Das müssen wir ein andermal machen, Herr Cronenberg. Wir hatten ja viel Zeit zu diskutieren.
Auch die Einhaltung des Grundgedankens der Solidarität kann man als Meßlatte für Belastungsvorhaben Ihrer neuen Koalition wählen. Was ist das erste, was wir von Ihnen, von Ihren Ministern dazu hören? Da sollen, so sagt Herr Blüm, aus Betroffenen Beteiligte gemacht werden. Mir fallen dabei immer die 5 DM ein, die pro Krankenhaustag gezahlt werden sollen. Die Betroffenen, die vom Arzt ins Krankenhaus geschickt werden, sollen dadurch Beteiligte werden, daß sie nunmehr 5 DM pro Tag — und zwar 14 Tage lang — zahlen. Ich habe damals deutlich gemacht — deswegen kann ich das hier in dieser Klarheit sagen —, daß ich für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme nicht in Anspruch genommen werden will. Ich habe sie mit zu tragen gehabt. Ich kann mich nicht aus der Verantwortung drücken. Das tue ich auch nicht. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme ist aber nicht einmal für diejenigen einsehbar, die im Gesundheitswesen wirklich Kostenbewußtsein zustande bringen wollen.
Jetzt kommt es: Aus Betroffenen Beteiligte machen — so lautet die Formulierung — bedeutet, daß „diese dann selbst entscheiden, für wieviel Geld sie wieviel Gegenleistung wollen". Das heißt doch: Nach der Beitragszahlung an die Krankenversicherung folgt die nochmalige Beteiligung an den Kosten der konkreten Gesundheitsleistung, und dabei bekommt dann derjenige mehr und bessere Gesundheitsleistungen, der dafür mehr zu zahlen in der Lage ist. Dies ist der Inhalt Ihrer Absichten, Herr Blüm. Das strebt die neue Regierung an. Mit Solidarität hat das nichts zu tun. Wenn das dann noch mit der Rücknahme der neuen Gebührenordnung für Ärzte einhergeht, weil man die Chefärzte doch ein bißchen besserstellen möchte, die technischen Leistungen also doch anders berücksichtigt werden sollen, damit sie ein bißchen mehr Geld in die Kasse des einzelnen bringen, dann hat das mit Solidarität nichts mehr zu tun.
Das läßt sich bei „Solidarität" nicht einordnen. Wenn Sie das bei „Subsidiarität" einordnen sollten, kann ich Ihnen nur empfehlen, einmal beim Nell-Breuning nachzulesen, was er unter Subsidiarität
7288 Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Oktober 1982
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versteht. Dem könnte nämlich jeder Sozialdemokrat gern und sofort zustimmen.
Meine Damen und Herren, ich bin hier der Zeit nach begrenzt. Im Hinblick auf das, was hier noch vorgetragen werden könnte, fiele mir noch eine Menge ein. Ich habe in den letzten Wochen bei den Gesprächen draußen keine Leute getroffen, die — wie Herr Genscher uns das hier vorgehalten hat — die Ablenkungsthese bejaht hätten, erst müsse der Haushalt vorgelegt werden, erst müsse, wie es so schön hieß, „das Haus in Ordnung gebracht" werden; dann könne gewählt werden. Ich habe keine Leute getroffen, die dieses Argument akzeptiert oder mir gar entgegengehalten hätten. Mir sind immer nur Leute begegnet, die ihr Bedauern darüber zum Ausdruck brachten, daß und in welcher Manier Helmut Schmidt sein Amt als Bundeskanzler entzogen bekommen hat.
Herr Genscher, diesbezüglich hat der Wähler ein feineres Gespür für das, was zutreffend ist. Das haben die hessischen Wahlen j a wohl mit Deutlichkeit gezeigt. Der Wähler hat auch ein feineres Gespür für das Verhalten von Personen. Herr Genscher, die Glaubwürdigkeit, die Sie hier vorgeführt haben, war gleich Null. Das war doch mit Händen zu fassen. Man muß nicht den „Spiegel" gelesen haben, um zu wissen, welches Spiel Sie gespielt haben. Man braucht nur auf die Gesichter der Mitglieder der FDP-Fraktion zu gucken, die in dieser Phase politischer Auseinandersetzungen gleich uns gesagt haben: Jetzt ist der Zeitpunkt da, zu dem der Wähler das Wort haben muß. Daraus kann man erkennen, daß das, was Sie hier vortragen, nur noch die Meinung von 1,5%, aber nicht mal mehr von 3 % der Wähler ist.
Wenn ich das zusammenzufassen versuche, was seitens der neuen Koalition im Hinblick auf die Frage „Wie wollen Sie mit der kritischen Lage fertig werden?" inhaltlich gesagt worden ist, dann ist es, Herr Stoltenberg, falsch beurteilt, wollte man es als nur relativ schlimmer als die von uns mitverantworteten Einschnitte bezeichnen. Nein, dies ist eine andere, eine negative Qualität von Politik.
All Ihre Vorwürfe, die wir von CDU und CSU monatelang hören mußten, richten sich nun gegen Sie selbst: Sie wollen Steuern erhöhen, und das gleich doppelt; Sie wollen die Kreditaufnahme erheblich steigern; Sie wollen — selbstverständlich — den Bundesbankgewinn ganz einsetzen.
Sie schneiden in einer Weise in soziale Leistungsgesetze ein, daß sowohl die Rentenfinanzen — dies muß ich jetzt sagen — in Gefahr geraten als auch dabei die Last auf die Sozialhilfe übergehen kann.
Ich habe sofort gemerkt, daß Sie nun noch einmal im Unterschied zu dem Koalitionspapier nachgegriffen haben. Es steht jetzt also neu in der Regierungserklärung von heute, daß die Rentner in den nächsten Jahren einen Krankenversicherungsbeitrag tragen sollen, der gleich 2% pro Jahr gesteigert wird. Mir scheint, dahinter steckt die Erkenntnis, daß Sie dabei waren, die Rentenfinanzen in Unordnung zu bringen. Alle Achtung, Sie haben es noch rechtzeitig gemerkt — hier ist jemand, der aufgepaßt hatte —, daß die Beschlüsse, die die Sozialdemokraten mit zu verantworten haben, so gestaltet waren, daß bei den Reserven der Rentenversicherung Wasser unter dem Kiel geblieben ist. Jetzt war das so nicht mehr der Fall. Was tun Sie? Sie greifen noch einmal bei den Rentnern zu.
Sie verschieben die Lasten zwischen den sozialen Sicherungssystemen. Auch dies war ein Vorwurf, den wir von Ihnen vorgetragen bekommen haben, bis hin zu dem — das empfand ich immer als den schlimmsten Vorwurf —, der da hieß, wir würden einen Griff in die Rentenkasse machen. Was tun Sie? — Sie tun nicht nur dasselbe, Sie tun das doppelt so hoch. Sie tun es doppelt so stark.
Entscheidend aber ist: Ihr Ansatz der Politik ist ökonomisch falsch. Wir sind nicht auseinander, wenn es um die Anregung von Investitionen — private und öffentliche — geht. Darum brauchen wir uns nicht zu streiten.
Mit einiger Wehmut sehen wir, daß jetzt in dem Paket Dinge drin sind, die die Liberalen uns gegenüber nicht mitgemacht haben. Ich denke zum Beispiel an Zwischenfinanzierung von Bausparverträgen, ich denke an den sozialen Wohnungsbau in Ballungsgebieten. Dies waren ja Dinge, die zu unserem Konzept gehörten. Gucken wir auf die jetzige Lage: Was soll denn ein Unternehmer mit Förderungsmitteln des Staates machen, wenn er sieht, was mit seinen potentiellen Käufern nächstes Jahr geschieht? Der neue Arbeitsminister verkündet als erste seiner Ideen einen Lohnverzicht. Die Renten sollen erst im Juli ihre Anpassung bekommen, die Beamten nur 2% und — das habe ich schon gesagt — das erst ab Mitte nächsten Jahres. Wer ist denn dann Käufer für das, was ein Unternehmer produziert?
Wer in dieser Konjunkturentwicklung bei den Masseneinkommen Kaufkraft entzieht, der handelt ökonomisch falsch, der vertieft die Krise, der produziert nun zusätzliche Arbeitslosigkeit, statt sie zu beseitigen.
— Sie fragen mich: Was wollen Sie tun? Herr Geißler, Sie sitzen am falschen Platz.
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Das, was Sozialdemokraten tun würden, läßt sich sehr einfach in einer knappen Form zusammenfassen: Erstens. Wir stehen zur Notwendigkeit von Einschränkungen und auch von Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten.
Das haben wir deutlich gemacht; davon weichen wir keinen Schritt ab. Nur, solchen Unsinn, wie ich ihn vorhin angesprochen habe, nehmen wir natürlich raus. Als Beispiel hierfür sei die Beteiligung der Patienten an den Krankenhauskosten genannt.
Zweitens. Wir würden in dieser Lage konjunkturelle Einnahmeausfälle und Mehrausgaben durch Kredite decken. Dies ist die sinnvolle Verhaltensweise in dieser Situation.
Drittens. Wir würden nicht erneut, so wie Sie es tun, tiefer in soziale Leistungen einschneiden. Aber wir würden zu unserem Wort stehen, die sozialen Sicherungssysteme an die veränderten Bedingungen von geringerem Wachstum und sich ungünstig entwickelndem Bevölkerungsaufbau langfristig anzupassen.
Viertens. Wir würden die von uns eingeleiteten Förderungsmaßnahmen für mehr Beschäftigung verstärken und dafür eine echte Ergänzungsabgabe zur Lohn- und Einkommensteuer erheben. Dies heißt also eben auch soziale Ausgewogenheit dadurch hinzufügen, daß diejenigen, die zu den Bes-
serverdienenden gehören, auch tatsächlich etwas beizutragen haben.
Sie haben es bei uns mit Realisten, nicht mit Illusionisten zu tun. Wir reden hier so, daß wir morgen wieder Regierungsverantwortung übernehmen können.
Dies ist unsere Position. Sie, meine Damen und Herren von der neuen Regierung, sind eine Übergangsregierung. Ob im Straußschen Sinne oder in dem Sinne, wie wir es Ihnen hier verdeutlicht haben, wird sich zeigen. Wir wollen die Wähler zu ihrem Recht bringen. Wir müssen darüber eine Entscheidung unseres Volkes, der Wähler bei Wahlen, schnell herbeiführen. — Vielen Dank.