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ID0912209600

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    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicher-



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    lich bin ich als ein Politiker, der 29 Jahre Mitglied dieses Hohen Hauses war, der Meinung meines Vorredners, daß der Ablauf einer parlamentarischen Debatte — und zu den Königs-Debatten gehört ja die Aussprache über eine Regierungserklärung — wichtiger — —

    (Conradi [SPD]: „Königsmörder"!)

    — Das Wort „Königsmörder" stammt von Ihnen, nicht von mir.

    (Conradi [SPD]: Nein, von Baum!)

    Sicherlich gehört eine Aussprache über eine Regierungserklärung, obendrein bei diesem Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, zu den Königs-Debatten, vielleicht noch mit Vorrang gegenüber einer normalen Haushaltsdebatte. Aber angesichts der Struktur der Bundesrepublik Deutschland, die im Gegensatz zu Frankreich oder Italien eine föderative Ordnung hat — aus gutem Grunde; ich werde einige Sätze darüber zu sprechen haben —, gehört das Verhältnis Bund-Länder
    — und hier wieder mit dem Kernstück Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern — zu einem Thema, das ein Mitglied des Bundesrates, der Regierungschef eines Bundeslandes, nach meiner Überzeugung auch in diesem Hause behandeln sollte. Das ist der Grund meiner Wortmeldung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Aufgabe der neuen Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl, die sofort in Angriff genommen werden mußte, besteht darin, erstens die Wirtschaft zu sanieren, zweitens die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, drittens ein finanzierbares System der sozialen Sicherheit langfristig zu stabilisieren, d. h. die Investitionen auf breiter Front zu verstärken, neues Wachstum zu erzeugen, aus zwei Millionen Arbeitslosen, d. h. Unterstützungsempfängern, arbeitswillig, aber zur Unproduktivität verdammt, wieder Lohnsteuer- und Beitragszahler zu machen.
    Die neue Bundesregierung hat ein Erbe übernommen, das man ohne Übertreibung als Scherbenhaufen der Illusionen und als Trümmerhaufen der Utopien bezeichnen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte deshalb im Zusammenhang mit der gestrigen — —

    (Löffler [SPD]: Ihr Freistaat hat von diesem Scherbenhaufen ganz gut gelebt, Herr Ministerpräsident!)

    — Der Freistaat Bayern hat — —

    (Löffler [SPD]: Hat sehr gut von diesem Scherbenhaufen gelebt!)

    — Wenn ich ausnahmsweise zu Wort kommen darf, bin ich Ihnen sehr dankbar. — Der Freistaat Bayern hat dank der Tatsache, daß seine Regierungschefs — ich nenne hier nicht nur mich, sondern auch meine Vorgänger — und deren Finanzminister den Kreditspielraum Bayerns in guten Tagen nicht ausgenutzt haben, sondern Reserven für schlechte Tage offengehalten haben, die Rückschläge Ihrer Bundespolitik besser überstanden als andere Länder. Das ist meine Antwort dazu.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Gansel [SPD]: Besser als Schleswig-Holstein!)

    Ich hatte nicht die Absicht, speziell über die Probleme des Freistaates Bayern hier zu reden, weil ich über das Verhältnis Bund-Länder und die Gestaltung ihrer Finanzbeziehungen in der Zukunft reden will. Wenn Sie aber von mir ein Privatissimum, und zwar noch gratis, über Bayern hören wollen, bin ich gerne bereit, Ihnen diesen Nachhilfeunterricht auch von dieser Stelle aus hier zu erteilen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Ersparen Sie uns das!)

    Ich muß der gestern abgegebenen Regierungserklärung etwas zubilligen. Sie hatte doch gar nicht den Zweck, sämtliche politischen Problembereiche zu behandeln, wie sie z. B. nach einer Bundestagswahl als umfassendes Regierungsprogramm in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht werden müssen. Es sind ja auch in dem Koalitionspapier, an dessen Fertigstellung ich als Parteivorsitzender meinen bescheidenen Anteil geleistet habe, ganze Bereiche der Bundespolitik überhaupt nicht angesprochen worden,

    (Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

    und zwar nicht deshalb, weil man diese Probleme etwa für nicht verhandlungsfähig erklärt hat oder für nicht kompromißfähig hält, sondern einfach deshalb, weil wir in dieser Stunde der Not uns alle — Bundestag, Bundesrat, die Regierungen der Länder, die Regierung des Bundes — auf dieses Problem, nämlich eine Tendenzwende — Sanierung der Wirtschaft, Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und Stabilisierung eines finanzierbaren Systems der sozialen Sicherheit — konzentrieren müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei einer Regierung, deren Chef in Übereinstimmung mit den Koalitionspartnern den 6. März als Tag der nächsten Bundestagswahl in der Öffentlichkeit verbindlich angegeben hat, kommt es doch nicht darauf an, jetzt in wenigen Monaten ein Programm zu entwerfen, für dessen Durchführung, für dessen Verhandlung man sicherlich mehr als einige Tage braucht — ich habe einige Erfahrung in Koalitionsverhandlungen aus den 50er und 60er Jahren —, für dessen Durchführung man vor allen Dingen einen längeren Zeitraum braucht. Darum ist diese Regierungserklärung — das war auch meine Meinung bei der Ausarbeitung des Koalitionspapiers — in der Hauptsache darauf abgestellt, in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik die Wende einzuleiten, im übrigen bei den anderen Gebieten die Kontinuität zu gewährleisten oder — auch das soll hier offen gesagt werden — kontroverse Themen zwischen den Unionsparteien und der FDP auszuklammern.

    (Lachen bei der SPD)

    Ich glaube, wir erweisen uns selber und den Bürgerinnen und Bürgern, den Wählern, den besten



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Dienst, wenn wir die Dinge in diesem Hause so behandeln, wie sie in Wirklichkeit sind.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich habe gesagt, die neue Bundesregierung hat ein Erbe übernommen, das man schlicht als Scherbenhaufen der Illusionen und als Trümmerhaufen der Utopien bezeichnen kann. Helmut Schmidt hat so getan, als ob Hochverrat und Meineid ihn gestürzt hätten, also eine Art Dolchstoßlegende erfunden. — Wissen Sie, wenn man in einem langen politischen Leben alles und das Gegenteil von allem erlebt hat,

    (Heiterkeit)

    dann kommt man hier zu der schlichten Feststellung, daß alles in der Geschichte zweimal vorkommt, z. B. die Dolchstoßlegende als Tragödie der Weimarer Republik, als Komödie bei Ende der liberalsozialistischen Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Koalition ist doch nicht an persönlichen Streitigkeiten zwischen Schmidt und Genscher geborsten. Da habe ich in dem heute ja schon zitierten Papier, das zu Beginn dieser Woche veröffentlicht worden ist, etwas gefunden. Das ist übrigens ein sehr bedenklicher Vorgang für einen hohen Bundesbeamten,

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    der vor wenigen Tagen die Bühne seiner offiziellen Tätigkeit verlassen hat, auch die Bühne der Intimitäten, der Indiskretionen aus dem Küchenkabinett. Er schreibt:
    Des Kanzlers Gefühle zu Genscher sind immer noch widerstreitend. Verschiedentlich in der Vergangenheit hat er der gut gespielten Herzlichkeit des anderen vertraut. In Wahrheit ist der Kanzler,
    — Helmut Schmidt ist natürlich gemeint — selber nicht ohne komödiantische Begabung,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    einem Chargenspieler von Rang aufgesessen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Das ist also ein völlig neuer Wettstreit auf der politischen Bühne: zwischen einem Exkanzler mit komödiantischer Begabung und einem Chargenspieler von Rang.
    Ich möchte aber auch dem Kollegen Lambsdorff für einige Sätze seiner Rede heute morgen danken, ebenso dem vorherigen Redner. Dieses Papier bringt ja immerhin Enthüllungen aus dem Seelenleben. Und der Wind hat mir ein Lied erzählt:

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen)

    Der Bölling hat das Papier abgezeichnet, aber die Feder ist zum Teil vom großen Meister geführt worden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    In diesem Papier heißt es:
    Die Begegnung mit dem Innenminister Baum
    vermittelt keine Erkenntnisse, die uns weiterhelfen. Natürlich stimmt es, wenn er sagt, daß viele in der FDP nicht als Kanzlerkiller dastehen möchten. Die dem Kanzler verbundene Hildegard Hamm-Brücher, sagt Baum, werde so etwas niemals tun, und andere auch nicht.
    — Na gut, das ist Vergangenheit. —
    Aber was zählen solche ehrenwerte Skrupel schon, wenn es darum geht, die FDP vor dem Schicksal der Opposition zu bewahren? Es geht ja schon gar nicht mehr um den nächsten Haushaltskompromiß, um die Balance zwischen Einsparung und neuen Schulden. Für Genscher und seinen Anhang stellt sich doch die ungleich wichtigere Frage, an der Seite welcher der zwei großen Parteien sie 1984 wieder zu Macht und Pfründen kommen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Genau dieser Deutung möchte ich widersprechen.

    (Lachen bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Genauso wie der Bundeswirtschaftsminister heute morgen sagte, er habe die Gnade seiner Kritik auch mir zuteil werden lassen, habe ich mit Kritik sicher nicht gespart und niemand geschont. Aber eines ist natürlich für eine Freie Demokratische Partei und ihren wirtschaftsliberalen Flügel unerträglich, nämlich zuzusehen, wie die Wirtschaft unseres Landes in eine endlose Talfahrt gerät, die Finanzen total durcheinandergeraten und auch das Netz der sozialen Sicherheit immer brüchiger wird. Dieses billige ich den Herren, die den Koalitionswechsel vollzogen haben, zu, gleichgültig, wie schnell oder wie langsam und wie früher oder wie später es richtiger oder besser gewesen wäre.
    Diese Koalition ist nicht an persönlichen Streitigkeiten zwischen Schmidt und Genscher geborsten oder an rechtspolitischen Gegensätzen zwischen SPD und FDP zerbrochen oder an außen- oder deutschlandpolitischen Fehden zwischen den Koalitionspartnern zugrunde gegangen. Sie ist an der Unmöglichkeit zugrunde gegangen, die gemeinsam verschuldete Zerrüttung von Wirtschaft und Finanzen mit dem Partner SPD wieder in Ordnung zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß es lange gedauert hat und dafür spät, ja fast zu spät geworden ist, ist ja auch nicht zu bestreiten.
    Ich erinnere daran, daß ein von mir hochverehrter sozialdemokratischer Kollege aus der Zeit der Großen Koalition, mit dem ich viele Gemeinsamkeiten hatte und mit dem mich mehr als gelegentliche Meinungsverschiedenheiten verband — Sie wissen, wen ich meine: Karl Schiller —, schon zu Anfang der 70er Jahre bei einem steuerpolitischen Kongreß der SPD an die Adresse seiner Parteifreunde erklärt hat: Die wollen ja eine andere Republik! Er sagte dann: Kinder, laßt doch die Tassen im Schrank! Seit dem Münchener Parteitag der SPD war ich mir im klaren, daß die nicht die Tassen im



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Schrank gelassen haben, sondern den wirtschaftspolitischen Verstand in der Garderobe,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Falls sie einen mitgebracht hatten!)

    und dazu noch den Schlüssel verlegt haben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Der Staatsschaupieler von Bayern! — Weitere Zurufe)

    — Ich kann verstehen, daß Sie von bitteren Gefühlen geplagt sind, daß der Rollenwechsel Sie stört.

    (Zuruf von der SPD: Nein, wir sind erheitert!)

    Manche atmen vielleicht befreit auf, manche denken mit Bitternis an die letzten Monate. Aber Sie sollten hier soviel Haltung aufbringen, mich in Ruhe anzuhören.

    (Löffler [SPD]: Das tun wir doch!)

    Ich habe bis jetzt nur humorvoll gesprochen, wenn auch mit einigen ironischen Sentenzen.

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    Ich habe von der gemeinsam verschuldeten Zerrüttung von Wirtschaft und Finanzen gesprochen. Sie können doch nicht leugnen, daß die anschwellende Zahl der Arbeitslosen in diesem Winter die Grenze von 2 Millionen erheblich überschreiten wird und daß die Zahl der Pleiten sprunghaft gestiegen ist und vorerst noch weiter — bis 16 000 am Ende des Jahres — steigen wird. Sie können auch nicht die katastrophal anwachsende Neuverschuldung einfach leugnen. Die SPD war und ist nicht bereit — das haben auch die Reden des Kollegen Ehmke und des Kollegen Apel bewiesen, die ich zum Teil hier und zum Teil am Radio gehört habe —, die leichtfertig gebauten Luftschlösser wieder einzureißen, sondern überläßt das anderen und möchte dazu noch die politische Rechnung der neuen Regierung anlasten.
    Die alte Koalition ist über den Folgen ihrer skandalösen Wirtschafts- und Finanzpolitik zusammengestürzt. Wie viele Programme, Pläne, Operationen und Strategien sind großspurig verkündet und dann leise wieder aus dem Verkehr gezogen worden! Der Traum vom historischen Bündnis zwischen Liberalismus und Sozialismus war eben doch ein falscher Traum. Wenn die alte Koalition noch ein Jahr weiterregiert hätte, hätten Sie, Herr Kollege Ehmke, Ihre gestrige Rede nicht halten können.

    (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

    Sie hätten sie nicht halten können, denn die Wende, die durch die Regierungserklärung von gestern und durch die Beschlüsse der Koalitionsparteien zwar noch nicht vollzogen, aber signalisiert und eingeleitet worden ist, wäre bei Fortsetzung dessen, was sich zwischen den alten Bündnispartnern in den letzten Jahren und vor allen Dingen in den letzten
    Monaten ereignet hat, völlig außerhalb jeder Möglichkeit gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Genscher ist weggelaufen!)

    Der Anstieg der Zahl der Arbeitslosen, der Anstieg der Zahl der Insolvenzen, Konkurse, Betriebsstillegungen, Pleiten usw. und der skandalöse Anstieg der Verschuldung wären ungehemmt und ungeremst weitergegangen.

    (Zuruf von der SPD: Er geht doch weiter!)

    Wenn es dem Bürger auferlegt worden wäre, die Folgen dieser Politik bezahlen zu müssen, dann hätten Sie, Herr Kollege Ehmke, nicht — wie gestern — die Möglichkeit gehabt, alle möglichen Personenkreise hier als Opfer der Politik einer Bundesregierung, die erst wenige Tage im Amt ist, zu mobilisieren. Die Arbeitnehmer, die Rentner, die Kriegsopfer, die Mieter, die Schüler und die Studenten, die Sie gestern genannt haben, sind doch das Opfer Ihrer Politik der finanzpolitischen Maßlosigkeit geworden!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube, daß ich nicht um ein Jota übertreibe, wenn ich sage: Wenn ein Redner an dieser Stelle oder wo auch immer, sagen wir, vor vier Jahren oder nach der Bundestagswahl 1976, bei der es ja nur ein „Rentenproblemchen" gab, vorausgesagt hätte, was Sie in den folgenden Jahren an zum Teil paradoxen, sinnlosen, ungereimten, widerspruchsvollen, das Problem nicht heilenden Einschnitten in die sozialen Leistungen vollzogen haben, wäre dieser Redner damals genauso mit einer Welle, mit einer Flut von Verhetzung und Verleumdung überzogen worden, wie es jetzt leider auch wieder Stil zu werden scheint.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Sagen wir doch einfach: Die alte Koalition hat Konkurs gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Haushaltspläne und Finanzplanungen waren nicht einmal mehr Poesiealben, sondern waren reine Märchenbücher geworden. Ihre Zahlen dienten doch mehr der Verharmlosung der Probleme und der Verschleierung der Tatsachen als den Erfordernissen eines demokratischen Haushaltsrechts. Ich bin auf Grund der Vorarbeiten vieler verdienter Finanzpolitiker der Finanzminister gewesen, der damals, am Ende der Großen Koalition, im Zusammenhang mit dem Gesamtbereich der Finanzverfassungsreform das neue Haushaltsrecht dem Parlament vorgelegt und damit zur Gültigkeit gebracht hat, ein demokratisches Haushaltsrecht mit einer sehr großen Transparenz, angefangen bei dem einzig sinnvollen Schlüssel der Nettoverschuldung statt des wenig aussagekräftigen Schlüssels der Bruttoverschuldung bis hin zur Ausweisung der Subventionen und zur Trennung der konsumtiven von den investiven Aufgaben usw. Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand sollten doch überschaubar und durchschaubar werden. Wer die Haushaltspläne der zweiten Hälfte der 70er Jahre bis — immer schlimmer werdend — in die 80er



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Jahre hinein und die dazugehörigen Finanzplanungen sieht, muß wirklich den Kopf drehen, wenn er die Zahlen zwischen dem Soll und der Wirklichkeit noch auf ein und demselben Papier sollte festzustellen wünschen.
    Der Kassensturz hat nach Angaben des neuen Bundesfinanzministers — ich bin nicht verwundert darüber — ein noch schlechteres Ergebnis zutage gefördert als ursprünglich befürchtet. Seit der letzten finanzpolitischen Debatte noch unter Kanzler Helmut Schmidt vor einem Monat ist die Finanzierungslage für 1982 bis heute nochmals um etwa 6 Milliarden DM schlechter geworden, hat sich die neue Schuldenlast für dieses Jahr auf 40 Milliarden DM erhöht. Diese neue Schuldenlast der neuen Regierung anzulasten ist der Gipfelpunkt von Paradoxie,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit!)

    um nicht zu sagen: von politischer Impertinenz.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    In den drei Jahren — ohne Änderung der Politik — hätte die nach Grundgesetz höchstzulässige Kreditaufnahme, die durch die Summe der Investitionen bestimmt wird

    (Zuruf von der SPD: Jetzt kommt's!)

    — ich beziehe mich hier auf die vorliegenden, von der letzten Regierung vorgelegten und ständig revidierten Planungen, also auf deren letzte Planung beziehe ich mich —, nicht mehr ausgereicht, die Zinsen für die bisher aufgenommenen Schulden zu bezahlen. Wenn das nicht finanzpolitischer Bankrott ist, dann weiß ich nicht, was unter diesem Thema, unter dieser Definition noch verstanden werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für 1983 ergab sich statt der offiziell geplanten — oder besser gesagt: erträumten — 28 Milliarden DM eine weitere Neuschuldenlast von 50 Milliarden DM oder mehr. Darüber ist doch der letzte Kanzler gestürzt, weil er sich mit seiner SPD nicht mehr aus dem Teufelskreis der selbstverschuldeten Finanzkatastrophe befreien konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich war der letzte Finanzminister der Periode von 1949 bis 1969, und zwar in der Großen Koalition von 1966 bis 1969. Weil damals mein Nachfolger Alex Möller, ein von mir hochgeschätzter Kollege, von der schweren Erblast gesprochen hat, die er von mir habe übernehmen müssen,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    darf ich diese Erblast einmal in drei Zahlen darstellen: Ich habe im Wahljahr 1969 nicht einen einzigen Pfennig Nettokredit aufgenommen. Ich habe in dem gleichen Jahr 1,3 Milliarden DM Schulden zurückgezahlt, um damit das Gesamtniveau der Schuldenlast durch einen erheblichen Betrag zu senken und um ein Zeichen des guten Willens unserer Solidität zu setzen. Ich bin überzeugt — ohne Herrn Kollegen Stoltenberg und seinen Nachfolgern hier etwas vorschreiben zu wollen —, daß ich angesichts der von der letzten Koalition und ihrer Regierung geschaffenen Finanzlage wahrscheinlich der letzte Finanzminister in der Bundesrepublik in diesem Jahrhundert gewesen sein werde, der in einem Jahr
    — noch dazu in einem Wahljahr — keinen Pfennig Kredit aufgenommen, 1,3 Milliarden Schulden zurückgezahlt und seinem Nachfolger am 21. Oktober 1969, dem Tag der Wahl Willy Brandts zum Kanzler, einen Kassenbestand in Höhe von 3 962 000 000 DM überlassen hat.


Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Ministerpräsident, der Abgeordnete Westphal wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie einverstanden sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht zulassen!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Sofort.
    — Herr Stoltenberg muß jetzt noch blitzschnell 6 Milliarden DM aufnehmen; sonst könnte der Bund seine Gehälter und Rechnungen im Dezember nicht mehr bezahlen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die Finanzlage von damals ist von dem Abgeordneten Wehner und dem Abgeordneten Schmidt — damals, als wir unsere Arbeit in der Großen Koalition aufgenommen haben — als so katastrophal bezeichnet worden, daß die dafür Schuldigen in das Zuchthaus gehörten.

    (Zuruf von der SPD: 1966 war das!)

    — 1966, ja. — Zwar war die Finanzlage 1966 etwas durcheinander geraten, aber ihre Ordnung war eine relativ leichte Aufgabe. Das Ende dieser dreijährigen Ordnungsperiode habe ich Ihnen gerade geschildert: 1969 keinen Pfennig Kredit aufgenommen, 1,3 Milliarden DM zurückgezahlt und in der Kasse einen Bestand von etwa 4 Milliarden DM dem Nachfolger hinterlassen, der keinen einzigen Pfennig Kredit als Erblast aufzunehmen brauchte. Das ist die reine, durch Tatsachen begründete Wahrheit, die ich hier auch einmal sagen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU)