwirft. In der Regierungserklärung von Herrn Kohl wurde zum erstenmal zu der gesamten Küstenregion kein Wort gesagt.

    (Grobecker [SPD]: Dicker Hund!)

    Mich wundert das insofern ein bißchen, als Herr Finanzminister Stoltenberg ja nicht ganz vergessen haben sollte, daß dabei besondere Problemregionen im Vordergrund stehen.
    Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diese Bundesregierung in der Beschäftigungspolitik nicht mit primitiven Sonthofen-Strategien begleiten,

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Das merken wir!)

    sondern mit ganz konkreten Vorschlägen, z. B. mit dem Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung. Ich erwarte von einem Wirtschaftsminister, daß er endlich seine falsche Politik des Kampfes gegen Arbeitszeitverkürzung aufgibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Er hat bisher keine Strategie entwickelt, die andere Lösungen aufzeigt.

    (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU]: Sie müssen etwas zum Lohnausgleich sagen, wenn Sie darüber sprechen!)

    Sagen Sie doch endlich den deutschen Arbeitgebern, wenn Sie von den Arbeitnehmern Opfer verlangen: Der Tabu-Katalog der deutschen Arbeitgeberverbände muß weg. Er paßt nicht mehr in die Landschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Erst dann sind sie für die Gewerkschaften wieder gesprächsfähig.
    Und damit will ich zum Schluß kommen: Für uns war es in den letzten Jahren sehr bedrängend, daß der Bundeswirtschaftsminister in unserer Koalition zu den Gewerkschaften hin nicht mehr gesprächsfähig war. Er war nicht mehr in der Lage, die Konzertierte Aktion in Gang zu setzen,

    (Zuruf von der SPD: Er wollte nicht!)

    weil er in einer mißlichen Weise damals versucht hat, die Mitbestimmung zu zerstören. Und in dem Lambsdorff-Papier von Anfang September stand der verräterische Satz: Keine Verschärfung der Mitbestimmung.

    (Zuruf von der SPD: Da läßt er die Katze aus dem Sack!)

    Wer dieses Recht der Arbeitnehmer unter die Kategorien von strafrechtlichen Begriffen faßt, der wird auch in Zukunft keine Gesprächsfähigkeit hinsichtlich der Gewerkschaften bekommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren von der Opposition, von der Regierung — mir fällt es immer noch schwer, das muß ich sagen —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur für kurze Zeit! — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/CSU]: Das merkt man auch an Ihrer Rede!)

    wenn wir die Konzertierte Aktion, d. h. die drei Kräfte, die im wirtschaftspolitischen Rahmen Verantwortung tragen, die Unternehmer und ihre Verbände, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer, die dort organisiert sind, und den Staat nicht zusammenführen können, und zwar deshalb nicht, weil ständig Provokationen von der Regierung oder von einem einzelnen Minister gegenüber einer sozialen Gruppe stattfinden, dann können wir eine aktive Beschäftigungspolitik nicht erreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das richtet sich jetzt an den Bundeskanzler, der nicht anwesend ist — aber ich bitte den Herrn Jenninger, das weiterzusagen: versuchen Sie jetzt eine Wende in der Verhaltensweise des bisherigen und künftigen Wirtschaftsministers herbeizuführen. Er liegt nämlich hier seit einigen Jahren völlig falsch: gegen den sozialen Konsens, gegen den sozialen Frieden. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Nichts Neues!)