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ID0912216500

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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Miltner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Danke schön, ich möchte in meiner Rede fortfahren. Ich habe noch andere Punkte zu erledigen. — Wir werden im Zusammenhang mit dem Umweltschutz die Leistungsfähigkeit der Technik, die Leistungsfähigkeit des Gewerbes, der Industrie einsetzen müssen, um die Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen abzubauen und zu verhindern.
    Abschließend möchte ich zum Thema Umweltschutz hervorheben, daß sich der Bundeskanzler selber zusammen mit den Ländern der baldigen Durchsetzung der vorgesehenen Entsorgung der Kernkraftwerke widmen wird. Ich bin sicher, daß der Beschluß von Bund und Ländern aus dem Jahre 1979 über ein integriertes Entsorgungskonzept von der neuen Koalition und der neuen Regierung auch über die Legislaturperiode hinweg verwirklicht wird.
    Wenn unser Staat und unsere Gesellschaft die schwierigen Zeiten heute und morgen überstehen wollen, dann muß nicht nur ein von allen Bürgern getragenes Rechtsbewußtsein vorhanden sein, sondern wir brauchen natürlich auch ein pflichtbewußtes Beamtentum. Wir brauchen einen funktionierenden öffentlichen Dienst, der treu und loyal zu unserem Verfassungsstaat, zu unserem demokratischen Rechtsstaat steht. Es war deshalb richtig, den von der alten Regierung verabschiedeten Gesetzentwurf zurückzuziehen, der die Aufspaltung der Funktionen der Beamten in bezug auf die Verfassungstreue zum Inhalt hatte. Dieser Gesetzentwurf war, wie Sie wissen, auch verfassungsrechtlich sehr bedenklich.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nein!)

    Es ist zu begrüßen, wenn bei der Besoldung die tatsächliche Gleichstellung von Beamten, Angestellten und Arbeitern angestrebt wird. Die von der früheren Bundesregierung vorgeschlagene Verschiebung der Besoldungsanpassung 1982 gegenüber dem Tarifbereich von drei Monaten hat meine Fraktion abgelehnt. Der Bundesrat hatte die Bundesregierung aufgefordert, im weiteren Gesetzgebungsverfahren möglichst eine Gleichstellung innerhalb des öffentlichen Dienstes herbeizuführen.
    Die Koalitionsvereinbarung sieht nunmehr vor, daß das Inkrafttreten des Besoldungsgesetzes 1982 um einen Monat wieder vorgezogen wird. Da kann ich nur sagen: Angesichts der so späten Verabschiedung am Ende des Jahres, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Haushalte von Bund und Ländern schon längst darauf eingestellt waren konnte natürlich eine Gleichstellung nicht mehr erreicht werden, erst recht dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß wir in der Zwischenzeit eine nicht gekannte dramatische Verschlechterung der öffentlichen Finanzen feststellen müssen.
    Die Festlegung des finanziellen Gesamtrahmens für den öffentlichen Dienst auf 2 % ab 1. Juli 1983 ist natürlich auch ein Signal an die Tarifpartner und im Blick auf die Tarifabschlüsse. Diese Festlegung ist angesichts der durch die sozialen Begleitgesetze notwendigen Eingriffe im ganzen sozialen Bereich nach unserer Auffassung gerechtfertigt. Sie ist eben auch ein Teil der Atempause, die auch anderen sozialen Schichten wie z. B. den Rentnern zugemutet wird.
    Künftig wird es darauf ankommen, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit zusammen mit den Ländern eine geschlossene Politik zu betreiben. Der neue Bundesinnenminister, so bin ich sicher, wird das Instrument der Innenministerkonferenz zu einer gemeinsamen Politik nutzen. Das gilt ganz besonders für die Bekämpfung der Kriminalität, aber auch für unsere Entgegnung auf den politischen Extremismus.
    Die Polizeien in Bund und Ländern werden in der neuen Regierung und Koalition wieder Vertrauen und Rückhalt finden. Die Verunsicherung innerhalb der Polizei wird durch eine klare und eindeutige Politik der inneren Sicherheit wieder abgebaut werden. Oberstes Prinzip wird es sein, die Freiheit des Bürgers zu schützen. Die richtigen Grenzen zwischen dem einzelnen und der Gesamtheit zu erkennen ist das größte Problem in einer menschlichen Gemeinschaft. Dessen sind wir uns sicher. Wir wissen, Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen können nicht unbegrenzt sein; denn die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Am Beispiel, wie dem Mißbrauch der Freiheitsrechte in unserem Staat begegnet wird, zeigt sich die Einstellung der Parteien und ihrer Politiker zum Thema Freiheit und Sicherheit. In den vergangenen Jahren ist sehr oft und sehr heftig um die richtige Sicherheitspolitik gestritten worden. Damit ist auch der Eindruck vermittelt worden, daß es letztlich um die Sicherheit der Menschen ginge. In



    Dr. Miltner
    der politischen Auseinandersetzung um Freiheit und Sicherheit sollte jedoch eindeutig feststehen, daß es letztlich nur um die Freiheit gehen kann. Sicherheit ist niemals ein Selbstzweck, und Sicherheitspolitik hat immer nur eine dienende Funktion.

    (Beifall des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    Daher ist es nicht ganz ungefährlich, wenn man immer wieder von einem Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit spricht und damit die Vorstellung erzeugt, als ob hier zwei gleichwertige Begriffe wie zwei Pole in einem Spannungsverhältnis gegenüberstünden. Schon in der politischen These „Im Zweifel für die Freiheit", die von der FDP in der öffentlichen Diskussion herausgestellt worden ist, zeigt sich diese Bewertung des Verhältnisses dieser beiden Begriffe. Wie die Gewichtung der Politik in bezug auf diese beiden Begriffe ist, kann ja entscheidend sein für die sicherheitspolitischen Ziele und deren Durchführung.

    (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Was wollen Sie damit konkret sagen?)

    — Warten Sie ab.
    Es ist eine Binsenwahrheit, daß es Freiheit ohne Sicherheit nicht gibt. Die auf der Grundlage unserer Verfassung aufbauende Freiheitspolitik kann überhaupt nicht ohne Sicherheitsüberlegungen gedacht, geplant und durchgeführt werden. Die Väter des Grundgesetzes haben dies bei der inhaltlichen Bestimmung des Freiheitsbegriffs wie auch bei dem Ziel der Bewahrung des freiheitlichen Staats gegenüber dem politischen Extremismus erkannt und berücksichtigt.
    Lassen Sie mich daher noch einen Schritt weitergehen als die Kollegen der FDP mit ihrem Satz „Im Zweifel für die Freiheit". Bei der Abwägung von Freiheit und Sicherheit muß es nach meiner Auffassung heißen: immer für die Freiheit; nicht „in dubio pro libertate", sondern „semper pro libertate". Die Sicherheit hat eben nur eine dienende Funktion für die Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

    Wir als Gesetzgeber und die Regierung als Exekutive haben die Aufgabe, das Gesetz und seine Ausführung, den Befehl an den Bürger, so klar und so einleuchtend wie möglich zu machen. Dabei darf der Raum der Freiheit nicht mehr als unbedingt notwendig eingeschränkt werden. Ja, ich bin der Meinung, wir sollten uns stets bewußt sein, daß wir mit einem Gesetz geradezu der Freiheit eine Chance geben müssen.
    Mit der Politik der inneren Sicherheit wollen wir also stets einen inhaltlichen Wert, den Wert der Freiheit, erstreben. Das, lieber Herr Kollege Brandt, ist auch unser geistiger Hintergrund zur Politik der inneren Sicherheit. In diesem Sinne begreifen wir unseren Auftrag, den inneren Frieden in diesem Staat zu wahren. Dieser innere Frieden ist, wie Sie wissen, auch die Basis und die Voraussetzung für eine friedliche Außenpolitik. Von diesen Überlegungen lassen wir uns in unserer Politik der inneren
    Sicherheit leiten. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Hirsch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Burkhard Hirsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Politik läßt sich nicht immer von den Personen trennen, die sie vertreten. Zum Wechsel der Amtsführung im Innenministerium muß ich daher mit einer persönlichen Berner-kung beginnen.
    Der bisherige liberale Bundesinnenminister Gerhart Baum hat seine Innenpolitik in voller Übereinstimmung mit der Wahlaussage der FDP und mit der ihn tragenden Bundestagsfraktion formuliert: eine Politik des Augenmaßes in der Anwendung staatlicher Machtmittel, eine Politik der inneren Liberalität, die er in einem Buch beschrieben hat, das den treffenden Titel trägt: „Der Staat auf dem Weg zum Bürger". Diese Politik ist erfolgreich gewesen. Es ist ja nicht das schlechteste Zeugnis für einen Innenminister, wenn die parlamentarische Opposition selbst in den Haushaltsdebatten keine politische Auseinandersetzung mehr mit ihm gesucht hat, weil der Bürger, weil die Öffentlichkeit trotz aller Polemik weiß, daß die Demokratie in unserem Lande gesichert und seine Rechte geschützt sind.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, um dem bisherigen Bundesinnenminister von dieser Stelle aus den Dank der Fraktion für seine langjährige Arbeit und für die Bewahrung der Liberalität unseres Staates auszusprechen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich möchte mich auch bei den Kollegen der SPD für die langjährige gute Zusammenarbeit ebenso herzlich bedanken, wie der Kollege Brandt es getan hat.
    Es hat natürlich auch — Herr Mischnick hat das völlig zutreffend dargestellt — Schwierigkeiten gegeben in einer ganzen Reihe von Bereichen, etwa in Einzelfragen des Umweltschutzes. Oder ich nehme ein anderes Beispiel: Wir hatten lange Gespräche über die Reform des Kontaktsperregesetzes. Aber das ist ja nichts Unnatürliches und, finde ich, auch nichts Schädliches. Darum möchte ich im übrigen auch den Kollegen der CDU/CSU für den aufrechten Widerstand danken, den sie unserer Politik bisher im Innenausschuß entgegengesetzt haben.
    Herr Bundesminister Zimmermann, Sie sind auf Vorschlag des von diesem Hause gewählten Bundeskanzlers zum Bundesinnenminister ernannt worden. Sie werden wie jeder Innenminister merken, wie schwer dieses Amt ist, wie schwer die Verantwortung, die Ihnen übertragen wurde, und wie einsam Sie darin werden können. Sie wissen, daß ich persönlich Ihre Ernennung nicht begrüßt habe. Aber Sie haben einen Anspruch darauf, daß wir im Bereich der Innenpolitik bereit sind, die getroffe-



    Dr. Hirsch
    nen Vereinbarungen zu erfüllen, und wir werden das tun.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wollen uns in diesem Hause nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. An der trägt jeder selbst. Es geht mir um den Stil des Umgangs miteinander in den kommenden Monaten. Darum können wir die persönlichen Angriffe, die Sie, Herr Bundesinnenminister, und Ihr Parlamentarischer Staatssekretär in den letzten Wochen gegen Ihren Amtsvorgänger geführt haben, auch nicht stillschweigend übergehen. Es sind gleichzeitig Angriffe auf die Innenpolitik der liberalen Fraktion, auf die Sie sich stützen wollen. Ich will das hier nicht weiter ausdehnen, aber wir bitten Sie, das in Ordnung zu bringen.
    Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen. Die Koalitionsvereinbarung und die Regierungserklärung beinhalten im Bereich der Innenpolitik und auch im Bereich der Rechtspolitik nur wenige festgeschriebene Positionen. Im Bereich der Rechtspolitik sehe ich keinen unmittelbaren Handlungsbedarf; aber ich gehe davon aus, daß Bundesminister Engelhard dazu noch sprechen wird. Viele Einzelfragen der Innenpolitik — im Bereich der Ausländerpolitik, des Asylrechts, strafprozessuale Probleme der Terrorismusbekämpfung — sind an Kommissionen verwiesen worden, die im März des kommenden Jahres ihre Vorschläge machen sollen. Wir gehen davon aus, daß die Zusammensetzung dieser Kommissionen zum Gegenstand von Gesprächen zwischen allen Fraktionen dieses Hauses gemacht wird, damit ihre Ergebnisse leichter akzeptiert werden können. Und wir erwarten, daß den Ergebnissen dieser Kommissionen nicht vorgegriffen wird. Wenn sie inhaltliche Zielvorgaben bekommen, brauchen wir keine Kommissionen einzusetzen. Herr Bundesinnenminister, Sie würden für Entscheidungen, mit denen den vereinbarten Kommissionen vorgegriffen werden würde, Sie würden aber auch für Entscheidungen, die mit den Grundsätzen einer liberalen Innenpolitik nicht vereinbar wären, von uns keine parlamentarische Unterstützung bekommen.
    Es muß zunächst etwas zu der Verfassungsfrage gesagt werden, die in der Regierungserklärung angeschnitten worden ist. Die Bundesregierung hat durch die Zusage von Neuwahlen zum 6. März ihre Amtszeit zeitlich begrenzt. Das ist in der deutschen Verfassungsgeschichte neu. Die Väter der Verfassung sind von einem solchen Fall bei ihren Entscheidungen nicht ausgegangen. Trotzdem ist dieser Vorgang kein Verstoß gegen die Verfassung. Das Vertrauen, das die Mehrheit dieses Hauses der Regierung ausgesprochen hat, bezieht sich auf einen inhaltlich begrenzten Auftrag. Die Beschränkung auf wenige Punkte der Rechts- und Innenpolitik ist nur unter dem Gesichtspunkt vertretbar, daß es alsbald zu Neuwahlen und danach auf der Grundlage der Entscheidung des Wählers zu der Bestimmung der Frage kommt, ob und wie wir eine liberale Rechts- und Innenpolitik fortführen wollen, fortführen können oder nicht. Wir wünschen, daß der Zeitpunkt der notwendigen Neuwahlen nicht unter taktischen Gesichtspunkten hin- und hergewendet wird. Neuwahlen sind notwendig, um den Bürger entscheiden zu lassen, wer sein Vertrauen hat. Wir haben zwar keine plebiszitäre Verfassung, aber es kann natürlich kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß alle Parteien seit über 20 Jahren den Wahlen einen plebiszitären Charakter gegeben haben. Es könnte im übrigen auch kein Zweifel daran bestehen — das sage ich im Gegensatz zum Kollegen Dregger —, daß das Recht zur Selbstauflösung eines Parlaments kein Widerspruch zur repräsentativen Demokratie ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Dieses Recht kennen alle westlichen Demokratien, ausgenommen die Bundesrepublik. Es ist in allen Länderverfassungen der Bundesrepublik verankert, ausgenommen der des Landes Bremen.
    Wir können die Andeutungen nicht akzeptieren, daß der Zeitpunkt für Neuwahlen zum Bundestag in irgendeinem zeitlichen oder sonstigen Zusammenhang mit möglichen Neuwahlen in den Bundesländern stünde.

    (Beifall bei der SPD)

    Die parlamentarischen Verhältnisse in einzelnen Bundesländern interessieren hier nicht.
    Meine Fraktion ist bereit, den Vorschlag zu diskutieren, den die Enquete-Kommission vor einiger Zeit gemacht hat. In meiner Fraktion bestehen aber erhebliche Bedenken dagegen, Grundsätze der Verfassung zur Erledigung eines Einzelfalles zu verändern.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es ist daher realistisch, daß der Weg zu Neuwahlen nur über die gescheiterte Vertrauensfrage nach Art. 68 oder über den Rücktritt des Bundeskanzlers nach Art. 63 unserer Verfassung führt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das ist nicht eine Frage von Gutachten, sondern der Entscheidung, welchen Weg der Bundeskanzler gehen will.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir hoffen, daß im Interesse unser aller Glaubwürdigkeit diese Entscheidung bald getroffen wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir werden in der Zeit bis zu den Neuwahlen, auch in jeder weiteren Zusammenarbeit, das nicht nachträglich herabreden, was wir in der sozialliberalen Koalition, also in den letzten 13 Jahren, geschaffen haben. Es gehört zur Identität unserer Partei und unserer politischen Arbeit. Das gilt für die Deutschland- und Entspannungspolitik, die die Voraussetzung für menschliche Erleichterungen war. Das gilt für Reformen im gesellschaftlichen Bereich einschließlich der Mitbestimmung und der Betriebsverfassung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Dr. Hirsch
    mit denen wir dem Ziel einen Schritt näher gekommen sind, aus dem Industrieuntertanen einen Industriebürger zu machen,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    wie Friedrich Naumann formuliert hat. Das gilt für die Bildungspolitik, in der wir mehr jungen Menschen als jemals zuvor den Weg zu einer qualifizierten Bildung eröffnet

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    und damit Lebenschancen in einer immer komplizierteren Arbeitswelt geschaffen haben. Das gilt für die Umweltpolitik, die fortgesetzt werden muß, weil Versäumnisse von heute nur durch immer härtere staatliche Eingriffe morgen vielleicht noch korrigiert werden können.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das gilt schließlich für die Innenpolitik, mit der wir zum Frieden in unserer Gesellschaft beigetragen haben. Wir halten daran fest, daß eine Gesellschaft nur dann Bestand hat, wenn sie für friedliche Veränderungen offen, wenn sie reformbereit ist, ohne daß das als Systemveränderung diskreditiert wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Man kann keine Chinesische Mauer gegen die Zukunft bauen. Wir wollen die freiheitliche Substanz unserer Rechtsordnung weiterentwickeln und ausbauen. Wir wollen Rechte nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihres Mißbrauchs bewerten und Freiheiten nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Risikos.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der demokratische Staat braucht das Engagement seiner Burger. Darin liegt seine Sicherheit, nicht in der Zahl und Härte seiner strafrechtlichen Bestimmungen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der demokratische Staat, der sich auf Mehrheiten stützt, braucht nach unserer Auffassung auch die Minderheiten. Alle Reformen, alle notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen gehen zuerst von Minderheiten aus. Nur dann, wenn eine Minderheit eine Chance hat, die Mehrheit zu bilden, nur dann ist eine Minderheit auch bereit, auch eine gegen sie gerichtete Mehrheit zu akzeptieren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie muß an dem Entscheidungsprozeß beteiligt sein. Sie darf nicht ausgegrenzt werden. Sie muß einen Sinn darin sehen, an politischen Willensbildungen teilzunehmen. Es ist ein Alarmzeichen für alle sogenannten etablierten Parteien, daß beachtliche Minderheiten, insbesondere in unserer Jugend, nicht bereit sind, sich für den Staat zu engagieren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Minderheiten dürfen aus der politischen Auseinandersetzung nicht herausgedrängt werden, auch wenn die überwältigende Mehrheit das wollte. Denn wenn man sich mit Minderheiten nicht politisch auseinandersetzt, sondern mit staatlicher Gewalt oder mit vollzogenen Tatsachen, dann löst man
    die Konflikte nicht, sondern man schürt und verschärft sie.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wie bisher muß es auch in Zukunft in dieser Republik möglich sein, staatsbürgerliche Rechte ohne Furcht auszuüben. Es muß weiter möglich sein, sich nicht strafbar zu machen, wenn man selbst keine strafbare Handlung begangen hat. Es muß auch weiterhin möglich sein, eine Informationsveranstaltung des Bundesforschungsministeriums über die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu besuchen, ohne von der Polizei heimlich observiert, heimlich auf Tonband aufgenommen und in einem EDV-System abgefragt zu werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es muß auch für eine Datenschutzbeauftragte weiter möglich sein, Mißstände der Datenverarbeitung auch im polizeilichen Bereich zu rügen,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    ohne daß daraufhin eilfertig das entsprechende Datenschutzgesetz geändert wird. Wir wollen im Gegenteil den Datenschutz weiter ausbauen. Dies ist und bleibt ein Ziel unserer Politik, weil die Datenverarbeitung und damit gleichzeitig die Gefahr eines Mißbrauchs von Informationssystemen erheblich wachsen.
    Wir werden nicht daran mitwirken, die Beschränkung der Amtshilfe zwischen der Polizei und den sogenannten Diensten aufzuheben, weil wir den verfassungsmäßigen Grundsatz ernst nehmen, daß die Dienste keine exekutiven Möglichkeiten haben dürfen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Die Stärke des Rechtsstaats, wie wir ihn uns vorstellen, beruht nicht darauf, daß er möglichst allwissend ist. Natürlich könnte man durch den Verzicht auf den Datenschutz und durch technische Überwachungen aller Art den Schutz des Staates und seiner Ordnung weiter verstärken. Aber es wäre eben nicht mehr der Rechtsstaat, den zu schützen sich lohnt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir wollen auch weiter sicherstellen, daß der notwendige technische Fortschritt z. B. durch Verkabelung, der wir zustimmen — wir hoffen, es ist eine Glasfaserverkabelung —, nicht dazu mißbraucht werden kann, Meinungsmonopole aufzubauen, die Konzentration gegen die Pressevielfalt zu fördern, sondern dazu dient, den freien Fluß der Informationen auch über Grenzen hinweg zu verbessern.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir wollen uns auch weiterhin mit dem Jugendprotest nicht mit der Nürnberger Methode beschäftigen,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    sondern um die Mitarbeit der jungen Menschen am
    Staat werben. Dazu gehört, daß wir mit den Formen
    der Gewissensprüfung endlich aufhören. Das gilt



    Dr. Hirsch
    besonders für die Regelung der Kriegsdienstverweigerung, die überfällig ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir wollen schließlich, daß die Diskriminierung der Frau nicht nur in Sonntagsreden, sondern durch politische Entscheidungen bekämpft wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es ist ein besonderer Grundsatz liberaler Innenpolitik, die wir fortführen wollen, daß staatliche Machtanwendung nur mit großer Zurückhaltung erfolgen darf. Es bestehen zwischen den demokratischen Parteien offenbar keine Meinungsunterschiede darüber, daß das staatliche Gewaltmonopol erhalten bleiben muß. Private Gewalt, unter welchen Vorzeichen auch immer, kann weder zugelassen noch geduldet werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Aber dieser Satz darf nicht dazu führen, daß die Polizei in eine Eskalation von Gewalt und Gegengewalt hineingetrieben wird.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Was ist denn das: „Gewalt" und „Gegengewalt"?)

    Durch immer stärkere Anspannung staatlicher Macht kann man Gehorsam erzwingen, aber auch die Autorität des Staates zu Tode schützen. Man kann Äußerungen des Protestes unterdrücken. Aber man beseitigt damit nicht die Ursache des Protestes. Es ist Aufgabe der Politik und nicht der Polizei, die Ursachen sozialer Spannungen zu erkennen und zu beseitigen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Auch die Anwendung staatlicher Gewalt ist die Anwendung von Gewalt und fast immer ein Zeichen dafür, daß politische Fehler gemacht worden sind.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Wer hat sie gemacht?)

    — Wir alle, Herr Kollege. Ich stehe nicht an, das zu sagen. Wir alle.
    Der vernünftige Pfad zwischen Macht und Gewalt ist außerordentlich schmal. Wir wollen ihn nicht verlassen, wie er auch in der Vergangenheit nicht verlassen worden ist. Wir wissen uns in dieser Politik des Augenmaßes mit der ganz überwiegenden Mehrheit der Polizeibeamten des Bundes und der Länder einig, die Anspruch auf unseren politischen Schutz haben, deren Ausbildung und Ausrüstung keinen Vergleich zu scheuen braucht, und denen wir zusichern, daß sie trotz der finanziellen Schwierigkeiten des Staates unverändert alles bekommen werden, was notwendig ist, damit sie ihre Aufgabe unter möglichst geringem Risiko für Leib und Leben erfüllen können.

    (Beifall bei der FDP)

    Zur Ausländerpolitik stimmen wir den Grundsätzen der Regierungserklärung zu, nämlich erstens: Integration der hier lebenden Ausländer, zweitens: keine weitere Anwerbung, drittens: Hilfe für diejenigen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, wobei es nicht nur darauf ankommen kann, hier entstandene Leistungsansprüche verfügbar zu machen, sondern auch darauf ankommen muß, diesen Menschen dabei zu helfen, in ihrem eigenen Land einen Arbeitsplatz zu finden. Diese Grundsätze haben schon bisher die Bundesregierung in der Ausländerpolitik geleitet.
    Wir haben in den letzten Tagen dazu aber auch Erklärungen gehört, Herr Bundesinnenminister, die nicht unsere Zustimmung finden können.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Wir halten die Vorstellung, den Familiennachzug auf Kinder unter sechs Jahren zu begrenzen, für nicht vertretbar.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Sie ist eben nicht menschlich; sie kollidiert mit der verfassungsmäßigen Verpflichtung zum Schutz der Familie, der sich ausdrücklich nicht nur auf die deutsche Familie bezieht. Sie diskreditiert die Glaubwürdigkeit unserer Bemühungen um Familienzusammenführung der Deutschen aus den Ländern des Ostblocks. Jedermann weiß im übrigen, daß sich solche Vorstellungen insbesondere gegen türkische Familien richten, und sie werden die notwendigen Verhandlungen mit der türkischen Regierung über die notwendige Änderung des Assoziierungsabkommens nicht gerade erleichtern.
    Wir wollen daran festhalten, daß wir gerade gegenüber den Ausländern der zweiten Generation verpflichtet sind, ihnen ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, wenn sie sich für uns entscheiden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wenn es um eine geistig-moralische Herausforderung geht, dann besteht sie darin, der Ausländerfeindlichkeit nicht nachzugeben,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    für Toleranz und Humanität zu werben, sich zum uneingeschränkten Asylrecht zu bekennen und die Asylbewerber, die bei uns Zuflucht suchen, nicht durch Verwaltungsmaßnahmen praktisch zu entmündigen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wenn es keine neuen Tatsachen gibt, können wir einer erneuten Verschärfung des Aylsrechts nicht zustimmen, nachdem wir das vor wenigen Wochen bis an die Grenze des für uns Erträglichen getan haben.
    Wir glauben auch nicht, daß wir Ausländer, von denen behauptet wird, sie hätten sich strafbar gemacht, aus diesem Grunde bereits vor einer strafrechtlichen Verurteilung ausweisen könnten, und das noch ohne ausreichenden Rechtsschutz. Auch für sie gilt der Grundsatz der strafrechtlichen Unschuldsvermutung, und ich denke, daß jeder in diesem Hause dafür großes Verständnis haben wird.
    Eine Bemerkung zum Umweltschutz: Wir begrüßen die Vereinbarungen, die in diesem Bereich zum Inkrafttreten der TA Luft und zur Großfeuerungs-



    Dr. Hirsch
    anlagenverordnung getroffen worden sind, und wir begrüßen auch das Bekenntnis zur Umweltschutzpolitik in der Regierungserklärung. Wir können darum nicht recht verstehen, daß der Bundesinnenminister bei einer von uns bedauerten Personalentscheidung die Bemerkung gemacht haben soll, er wolle die bisherige Umweltschutzpolitik der Bundesregierung nicht fortsetzen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das erste Umweltprogramm einer Bundesregierung ist 1971 unter Innenminister Genscher entwikkelt und seitdem kontinuierlich und mit großem Erfolg fortgeführt worden, und das wollen wir auch weiter tun.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Wir akzeptieren eine längerfristige Orientierung der Umweltpolitik dort, wo das verantwortbar ist. Wir sind auch bereit, zu prüfen, wieweit ökonomische Anreize zur Förderung des Umweltschutzes gegeben werden können. Aber wir betonen gleichzeitig, daß es ohne Umweltschutz kein wirtschaftliches Wachstum geben wird,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    daß der Umweltschutz nach unserer Überzeugung Arbeitsplätze schafft, daß er aber vor allem notwendig ist, damit wir unserer Verantwortung gegenüber kommenden Generationen gerecht werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir wollen keine bürokratischen Hemmnisse, wo sie nicht erforderlich sind. Aber wir werden auch nicht das Wort vom „Investitionsstau" dort gelten lassen, wo es um ökologisch nicht vertretbare Investitionen und in Wirklichkeit um den Versuch geht, Betriebskosten als Umweltbelastung auf die Allgemeinheit abzuwälzen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Subventionen dieser Art kann es in unserem Wirtschaftssystem nicht geben.
    Zum Schluß muß ich noch ein Thema erwähnen, das in der Koalitionsvereinbarung nur negativ behandelt worden ist: daß nämlich die Bundesregierung den Gesetzentwurf über die Verfassungstreue der Beamten nicht weiter verfolgen wird. Herr Kollege Miltner, Sie haben darauf ja hingewiesen. Dieses Thema ist nicht dadurch erledigt, daß die gegenwärtige Verwaltungspraxis der Länder zum x-ten Male neu zusammengestellt wird. Solche Zusammenstellungen liegen den Mitgliedern des Innenausschusses und den Ländern immer wieder aktualisiert vor. Ich habe — das bekenne ich hier ganz freimütig — den Liberalisierungstendenzen des früheren Bundesinnenministers mit großer Zurückhaltung gegenübergestanden, insbesondere soweit im Bereich der Länder eine Berufsgruppe betroffen war, mit der der Bund keine Probleme hatte, nämlich die Lehrer. Herr Kollege Baum, Sie wissen das. Aber ich kann an der Tatsache nicht vorbei, daß die von Herrn Kollegen Baum durchgesetzte Politik zu einer wesentlichen Beruhigung und Entspannung einer sich verschärfenden innenpolitischen Situation beigetragen hat.
    Nun hat Bundesinnenminister Zimmermann eine Bemerkung in einem Interview gemacht, die erwähnt werden muß. Ein Staat solle nicht, so wird als Zitat berichtet, Herr Bundesinnenminister, durch einen Fernmeldetechniker, der Verfassungsfeind sei und operative Maßnahmen verrate, geschädigt werden können. Wir haben bisher von Beamten gesprochen, die also Hoheitsfunktionen ausüben. Ich frage mich bei diesem Zitat, wieweit Sie den Kreis der Überprüfungen überhaupt ziehen wollen. Es gibt ja auch dafür historische Parallelen. Bismarck forderte in einem Schreiben vom 15. August 1878 aus Bad Kissingen eine Ergänzung des Entwurfs des Sozialistengesetzes dahin, daß die „Beteiligung von Beamten an socialistischer Politik die Entlassung ohne Pension nach sich zieht".

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das ist kein passender Vergleich, den Sie da verwenden!)

    Die Mehrzahl
    — schreibt Bismarck —
    der schlechtbezahlten Subalternbeamten in Berlin und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher Kategorien sind Socialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen und Truppentransporten einleuchtet.
    Dies war eine Befürchtung, die sich in der geschichtlichen Wirklichkeit keinesfalls bewahrheitet hat,

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Broll [CDU/CSU]: Heute wählen die auch keine SPD mehr!)

    weil die subalternen Beamten die Truppentransporte natürlich überhaupt nicht behindert haben, die höheren Beamten allerdings auch nicht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)

    An der Verpflichtung der Beamten zur Verfassungstreue muß festgehalten werden.

    (Broll [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Trotzdem sind Differenzierungen möglich, und sie entsprechen auch der Verwaltungspraxis. Das weiß jeder, soweit es sich z. B. um Disziplinarverfahren handelt. Das ist aber auch bei der Einstellung der Fall gewesen. Ich habe hier schon wiederholt darauf hingewiesen, daß die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern bei Einstellungen in den mittleren Dienst und bei der entsprechenden Angestelltengruppe, also bis BAT V a, bis vor wenigen Jahren keinerlei Überprüfungen der Verfassungstreue vorgenommen, keine Regelanfrage durchgeführt haben, überhaupt nichts. Ich werfe das nicht vor, ich sage das anerkennend, weil es vernünftig war.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr wahr!)

    Ich hoffe also, daß wir bei einer länger dauernden Zusammenarbeit jedenfalls auch in diesem Punkt zu Lösungen kommen können, die vertretbar sind.
    Ich habe es in den vergangenen Jahren, Herr Kollege Miltner, immer wieder bedauert, daß Fragen



    Dr. Hirsch
    der inneren Sicherheit zum Gegenstand häufig übertriebener Polemiken geworden sind, und zwar zu unser aller Schaden. Ich möchte die Chance ergreifen, zum Abbau dieser Konfrontation dort beizutragen, wo sie überflüssig ist. Ihre Formulierung „semper pro libertate" hat mir außerordentlich imponiert. Das ist in der Tat eine Formel, über die länger nachzudenken sich wirklich lohnen würde. Es wäre aber eine Täuschung, wenn dieses Angebot zur Zusammenarbeit als die Bereitschaft mißverstanden würde, liberale Grundpositionen aufzugeben und damit die Freiheitlichkeit unseres Staates zu beeinträchtigen. Die Bewahrung dieser Grundposition ist ein entscheidendes politisches Ziel der gesamten FDP-Fraktion und wird es bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)