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ID0912207500

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 7293A, 7336A, 7380 B Engholm SPD 7303B Dr. Waigel CDU/CSU 7307 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 7313A Gattermann FDP 7319A, 7407 D Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 7322 D Brandt (Grolsheim) SPD 7336 C Dr. Schnoor, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 7341 C Dr. Miltner CDU/CSU 7349 B Dr. Hirsch FDP 7352 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 7357 A Dr. Emmerlich SPD 7359 B Kleinert FDP 7362 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7365 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 7383 C Roth SPD 7373A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 7376 C Dr. Haussmann FDP 7378 D Frau Matthäus-Maier FDP 7383 C Möllemann FDP 7387 A Frau Fuchs SPD 7387 B Frau von Braun-Stützer FDP 7390 C Kuhlwein SPD 7393 A Daweke CDU/CSU 7395 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 7398 C Waltemathe SPD 7402 C Dr. Möller CDU/CSU 7405 B Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 7408 D Erklärungen nach § 30 GO Stiegler SPD 7335C, 7413 C Dr. Ehmke SPD 7413 D Nächste Sitzung 7414C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7415 *A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Oktober 1982 7293 122. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 10. Dr. Ahrens ** 15. 10. Coppik 15. 10. Dr. Geßner ** 15. 10. Haar 15. 10. Haehser 15. 10. Hauck 15. 10. Heistermann 15. 10. Jansen 15. 10. Jung (Kandel) ** 15. 10. Jung (Lörrach) 15. 10. Lenzer ** 14. 10. Lowack 15. 10. Müller (Bayreuth) 15. 10. Dr. Müller ** 15. 10. Poß 14. 10. Reddemann ** 15. 10. Rosenthal 14. 10. Schmidt (Wattenscheid) 15. 10. Schulte (Unna) 15. 10. Schröer (Mülheim) 15. 10. Volmer 15. 10. Weirich 15. 10. Dr. Wendig 15. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Klaus von Dohnanyi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Aber sicherlich.


Rede von Dr. Renate Hellwig
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr von Dohnanyi, Sie haben von der Sättigung der Weltmärkte gesprochen. Wollen Sie damit behaupten, daß jeder Haushalt in der Welt sein Auto, seinen Kühlschrank, seinen Komfort hat wie wir in unserer Industriegesellschaft?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Klaus von Dohnanyi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, Frau Kollegin, das wollte ich nicht behaupten. Ich vermute, Sie haben mir auch nicht unterstellt, daß ich das behaupten wollte. Das wäre ja eine unsinnige Behauptung. Ich sprach von der Sättigung der Binnenmärkte und spreche jetzt von den Problemen der Exportmärkte: der hohen Auslandsverschuldung unserer Absatzmärkte in Übersee.



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg)

    Hier haben wir mit Problemen zu tun, die ebenfalls nicht in den Händen der Bundesrepublik und nicht in den Händen einer Bundesregierung liegen. Solange wir diese Probleme unterschätzen, meine Damen und Herren, werden wir uns den wirklichen Problemen nicht zuwenden.
    Sie haben, Herr Bundeskanzler Kohl, nichts gesagt über den internationalen Subventionswettlauf. Die Werften in Hamburg, in Kiel und in Bremen tragen die Last dieses Subventionswettlaufs. Aber Ihre Regierungserklärung sagt, Sie wollten die Aufgaben des Staates zurückführen zugunsten mehr privater Initiative. Ich möchte einmal fragen, wie wir dann die Werften in Emden, in Bremen, in Kiel und in Hamburg halten wollen, ohne daß der Staat auch seinen Teil von Hilfe leistet?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie sprechen von der Notwendigkeit des Ausbaus der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Das ist gut. Das ist auch für einen so bedeutenden Luft- und Raumfahrtstandort wie Hamburg gut. Nur, wissen Sie denn nicht, daß 90 % des Umsatzes der Luft- und Raumfahrtindustrie über die staatlichen Kassen fließen? Wie soll denn der Staat in seinen Aufgaben zurückgeführt werden, wenn wir zugleich diese Industrie ausbauen wollen?

    (Beifall bei der SPD)


    (Vorsitz : Vizepräsident Windelen)

    Ich habe in der Regierungserklärung auch nichts von den bedrückenden Entwicklungen der Rationalisierung gelesen, denen wir uns nicht entziehen können und die wir brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber wenn im Hamburger Handwerk, im Maschinenbau im ersten Halbjahr 1982 gegenüber dem ersten Halbjahr 1981 eine reale Zuwachsrate von 22 % in der Produktion und von minus 10 % in der Beschäftigung zu verzeichnen ist, dann muß doch der Faktor Rationalisierung und Auswirkung auf den Arbeitsmarkt wenigstens Eingang in eine Regierungserklärung finden.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Die Debatte, die der Club of Rome in diesen Wochen hinsichtlich der Auswirkungen der Mikroelektronik erneut aufgenommen hat, muß doch geführt werden. Ich sage wiederum: Keiner von uns wird sich hier den Investitionen entziehen können. Die Wettbewerbsfähigkeit muß auch hier erhalten bleiben. Aber die Auswirkungen müssen wir doch erkennen. Und da hilft doch, Herr Bundeskanzler — wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf —, nicht die weiße Salbe der guten Absicht; da muß man den Problemen ins Auge sehen und fragen: Wie wird man mit der sich hier aufreißenden Beschäftigungslücke am Ende fertig?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Schwarz [CDU/CSU])

    Nun hören wir, die Eigenkapitaldecke der deutschen Unternehmen sei zurückgegangen. Das trifft zu. Das gilt für alle Unternehmen in der Welt — bedauerlicherweise, wenn man so will. Die Eigenkapitaldecke der amerikanischen Unternehmen ist in den letzten 15 Jahren beängstigend zurückgegangen, obwohl die Abgabenquote dort nur 25 % erreicht, während sie bei uns bei 40 % liegt, so daß dieser Rückgang mit der Frage der Belastung offenbar viel weniger zu tun hat als mit einem säkularen Trend, einem Rückgang der Kapitalrendite. Das ist die wirkliche Problematik, mit der wir es hier zu tun haben.
    Ich habe Verständnis, daß der Deutsche Bundestag den Streit um die Ursachen des Bruchs der Koalition hier weiterführt. Ich will mich hier nicht einmischen. Ich möchte nur Sie, Graf Lambsdorff — er ist leider nicht da —, doch noch einmal darauf hinweisen, daß die Münchener Beschlüsse, die man ja nachlesen kann und die wichtige Prüfungsaufträge enthalten, nicht nur zu einem nicht unerheblichen Teil inzwischen offenbar von der neuen Koalition geprüft und für gut befunden wurden, weil sie nämlich übernommen worden sind,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern ich möchte auch sagen, daß nach meinem persönlichen Eindruck auf jeden Fall für die Kollegen der FDP die Beschlüsse des Münchener Parteitags ein ungewöhnlich glücklicher Vorwand waren,

    (Löffler [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

    um eine Tendenz zu verstärken, die es ohnehin bei den Freidemokraten gab. Also den Münchener Parteitag hier als eine Weichenstellung von seiten der Sozialdemokraten festzuhalten, scheint mir wirklich unzulässig zu sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Antwort der neuen Bundesregierung auf das Beschäftigungsproblem lautet im Kern: Höhere Gewinne werden mehr Investitionen, und Investitionen werden mehr Arbeitsplätze schaffen. Ich will dies gar nicht als eine verteilungspolitische Frage aufgreifen. Denn über die Verteilungspolitik könnte man ja streiten, wenn das Ergebnis wenigstens so wäre, wie es beabsichtigt ist.
    Aber, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU-FDP-Koalition, alle Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre sprechen gegen Ihre Erwartung. Es trifft auch nicht zu, wenn wir die Entwicklungen der 70er Jahre und die Arbeitslosigkeit der frühen 80er Jahre in erster Linie auf die Ölkrise schieben. In Wirklichkeit haben sich die Probleme der Industriegesellschaft seit Beginn der 60er Jahre abgezeichnet, früher in den Staaten mit höherer wirtschaftlicher Entwicklung, später in der Bundesrepublik mit ihrer besonderen Ausnahmesituation eines niedrig angesetzten DM-Werts und einer Ausgangsposition nach dem Krieg, die ungewöhnliche Wachstumsmöglichkeiten gab.
    Herr Bundeskanzler, ich stelle hier fest: Nach meiner tiefen Überzeugung unterschätzen Sie Umfang und Ursache der Krise der Weltwirtschaft, die wir noch nicht — noch nicht sage ich — die zweite Weltwirtschaftskrise nennen.
    Die Lage ist gefährlich. Sättigung der Märkte, Auslandsverschuldung der Drittstaaten, Arbeitslo-



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg) sigkeit in der ganzen industrialisierten Welt und wachsender Protektionismus bergen unübersehbare Gefahren in sich. Aber die größte Gefahr besteht, so scheint mir, darin, daß Sie diese Gefahren unterschätzen, daß die neue Bundesregierung meint, man könne mit diesen Problemen durch eine Rückkehr zur Politik der 50er und der frühen 60er Jahre fertig werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun weiß ich, daß Sie auch sagen, man müsse zu den früheren Instrumenten der Wirtschaftspolitik andere Instrumente hinzufügen. Aber wir wissen nicht, welche! Mir scheint, nicht ohne Grund beschwören Sie den Wiederaufstieg der Bundesrepublik nach 1949 — so, als hätten die Probleme von heute irgend etwas mit den damaligen Problemen zu tun.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Nein, ihr habt jetzt 13 Jahre regiert, jetzt habt ihr neue geschaffen!)

    Graf Lambsdorff, mit dem ich in der Vergangenheit immer wieder, auch im Kabinett, gemeinsam Positionen vertreten habe, hat diese Auffassung im Streit mit mir immer wieder sehr deutlich vertreten. Das war sicherlich eine der Ursachen dafür, daß am Ende im wirtschaftspolitischen Bereich die Arbeit in der Koalition unmöglich geworden ist. Denn Sie, Graf Lambsdorff, meinten, mit klassischer Marktwirtschaft allein seien die heutigen Probleme zu lösen. Alle Erfahrungen in der Welt sprechen dagegen, und doch halten Sie an dieser Politik fest.
    Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie bezeichnen sich selbst als die Realisten, und Graf Lambsdorff hat vorhin von den Sozialdemokraten als den Träumern gesprochen. Es ist ein erstaunliches Merkmal unserer Zeit, daß die selbsternannten Realisten häufig die absurdesten Ergebnisse produzieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Insofern ist es schon berechtigt, auf die Entwicklung in den USA und in Großbritannien zu verweisen. Rahmenbedingungen und ihre Verbesserung allein lösen die Probleme eben nicht.
    Herr Bundeskanzler, wenn Sie meinen, der Staat müsse seinen Anteil, seine Rolle zurücknehmen, so will ich hier sagen: In Wahrheit ist die Steuerlastquote in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Zwar sind die Abgaben für Renten-, Arbeitslosen-
    und Krankenversicherung gestiegen, aber die Steuerlastquote ist zurückgegangen. Der Staat aber wird seine Verantwortung nicht tragen können, wenn ihm nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stehen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ich füge hinzu: Der Staat wird eine wachsende und
    nicht eine abnehmende Rolle zu spielen haben,
    wenn wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen wollen!

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, dazu will ich Ihnen sagen, was wir aus Länderverantwortung zu leisten versuchen. Wir in Hamburg versuchen z. B. bei wachsender Arbeitslosigkeit, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die wir im Volumen von 20 auf 100 Millionen DM heraufgesetzt haben, denjenigen, die — etwa in den Werften — schuldlos arbeitslos werden, eine Chance zu geben, an der Arbeit in dieser Gesellschaft teilzuhaben.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben doch gar keine Legitimation in Hamburg! Wo ist Ihre Legitimation in Hamburg?)

    Wir steigern die öffentlichen Investitionen. Ich füge hinzu: Zu diesen öffentlichen Investitionen müssen wir auch die privaten Unternehmen in der Stadt heranziehen. Am Ende werden wir nur durch einen zusätzlichen, gewissermaßen einen zweiten Arbeitsmarkt, getragen in erster Linie von den Kommunen, in der Lage sein, überhaupt mit den Problemen fertig zu werden.
    Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle möchte ich daher warnen, wenn steuerpolitische Maßnahmen ergriffen werden sollten, die die Gemeinden steuerlich beeinträchtigen.

    (Zustimmung des Abg. Westphal [SPD])

    Jede Rückführung der Gewerbesteuer ist nicht nur eine Beeinträchtigung der kommunalen Möglichkeiten, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern bedeutet auch, daß es in Zukunft noch schwieriger werden wird, Standorte auch für unbequeme Industrien zu finden. Wer die Gewerbesteuer antastet, muß wissen, daß er auf die Dauer nur noch Wohngemeinden haben wird und daß sich keine Gemeinde mehr bereit finden wird, schwierige industrielle Ansiedlungen vorzunehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer meint, er wolle Investitionshemmnisse beseitigen und in den Kommunen Investitionen von privaten Unternehmen fördern, der muß den Gemeinden die Möglichkeit geben, über die Gewerbesteuer dann auch die entsprechenden Erträge zu erwirtschaften.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ebenso möchte ich die neue Bundesregierung davor warnen, das Arbeitslosengeld zu verringern. Das schlägt unmittelbar auf die Sozialhilfe in den Gemeinden durch. Jeder, der hier etwas antastet, muß wissen, daß er am Ende die kommunalen Finanzen und damit die wahrscheinlich beste Möglichkeit der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit beeinträchtigt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe, Herr Bundeskanzler, auch Bemerkungen vermißt, die zu einer schrittweisen Verkürzung



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg)

    der Arbeitszeit führen können. Ich hoffe, daß der Bund als Tarifpartei im öffentlichen Bereich seinen Beitrag hierzu leisten wird. Denn auf mittlere Frist ist die Beseitigung der Arbeitslosigkeit nur durch eine Anpassung der Arbeitszeit an die wirkliche Nachfrage nach Arbeit möglich. Daß die Regierungserklärung diesen Punkt nicht einmal erwähnt, scheint mir eine grobe Vernachlässigung der wirklichen Probleme zu sein.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die neue Regierung spricht von der Schaffung von Ausbildungsplätzen. Herr Bundeskanzler, wir können und wollen Sie da unterstützen. Herr Kollege Waigel, Sie haben soeben davon gesprochen, daß Ihnen ein guter Schlosser lieber sei als ein schlechter Akademiker. Ich möchte gern einen guten Schlosser und einen guten Akademiker haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich kann diese Unterscheidung, diese Anti-Akademikerhaltung, die hier manchmal durchschlägt, wirklich nicht verstehen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sie wollen überhaupt keinen Schlosser mehr! Ihr wollt doch nur noch Sozialarbeiter! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Langsam! — In der Jugend muß die Möglichkeit der freien Entscheidung bestehen. Diskriminierung von Akademikern wäre ebenso fehlerhaft wie Diskriminierung von Berufsbildung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich will hier nun dem Kollegen Waigel auf seine These antworten, wir hätten durch unsere Bildungspolitik die Akademiker bevorzugt. Herr Kollege Waigel, ich habe in diesem Hause schon mehrfach versucht, mich mit Ihnen, mit Ihrer Fraktion über diese Probleme, nach Adam Riese und nicht nach Mengenlehre, auseinanderzusetzen. Als die neue Bundesregierung Brandt/Scheel 1969 ihre Verantwortung antrat, hatten wir im Jahre 1970 die ersten Probleme des Numerus clausus. Ich erinnere mich zwar, daß im Frühjahr 1970 beginnende Preissteigerungen von Ihrer Fraktion bereits der sozialliberalen „Inflationspolitik" zugeschrieben wurden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

    Aber eines geht nun wirklich nicht: uns den Numerus clausus von 1970 und 1971 zuzurechnen, obwohl doch jeder feststellen kann, daß jemand, der über den Weg des Abiturs zum Studium gekommen ist, sich spätestens 1962 zum Gymnasium entschieden haben mußte, um 1971 vor den Türen der Hochschulen zu stehen, 1962 wurden die Weichen für die Zahl der Studenten von 1971 getroffen, nicht 1972. Daher stimmt Ihre Behauptung, dies sei von der damaligen neuen Bundesregierung verursacht worden, wirklich nicht einmal mit den einfachsten Rechenregeln überein. Solange Sie aber, Herr Kollege Waigel, das dreigliedrige Schulsystem aufrechterhalten

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das werden wir auch tun!)

    und Sorge dafür tragen, daß bei zehnjährigen Kindern Weichen für deren Zukunft gestellt werden, werden Sie und werde ich den Versuch machen, unsere Kinder zum Abitur zu bringen. Das ist ganz selbstverständlich, weil das Abitur bessere Chancen gibt. Die wahre Ursache der Benachteiligung des Handwerkernachwuchses in unserer Gesellschaft besteht darin, daß wir der deutschen Wirtschaft den technisch-wissenschaftlichen Nachwuchs in die Gymnasien abziehen, weil wir die Eltern faktisch zwingen, bei zehnjähgien Kindern Weichenstellungen vorzunehmen, anstatt zu warten, bis diese Kinder 15, 16 oder 17 Jahre alt sind.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Sie, die Vertreter des dreigliedrigen Schulsystems, sind die wahren Verursacher der Akademisierung unserer Gesellschaft. Sie sind die Ursache dafür, daß alle Eltern, wie auch Sie selbst, den Versuch machen, diesen Weg für ihre Kinder zu gehen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Lammert [CDU/CSU]: Von wem ist denn die Idee, 15 % eines Jahrgangs zu Abiturienten zu machen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Darüber müßte man eine ruhige Debatte führen. Denn, Herr Kollege Waigel, Sie haben das bis heute nicht verstanden.
    Ich möchte auf die Frage der Berufsbildung zurückkommen. Wir wollen neue Ausbildungsplätze schaffen, Herr Bundeskanzler. Das ist richtig; ich will auch sagen, daß wir das tun. Wir haben in Hamburg eine Zusage gegeben, daß es keinen jugendlichen Hamburger und keine jugendliche Hamburgerin geben wird, die sich beim Arbeitsamt gemeldet haben und ohne Ausbildungsplatz bleiben werden. Aber ich füge für Sie hinzu: 75 % der so anfallenden Kosten muß der Staat übernehmen, und zwar in einem System, in dem die berufliche Bildung eigentlich von der Wirtschaft getragen werden sollte. Einer Ihrer Kollegen, Herr Pfeifer, hat hier vor einigen Wochen in einer Debatte gesagt, es sei selbstverständlich, daß die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgeht, wenn die Konjunktur zurückgeht. Dies ist doch die wahre Lage. Wie kann man denn die Behauptung, Herr Bundeskanzler, der Staat solle seine Rolle zurücknehmen, damit vereinbaren, daß zugleich nur der Staat neue Ausbildungsplätze schaffen kann. Das stimmt doch nicht überein.

    (Beifall der SPD)

    Dies sind gefährliche Illusionen.
    Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt, wir sollten hemmende Regeln in den Gesetzen beseitigen, die zusätzlichen Ausbildungsplätzen entgegenstehen. Ich stimme Ihnen zu. Wir in Hamburg haben mit Erfolg den Versuch gemacht, die Ausbildereignungsverordnung zu ändern. Wenn Sie bei



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg) dem Behindertengesetz oder bei dem Betriebsärzte-
    gesetz Grenzen verändern wollen, werden Sie trotz des Streites, den es darüber auch im sozialdemokratischen Lager gibt, die Unterstützung der Hamburger Regierung haben. Wir haben das schon gesagt. Man kann solche Gesetze hinsichtlich der Zurechnung von Auszubildenden auf Zeit aussetzen, wenn damit Grenzen verschoben werden, die heute bei der Einstellung zusätzlicher Lehrlinge als hinderlich empfunden werden.
    Nur: In der Finanzierungsfrage muß ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, noch einmal ansprechen. Sie haben es über den Bundesrat faktisch unmöglich gemacht, eine vernünftige Umlage zur Finanzierung der Ausbildung sicherzustellen. Wir werden jetzt in Hamburg — das haben wir gestern im Senat beschlossen — auf der Grundlage landespolitischer Zuständigkeiten prüfen, ob wir für die Betriebe, die überhaupt nicht ausbilden, eine Abgabe schaffen, damit wir Gerechtigkeit üben gegenüber den Betrieben, die ausbilden.

    (Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Dann kriegt ihr sie auch noch bankrott!)

    — Wenn mir da eingeworfen wird, Herr Haase, dann kriegten wir sie auch noch bankrott, dann sprechen Sie einmal mit dem Handwerk in meiner Stadt. Das Handwerk in meiner Stadt ist sauer auf die Betriebe, die nicht ausbilden. Das Handwerk möchte, daß sich alle an der Ausbildung beteiligen.

    (Beifall bei der SPD)