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ID0912211800

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    Vokabeln: 10
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hugo Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal einige Bemerkungen vorweg: Erstens. Es war hier in dieser Debatte an einigen Stellen und natürlich auch draußen in der Öffentlichkeit immer einmal wieder von „Verrat" und ähnlichen Begriffen die Rede. Das hat zu begreiflichen Auseinandersetzungen auch hier geführt. Wie immer das von dem einzelnen im einzelnen auch beurteilt werden mag, an einer Tatsache — deshalb, weil ja auch die Rede davon war, daß Tassen richtig gestellt werden müßten, will ich das hier auch einmal versuchen — kommt man nicht vorbei: Die Freie Demokratische Partei hat 1980 einen Wahlkampf für und mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt geführt.

    (Liedtke [SPD]: So ist es!)

    Sie hat eine Garantie für den Erhalt der sozialliberalen Koalition abgegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir stellen fest, daß diese öffentlich plakatierte und auch öffentlich gegebene Zusage nicht eingehalten worden ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Schwörer [CDU/ CSU]: Nachdem Sie vom Regierungsprogramm abgegangen waren!)

    Daraus mag jeder seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Allerdings!)

    Im übrigen ist das nicht eine Frage, die unter dem Gesichtspunkt Verrat — oder wie auch immer das genannt wird — gegenüber der SPD abgehandelt werden kann, sondern das ist eine Frage, die die Freie Demokratische Partei mit ihren Wählern von damals ausmachen muß, nicht aber mit uns.

    (Beifall bei der SPD)

    Das zweite, was hier gesagt werden muß — offensichtlich etwas spät bemerkt, aber dann doch gerade noch richtig herhalten müssend —, betrifft dann den Münchener Beschluß, den Parteitagsbeschluß der Sozialdemokratischen Partei zur



    Brandt (Grolsheim)

    Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik — das vor allem.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Gab's die Beschlüsse?)

    — Natürlich gab's diesen Beschluß; den gibt's auch noch, Herr Kollege Würzbach.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ist das die Leitlinie Ihrer Politik?)

    Da mag man sich über bestimmte Aussagen dieses Beschlusses streiten. Wir verlangen ja nicht, daß Sie das übernehmen. Wir verlangen ja nicht, daß das irgend jemand anderes übernimmt. Aber das ist unsere Meinung gewesen, die wir formuliert haben. Die Sozialdemokratische Partei läßt sich von niemandem das Recht bestreiten, zu beschließen, was sie für richtig hält. Daran mögen sich dann andere reiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Das haben wir in der Vergangenheit getan, das werden wir auch in der Zukunft so tun.
    Dann hat der Herr Bundeskanzler — das ist die dritte Bemerkung — in seiner Regierungserklärung gestern sehr deutlich gesagt: Wir werden am 6. März wählen. Ich bin für diese genaue Aussage in der Regierungserklärung sehr dankbar.

    (Brandt [SPD]: Na, na!)

    — Es ist eine Aussage in der Regierungserklärung gewesen. Es hat nur etwas Wichtiges zu dieser Aussage gefehlt, nämlich auch darüber zu sprechen, wie man das herstellen will, daß am 6. März wirklich gewählt werden kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, über eines sollten wir hier nun wirklich nicht streiten: Dieses Versprechen, Herr Dr. Kohl, ist unter voller Kenntnis der bestehenden Verfassungslage und, so nehme ich auch an, unter Berücksichtigung dieser Verfassungslage abgegeben worden.

    (Wehner [SPD]: Hoffentlich!)

    Deshalb erwarten wir nun auch von Ihnen nicht nur das Datum, sondern auch so schnell wie möglich den Hinweis darauf, wie das jetzt hergestellt werden soll, damit am 6. März wirklich gewählt werden kann.

    (Beifall bei der SPD — Liedtke [SPD]: Der Kanzler nickt zustimmend!)

    Nun, meine Damen und Herren, will ich hier einmal einen Satz aus der Regierungserklärung herausnehmen, Herr Dr. Kohl, über den nachzudenken ich seit gestern mehrfach versucht habe, um zu ergründen, was er heißt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dazu sehr bald eine etwas weitere Erläuterung geben wollten. Ich will deshalb auch überhaupt nichts unterstellen, was sonst in diesem Satz drinstehen könnte. Da steht u. a. eben dieser Satz:
    Wir werden den Staat auf seine ursprünglichen Aufgaben zurückführen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut! Sehr richtig!)

    Darf ich einmal sagen, daß dieser Satz zumindest sehr mißverständlich ist.

    (Löffler [SPD]: Aber genau!)

    Ich muß mir dann auch die Frage beantworten: Was heißt denn „ursprüngliche Aufgaben des Staates"? Ist das allein die Ordnungsfunktion des Staates, der früher einmal polemisch Nachtwächterstaat genannt worden ist, oder ist hier auch der moderne Sozialstaat mit seiner Sozialstaatsforderung beinhaltet?

    (Beifall bei der SPD)

    Was heißt hier: ursprüngliche Aufgaben? Wie weit geht das zurück? Ich will hier nur die Frage stellen. Ich will hier gar nichts unterstellen; aber dieser Satz ist erklärungsbedürftig.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja auch unter dem Gesichtspunkt, Herr Dr. Kohl, daß diese Regierungserklärung für einen knappen Zeitraum abgegeben worden ist, unter dem Gesichtspunkt der anvisierten Neuwahlen verständlich, daß man sich zunächst einmal auf einige Fragen konzentriert. Es ist aber unverständlich, daß einige ganz wichtige Fragen des Regierungshandelns in der Regierungsverantwortung in dieser Regierungserklärung nahezu überhaupt nicht angesprochen sind. Im besonderen der breite und wichtige Bereich der Innenpolitik verschwindet in dieser Regierungserklärung nahezu völlig hinter einer Mauer des Schweigens. Man weiß nicht, was da denn nun geschehen soll.

    (Zuruf von der SPD: Eine Null-Option!)

    Auch unter dem Gesichtspunkt, daß hier eine Regierungserklärung für kurze Zeit abgegeben worden ist, dürfte die Innenpolitik nicht so als Nullum behandelt werden, wie das in dieser Regierungserklärung geschehen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wissen alle miteinander sehr genau, daß der freiheitliche und demokratische Charakter unseres Gemeinwesens auch und gerade durch die Qualität der Innenpolitik bestimmt wird. Daher muß man wissen, was hier geschehen soll. Wir haben das als Sozialdemokraten in der Vergangenheit ja oft am eigenen Leib zu erfahren gehabt. Die Frage ist für mich, da soviel von Wende die Rede ist: Soll es auch in der Innenpolitik nun eine Wende geben? Und wenn es eine Wende geben soll, wohin soll dann gewendet werden?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Zimmermann!)

    Aber zunächst einmal liegt mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, einfach daran, mich zu bedanken. Gerade im Bereich der Innenpolitik gab es in der sozialliberalen Koalition über all die Jahre bis zuletzt mit den Kollegen von der FDP eine gute, ungetrübte, von gegenseitigem Vertrau-



    Brandt (Grolsheim)

    en, von der Achtung getragene und — wie ich meine — auch erfolgreiche Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies zu erwähnen, meine ich, gebietet die Gerechtigkeit. Ich glaube, es auch unseren gemeinsamen Zielen und Leistungen schuldig zu sein, diese meine Achtung gegenüber unseren Partnern zu formulieren, ihr deutlich Ausdruck zu verleihen. Ich darf hinzufügen: Daran wird sich zwischen uns auch durch die neue Konstellation nichts ändern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich finde es deshalb nicht ganz fair, Herr Kollege Mischnick, wenn Sie dieser Tage — sicherlich in der Wahlauseinandersetzung — gesagt haben: Die FDP wird bestrebt sein, die in den 13 Jahren sozialliberaler Koalition verschiedentlich auch gegen den Widerstand der SPD durchgesetzten Erfolge zu bewahren. Dies bewahren zu wollen, ist eine löbliche Absicht. Wir hatten sicherlich in einer Reihe von Fällen unterschiedliche Auffassungen — wer wollte dies bestreiten? —, aber es hat nie jemand gegen den anderen etwas durchsetzen müssen. Und deshalb sage ich: Ich habe keinen Stein dieser Zusammenarbeit hinterherzuwerfen und werde auch keinen aufheben.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP)

    Die Gegner unserer gemeinsamen Innenpolitik finden Sie doch nicht auf dieser Seite dieses Hauses, sondern die Gegner unserer gemeinsamen Innenpolitik sitzen jetzt auf der Regierungsbank.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben auch mit Sorge registriert, daß derjenige, der die sozialliberale Innenpolitik von seinem Amt her repräsentiert hat, nämlich Herr Baum, kein Gesprächspartner bei der Bildung einer neuen, konservativen Koalition sein durfte. Er war einfach nicht akzeptiert worden. Und es ist schlimm genug, daß sich die FDP darauf eingelassen hat.

    (Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier [FDP])

    Wir als Sozialdemokraten hätten nicht die Unanständigkeit aufgebracht, so etwas einem anderen zuzumuten;

    (Beifall bei der SPD)

    wir wären allerdings auch zu stolz gewesen, es uns zumuten zu lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit uns wäre dies weder so noch so möglich gewesen.
    Aber, meine Damen und Herren, dementsprechend dürftig ist eben auch das, was in der Regierungserklärung über die Innenpolitik drinsteht. Da ist kein Wort zu dem weiteren Ausbau, zu der Entwicklung des liberalen Rechtsstaates, kein Wort zu den Problemen des Datenschutzes. Umweltschutz kommt nur in einigen ganz allgemeinen, ebenso richtigen wie nichtssagenden Formulierungen in dieser Erklärung vor. Ich finde es bedrückend, daß ich vermuten muß, daß der politische Stellenwert
    der Innenpolitik von den gegenwärtigen Koalitionspartnern, zumindest von der einen Seite, so gering eingestuft wird, daß er als wohlfeile Tauschware für andere begehrte Objekte dienen könnte.

    (Beifall bei der SPD)

    Da in der Regierungserklärung über die Innenpolitik nahezu nichts steht, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit werden die Kollegen der FDP sicherlich für sich in Anspruch nehmen, nämlich zu sagen: Dann bleibt vorerst alles beim alten — weil nichts darinsteht. Die andere Möglichkeit ist — weil in dieser Regierungserklärung nichts Vereinbartes drinsteht —, daß das Programm in der Innenpolitik — und das befürchten wir — „Zimmermann und Spranger" heißt. Und da, meine Damen und Herren, haben wir erhebliche Bedenken.

    (Beifall bei der SPD — Eigen [CDU/CSU]: Lächeln Sie doch mal!)

    Wie rücksichtslos, nebenbei bemerkt, der Innenminister vorgehen kann und will, hat er j a bei seinen ersten Personalentscheidungen bewiesen.

    (Zuruf von der SPD: Er ist halt ein Zimmermann!)

    — Sicherlich. Aber, wissen Sie, Herr Kollege, in unserer Gegend zumindest — vielleicht auch anderswo — gibt es das Sprichwort: Die Axt im Haus ersetzt den Zimmermann. — Ich habe den Eindruck, daß Herr Bundeskanzler Dr. Kohl davon ausgegangen ist, daß man diese Redensart auch umdrehen kann.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Und so läuft das denn auch.

    Wir standen und stehen für die Erhaltung und den Ausbau der inneren Liberalität unseres Staates. Die vielbeschworene Freiheit als eine der Grundlagen unserer Gesellschaft findet gerade hier ihren wichtigsten Niederschlag, auch und gerade dann, wenn es schwierig wird. Ich muß doch nicht daran erinnern, welchen Versuchungen und Ansinnen wir in der Vergangenheit ausgesetzt waren — egal, ob es im Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen war, ob es im Zusammenhang mit Demonstrationen war — durch Gesetzesvorschläge, durch Maßnahmenkataloge, die nicht nur an irgendeine Stelle dieses oder jenes Gesetz geändert, sondern den Charakter des liberalen Rechtsstaates verändert hätten.

    (Beifall bei der SPD)

    Und wir haben dem gemeinsam widerstanden, gleichzeitig das Notwendige getan.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!)

    Damals wie heute war bzw. ist sehr viel von geistiger Auseinandersetzung, auch von geistiger Führung, die Rede. Nun, ich habe die Regierungserklärung sehr aufmerksam verfolgt. Und das war's dann wohl auch.
    Wir setzen auf geistige Standfestigkeit, halten an den Prinzipien des liberalen Rechtsstaats fest und verteidigen ihn auch gegen diejenigen, die ihn her-



    Brandt (Grolsheim)

    ausfordern und auf die hektische und unbesonnene Reaktion des Staats hoffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dem dürfen wir uns nicht hingeben. Das war unsere Haltung in der Vergangenheit, und so wird es auch bleiben.
    Die Frage ist: Was wird jetzt geschehen? Es gehört sicherlich auch zu den unbestreitbaren Verdiensten der sozialliberalen Koalition, daß wir antiquierte, obrigkeitsstaatliche Vorschriften geändert haben, z. B. auch in dem jetzt wieder in Rede stehenden Demonstrationsstrafrecht. Sie haben doch von der CDU/CSU von Mal zu Mal die Veränderung der strafrechtlichen Voraussetzungen hier herausgefordert. Vier- oder fünfmal haben wir das gemeinsam verändert. Wir haben hier all diejenigen in Schutz genommen, die von ihrem Recht zu demonstrieren Gebrauch gemacht haben.
    Ich erinnere an die Debatte, die wir am 9. Oktober des vergangenen Jahres im Bundestag vor einer großen Demonstration geführt haben, wo Ihnen nichts eingefallen ist, als zu sagen, das sei Volksfront, das sei wieder die Vereinigung der Roten mit den Grünen und derjenigen, die unter dem Deckmantel der Friedenssehnsucht ihr Süppchen kochen wollten, ohne zu bemerken, daß hier einer großen Sehnsucht sichtbar Ausdruck verliehen werden sollte.

    (Beifall bei der SPD)

    In all diesen Zusammenhängen haben Sie immer wieder das Demonstrationsrecht herausgefordert. Wir sagen Ihnen: Wir werden auch in Zukunft keine Hand dazu reichen — bei aller Verurteilung von Gewalttätigkeiten —, daß es hier Veränderungen gibt.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Wir teilen die Auffassung, die Sie, Herr Mischnick, kürzlich noch ausgesprochen haben, als Sie sagten: „Ich denke da am allerwenigsten an eine Verschärfung des Demonstrationsrechts, wie es der CDU/CSU vorschwebt, weil damit die bestehenden Konflikte nicht ausgeräumt, sondern eher auf die Spitze getrieben werden würden."

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    — Das war am 24. März. Ich teile Ihre Auffassung und bestätige sie nachdrücklich; das ist auch immer unsere Auffassung gewesen und ist sie nach wie vor.
    Meine Damen und Herren, wir haben natürlich gerade als Sozialdemokraten auch unsere besonderen Erfahrungen mit dem Kommunismus. Die muß uns niemand lehren. Wir haben aber nie so recht einsehen mögen, daß der Lokomotivführer, der beispielsweise Mitglied der DKP ist, seine Lokomotive nicht mehr führen darf. Wir haben nie so recht einsehen können, daß der Briefträger, der Mitglied der DKP ist, keine Briefe mehr austragen darf. Wir haben deshalb gemeinsam noch einen Gesetzentwurf eingebracht, der uns eine vernünftige Differenzierung in der Behandlung dieses Problems ermöglicht hätte. Nur war eine Ihrer ersten Äußerungen, daß dieser Gesetzentwurf nicht mehr weiter verfolgt werden dürfe. Wir werden Sie nicht daraus entlassen, ihn weiter verfolgen zu müssen, weil wir ihn Ihnen wieder auf den Tisch bringen werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit wird man sich auseinandersetzen müssen.
    Nun, meine Damen und Herren, wir haben auch versucht, miteinander bestimmte Praktiken, die eingerissen sind, die man am Anfang vielleicht auch nicht so richtig eingeschätzt hat, wieder in Ordnung zu bringen. Ich meine z. B. Praktiken beim Verfassungsschutz oder bei dem Problem der Amtshilfe. All dies hat von Anfang an unter dem stärksten Beschuß der CDU/CSU gestanden, die ja immer davon ausgegangen ist — ich habe diese Aussage nie vergessen —, der Staat dürfe sich nicht selber dumm machen. Im Klartext heißt das: Die Informationen müssen quer durch die staatlichen Einrichtungen voll ausgetauscht werden dürfen.
    Meine Damen und Herren, auch über die modernen Techniken ist eine Gefährdung der Freiheit möglich, die nicht sichtbar ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Über die modernen Techniken ist es auch möglich, daß die gewollte Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei überbrückt werden kann und der Weg in die Geheimpolizei wieder beschritten werden kann.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Diese Gefahren muß man sehen und darf nicht einfach sagen: Wir dürfen uns nicht einfach dumm machen. Es muß unser Ziel bleiben, hier genau aufzupassen. Ich habe gerade wegen der Bedeutung des Verfassungsschutzes auch etwas dagegen, daß er wieder in die Rolle hineingedrängt werden soll, die er einmal erfüllen mußte, die er in vielen Ländern auch heute noch erfüllt, nämlich die Rolle der obersten Einstellungsbehörde. Das kann so nicht sein: über Regelanfrage und was es da alles noch gegeben hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Vertrauen in den Staat heißt auch Vertrauen in seine Institutionen und seine Repräsentanten. Ich möchte, daß wir dabei bleiben, daß der Ausgleich zwischen Staatsgewalt und persönlicher Freiheit immer wieder neu ausgelotet wird, immer wieder neu geortet wird. Sie haben in dieser Gesamtauseinandersetzung auch nie so recht begreifen wollen, daß es dabei nicht um Schwäche oder Härte des Staates, sondern um die Bewahrung oder grundlegende Veränderung des freiheitlichen Charakters unseres Staatswesens geht.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in der Innenpolitik auch den wichtigen Bereich des Umweltschutzes. In den wenigen Punkten, in denen die Regierungserklärung auf diesen Gesamtbereich Innenpolitik eingeht, ist das eine — ich sagte es vorhin schon — zwar völlig richtige Aussa-



    Brandt (Grolsheim)

    ge, aber insgesamt auch nichtssagende Aussage. Es geht da nicht, auch in den Koalitionsvereinbarungen nur eine Bemerkung zur TA Luft zu machen und sonst ganz allgemein vom Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie zu reden. Das Thema Umweltschutz hat eine Dimension, die über die sehr wichtige Reinhaltung der Gewässer, über die sehr wichtige Reinhaltung der Luft, über die sehr wichtige Erhaltung unserer Wälder noch hinausgeht. So wichtig dies alles ist, in dem Begriff Umweltschutz sammeln sich auch alle Bedenken darüber in unserer Gesellschaft, ob wir so wie in den vergangenen Jahrzehnten weiterleben können bzw. ob die schlichte Fortschreibung einer zurückliegenden Epoche in die Zukunft möglich ist. Ich glaube, daß wir es hier mit einer Krise der hochindustrialisierten Gesellschaften insgesamt zu tun haben, die sich übrigens auch in hohen Arbeitslosenzahlen niederschlägt. Das alles ist nicht mit den Rezepten der 50er Jahre zu bewältigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Umweltschutz hat in diesem Zusammenhang einen Symbolwert für eine geistige Veränderung, die dem undifferenzierten Fortschrittsglauben immer skeptischer, zurückhaltender gegenübersteht. Die Führung, von der auch in der Regierungserklärung so oft die Rede ist, darf deshalb keine Führung zurück in die Vergangenheit sein, so schön sich diese Vergangenheit auch in der Geschichte darstellt.
    Die Leistungen im Umweltschutz in den 13 Jahren, die wir hier zusammengearbeitet haben, sind beachtlich. Es ist leider ein Bereich geblieben, der nicht die Beachtung bekommen hat, die er eigentlich verdient hätte, von dem nicht begriffen worden ist, daß hier etwas auf dem Gesetzgebungsweg in Gang gesetzt worden ist, das dem Rechnung trägt, was ich versucht habe, hier zu formulieren. Deshalb muß es zu sehr konkreten Abreden kommen, wie es in dieser Frage weitergeht.
    Ich kann es leider nicht ändern, daß ich mich hier in der mir zur Verfügung gestellten Zeit auch verhältnismäßig allgemein äußern muß. Vielleicht spielt das im Verlauf der Debatte noch eine etwas konzentriertere Rolle. Ich muß hier nämlich noch zwei andere Themen ansprechen.
    Eines davon, Herr Dr. Kohl, ist in der Regierungserklärung enthalten. Das ist das Problem der Ausländer. Wir teilen die von Ihnen geäußerte Meinung, daß Integration das Hauptziel ist, daß alle Bemühungen darauf konzentriert werden müssen.

    (Zuruf des Abg. Schwarz [CDU/CSU])

    — Ich darf ihm doch mal zustimmen, Herr Schwarz.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Viel zu wenig!)

    Wir teilen Ihre Meinung, daß es bei dem Anwerbe-stopp bleiben muß und daß der Zuzug weiterhin wirksam geregelt und bekämpft werden muß. Allerdings mache ich Sie darauf aufmerksam, daß hier das Problem des Familiennachzugs einer besonders sorgfältigen Behandlung bedarf.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir teilen auch Ihre Meinung, daß man Rückkehrwilligen auch helfen soll. Ich bitte Sie nur ernstlich, dieses Instrument nicht zu überschätzen. Das kann ein sehr teures und dennoch außerordentlich wirkungsloses Instrument sein, wie die Erfahrungen uns zeigen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

    Aber wir werden jeden Vorschlag sehr aufmerksam prüfen, der uns herübergereicht werden wird. Nur um eines bitte ich — Sie haben das hier nicht getan; es hat hier auch bis jetzt noch keine Rolle gespielt, aber ich habe es in anderen Debatten erlebt, auch in der Diskussion draußen —: Helfen Sie mit, daß wir nicht über eine sehr extensiv geführte Ausländerdebatte, in der dann immer wieder das Stichwort Ausländerfeindlichkeit eine Rolle spielt, tatsächlich zu dem kommen, was schon als gegeben unterstellt wird: zur Ausländerfeindlichkeit, und auch nicht dazu, daß die Deutschen für ihre Schwierigkeiten einmal wieder einen Sündenbock brauchen und ihn jetzt bei den Ausländern suchen. Das darf nicht passieren; dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen)?

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    Rede von Hugo Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte.