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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Dann hätte ich ihn bei meiner Unterredung im August 1972 in einem bekannten Ferienort völlig falsch verstanden. Sie können sich hier auf mein Gedächtnis verlassen. Ich stelle es Ihnen sozusagen als Prothese gerne zur Verfügung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich weiß ich, warum Alex Möller zurückgetreten ist. Er hat es doch gesagt und geschrieben. Natürlich weiß ich, warum Karl Schiller zurückgetreten ist. Natürlich weiß ich, daß damals die weltwirtschaftliche Lage und auch die außenwirtschaftliche Lage anders war.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Hätten Sie aber Maß gehalten, dann wären höchstens die unangenehmen Übertreibungen nach der positiven Seite hin abgebaut worden: die Tatsache, daß der Arbeitsmarkt leergefegt war, daß 400 000 oder 500 000 offene Stellen nicht besetzt werden konnten. Wenn hier etwas gebremst worden wäre, hätte kein Vernünftiger etwas dagegen einzuwenden gehabt. In dieser Situation haben Sie noch eine Vollbeschäftigungsgarantie gegeben, die so überflüssig war, wie wenn man Schnee nach Alaska importieren wollte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Ananas!)

    — Sie werden nicht bestreiten, daß der Import von Ananas nach Alaska einen Sinn hätte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber Sie haben ja Pelzmäntel nach Zentralafrika und Eis nach Alaska in jener Zeit mit Ihrer Vollbeschäftigungsgarantie exportiert.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Stoltenberg stand doch vor der Lage, daß er im November oder spätestens im Dezember die Gehälter nicht mehr hätte zahlen können, die Weihnachtsgratifikationen nicht mehr hätte zahlen können.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Die Ministerpensionen!)

    Das ist doch die bittere Wahrheit, die man hier eingestehen sollte, statt wilde Drohungen von sich zu geben und ungestüme Ausfälle zu machen. Das ist die bittere Wahrheit — nicht die Ballade vom verratenen Ritter Helmut aus Hamburg.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein besonderer Ausschnitt aus diesem Bild des Niedergangs ist das Bund-Länder-Verhältnis, das im Laufe der letzten 13 Jahre und besonders seit 1980 leider immer schlechter geworden ist. Mit Freude und Genugtuung habe ich die Absichtserklärung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung und in der letzten Woche vor dem Bundesrat zur Kenntnis genommen, daß im Bund-LänderVerhältnis eine Wende zum Besseren eintreten soll.
    Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die beißende Kritik von zwei sozialdemokratischen Landesministern an die Adresse der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung von Helmut Schmidt. Der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor nannte es im Juli dieses Jahres einen „verfassungspolitischen Skandal", wie die Länder im Zusammenhang der damaligen Haushaltsverhandlungen behandelt würden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich zitiere ihn; dann habe ich mehr Glaubwürdigkeit auf dieser Seite und mehr Beifall auf jener Seite.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen, eines der Wunderkinder aus der Ehmkeschen Zauberküche, lastete wenige Tage nach dieser drastischen Erklärung des Herrn Innenministers Schnoor dem Bund an, daß der Bund seine Sparpolitik einseitig zu Lasten der Länder treibe und verhindere, daß die Länder eine aktive sowie beschäftigungssichernde Konjunktur- und Investitionspolitik gestalten könnten. Er fragte mit Blick auf Nordrhein-Westfalen — ich zitiere ihn wörtlich —, ob der Bund zusehen könne, wie das industrielle Kernland mit 28% der gesamten Bundesbevölkerung „verkomme".

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Schönes Wort!)

    Und hier habe ich zwei sozialdemokratische Spitzenpolitiker des Landes zitiert, in dem die SPD im Parlament die absolute Mehrheit hat und allein die Regierung stellt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Und was die versprochen hat!)

    Aber diese Klagen sind doch nur die Spitze des Eisbergs einer länderunfreundlichen Politik, die seit Jahren das Verhältnis von Bund und Ländern zunehmend belastete und damit der Stabilität und der Glaubwürdigkeit unserer bundesstaatlichen Ordnung Schaden zufügte.
    Aus guten Gründen erhebt das Grundgesetz in Art. 79 ausdrücklich die Eigenstaatlichkeit der Länder zu einem Verfassungsgrundsatz, der nicht zur Disposition stehen oder gestellt werden darf. Es kann daher doch nicht dem Geist der Verfassung entsprechen, wenn die Länder ständig um die Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit kämpfen müssen, damit sie ihre verfassungsmäßigen Aufgaben erfüllen können.
    Ich glaube, das, was ich hier sage, müßte genauso von jedem sozialdemokratischen Regierungschef



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    eines sozialdemokratisch regierten Landes gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es kann auch nicht dem Geist der Verfassung entsprechen, daß die Länder fortwährend Versuche des Bundes abwehren müssen, in ihre eigensten Zuständigkeiten einzudringen, oder den vom Grundgesetz geschützten Kernbereich der Eigenstaatlichkeit verteidigen zu müssen. An Beispielen dafür hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt.
    Ich erinnere an die weitgehende, zum Teil unnötige Ausschöpfung der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes z. B. beim Bundesberggesetz. Ich erinnere an die Regelungssucht und den Perfektionismus bei der Bundesgesetzgebung, deren Last dann die mit der Ausführung betrauten Länder und Gemeinden zu tragen hatten, z. B. beim Abwasserabgabengesetz. Ich erinnere an die wiederholten, verfassungsrechtlich mehr als bedenklichen Versuche, Länder und Gemeinden über Sonderprogramme und Modellvorhaben unter die Angebotsdiktatur des Bundes zu stellen. Ich erinnere vor allem an die zutiefst gestörten, von Wort- und Vertrauensbrüchen seitens des Bundes damals gekennzeichneten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, worüber noch einige Sätze zu sagen sein werden.
    Der neue Bundeskanzler hat klar zum Ausdruck gebracht, welch hoher Stellenwert für ihn die Verbesserung des Bund-Länder-Verhältnisses besitzt. Die Regierungserklärung sagt: Wir wollen, daß Länder und Gemeinden wieder mehr zu ihrem Rechte kommen. Und weiter:
    Die föderative Ordnung ist mehr als ein Verfassungsprinzip: Sie ist ein wichtiges Ergebnis unsere Geschichte. Sie ist Ausdruck unserer politischen Kultur, die von Verteilung und Kontrolle der Macht, von Freiheit und Eigenverantwortung geprägt ist. Die Aufgaben, die Länder und Gemeinden wirksamer als der Bund erfüllen können, sollten sie selbst wahrnehmen.

    (Zuruf von der SPD: Gewerbesteuer!)

    — Gewerbesteuer, darauf komme ich sofort zu sprechen, wenn Sie es unbedingt haben wollen. Aber das geht dann leider auf die Redezeit.
    Ich habe, als ich Abgeordneter des Deutschen Bundestages war, von dieser Stelle aus, auch in einem Wortwechsel — wenn ich mich recht erinnere — mit dem seinerzeitigen und auch heutigen Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff, als eine für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der mittelständischen Wirtschaft notwendigen Maßnahme den Abbau der Gewerbesteuer bezeichnet, allerdings mit der Maßgabe, daß eine wirtschaftliche Interessenverbindung zwischen Unternehmungen und den Gemeinden, wie immer man sie bezeichnen oder ausgestalten mag, nicht aufgegeben werden dürfe

    (Zuruf von der SPD: Wie denn?)

    eine Interessenverbindung, die für die Investitionen, für den Ausbau, für den Neubau von Betriebsstätten, für die Neuerrichtung von Unternehmungen von wesentlicher Bedeutung ist.
    Ich habe seinerzeit als Bundesminister der Finanzen eine Gemeindefinanzverfassungsreform durchgeführt, deren Gesamtertrag den Gemeinden im ersten Jahre der Wirksamkeit eine Verbesserung ihrer Finanzmasse um — nageln Sie mich jetzt nicht auf hundert Millionen DM fest — 5,5 bis 6 Milliarden DM gebracht hat — gegen schwere Widerstände damals.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das war hervorragend!)

    Wir haben damals dann die Gewerbesteuerumlage eingeführt, um schon einen Schritt, symbolisch, in die Richtung Abbau der Gewerbesteuer zu tun.
    Ich habe bei der vorher erwähnten Kontroverse mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister den Abbau der Gewerbekapitalsteuer verlangt und im besonderen die Beseitigung des auch nach meiner heutigen Ansicht noch unerträglichen Unfugs, daß auch die Zinsen für langfristige Schulden, genauso wie die Schulden als Gewerbekapital versteuert werden müssen, noch als Gewerbeertrag zu versteuern sind, auch dann noch, wenn das Unternehmen keinen Ertrag mehr erwirtschaftet oder sich schon in roten Ziffern befindet. Damals war der Herr Bundeswirtschaftsminister der Meinung, man sollte zwar die Gewerbekapitalsteuer abbauen, aber nicht die Hinzurechnung der Schuldzinsen zum Gewerbesteuerertrag beseitigen, weil sonst falsche Verhaltensweisen entstünden.
    Ich glaube, ich begehe keine große Indiskretion, wenn ich sage, daß wir diese Diskussion auch bei den Koalitionsverhandlungen geführt haben und daß im Laufe dieser Verhandlungen auch der Herr Bundeswirtschaftsminister seine Bedenken zurückgestellt und der Beseitigung der Dauerschuldzinsen als eines steuerlich zu Buche schlagenden Gewerbesteuerertrags zugestimmt hat. Im Bewußtsein, was das für die Gemeinden bedeutet, habe ich daraufhin vorgeschlagen, daß der Ausgleich dafür durch eine Senkung der Gewerbesteuerumlage herbeigeführt wird, d. h. zu Lasten des Bundes und der Länder geht.
    Ich bin hier nicht in der Lage, jetzt auf Grund eines Zwischenrufs genaue Zahlen zu nennen. Aber ich darf den Weg andeuten: Abbau der Gewerbekapitalsteuer, Beseitigung der Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen auf der einen Seite, dadurch Einnahmeausfälle bei den Ländern und auch bei den Gemeinden, dafür auf der anderen Seite Senkung der Gewerbesteuerumlage, und zwar, wenn es möglich ist, in einem Betrag, der das gleiche ausmacht. Letzteres ginge zu Lasten des Bundes und der Länder, die die Gewerbesteuerumlage auf ihrer Plusseite im Haushalt zu verbuchen haben.
    Das war die Ratio der Verhandlungen zu diesem Punkt. Das ist auch das, was ich meinem geschätzten Kollegen Dohnanyi in dem Zusammenhang sagen will.



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Diese Erklärung des neuen Bundeskanzlers, die ich eben verlesen habe, ist ein begrüßenswerter erster Schritt in diese Richtung. Sie ist durch die Beauftragung eines Staatsministers im Bundeskanzleramt mit der Funktion, die früher die Bundesratsminister wahrgenommen haben, bestätigt worden. Ich habe bedauert, daß der Bundesratsminister aus der Kabinettsliste gestrichen worden ist.
    Die Bundesratsminister, angefangen von Hellwege bis Carlo Schmid, der diese Aufgabe in der Großen Koalition wahrgenommen hat, haben für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht so sehr materiell, sondern politisch-psychologisch vorteilhaft gewirkt. Aus diesem Grunde begrüße ich im Namen der bayerischen Staatsregierung — ich hoffe, daß die anderen Landesregierungen ohne Rücksicht darauf, von wem sie getragen oder geschaukelt werden,

    (Heiterkeit)

    den gleichen Standpunkt einnehmen — die Beauftragung eines Staatsministers im Bundeskanzleramt. Denn die Kontakte zwischen Bund und Ländern müssen wieder besser gepflegt werden. Viele Entfremdungen zwischen Bund und Ländern haben überhaupt keine parteipolitischen Ursachen, sondern sind einfach die Folge mangelnder Kontaktpflege, fehlender Information, auch skandalöser Mißachtung der Länder oder gelegentlich unqualifizierter Beschimpfung des Bundesrats, leider auch durch den letzten Bundeskanzler.
    Es wird so getan, als ob der Bundesrat eine Obstruktions- oder Sabotagemaschine wäre,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    wenn er nicht zu allem ja und amen sagte, was die Bundesregierung vorgeschlagen und der Bundestag beschlossen hat. Ich darf hier nur daran erinnern, daß ich mich damals als Kanzlerkandidat der Union im Vorfeld der Bundestagswahl 1980 gemeinsam mit meinen Kollegen von den anderen unionsregierten Ländern mit Erfolg dafür eingesetzt habe, daß fünf finanzwirksame, allerdings populär, auch polemisch-demagogisch zu verkaufende Gesetzentwürfe gestrichen worden, d. h. nicht in Kraft getreten sind, weil aus ihnen eine finanzielle Mehrbelastung für Gemeinden, Länder und Bund von rund 4,5 Milliarden DM entstanden wäre. Der Bundesrat ist keine gleichwertige zweite Kammer. Er ist auch kein Oppositionsorgan. Das sage ich als einer der schärfsten Redner der Opposition gegen die alte Koalition. Der Bundesrat ist eine Institution sui generis. Er ist nicht eine Interessenvertretung der Länder oder des jeweiligen Landes, sondern er ist ein Verfassungsorgan, das gemäß seinen verfassungsmäßigen Vollmachten auf die Gesamtheit der Bundespolitik einzuwirken verpflichtet und berechtigt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube, mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
    Eine gesunde bundesstaatliche Ordnung erfordert deshalb gleichermaßen ein bundesfreundliches Verhalten der Länder wie ein länderfreundliches Verhalten des Bundes. Ich bin überzeugt, die Länder werden sich bei der Bewältigung der vor uns liegenden schweren Aufgaben ihrer Pflicht gegenüber dem Ganzen nicht entziehen. Ich sichere das auch für die von mir geführte Regierung ohne Wenn und Aber zu. Wir erwarten jedoch, daß der Bund aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung auch die Notwendigkeiten und Aufgaben der Länder in dem gebotenen Maße berücksichtigt. Ich sehe deshalb als bayerischer Ministerpräsident keinen Grund, gegenüber einer von der Union geführten Bundesregierung dort, wo es um die Interessen der Länder oder um die Verteidigung der bundesstaatlichen Ordnung geht, andere Maßstäbe anzulegen, als ich es vor dem Regierungswechsel getan habe. Unsere Kritik richtete sich ja nicht gegen die Bundesregierung, weil sie eine SPD/FDP-Regierung war,

    (Widerspruch bei der SPD)

    sondern weil sie auf die Gestaltung des Bund-Länder-Verhältnisses einen schlechten Einfluß genommen hat. Ich brauche meine Maßstäbe deshalb nicht zu ändern, weil ich das Vertrauen zur Regierung Kohl/Genscher habe, daß sich das in der zukünftigen Gestaltung der Bund-Länder-Verhältnisse ändern wird. Darum kann ich bei meinen Maßstäben bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das gilt vor allen Dingen für die beiden großen Fragen: Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung im Sinne eines modernen Föderalismus.
    Lassen Sie mich zu den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern einige aktuelle Ausführungen machen. Der Kernbereich der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sind zwei Gebiete: die allgemeine Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik und im besonderen die engen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Verteilung des Steueraufkommens, die Bedienung der Gemeinschaftsaufgaben und anderer Mischfinanzierungen. Der Hauptteil der Einnahmen, die die Länder für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben benötigen — deren sind viele, und sie sind von unmittelbarer Auswirkung auf die politische Einstellung des Bürgers, auf seine Stellungnahme gegenüber diesem demokratischen Staat —, kommt aus dem Ertrag des Länderanteils bei den Gemeinschaftssteuern und aus dem Ertrag der den Ländern allein zufließenden Steuern, also Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie Umsatzsteuer als Gemeinschaftssteuern einerseits und ländereigene Steuern andererseits. Das sind in der Hauptsache die Einnahmen der Länder. Sie haben nur eine gewisse Gestaltungsfähigkeit in der Aufnahme der Kredite, aber auch hier ergeben sich aus den Geboten der Solidität, aus den Geboten der Verantwortung für die kommenden Generationen natürlich Grenzen, die wir — ich darf das für den Freistaat Bayern mit besonderer Dringlichkeit sagen — auch nie erreicht, geschweige denn überschritten haben. Die Pro-Kopf-Verschuldung des Freistaates Bayern ist niedrig; sie liegt weit unter dem Durchschnitt der Bundesländer. Vom Bund wollen wir in dem Zusammenhang aus christlicher Nächstenliebe gar nicht reden.



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Das heißt aber, die Länder sind auf der Einkommenseite ihrer Haushalte von der wirtschaftlichen Entwicklung im weitesten Sinne des Wortes entscheidend abhängig, und hierauf haben die Länder so gut wie keinen Einfluß. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und die Aufgabe des Bundestages, Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch für die Einnahmeseite der Länder wichtig sind: Abbau der Arbeitslosigkeit, aus Unterstützungsbeziehern wieder Lohnsteuerzahler zu machen. Das ist die Aufgabe, die nicht die Länder zu lösen vermögen. Sie können höchstens ihre Hilfe dazu anbieten. Die Länder können durch eine gute Strukturpolitik in einem gewissen Maße auf diese wirtschaftliche Entwicklung Einfluß nehmen. Das Zusammenwirken von guter Bundespolitik und guter Landespolitik — ich denke hier an die Jahre von 1949 bis 1969 — hat sich immer fortschrittlich und hilfreich für den Bund ausgewirkt, aber auch eine noch so gute Landespolitik kann mangelhafte Bundespolitik nicht ersetzen und schlechte Bundespolitik nicht ausgleichen. Wir können höchstens die Puffer etwas abschwächen, die wir bekommen haben.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Eine gute Konjunkturpolitik des Bundes und eine produktive Strukturpolitik des Landes können aber gemeinsam den Erfolg gewährleisten. Ich vermag davon ein Lied zu singen; denn die Rückschläge der Bundespolitik haben auch den Freistaat Bayern schmerzlich getroffen. Sie konnten nur dadurch zum Teil ausgeglichen werden, daß mein umsichtiger und sparsamer Vorgänger in erfreulichem Gegensatz zum schlechten Beispiel des Bundes den Kreditspielraum des Freistaats Bayern nur zu einem geringen Teil ausgenutzt hat. Die Länder haben dagegen an den Bund im großen und ganzen Länderforderungen zu richten, gleichgültig, von welcher politischen Mehrheit die Länderregierungen getragen oder, wenn ich das wiederholen darf, wie in Berlin, Hamburg oder Hessen „geschaukelt" werden.
    In diesem Zusammenhang darf ich folgende Forderungen an die Bundesregierung richten:
    Erstens durch eine aktive Konjunkturpolitik die Steuereinnahmen ohne Steuererhöhungen wieder auf einen höheren und berechenbaren Stand zu bringen. Die Tragödie der Steuerschätzungen, daß es alle drei Monate Zeit ist, die alte Steuerschätzung in den Papierkorb zu werfen, weil sie reine Makulatur geworden ist, muß endlich einmal aufhören.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Steuerschätzung vom Dezember 1981 haben wir im März 1982 weggeworfen; die vom März 1982 haben wir im Juni weggeworfen, und ich bin überzeugt, wenn jetzt eine neue Steuerschätzung kommt, dann müssen wir auch die vom Juni wieder in den Papierkorb werfen. Denn bei jeder neuen Steuerschätzung — ich kann jetzt nur einmal die Auswirkungen für Bayern sagen — mußten wir für das laufende Jahr und für die kommenden Jahre unsere Einnahmeerwartungen um jeweils ungefähr 300 Millionen DM zurücknehmen. Wie man darauf
    noch einen soliden Haushalt oder gar einen Doppelhaushalt, wie wir ihn 1983/84 haben, oder eine mehrjährige Finanzplanung einschließlich 1986 aufstellen soll, das überlasse ich den Zauberern oder Magiern oder Gauklern, aber das ist nicht mehr die Aufgabe seriöser Landespolitik oder seriöser Finanzpolitiker.
    Unsere zweite Forderung ist, den Bundeshaushalt schrittweise so umzuschichten, daß seine Investitionsquote statt heute zwischen 13 und 14 % — Herr Stoltenberg ist gestern, soviel ich weiß, darauf zu sprechen gekommen — wieder auf 17 bis 18% steigt — das wäre ein Mehr von etwa 12 Milliarden DM an investiven Mitteln auf der Bundesseite —, damit der Bund seine investiven Aufgaben in den Ländern — z. B. beim Fernstraßenbau — wieder erfüllen und seine pflichtgemäßen Beiträge zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben und anderer gemeinschaftlich zu finanzierender Programme wieder leisten kann. Hier handelt es sich gemäß Art. 91 a des Grundgesetzes um die Gemeinschaftsaufgaben: erstens Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken; zweitens Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und — drittens — Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes sowie um die Finanzierungshilfen des Bundes für Investitionen der Länder und Gemeinden nach Art. 104 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes: Krankenhausbau, Krankenhausausstattung, Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden durch Hilfen für den kommunalen Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr, städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, sozialer Wohnungsbau.
    Allein die Kürzungen des Bundes auf diesem Gebiet gegenüber den ursprünglich verabredeten Planungen und vereinbarten Größenordnungen beliefen sich in dem von mir regierten Lande im Jahre 1982 auf 740 Millionen DM weniger an Bundesleistungen auf investivem Gebiet. Dazu kamen die soeben erwähnten Einschnitte und Kürzungen durch den Zwang, die Steuererwartungen laufend zurücknehmen zu müssen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Und dann fordert man Abbau der öffentlichen Investitionen!)

    — Das war ja der Grund, Herr Kollege Waigel, warum ich so skeptisch gegenüber dem sogenannten Beschäftigungsprogramm war. Es ist doch unsinnig, die investiven Leistungen von Monat zu Monat zu kürzen und damit vor allem unsere Bauwirtschaft halb totzuschlagen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich kann hier von der nördlichen Oberpfalz, Oberfranken ein Lied singen, aber nicht nur für diese Regierungsbezirke; dort verzeichnen wir eine Pleite nach der anderen, gerade im Bereiche der Bauwirtschaft und des Bauausstattungsgewerbes. Eine maßgebende Schuld hieran — nicht die alleinige — hat der Rückgang der öffentlichen Investitionen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Die Wiederherstellung der Finanzierungskraft der Länder für Investitionen, die Bedienung des Bundesanteils wäre das beste Beschäftigungsprogramm gewesen, was ich hier in diesem Haus und anderswo — ich weiß nicht wie oft — gesagt habe.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Erlauben Sie mir in dem Zusammenhang auch etwas dazu zu sagen, was die neue Bundesregierung anpacken sollte, was nicht in kurzer Zeit erledigt werden kann. Sie wissen, daß der Freistaat Bayern von jeher ein Vorreiter im Kampf um den Abbau von Mischfinanzierungen und eine Überprüfung der Gemeinschaftsaufgaben gewesen ist. Die Einrichtung von Gemeinschaftsaufgaben als Verfassungseinrichtung ist seinerzeit von der sogenannten Troeger-Kommission — Troeger war Vizepräsident der Deutschen Bundesbank in den 60er Jahren — in ihrem Bericht zur Finanzverfassungsreform vorgeschlagen worden. Der damalige sozialdemokratische Koalitionspartner wollte nach meiner Erinnerung neun Gemeinschaftsaufgaben, von denen drei — auch mit meiner Zustimmung als damaliger Bundesfinanzminister — einvernehmlich festgelegt worden sind, nämlich die drei, die ich eben genannt habe: Hochschulbau, regionale Wirtschaftsförderung, Agrarstruktur. Dazu kamen die anderen eben erwähnten Mischfinanzierungen.


Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Ministerpräsident, lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Schweinfurt) zu?

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    Bitte sehr.