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ID0912222400

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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege de With, nach dem, was Sie sagen, wird die Sache natürlich immer peinlicher, weil nämlich um 16.30 Uhr Kabinettssitzung war und mir — um es ganz deutlich zu sagen — wohl bewußt ist, daß ich einmal in den Tohuwabohu des ersten halben Amtstages mit einem Ohr vernommen habe, daß der Herr Staatssekretär in seinem Zimmer sitze und vielleicht mal mit mir reden wolle.

    (Dr. de With [SPD]: Mal?)




    Bundesminister Engelhard
    — Lassen Sie es doch! Es wird immer peinlicher, und wenn es so weitergeht, zwingen Sie mich, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit — die Unterlagen habe ich nicht hier — die Sache genau zu schildern, dann aber aufgelistet, das Schreiben zu zitieren, das an mich gerichtet wurde, den, soweit mir bekanntgeworden ist, gleichzeitigen Umlauf im Hause, ein weiteres, etwas schwer verständliches Schreiben, das hektographiert unter den Mitarbeitern in großer Zahl kursiert hat, und einiges mehr.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ein feiner Herr!)

    Ich finde es peinlich, und ich hätte das von meiner Seite hier nie angesprochen, weil ich glaube, daß es in der Turbulenz eines personellen Wechsels jemanden hart ankommen kann, seinen Platz zu räumen. Weil ich den Betroffenen schließlich auch lange Jahre kenne, wäre so etwas von meiner Seite her nie erwähnt worden. Ich wundere mich über das Ausmaß der Ungeschicklichkeit, über das für den Betroffenen ganz sicherlich peinliche Ausmaß, in dem Sie diese Dinge hier eingeführt und noch breitgetreten haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, auch diese Art wie man offensichtlich glaube, Rechtspolitik zumindest begleiten zu müssen, kann Rechtspolitik sein. Ich halte das nicht für richtig.
    In der Regierungserklärung heißt es: Wir wollen unseren freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat ausbauen. Damit ist vorgegeben, daß die Kontinuität gewahrt wird, daß das, was wir an geltendem Recht haben, bewahrt wird und daß wir in der kurzen uns verbleibenden Zeit einiges zumindest auf den Weg bringen, in dem Bestreben, es möglichst vor den Neuwahlen auch noch zu Ende bringen zu können. Da sind ja einige Punkte bereits genannt worden. Ich nenne an erster Stelle den Versorgungsausgleich, und zwar eine Übergangslösung. Dies vorzuschlagen ist für mich, je länger man es sich überlegt, deswegen einfach, weil es nicht die neue Koalition ist, die meine Überzeugung bestimmt. Sie wissen doch aus den Gesprächen, daß ich mit großen Bedenken als der für meine Fraktion in diesem Bereich Verantwortliche beobachtet habe, wie man innerhalb der SPD-Fraktion im besten Willen und auch Gutes leistend ungeheuer viel Zeit gebraucht hat. Wenn ich jetzt von Neuwahlen am 6. März ausgehe, mit der anschließenden Bildung der Bundesregierung, mit der Regierungserklärung und der Debatte darüber, dann ist ja bald die Sommerpause des nächsten Jahres erreicht, und dann ist absehbar, daß auch zum Jahresende 1984 noch nichts im Gesetzblatt stehen wird. Dann sind fast fünf Jahre verstrichen seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1980.
    Ich sage dasselbe wie an jenem Tag, als wir in einer kleinen rechtspolitischen Debatte am 17. September, bevor um 11 Uhr der Bundeskanzler das Wort nahm, hier gesprochen haben: Wir müssen uns gut überlegen, ob wir nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, die uns das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich offengelassen
    hat, nämlich daß auch eine vorübergehende Lösung genüge. Ich werde in allernächster Zeit mit allen drei Fraktionen Gespräche aufnehmen. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, ob nicht eine Verpflichtung für uns alle besteht, hier für den betroffenen Personenkreis in absehbarer Zeit zu einer Regelung zu kommen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Die Frage kann eigentlich nur noch sein: Wie sieht diese Regelung aus? Darüber wird es noch Meinungsverschiedenheiten geben. Aber daß sie kommen muß, ist jedenfalls für mich klar, und ich werde mich dafür einsetzen.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Warum denn eine Übergangsregelung, wenn die endgültige schon vorliegt? — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch gar nicht wahr!)

    — Die Beratungen, Herr Kollege Dr. Emmerlich, Sie wissen das doch mit am besten, werden unendliche Zeit in Anspruch nehmen. Wir können — auch dies habe ich ins Auge gefaßt — noch in diesem Monat so weit kommen, daß wir parallel ein Hearing vorbereiten, in dem wir zu den übrigen vorliegenden Entwürfen — wir haben ein breit gestreutes Material — die Sachverständigen anhören. Auch das kann noch geschehen. Aber das kann doch den Gang der Dinge im übrigen nicht aufhalten.
    Vom Bundesverfassungsgericht ist uns im materiellen Scheidungsrecht aufgegeben, eine Lösung zu finden, daß nicht prinzipiell und in jedem Fall nach fünfjähriger Trennung in den wenigen besonderen Härtefällen die Scheidung erfolgt. Beim Ehegattenunterhalt bestehen gleichfalls einige Probleme, denen wir uns werden zuwenden müssen.
    Ich unterstreiche, was zum Kontaktsperregesetz gesagt wurde. Auch hier werden demnächst Gespräche zwischen den Fraktionen stattfinden müssen, wobei ich meine, daß die Frage nicht mehr so sehr das Ob ist, sondern wie diese Frage in vernünftiger Weise gelöst wird. Weit einfacher wird dies beim bisherigen Verbot der Mehrfachverteidigung sein.
    Ich möchte die Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, obwohl ich einiges zu sagen gehabt hätte nach den Tönen, die insbesondere von Minister Schnoor hier lautgeworden sind, zur Koalition mit dem Aufputschen von politischen Lynchgefühlen, die derzeit unsere Landschaft bestimmen. Da wäre schon einiges zu sagen. Ich glaube, Sie werden eines Tages auch noch bereuen, sich so zu verhalten, wie Sie sich jetzt verhalten,

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    weil Ihnen eigentlich die politische Klugheit aus Ihrer eigenen Beobachtung hätte sagen müssen, daß wir jahrelang eine Union vor uns gehabt haben,

    (Zuruf von der SPD: Sie reden von München!)




    Bundesminister Engelhard
    die uns 1969 hart angegangen ist und es uns ungeheuer schwer gemacht hat, näher zusammen oder gar in einer Koalition zusammenzuarbeiten.

    (Zuruf von der SPD: Sie reden doch vom Lynchen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Deshalb wissen Sie, wie man sehr leicht eine Landschaft schaffen kann, in der es sehr schwierig ist, in der Zwischenzeit und auch später einmal politisch zusammenzuarbeiten. Ich wundere mich, daß Sie hier keinen klügeren Weg eingeschlagen haben.

    (Zuruf von der SPD: Sie haben einen sehr klugen Weg eingeschlagen!)

    Wir werden jetzt — jedenfalls im rechtspolitischen Bereich — der Tradition dieses Bereiches entsprechend versuchen, wieder zu einem anderen Ton und einem anderen Stil zu kommen, so wie er bisher unsere Beratungen begleitet hat. Von meiner Seite her jedenfalls besteht dazu die Bereitschaft.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Roth das Wort.

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    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Engelhard, Sie irren sich. Die Sozialdemokratische Partei will mitnichten, daß die Liberalen aus der politischen Landschaft der Bundesrepublik verschwinden.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    Was wir wollen, ist, daß Sie unbeschädigt durch diese Wendemanöver durchkommen; denn der freiheitliche Liberalismus wird auch in den nächsten Jahrzehnten gebraucht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kleinert [FDP] — Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen: Weder die Taktiererei, die jetzt durch ein paar von Ihnen geboten werden, noch ihr Opportunismus, der gerade angeklungen ist — wie Sie sich langsam an die rechtspolitischen Positionen der Union herangeschlichen haben —,

    (Kleinert [FDP]: Beispiele!)

    keine dieser beiden Verhaltensweisen wird Sie retten, sondern Sie müssen sich jetzt ernsthaft in Ihren Gremien — vor allem auf Ihrem Parteitag — über Ihren künftigen Weg auseinandersetzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich möchte Ihnen eins sagen: In dieser Sozialdemokratischen Partei und in dieser Bundestagsfraktion gibt es viele, die auch über die Art und Weise betroffen sind, mit der Sie sich selbst in Ihrer eigenen Partei auseinandersetzen und wie Sie sich gegeneinander auseinandersetzen. Die Liberalen in Baden-Württemberg, die ja nun weiß Gott in den letzten Jahren ein Zentrum der Liberalität gewesen sind, haben z. B. am letzten Wochenende beschlossen, ihr Parteivorsitzender solle doch gefälligst zurücktreten oder jedenfalls den Weg öffnen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja gar nicht!)

    Wenn Sie dies in Ihrer eigenen Partei haben, dann versuchen Sie doch nicht abzulenken. Das war schon die letzte Bemerkung: Sie sollen für Ihre inneren Diskussionen Zeit haben. Wir wünschen Ihnen dafür einen guten Weg.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich hätte mich gerne heute abend mit Herrn Geißler und Herrn Blüm, die nicht anwesend sind, auseinandergesetzt.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Ich sehe aber, daß Staatssekretäre anwesend sind. Vielleicht können Sie das weitersagen. Herr Blüm stand j a heute nachmittag auf der Rednerliste. Er hat sich abgemeldet, nachdem er gehört hat, daß das Fernsehen abgeschaltet war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch unverschämt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich wollte aber trotzdem zu seinen Themen und zu den Themen des Herrn Geißler ein paar Worte sagen. Vielleicht kann dann anschließend jemand von der Regierung Stellung nehmen.
    Es war j a in den letzten Jahren so, daß die CDU/ CSU — vor allem die CDU und dort vor allem die Sozialausschüsse — uns immer wieder mit dem Problem der „Neuen Sozialen Frage" bedrängt haben. Der Kern dieser Idee oder dieser Auffassung der Neuen Sozialen Frage war das Folgende. Es heißt, wir hätten in unserer Gesellschaft große, starke Gruppen: BDI, DGB. Diese großen starken Gruppen würden praktisch das Sozialprodukt verfrühstücken. Für die, die nicht organisiert wären, bliebe letztlich nichts übrig. Sie haben in Ihrer Mannheimer Erklärung, die diese Diskussion begonnen hat, 1975 gesagt, da die Schwachen, die Nichtorganisierten, die Alten und die Kinder als Gruppe keine Mehrheit haben, bestehe für sie darüber hinaus die Gefahr, daß sie in unserer Gesellschaft auch politisch benachteiligt werden. „Eine solche Entwicklung entspricht nicht unserem Verständnis von Solidarität und ist mit unserer Verfassung, insbesondere mit den in ihr verankerten Grundrechten und mit dem Sozialstaatsprinzip, unvereinbar." So Ihre Erklärung von Mannheim 1975.
    Die CDU hat in ihrem Grundsatzprogramm von 1978 diese Idee bekräftigt. Sie haben immer wieder die schwachen Gruppen genannt, die Sozialhilfeempfänger, die Arbeitnehmerfamilie mit mehreren Kindern, die Schüler aus sozial schwachen Familien, die älteren Menschen, die Behinderten, die Arbeitsunfähigen und die Arbeitslosen.
    Nun frage ich Sie, die Sie jetzt die neue Regierung bilden: Was bleibt eigentlich nach der Koalitionsvereinbarung und nach der Regierungserklärung von dieser Neuen Sozialen Frage in der praktischen Politik übrig?

    (Beifall bei der SPD)

    Damals hat in einer der Debatten unser Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner gesagt, er halte



    Roth
    die Neue Soziale Frage für ein Propagandamanöver.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Ich bin der Auffassung, das haben Sie in dieser Woche nachhaltig bestätigt.

    (Beifall bei der SPD)

    Genau in diesen Fragen, die Sie selber vor einigen Jahren aufgeworfen haben, haben Sie die Politik mit dem Wortbruch begonnen. Sie hatten uns jahrelang in der Rentenpolitik attackiert. „Rentenbetrug" hieß es, Herr Geißler, bis in den letzten Wahlkampf.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch! — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das war auch so! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Was ist geschehen? Ihre erste Aktion war eine Verschiebung des Rentenanpassungstermins um ein halbes Jahr und eine Erhöhung auf einem niedrigeren Niveau.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie haben den Staat doch bankrott gemacht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich komme jetzt zu einem Punkt, der in dieser Debatte noch keine Rolle gespielt hat. Ich hoffe, daß unser Freund Eugen Glombig morgen darauf noch einmal im Detail zurückkommt. Ich kann es nur andeuten. Die Sozialhilfeempfänger, also die, die mit den kleinsten Einkommen auskommen müssen, werden im nächsten Jahr ein halbes Jahr überhaupt keine Erhöhung der Bedarfssätze bekommen. Dann wird die Erhöhung 2 % sein — aufs Ganze gesehen eine Einkommenskürzung im nächsten Jahr im Schnitt von 12 DM pro Monat für den Haushalt, der von Sozialhilfe abhängt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das Ergebnis Ihrer Politik! — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das haben Sie denen abgenommen!)

    Das ist die Lösung der Neuen Sozialen Frage.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Schuld!)

    Dabei könnte man dafür noch ein bißchen Verständnis entwickeln, wenn dafür eine ökonomische Logik spräche, wenn man sagen könnte, das hat irgendeinen Sinn, wir müssen halt sparen, um es anderswo im Investitionsbereich anzulegen. Aber nein, das Gutachten des Sachverständigenrats hat erwiesen, daß Kürzungen bei denen, die ihr Geld ausgeben müssen — die ihr Geld völlig ausgeben müssen, weil sie nämlich keine Ersparnisse bilden können —, unmittelbar zu weniger Beschäftigung, also zu mehr Arbeitslosigkeit führen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das heißt, auch die ökonomische Logik geht nicht auf, ganz abgesehen davon, daß Sie Ihr Grundsatzprogramm und Ihr Mannheimer Programm verraten.
    Für die Mietenpolitik gilt dasselbe. Wer kann denn Eigentum bilden, Häuser bauen? Das sind die
    Leute mit mittlerem Einkommen. Wir haben in der Vergangenheit viel dafür getan,

    (Breuer [CDU/CSU]: Daß die Häuser in Gefahr kamen!)

    daß sie das machen konnten. Aber wer wohnt zur Miete? Wer wird verdrängt, wenn man die sozialen Mietrechtsklauseln, die wir bisher gehabt haben, im Wohnungsbestand beseitigt? Das sind die kleinen Leute.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Die Mietrechtsklauseln werden doch gar nicht aufgehoben! Sie haben gar nicht richtig gelesen! Sie verstehen auch nichts davon! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Ich habe ja nichts dagegen, daß Sie sich derartige Positionen vom Lambsdorff-Papier aufdrängen ließen. Nur, das muß in diesem Bundestag auch ganz klar zur Sprache kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren bisher eine Partei, die sich zu Recht Volkspartei genannt hat — nach ihrer ganzen Tradition. Ich sage Ihnen nur eines: Wenn Sie die kleinen Leute in Ihrer praktischen Politik auf dieser Ebene Schritt für Schritt außer acht lassen, dann werden Sie diesen Charakter verlieren.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Passen Sie nur auf Ihren Charakter auf! Das ist doch nicht zu fassen!)

    Ich würde da sehr aufpassen. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, das Lambsdorff-Papier — das ist die mittelfristige Strategie Ihres Koalitionspartners — sorgfältig zu lesen. Denn das geht genau in die Irre, die ich gerade gekennzeichnet habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich wäre allerdings auch an der Stelle nicht ganz so kritisch, wenn ich nun entdeckt hätte, daß die Regierung der geistig-moralischen Aufrüstung, wie sie von Ihnen selbst genannt wurde, also diese neue Rechtskoalition, wenigstens im wirtschaftspolitischen Bereich die Fragen, die gestellt sind, aufgenommen hätte.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Aha!)

    Aber kein Wort von den Wirkungen der Mikroelektronik auf die Sicherung von Arbeitsplätzen, kein Wort davon in der Rede des Herrn Bundeskanzlers;

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Wollen wir die verbieten?)

    kein Wort zur Arbeitszeitverkürzung. Ich weiß inzwischen aus großen Konzernen der Bundesrepublik Deutschland, daß das mittlere Management und Teile des oberen Managements allmählich überlegen, ob sie es in der Zukunft anders machen können, wenn sie ihre bisherigen Standards von sozialer Sicherheit aufrechterhalten und keine Leute rauswerfen wollen. Das ist ja das Prinzip bei Daimler-Benz, bei Siemens und vielen anderen bisher gewesen. Ich weiß, daß sie selber nachdenken, ob man nicht über Betriebsvereinbarungen Arbeits-



    Roth
    zeitverkürzungen erreichen kann. Und diese Regierung, der Herr Blüm und Herr Geißler angehören, sagt kein Wort zur Arbeitszeitverkürzung — eine schreckliche Lücke.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr von Dohnanyi hat heute nachmittag davon gesprochen, daß Sie auch zu den Sättigungsgrenzen nichts sagen, beispielsweise zu der Tatsache, daß eine Familie, die ein Auto hat, in der Regel kein zweites kauft. Daß Sie zu der Vorstellung, durch Investitionsförderung allein — ohne Nachfragestabilisierung und ohne Umverteilung zugunsten der Leute, die noch nichts besitzen — neue Wachstumsprozesse in Gang setzen zu wollen, die das alles wieder schnell in Ordnung bringen, nicht einmal ein Wort finden — auch der Wirtschaftsminister hat heute früh kein Wort dazu gefunden —, halte ich wirklich für bedrängend.
    Oder — ein anderes Thema —: Wir alle wissen, daß Wachstumsprozesse Natur beanspruchen, Umwelt beanspruchen. Nun ist es sicherlich so — an einer Stelle wurde das deutlich —, daß diese Umweltprobleme nicht ohne die moderne Technik zu bewältigen sind. Aber kann man ein Zurückträumen auf Ludwig Erhard ernsthaft in den Vordergrund einer Regierungserklärung in den 80er Jahren stellen, wo wir doch alle wissen, daß eine komplizierte Bewältigungsstrategie der Umweltprobleme, der Rohstoffprobleme und der Energieprobleme auf der Tagesordnung der Geschichte steht?

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    In diesem Zusammenhang ist eine Regierungserklärung auch ein Wegzeichen für das, was in der Zukunft geschieht. Wer verkennt, wie kompliziert es ist, Wachstumsprozesse künftig wieder in Gang zu setzen, wie schwierig es ist, die Umweltprobleme auch so in den Griff zu kriegen, daß die Leute das Wachstum akzeptieren, daß sie ja sagen, hat nichts begriffen. Es ist doch kein Zufall, wenn 30 % der jungen Mitbürger die Grünen wählen, sondern Sie glauben, daß Sie als neue Regierung — ich sage selbstkritisch zu uns: wir als frühere Regierung und heutige Opposition — die Umweltproblematik noch nicht in dem Sinne in den Griff bekommen haben, daß die Leute verstehen, daß Wachstum und Umweltverbesserung zusammengehen. Daß dies nach den Wahlergebnissen in diesem Sommer nicht zu einem Mittelpunktthema in einer Regierungserklärung gemacht wird, halte ich nun wirklich intellektuell für bedrängend. Das ist Mainz-Oggersheim und nichts anderes.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist politisch Provinz. Das ist geistig-politisch völlig daneben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der Juso!)

    Graf Lambsdorff, ich möchte jetzt ein paar Bemerkungen zu Ihren Aufgaben machen. Sie haben mich heute früh doppelt enttäuscht, zuerst weil Sie wirklich noch einmal ein Ausweichmanöver auf München zu machen versucht haben. Darauf will
    ich jetzt nicht noch einmal eingehen. Ich glaube, Herbert Ehrenberg wird das anschließend tun.

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Uns bleibt aber auch nichts erspart!)

    Daß Sie aber die Veränderung Ihrer politischen Haltung in den letzten Jahren nicht klarer definiert haben und sich hier an dieser Stelle nicht dazu bekannt haben, hat mich enttäuscht. Ihr Papier von Anfang des letzten Monats ist in der Tat ein Papier in der Tradition von Mrs. Thatcher und Herrn Reagan. Daß Sie sich dazu heute nicht mehr bekannt haben, zeigt mir Ihre Flexibilität, aber auch Ihre Beweglichkeit im charakterlichen Bereich.

    (Widerspruch bei der FDP und der CDU/ CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Davon müssen Sie gerade reden!)

    Noch erstaunlicher fand ich aber, daß Sie zu den wirklichen Aufgaben des Wirtschaftsministeriums praktisch überhaupt nichts gesagt haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Sie nicht da!)

    Erstens. Die AEG-Krise ist noch nicht zu Ende. Wie Sie sich in diesem Sommer aus der AEG-Krise herausgehalten und über Karenztage und alles Mögliche geredet haben, das war beschämend für den Wirtschaftsminister dieser Republik.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Die Stahlkrise zieht sich quälend hin. Die notwendige Zusammenführung der deutschen Stahlkonzerne ist immer noch nicht erreicht. Wie lange sollen eigentlich die Stahlarbeiter in Dortmund bei Hoesch noch warten, bis Sie endlich zu einer Lösung in dieser Frage kommen? Wie lange soll das noch gehen?

    (Beifall bei der SPD)

    Dritter Punkt. Wir hören heute von Herrn Gattermann (Dortmund), der dies ja wohl sagen muß, die Kohle habe weiter Vorrang. Auf der anderen Seite hören wir vom Wirtschaftsministerium, daß Druck in Richtung auf Schließung von Kohlezechen ausgeübt wird. Was ist nun wahr: Vorrang der Kohle oder eine Schließung von Zechen im Ruhrgebiet?

    (Beifall bei der SPD)

    Viertens.