Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kohl.
Dr. Kohl (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder spürt, daß dies für uns alle eine bewegende und aufwühlende Stunde ist. Gerade weil das so ist, Herr Bundeskanzler, möchte ich, was ursprünglich nicht meine Absicht war, Ihnen in ein paar Sätzen antworten.
Jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages hat selbstverständlich sein Recht, hier seine Meinung zu vertreten. Es ist ebenso selbstverständlich, daß sie das heute wie in Zukunft haben. Eine Bernerkung, wie sie hier von Ihnen gemacht wurde, darf doch nicht den Eindruck erwecken, als gäbe es in diesem Hause irgend jemanden, der den Gedanken in sich trüge, dieses selbstverständliche Freiheitsrecht in Frage zu stellen.
Bei allem, was uns gerade in dieser Stunde bedrückt, erregt und vielleicht auch zu einem schnellen Wort veranlaßt, sollte doch der Gedanke an die gemeinsame demokratische Grundüberzeugung der entscheidende Gedanke sein.
— Herr Ehmke, ich komme zu Ihrem Satz.
Zweitens. Mein Freund und Kollege Heinrich Geißler ist hier ans Pult gegangen und hat auf eine sehr emotionale, sehr bewegende Rede der Frau Kollegin Hamm-Brücher reagiert. Die Frau Kollegin Hamm-Brücher hat eine Formulierung gebraucht, von der ich sicher bin, daß sie sie, wenn sie sie noch einmal überlegt und vielleicht auch einmal nachliest, so nicht halten kann, wie ich Sie, Frau Kollegin Hamm-Brücher, kenne.
Darauf hat der Kollege Heinrich Geißler geantwortet. Frau Kollegin Hamm-Brücher, das, was Sie gesagt haben, hat nämlich zur Konsequenz, daß jemand, der im Rahmen dieser Verfassung handelt —
diese Verfassung ist auf der Basis moralischer Kategorien normiert; das ist doch das Ergebnis jüngster deutscher Geschichte — —
Dafür haben Männer und Frauen aus den drei großen Gruppen, die hier sitzen, in ihrer Geschichte, in ihrer Tradition gekämpft und gelitten. Diese Verf assung ist ein moralisches Institut deutscher Politik. Wenn im Rahmen dieser Verfassung, ob das in der konkreten Situation dem einen mehr oder weniger gefällt, entschieden, gearbeitet, gekämpft wird, dann kann das nicht unmoralisch und schon gar nicht unchristlich sein, Frau Kollegin!
Darauf, verehrte Frau Kollegin Hamm-Brücher, bezog sich die Reaktion eines Mannes wie Heiner Geißler, der wie Sie und ich im Rahmen der uns geschenkten Spanne unseres Lebens leidenschaftlich für eine freiheitliche Verfassung gekämpft hat und hoffentlich noch viele Jahre kämpfen wird.
Ich will jetzt auch Ihr Wort aufnehmen, auch Ihre persönliche Anrede „liebe Freunde", die Sie einmal gebraucht haben. Liebe Freunde, ich will in diesem Augenblick unter Demokraten zu diesem Punkt sagen: Lassen Sie uns doch nicht in der ganzen Leidenschaft der Stunde das zerstören, was diese Republik in 30 Jahren auf unserer Verfassung aufgebaut hat!