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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Wenn Sie so wie ich in der Lage sind, in geordneten Kategorien des Ablaufs zu denken, werden Sie hier keinen Widerspruch entdecken. Die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben erfordert eine Verfassungsänderung, eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates. Diese Abschaffung kann nicht innerhalb weniger Wochen erfolgen, weil die Verhandlungen über eine Verfassungsänderung nicht holterdiepolter geführt werden können. Dessen bin ich mir bewußt. Darum habe ich ja von einem längerfristigen Prozeß gesprochen.
    Aber die Aufstockung der Gemeinschaftsaufgaben jetzt, solange es diesen Verfassungszwang gibt, ist ein dringendes Gebot auch im Blick auf die notwendigen öffentlichen Investitionen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das schließt doch nicht aus, Herr Kollege, daß man dann im Laufe der Jahre — je früher, desto lieber, aber es muß sorgfältig überlegt werden; ich komme darauf noch kurz in zwei, drei Sätzen zu sprechen — die Gemeinschaftsaufgaben abschafft und an ihre Stelle andere Finanzierungsmethoden setzt.
    Das eine ist jetzt geboten, weil die Lage, die wir anstreben, noch lange nicht da ist. Wenn die Lage da ist, werden wir den Bund nicht mehr bitten, weil dann keine Voraussetzung mehr dafür besteht. Ist das klar?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis darf ich einige Sätze aus meinem Buch über „Die Finanzverfassung" zitieren, das 1969 entstanden ist. Ich betrachte diese Debatte auch als eine Grundsatzdebatte über verschiedene wesentliche Bereiche unseres demokratischen föderativen Gemeinwesens. Ich habe damals geschrieben:
    Der Gedanke der gemeinsamen Wahrnehmung von Aufgaben durch Bund und Länder ist nicht in den Köpfen von Verfassungsjuristen entstanden, sondern aus der Dynamik der tatsächlichen Notwendigkeiten. Diesem Zwang folgend nahmen Bund und Länder auch bisher schon eine Reihe wichtiger Aufgaben gemeinschaftlich wahr, z. B. den sozialen Wohnungsbau, die Maßnahmen der Agrarstruktur und den Ausbau wissenschaftlicher Hochschulen.
    Das heißt, die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben war keine sensationelle Neuheit, sondern die verfassungsrechtlich geordnete Finanzierung gewisser Aufgaben, die vorher mehr oder minder Wildwuchs gewesen waren.
    Ich habe weiter geschrieben:
    Die gemeinsame Erfüllung von Aufgaben hat sich bisher mehr oder weniger zweckmäßigen Formen neben der Verfassung vollzogen.
    Diese Entwicklung mußte man verfassungsrechtlich in den Griff bekommen. Es galt, eine Regelung zu treffen, die den Umfang der beiderseitigen Verantwortung klärt und eine feste konstitutionelle Grundlage schafft, von der aus eine auf gemeinsamer Willensbildung beruhende fruchtbare Entwicklung möglich ist.
    Und weiter:
    Kernbestand jeder bundesstaatlichen Ordnung ist die Abgrenzung der Aufgabenbereiche, der eminente staatspolitische Bedeutung zukommt. Es war weder Absicht noch Aufgabe der Finanzreform, an den Grundentscheidungen unserer Verfassung zur Aufgabenabgrenzung zu rütteln.
    Die Finanzreform war ein einstimmiger Beschluß der von der Großen Koalition getragenen Bundesregierung. Daß die Bundesregierungen seit 1969 damit andere Ziele verfolgten und die Praxis anders gestalteten, als das im Sinne des Erfinders geplant war, ist eine bedauerliche Entwicklung, die beendet werden muß. Einige Teile der Finanzreform des Jahres 1969 — das kann und darf nicht verschwiegen werden — haben die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Die mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben seinerzeit auch geäußerten Befürchtungen, die Durchführung der Aufgaben könnte mehr erschwert als erleichtert werden, haben sich leider bestätigt. Dem Bund war aber sehr daran gelegen, mit Hilfe der Mischfinanzierungen



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    immer mehr in die Zuständigkeiten der Länder einzugreifen.
    Die verhängnisvolle Entwicklung trat Ende des Jahres 1969 ein. Ab diesem Zeitpunkt ging es wirklich bergab. Es entstanden andere Mischfinanzierungen durch Gesetze, Vereinbarungen, Haushaltsansätze zur Finanzierung von ursprünglichen Landesaufgaben mit dem Zwang der jeweiligen Mischfinanzierung durch die Länder, die sonst das Risiko eingingen, auf die Bundesmittel verzichten zu müssen. Ich möchte in diesem Zusammenhang erinnern an das Psychiatrieprogramm, die Einmischung in den kulturellen Bereich, die Förderung der Forschung und Entwicklung im Bereiche kleiner und mittlerer Unternehmen und an das Hilfsprogramm zur Gründung von selbständigen Existenzen. Auch hier sollte man die Doppelförderung aufgeben, denn sowohl der Bund als auch die Länder entwickeln Formblätter, und mancher stellt gar keinen Antrag mehr, weil er das Förderziel über dem Haufen an Formblättern nicht mehr zu erkennen vermag.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich zwei wesentliche Bereiche herausgreifen, nämlich den Hochschulbau und die Krankenhausfinanzierung. Mit der Finanzreform des Jahres 1969 wurde der Hochschulbau nicht nur als einer der vielen Investitionsbereiche angesehen. Dieser Bereich wurde vielmehr hervorgehoben und zur Gemeinschaftsaufgabe gestaltet. Das bedeutet gemeinsame Rahmenplanung, gemeinsame Abstimmung über die Ausbauziele, gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder, also Kooperation statt Diktat, Verhandeln beim Auftreten finanzieller Engpässe statt einseitiger Finanzierungsvorbehalte, Durchführen begonnener Maßnahmen statt Bauruinen, auch wenn es schwerfällt.
    Ungeachtet dieser Grundsätze hat die Bundesregierung unter Helmut Schmidt im Juni 1980 den Zehnten Rahmenplan für die Hochschulfinanzierung einseitig unter Finanzierungsvorbehalt gestellt und damit jeden systematischen Aus- und Neubau von Hochschulen fragwürdig, zum Teil unmöglich gemacht.
    Außerdem sind noch gewisse Zusagen hinsichtlich der bis Ende 1980 begonnenen oder zu beginnenden Vorhaben gemacht worden.
    Wenn ich es ganz kurz ausdrücke, sieht es doch so aus: Für einen Teil der zu jenem Zeitpunkt laufenden Maßnahmen hat der Bund noch mitfinanziert. Für einen Teil hat er nicht mehr mitfinanziert, mußten die Länder also auch den Bundesanteil vorfinanzieren. Sie haben dafür eine fragwürdige Refinanzierungsgarantie bekommen; denn auf diesem Scheck steht ein Name, der nicht mehr allzu hoch im Kurs stand, nämlich Helmut Schmidt und seine rasch wechselnden Finanzminister.
    Bei Neubaumaßnahmen war es so, daß die Länder von vornherein auch den Bundesanteil mitfinanzieren mußten und keine Refinanzierungszusage mehr bekommen haben, also im ungewissen waren, ob die von ihnen erbrachten Vorleistungen überhaupt jemals durch den Bund — gleichgültig, wann — refinanziert werden. Zinsen hätte es sowieso nicht gegeben, und der Wertverlust des Geldes wäre dabei auch nicht berücksichtigt worden.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, so läßt sich Hochschulplanung nicht durchführen. Das sind langfristige Vorhaben, und sie treffen den kleinen Mann. Sie betreffen z. B. im bayerischen Raum das Großklinikum Regensburg. Hier ist es notwendig, eine medizinische Einrichtung der dritten Versorgungsstufe für große Teile Niederbayerns und der Oberpfalz zu schaffen, damit unser landesplanerisches Ziel in völliger Übereinstimmung mit dem Grundgesetz, daß nämlich eine solche Versorgung der dritten Stufe mit maximal 100 km Entfernung für jeden Bürger vorhanden ist, auch tatsächlich erreicht werden kann. Das ist echte Landespolitik. Das ist Politik im Interesse der Bürger des Landes, im Interesse ihrer sogenannten Lebensqualität.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß sich gegen diese Planungen und Verhaltensweisen des Bundes nicht nur die Chefs der unionsregierten Länder mit Nachdruck gewehrt haben, sondern auch die sozialdemokratischen Regierungschefs haben diese Verfahren als schlechterdings unmöglich bezeichnet. Ich will wegen der Kürze der Zeit nicht die einzelnen Zitate, die dafür sprechen, die einzelnen Konferenzen und ihre Ergebnisse, die einzelnen Aussprachen darlegen.
    Eine Bemerkung kann ich Ihnen nicht ersparen. Ich darf hier Bayern erwähnen. Bayern hat nie zu denen gehört, die der Meinung waren, daß der Mensch beim Abiturienten beginnt und der Akademiker die höhere Stufe der Menschheit erreicht hat.

    (Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

    Bayern hat nie zu denen gehört, die für jeden zweiten Schüler ein Abitur als Idealziel vorgeschlagen haben und für jeden zweiten Abiturienten ein akademisches Diplom. Für uns hatte der Schlosser den gleichen Stellenwert wie ein Akademiker, wie der Kollege Waigel gesagt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Warum lassen Sie sich mit Doktor anreden, obwohl Sie keinen Doktor haben?)

    — Ich verstehe Sie leider nicht.
    Ich weiß noch sehr gut, wie Kollege Brandt als Bundeskanzler mir einmal zugerufen hat: In der Zeit, in der Sie an der Regierung waren, konnte ein Arbeitersohn nur Schlosser werden!
    Ich wollte, wir hätten heute wieder mehr Schlosser und auf gewissen Gebieten weniger Akademiker. Dann wäre es wahrscheinlich besser in unserem Land, denn dann wären Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber welchen Sinn hatte das? Sozialdemokraten sind doch sonst so sehr für Planung, Programmierung und langfristige Prognosen. Ich sehe keine Ratio, keine Vernunft in einer Politik, die die Zahl der Abiturienten von Jahr zu Jahr erhöht. Das war auch in Bayern so, aber wir sind hier Gott sei Dank das



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Schlußlicht; lieber besser und weniger als mehr und nivelliert.
    Welchen Sinn hat es denn, die Zahl der Abiturienten und der Studienanfänger von Jahr zu Jahr durch falsch verstandene Vorstellungen von Bildungsreform und ihren Zielen kräftig zu erhöhen, aber in dem Moment, da die geburtenstärkeren Jahrgänge auf die Universitäten kommen, den Hochschulbau so zusammenzuschlagen, wie ich es vorher geschildert habe?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

    Man möchte doch meinen, daß es noch eine gewisse Verwandtschaft zwischen Politik und Vernunft geben müßte. Aber hier kann ich keine Verwandtschaft geschweige denn eine Identität erkennen.
    Die Diskriminierung der Akademiker, von der heute oder gestern ein sozialdemokratischer Redner gesprochen hat, hat Ihre Politik hervorgerufen. Wir stehen jetzt in den Ländern vor den furchtbaren Problemen einer neuen Studentenschwemme. Da ist es auch wenig hilfreich, wenn uns der Kollege Schmidt — er ist nicht da — erklärt, er habe in einer Zeit studiert, in der man auf der Treppe saß und das Lehrbuch auf den Knien hatte. Das sagen Sie einmal den heutigen Studenten, die nicht zuletzt durch Ihre euphorischen Versprechungen in eine Erwartungshaltung versetzt worden sind, die ohnehin nicht befriedigt werden kann!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich darf mich nun an Ihre Adresse wenden, Herr Bundeskanzler. Ich begrüße es — und ich glaube, das werden alle Ministerpräsidenten tun —, daß die Koalitionsvereinbarung vom 28. September 1982 ein deutliches Zeichen setzt, daß der Bund auch im Bereich des Hochschulbaus seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen wird. Dadurch wird das gespannte Verhältnis zwischen Bund und Ländern wieder in ein normales Verhältnis umgewandelt werden.
    Wir wissen, daß die neue Bundesregierung keine Wunder wirken kann. Wir können auch nicht verlangen, daß alle früheren Planungsansätze über Nacht wiederhergestellt werden können. Wenn aber der Herr Bundesfinanzminister erklärt — wie auch bei den Koalitionsverhandlungen —: 500 Millionen DM auf einmal mehr für die Bedienung der Gemeinschaftsaufgaben, dann sehe ich darin einen richtigen Schritt in die richtige Richtung, dem dann weitere Schritte folgen müssen. Denn diese Gemeinschaftsaufgaben — über die Krankenhausfinanzierung könnte ich ein langes, aber kein freudiges Lied singen — dienen doch unmittelbar dem Bürger in unserem Lande, auf den man sich immer beruft.
    Von dieser Stelle aus hat damals eine sozialdemokratische Gesundheitsministerin erklärt, daß der Bund ein Drittel aller Leistungen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz beitragen werde. Was ist herausgekommen? Ich darf einmal nur die Zahlen für Bayern nehmen. Unter Einschluß der Sonderprogramme sind es noch ganze 8 %. Wenn wir die
    Sonderprogramme herausnehmen, sind es noch ganze 5 %.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Was sagt denn Herr Ehmke dazu?)

    Hätten wir ohne Sonderprogramme, über die ich hier wegen ihrer Kompliziertheit nicht reden will, zu den etwa 500 Millionen DM bayerischer Landesmittel, 25% aller Mittel, die die Länder insgesamt in diesem Jahr für Krankenhausbau aufwenden, noch ein Drittel des Bundes gehabt, also 250 Millionen DM, dann hätten wir unsere Planungen und unsere Verpflichtungen gegenüber den Kommunen und anderen Trägern pünktlich und im Interesse der Bürger sorgsam erfüllen können. Hier ist der Bürger benachteiligt worden, weil Sie es versäumt haben, den Bundeshaushalt rechtzeitig auf seiner Investivseite so zu gestalten, daß der Bund seinen Aufgaben gegenüber den Ländern auf investivem Gebiete nachkommen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist mein Vorwurf — und nicht nur der meine —, den ich an Ihre Adresse richten muß. Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, sehr, diesem Problembereich, den ich hier kurz dargestellt habe, Ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Diese Bitte geht auch an den Herrn Bundesfinanzminister, der wegen der Einführung seines Amtsnachfolgers heute an dieser Debatte nicht teilnehmen kann.
    Die Konsumquote des Haushalts muß zurückgeführt und die Investitionsquote des Haushalts — ich meine den Bundeshaushalt — muß erhöht werden. ' Es war auch für mich nicht leicht, bei einem bayerischen Staatshaushalt mit einem Volumen von 35 Milliarden DM im Jahre 1982 7,7 Milliarden DM — das sind 22 % — unmittelbar in Investitionen, d. h. in Aufträge an die Wirtschaft, einfließen zu lassen, und das bei einer relativ geringen Neuverschuldung.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Respekt!)

    Auf allen Gebieten, die ich hier erwähnt habe, geht es ja nicht um irgendwelche unreifen Projekte. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat den Gesamtbedarf bei der Krankenhausfinanzierung nach heutigen Maßstäben mit 15 Milliarden DM errechnet. Wir könnten sämtliche Projekte für Bayern — dabei handelt es sich um mindestens 3 bis 4 Milliarden DM — sofort aus der Schublade nehmen und in Aufträge umwandeln. Es wäre keine einzige Fehlplanung dabei, kein einziges risikobehaftetes Projekt. Es würde nur das, was die jeweiligen Gremien nach Beratung durch Fachleute als notwendig bezeichnet haben, endlich in Angriff genommen. Hier würde in die Bauwirtschaft, in das Bauausstattungsgewerbe ein Strom von Aufträgen in Milliardenhöhe gehen. Dann würde sich das, wenn es einmal in Gang ist und eine gewisse Eigengesetzlichkeit der motorischen Dynamik und der wirtschaftlichen Eigenkraft eingesetzt hat, sehr wohl und sehr bald auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen.
    Erlauben Sie mir ein letztes Wort, meine sehr verehrten Damen und Herren — ein grundsätzliches Wort zur Sicherung und Weiterentwicklung der



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern) bundesstaatlichen Ordnung im Sinne eines modernen Föderalismus. Die Bundesrepublik Deutschland ist bewußt nicht als Einheitsstaat, sondern als Staatenbund geschaffen worden, als Bundesstaat, dessen Gliedstaaten zusammen den Gesamtstaat ausmachen. Die staatliche Zuständigkeit liegt nach Text und Sinn des Grundgesetzes bei den Ländern, soweit sie nicht durch Verfassung dem Gesamtstaat zugeordnet ist. Jeder freiheitliche deutsche Rechtsstaat, jeder moderne Rechtsstaat hier auf deutschem Boden muß aus vier Grundsätzen bestehen, nämlich: demokratischer Rechtsstaat, parlamentarische Demokratie, föderative Ordnung und Soziale Marktwirtschaft.
    Ich weiß, manche in diesem Hause werden dem vierten Grundsatz nicht zustimmen. Erlauben Sie mir aber auch hier ein persönliches Bekenntnis abzulegen. Wenn es um Menschenrechte und Menschenwürde geht, dann sollte man ein Recht des Menschen, nämlich auf freie wirtschaftliche Entfaltung im Rahmen der Respektierung und Achtung der Rechte anderer, nicht aus dem Katalog fernehalten oder aus dem Katalog streichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

    — Wenn Sie dem zustimmen, dann war diese Mahnung überflüssig. Also: Soziale Marktwirtschaft als viertes Strukturelement eines freiheitlichen Rechtsstaates.
    Das entspricht der deutschen Staatstradition, das entspricht unserer geschichtlichen Entwicklung. Sie ist auch durch ihre vertikale Gewaltenteilung, wenn richtig angelegt, vernünftig gestaltet, überschaubar angewandt als modernes staatliches Gliederungsprinzip.
    In vielen Ländern Europas ist in den letzten Jahrzehnten ein immer stärkerer Regionalismus als Gegengewicht gegen den Zentralismus entstanden. Die Dezentralisierung der Staatsgewalt erscheint in Italien, Spanien, selbst in Frankreich in wachsendem Maße als sinnvolles Mittel zur Überwindung innerer Probleme, die von der Zentralregierung allein nicht mehr überblickt und bürgernah gelöst werden können. Das dient der Vermeidung von Gleichmacherei und Vermeidung der Verödung. Das dient einer vielfältigen Entwicklung auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet. Dieser Regionalismus ist aber nur ein Notbehelf gegenüber der wesentlich besseren Lösung des verfassungsmäßig begründeten Prinzips der föderativen Ordnung, wie sie die Väter des Grundgesetzes seinerzeit verwirklicht haben.
    Wir sehen im Föderalismus das unersetzliche Bauprinzip eines freiheitlichen deutschen Rechtsstaates, aber auch einer in Freiheit sich einigenden europäischen Gemeinschaft. Föderalismus heißt dabei nicht Selbstbeschränkung oder Abkapselung, sondern Handeln in eigener Verantwortung. Föderalismus hat nichts mit Separatismus und nichts mit Partikularismus zu tun. Föderalismus heißt aber auch — ich darf hier erinnern an die Verfassungsklage, die seinerzeit der Freistaat Bayern in Karlsruhe gegen den Grundlagenvertrag angestrengt hat — die Wahrnehmung einer Aufgabe, die zu ganz klaren verfassungsrechtlich kodifizierten Grundsätzen geführt hat, nämlich, daß das Deutsche Reich als Rechtsinstitution bis zu einer friedensvertraglichen, frei vereinbarten Lösung fortgesetzt wird,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß es keine zwei deutschen Staatsbürgerschaften gibt, daß die Rechtsqualität der Grenze — das klingt paradox — zwischen Bayern und Baden-Württemberg ähnlich ist wie die Rechtsqualität der Grenze zwischen Bayern und Sachsen. Hier handelt es sich um Rechtspositionen und nicht um die reale Lage. Aber Rechtspositionen sind dann, wenn historisch die Dinge in Bewegung geraten, mächtige Instrumente verfassungsmäßiger Gestaltung oder geschichtlicher Neuordnung mit friedlichen Mitteln. Ich möchte mich auf diese Bemerkung beschränken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die geschichtliche Erfahrung und die politische Wirklichkeit zeigen eindrucksvoll, daß die Existenz einer Mehrzahl von eigenständigen und eigenverantwortlichen Trägern politischer Entscheidungen, von Gliedstaaten, die kraft eigenständigen Rechtes selbstgestaltend handeln, die größere politische Gemeinschaft nicht nur stärkt, sondern sich auch in Krisenzeiten stabilisierend auswirkt. Föderative Praxis erlaubt und fordert Kreativität und Phantasie im Gegensatz zu Zentralismus und Uniformität. Der Mut zur Vielfalt und der Mut zum Fortschritt in der Vielfalt dürfen daher nicht einem offenbar noch immer tief verwurzelten Hang zur nivellierenden Einheitsregelung und zur perfektionistischen Bundesregelung Platz machen. Auch die Forderung nach Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse kann bei funktionierendem Föderalismus leichter und wirksamer als bei obrigkeitsstaatlichen zentralistischen Regelungen erfüllt werden.
    Entscheidungen auf der europäischen Ebene bestimmen mittlerweile auch Teile der Landespolitik. Das gilt für die Landwirtschaft, für die regionale Strukturpolitik, aber auch für ureigene Landeszuständigkeiten im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik. All das kommt zunehmend mehr in europäische politische Überlegungen hinein. Gerade deshalb meine Bitte an die neue Bundesregierung, die Interessen der Länder durch eine geeignete Kooperation und Koordinierung, auch durch gewisse gemeinschaftliche Konsultativorgane, hier gebührend zu berücksichtigen. Viel an Mißtrauen und viel an Zündstoff, Herr Bundeskanzler, würde dadurch von vornherein aus der Welt geschafft werden. Föderalismus gab es nicht in der nationalsozialistischen Diktatur; denn sie hat die Eigenstaatlichkeit der Länder bewußt aufgehoben. Föderalismus gibt es auch in einem kommunistischen Staatensystem höchstens als ein Organisationsprinzip, aber nicht als ein Staatsprinzip.
    Die moderne Organisationsforschung hat den Vorteil des Vorhandenseins mehrerer eigenständiger dezentraler Entscheidungsträger für die Leistungsfähigkeit des Ganzen erkannt. Das gilt so-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    wohl für die großen Unternehmungen wie auch für die richtige Gliederung und Funktionsfähigkeit der Staaten.
    In diesem Sinn wünsche ich, daß die neue Bundesregierung bis zu den Bundestagswahlen gemäß den Ausführungen des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung eine Tendenzwende und die ersten sichtbaren Ergebnisse in der Sanierung der Wirtschaft, in der Konsolidierung der Finanzen, in der Stabilisierung des Systems der sozialen Sicherheit erreichen kann.
    Zu diesen Ergebnissen gehören nicht nur materielle Erfolge. Dazu gehören auch psychologische Vertrauensakte, zu denen Sie gestern mit Ihrer Regierungserklärung eine gute Grundlage geliefert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein gutes Verhältnis zwischen Bund und Ländern, zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen auf der Grundlage eines durchschaubaren Zahlenmaterials, gläserner Taschen, der ehrlichen gegenseitigen Anerkennung von Pflichten und Rechten wird für den Erfolg auf diesem Weg eine echte Unterstützung sein. So sollten auch die Neuverteilung der Steuererträge aus den Gemeinschaftsteuern und die neue Regelung des horizontalen und des vertikalen Finanzausgleichs erfolgen, damit die steuerschwachen Länder in der Lage sind, in eigener Zuständigkeit die ihnen zustehenden Aufgaben zu erfüllen und auch am Abbau der Mischfinanzierung teilzunehmen.
    Hier gilt es alte Fehler zu beseitigen, langjährige Mißverständnisse zu überwinden, neu zu beginnen. Auch hier können wir so wenig wie bei der Sanierung der Staatsfinanzen, bei der Ankurbelung der Wirtschaft, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von heute auf morgen Wunder erwarten. Nach der Wundererwartung kommt die Ungeduld; nach der Ungeduld kommt der Mißmut; nach dem Mißmut kommt die Empörung —

    (Zuruf von der SPD: Und die Abwahl!)

    und damit das Saatfeld für die Demagogen, die Unzufriedenheit und Zwietracht säen,

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    obwohl die Folgen dieser Politik eigentlich von Ihnen zu verantworten sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bin zuversichtlich: Auf der Grundlage eines neuen Vertrauens können wir — Bund und Länder — zusammenarbeiten, die Krise überwinden, die Zukunft gestalten — zum Wohle unseres Volkes und unseres deutschen Vaterlandes.
    Dazu wünsche ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der gesamten Bundesregierung im Namen des Freistaates Bayern auf jeden Fall und, wie ich hoffe, auch im Namen vieler oder aller anderen Bundesländer aus ehrlichem Herzen Gottes Segen, viel Glück und Erfolg.

    (Lang anhaltender, lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Beifall bei der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Stiegler das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ludwig Stiegler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff hat es nach einer etwas mißlungenen Wahlversammlung in Weiden heute morgen für richtig befunden, hier zu behaupten, sozialdemokratische Mandatsträger, darunter auch ich, hätten Brüll- und Pfeiftrupps gegen ihn organisiert und angeführt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So war es auch!)

    Ich stelle hier in aller Deutlichkeit fest: Wir haben weder Brülltrupps organisiert noch sie angeführt. Der Justizminister mag dem Grafen Lambsdorff erklären, daß das, was dieser jetzt behauptet, üble Nachrede und, wenn er es wiederholt, Verleumdung ist.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Waren Sie dabei? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Gerade Sie müssen sich hier aufspielen!

    (Unruhe bei der CDU/CSU) Wer hat denn die FDP — —