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ID0911408900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 6977 A Begrüßung einer Delegation des Althing der Republik Island 6992 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Haushaltsgesetz 1983) — Drucksache 9/1920 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986 — Drucksache 9/1921 — Dr. Dregger CDU/CSU 6979 D Löffler SPD 6985 D Cronenberg FDP 6992 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 6996 D Dr. Waigel CDU/CSU 7003 D Roth SPD 7010 D Dr. Haussmann FDP 7016A Müller (Remscheid) CDU/CSU 7019C Dr. Mitzscherling SPD 7023A Lahnstein, Bundesminister BMF . . . 7027 A Westphal, Bundesminister BMA . . . 7031 C Rühe CDU/CSU 7036 B Voigt (Frankfurt) SPD 7041 C Möllemann FDP 7046 D Dr. Wörner CDU/CSU • 7051 C Genscher, Bundesminister AA 7057 D Dr. Ehmke SPD 7059 A Fragestunde — Drucksache 9/1968 vom 10. September 1982 — Übernahme des Document Center in deutsche Verwaltung MdlAnfr 2, 3 10.09.82 Drs 09/1968 Hansen fraktionslos Antw StMin Frau Dr. Hamm-BrücherAA 6977 B, C, D ZusFr Hansen fraktionslos 6977 B,C,D Schikanen gegen ausreisewillige Deutsche in Polen seit Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 MdlAnfr 4 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA . . . 6978 A, B, C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6978 B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6978 C Ausstattung amerikanischer Universitätsbibliotheken mit Literatur zur Wiedervereinigung Deutschlands MdlAnfr 5 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 6979 A, B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6979A, B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6979C Nächste Sitzung 7060 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7061* A Anlage 2 Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau durch die polnische Fluggesellschaft LOT MdlAnfr 45 10.09.82 Drs 09/1968 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* B Anlage 3 Aufpreis für Zeitkarteninhaber bei Benutzung von Bahnbussen MdlAnfr 46 10.09.82 Drs 09/1968 Herberholz SPD SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* C Anlage 4 Aufrechterhaltung der Bundesbahnstrecke Bad Lauterberg/Odertal-Scharzfeld im Südharz MdlAnfr 47 10.09.82 Drs 09/1968 Frau Benedix-Engler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* D Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 6977 114. Sitzung Bonn, den 16. September 1982 Beginn: 8.30 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 7061* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 17.9. Dr. Diederich (Berlin) *** 17.9. Feinendegen 16.9. Frau Fischer*** 17.9. Gobrecht*** 17.9. Handlos 17.9. Hauck 17.9. Dr. Hennig*** 17.9. Dr. Holtz*** 17.9. Hoppe 17.9. Dr. Hüsch 16.9. Klein (München) *** 17.9. Dr. Köhler (Wolfsburg) *** 17.9. Dr. Kreile 16.9. Lampersbach 17.9. Lenzer** 17.9. Frau Dr. Lepsius*** 17. 9. Lintner*** 17.9. Müller (Bayreuth) 17.9. Schröder (Wilhelminenhof) 16.9. Schulte (Unna) 17.9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim** 17.9. Dr. Soell*** 17.9. Dr. Stercken*** 17.9. Topmann** 17.9. Dr. Wendig 17.9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an der 69. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 45): Sind der Bundesregierung Schwierigkeiten der polnischen Fluggesellschaft LOT bei ihrer beabsichtigten Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau bekannt, und könnten diese Schwierigkeiten u. a. auf das in der Volksrepublik Polen geltende Kriegsrecht zurückzuführen sein? Der Bundesregierung liegt bisher kein Antrag der polnischen Fluggesellschaft LOT auf Wiedereinrichtung der Fluglinie Warschau-Köln/Bonn vor. Ein solches Vorhaben würde ausschließlich unter dem in den vertraglichen Abmachungen mit Polen festgelegten Gesichtspunkt der Wechselseitigkeit geprüft Anlagen zum Stenographischen Bericht werden. Die gegenwärtige politische Situation in Polen hat hierauf keine Auswirkungen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Herberholz (SPD) (Drucksache 9/1968 Frage 46): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Zeitkartenbenutzer der Deutschen Bundesbahn auf Strecken, auf denen Triebwagen aus Kostengründen eingestellt wurden, bei Benutzung des bereitgestellten Busses jeweils einen Aufpreis zu zahlen haben? Die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn sind im Schienen- und Bahnbusverkehr innerhalb der bei beiden Geschäftszweigen einheitlich gebildeten Entfernungszonen grundsätzlich gleich. Legt der Bus jedoch eine längere Entfernung zurück als das Schienenfahrzeug, können Preisunterschiede auftreten. Diese Preisunterschiede sind jedoch keine Aufpreise. Das Wirtschaftsunternehmen Deutsche Bundesbahn (DB) gestaltet sein Preis- und Leistungsangebot, und damit auch seine Tarife, im Schienen- wie Bahnbusverkehr grundsätzlich selbständig und eigenverantwortlich. Dementsprechend prüft die DB von sich aus bereits, inwieweit bestehende Preisunterschiede im Schienen- und Bahnbusverkehr bei Beförderungen über die gleiche Strecke und unterschiedliche Entfernungen etwa durch Angleichung der Tarifentfernungszonen bereinigt werden können. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage der Abgeordneten Frau Benedix-Engler (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 47): Sieht die Bundesregierung, daß ein Zusammenhang zwischen dem abnehmenden Reiseaufkommen der Deutschen Bundesbahn und dem sich ständig verschlechternden Angebot in den Nebenstrecken besteht, und ist sie bereit, in diesem Zusammenhang auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn dahin gehend einzuwirken, daß der an sich schon schlechte Verkehrszugang im Südharz-Bereich, der die Benachteiligung dieses Raums ständig erhöht, nicht noch durch weitere Streckenstillegungen (Bad Lauterberg/Odertal und Scharzfeld—Bad Lauterberg) belastet wird. Nein, die Bundesregierung sieht den in Ihrer Frage unterstellten Zusammenhang nicht. Im Gegenteil: Das Angebot der Deutschen Bundesbahn orientiert sich stets an der Nachfrage. So gehört die Teilstrecke Bad Lauterbach-Odertal mit 194 Reisenden im werktäglichen Durchschnitt (beide Richtungen zusammen) zu den schwächst ausgelasteten Reisezugstrecken der Deutschen Bundesbahn. We- 7062* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 gen anstehender Investitionen hat die Deutsche Bundesbahn das Verfahren zur Stillegung der vorgenannten Teilstrecke eingeleitet. Ein Antrag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn mit prüffähigen Unterlagen liegt dem Bundesminister für Verkehr noch nicht vor. Wegen der Lage der Strecke im Zonenrandgebiet wird das Kabinett entscheiden. Der Abschnitt Scharzfeld-Bad Lauterberg soll vorerst sowohl im Reise- als auch im Güterverkehr beibehalten werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Peter Mitzscherling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Franke, daß wir Probleme in unserem Lande haben, ist in diesem Hause ja sehr oft besprochen und durchaus auch konzediert worden. Die Frage ist, wodurch diese Probleme entstanden sind. Die Frage ist, wodurch sie verschärft worden sind. Selbstverständlich liegt die Politik, die zur Lösung dieser Probleme nötig ist, nicht ausschließlich in der Kraft der Regierung. Hier ist beispielsweise auch an die Möglichkeiten zu denken, die die Bundesbank hat. Die Bundesregierung und das deutsche Parlament haben nur einen begrenzten Einfluß auf die Ausformung der monetären Instrumente der Bundesbank. Sie wissen, daß Sozialdemokraten der Meinung gewesen sind, daß wir



    Dr. Mitzscherling
    unser Zinsniveau schon früher hätten zurücknehmen können,

    (Zustimmung bei der SPD)

    ohne verhängnisvolle außenwirtschaftliche Einwirkungen befürchten zu müssen. Damit will ich nicht den Erfolg der Bundesbankpolitik insgesamt — vor allem im letzten Jahr — schmälern. Aber natürlich gibt es Probleme, die in ihren indirekten Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft ausstrahlen, wobei dann auch jeweils unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten — z. B. von seiten der Parteien — gesehen werden.
    Ergänzend zu meinen von Ihnen unterbrochenen Ausführungen wollte ich noch dies sagen: Wir sollten diese Schwierigkeiten nicht dadurch zu beheben versuchen, daß wir meinen, sie seien ausschließlich durch den Ausbau des Sozialstaates entstanden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat auch niemand gesagt!)

    Ich meine, daß dies ein zu einfacher Lösungsversuch wäre. Ich meine, daß die wirtschaftlichen Probleme, die wir heute haben, nicht auf den Ausbau des Sozialstaates zurückzuführen sind. Wenn es anders wäre, dürfte es in den Vereinigten Staaten, wo wir ein weniger dicht geknüpftes Netz an sozialen Leistungen haben, ja wohl kaum wirtschaftliche Schwierigkeiten geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn heute von einer Krise des Sozialstaates gesprochen wird, dann deshalb, weil das in Zeiten größerer Wachstumshoffnungen geknüpfte soziale Netz bei sich abschwächendem Wachstum schwerer zu finanzieren ist. Herr Kollege Müller (Remscheid), Sie haben dies angesprochen. Die volkswirtschaftliche Einsicht, daß in einem Lande an Sozialleistungen quantitativer Art im Laufe einer Periode selbstverständlich nur das zur Übertragung zur Verfügung steht, was neben den Einkommen, die der Staat selbst erzielt, die Arbeitnehmer und die Unternehmen erzielen, in Form von Transfers verteilbar ist, bestimmt die quantitative Ausweitung des sozialen Sicherungssystems. Das ist eine ökonomische Einsicht, die unabhängig von der Gestaltung, der Form und der Ordnung eines Systems der sozialen Sicherung und der jeweils gehandhabten Wirtschaftspolitik ist. Wenn wir die Worte „Sozialstaat reduzieren" hören, bitte ich immer darauf zu achten, daß wir hier leicht der Gefahr unterliegen, daß Ursache mit Wirkung verwechselt wird. Wir sollten uns auch dies vor Augen halten: Was wäre wohl geschehen, wenn wir die gegenwärtige wirtschaftliche Abschwächung, von der alle Industrieländer betroffen sind, hätten erleben müssen, ohne über ein derartig dichtes soziales Netz zu verfügen?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Die Stabilität dessen, was wir hier heute des öfteren
    als sozialen Frieden, als sozialen Konsens beschrieben haben, ist doch letztlich auch das Ergebnis eines
    dicht geknüpften Netzes sozialer Leistungen, um das uns andere Länder beneiden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Es ist das Ergebnis — ich muß dies sagen — sozialdemokratischer Politik, wobei ich Ihre positive Rolle keinesfalls verleugnen will.
    Ich halte es deshalb auch als Ökonom für einseitig, wenn das Heil heute in einem forcierten Abbau sozialer Leistungen gesucht werden sollte — auch dann, wenn die auf diese Weise eingesparten Mittel zur Finanzierung investitionsfördernder Maßnahmen verwendet werden sollten.
    Auch wir Sozialdemokraten sind für Leistung und Leistungsanreize, für Investitionsförderung, und wir sind für Haushaltskonsolidierung. Daran soll kein Zweifel bestehen. Wir sind uns selbstverständlich darüber im klaren, daß auch im sozialen Bereich gespart werden muß. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Voraussetzung ist aber, daß nicht nur die sozial Schwachen, sondern auch die Besserverdienenden Opfer bringen, daß die soziale Ausgewogenheit — dieses Wort darf ich noch einmal aussprechen — erhalten bleibt.
    Unsere Kritik, die Kritik meiner politischen Freunde an dem vorliegenden Papier ist deshalb nicht als ein Ausdruck von Aufgeregtheit zu verstehen, sondern als eine Sorge, daß hier Weichen gestellt werden könnten, die uns von dem Positiven und Bewährten hinwegführen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der ökonomische Ansatz dabei sollte sein, daß wir weiterhin — eine entscheidende Voraussetzung — bei diesem Bemühen in der Diskussion und in der Neugestaltung behutsam und nicht abrupt verfahren. Denn das ist auch aus ökonomischen Gründen nötig. In einer Zeit, in der der Welthandel stagniert und wenig investiert wird, in einer Zeit, in der der Wachstumsmotor Export zunehmend auszufallen droht, nicht mehr wie in den Jahren zuvor zur Verfügung steht, gewinnt der private Verbrauch an Bedeutung. Herr Kollege Haussmann, Sie haben heute morgen die Gesichtspunkte der privaten Nachfrage in dem vorliegenden Papier angesprochen. Was geschähe, wenn der private Verbrauch bei starken Einschnitten in das soziale Netz seine stabilisierende Wirkung bei zurückgehender Auslandsnachfrage einbüßen würde? Man sollte diesen Gesichtspunkt bei ökonomischen Betrachtungen des vorliegenden Vorschlagspapiers nicht aus den Augen verlieren.
    Mit anderen Worten: Eine derart herbeigeführte Schrumpfung der Verbrauchernachfrage kann in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage in der Tat zu dem führen, was man in der Öffentlichkeit als „kaputtsparen" bezeichnet. Im Klartext gesagt, heißt dies: eine Kette entstehen zu lassen, die mit der Kürzung der Sozialleistungen einsetzt, die zu einer allgemeinen Nachfrageschwäche führt, die dann weniger Produktion und weniger Arbeitsplätze zur Folge hat, dem Haushalt weniger Staatseinnahmen zur Verfügung stellt und die damit letztlich eine erneute Sparrunde zur Folge haben könnte. Das heißt, daß



    Dr. Mitzscherling
    hier ein Teufelskreis entstehen kann, der eine Spirale werden könnte, die in eine Entwicklung nach unten führen würde.
    Sicherlich, Herr Kollege Haussmann — das haben Sie in Ihrem Beitrag vor der Mittagspause angesprochen —, sieht das Vorschlagspapier des Bundeswirtschaftsministers vor, daß die Sozialleistungen deshalb gekürzt werden sollen, damit genügend andere Mittel freigesetzt werden, damit Investitionsanreize für die Schaffung neuer Arbeitsplätze entstehen. Aber ich glaube, hier ist etwas bei Ihnen unberücksichtigt geblieben, was man bei einer derart saldierenden Betrachtung berücksichtigen muß: Die Kürzung von Sozialleistungen pflegt in der Regel unmittelbar wirksam zu werden, während das Ingangsetzen vermehrter Investitionstätigkeit mit einem Time-lag ausgestattet ist und erst nach geraumer Zeit zu einer Investitionssteigerung und damit auch wieder zu zusätzlichen Investitionsgüteraufträgen führt. Dieses Loch, das entstehen könnte, ist meine Sorge, ist die Sorge von uns, daß hier eine, wie ich sagte, negative Spirale entstehen könnte.
    Daß dieser Nachfrageausfall keinesfalls utopisch und unrealistisch dargestellt wird, das ergibt sich, glaube ich, auch aus dem Vorschlagspapier des Bundeswirtschaftsministers; denn er hat in diesem Papier auf diese Möglichkeit hingewiesen. Wenn man es dennoch riskiert, meine Damen und Herren, dann muß man allerdings damit rechnen, daß der so oft beschworene und gepriesene soziale Konsens aufs Spiel gesetzt wird.
    Das bedeutet, daß eine über die Bereiche der Gesamtpolitik hinausreichende Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht heißen kann, rigide Beschränkungen der Sozialausgaben und damit auch der privaten und der öffentlichen Nachfrage vorzunehmen, dies alles in der Hoffnung, daß die Unternehmen hierdurch wieder Vertrauen gewinnen und investieren. Diese Art des Prinzips Hoffnung läßt die gesamtwirtschaftlichen und auch die zeitlichen Wirkungen von Nachfrageveränderungen auf die Güterproduktion außer acht.
    Wir Sozialdemokraten werden einer solchen Politik kaum zustimmen, denn sie droht ausschließlich zu Lasten der Haushalte mit niedrigem Einkommen und demzufolge mit einer geringen Spartätigkeit zu gehen. Sie würde die erhoffte Wende eher in die Ferne rücken, sie würde den sozialen Konsens in unserem Lande tangieren.
    Herr Kollege Haussmann, lassen Sie mich noch einmal auf das vom Kollegen Wolfgang Roth zitierte Beispiel zurückgreifen, weil ich noch einmal verdeutlichen möchte, weshalb uns diese Sorge bestimmt. Kollege Roth hat dargestellt, daß eine Kürzung des Arbeitslosengeldes — das ist eine Alternative, selbstverständlich! — auf 50 % des letzten Nettoeinkommens in den ersten drei Monaten dazu führen würde, daß das durchschnittliche Arbeitslosengeld von 1 000 DM im Monat auf 750 DM sinkt. Dies ist eine der Möglichkeiten. Haben Sie sich einmal vor Augen gehalten, welche kumulativen Wirkungen eintreten könnten, wenn der davon Betroffene zusätzlich auf Grund anderer Vorschläge belastet wird, etwa wenn eine Kürzung des Wohngeldes realisiert werden sollte oder wenn eine Kürzung des BAföG für die Schüler durchgesetzt werden sollte mit der Folge, daß seine Kinder keine weiterführenden Schulen mehr besuchen können?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Oh je!)

    — Das ist nicht mit „Oh je" abzutun, Herr Kollege, das sind echte existentielle Probleme, die allerdings vor allem in Arbeiterfamilien aufzutreten pflegen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was passiert, wenn Unternehmen und die Bevölkerung insgesamt wieder zusätzlich durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer belastet werden? Dann wird das Budget der Betroffenen zusätzlich belastet. Die Solidarität zwischen Arbeitenden und Nichtarbeitenden wird in dieser Weise natürlich tangiert.
    Ich muß zum Ende kommen. Wir Sozialdemokraten lehnen radikale Patentrezepte ab. Wir sind der Meinung, daß wir die erfolgreiche angebots- und nachfrageorientierte Politik des mittleren Weges dieser Koalition weiterführen sollten. Wir haben mit dieser Wirtschaftspolitik durchaus

    (Zuruf von der CDU/CSU: ... Schiffbruch erlitten!)

    Erfolge gehabt, die Sie nicht ableugnen können, die Sie durchaus in Ihrem Innern akzeptieren. Tun Sie doch bitte nicht so, als ob es nie Steuerentlastungsprogramme, als ob es nie ERP-Mittelstandsförderungsprogramme gegeben hätte. Tun Sie doch nicht so, als hätte die Investitionshilfe, die Gott sei dank angenommen wird, die wir soeben in der Gemeinschaftsinitiative beschlossen haben, keine positiven Effekte. Wir werden uns am Ende des Jahres darüber unterhalten können, wenn die Auftragseingänge dadurch nach oben gegangen sind. Wir halten an einer Politik fest, die mittelfristig ausgerichtet ist. Wir werden sie weiter vertreten. Diese Politik begünstigt die Strukturanpassung unserer Wirtschaft. Wir betreiben diese Politik im Interesse der Beseitigung der Arbeitslosigkeit und im Interesse unserer Jugend. Wir werden uns dabei allerdings auf durchsetzbare, konsensfähige und realistische Vorschläge konzentrieren. Wir haben Gemeinsamkeiten genug, um sie auch weiterhin mit unserem Koalitionspartner, der FDP, zu entwickeln, zu diskutieren und, wie ich hoffe, auch umzusetzen.
    Lassen Sie mich mit den Worten eines FDP-Kollegen schließen, der am 5. Februar dieses Jahres unter dem Beifall der Koalitionsfraktionen diese Gemeinsamkeiten betont hat und dabei den notwendigen Konsens aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen forderte sowie Bestand und Fortsetzung der sozialliberalen Koalition mit den Worten unterstrich — ich darf zitieren —:
    Der Wähler hat uns den Auftrag gegeben. Wir erfüllen diesen Auftrag.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schlecht!)

    Damit haben wir gewollt Verantwortung übernommen. Wir werden uns weiter bemühen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. In sonnigen Zeiten Verantwortung zu tragen bringt selten Probleme mit sich. Wir sind auch bereit, in



    Dr. Mitzscherling
    schwierigen Zeiten Verantwortung zu tragen. Wir zieren uns nicht, wenn es wenig Lob, aber viel Kritik gibt, weil wir zu dem stehen, was wir im Interesse dieses Landes für notwendig halten.
    Derjenige, der das sagte, war Wolfgang Mischnick. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Einbringungsrede hatte ich darauf hingewiesen, daß manches an Diskussion bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wehleidig und provinziell verlaufe. Das hat Herrn Abgeordneten Pfeffermann zu einem Zwischenruf veranlaßt, aus dem ich den Eindruck gewinne, daß er annimmt, daß ich die Sorge um die Arbeitslosigkeit als provinziell abgetan hätte. Das muß ich mit allem Ernst zurückweisen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Der Zusammenhang, aus dem heraus ich die Worte „wehleidig" und „provinziell" gewählt habe, ergibt sich aus dem Text sehr eindeutig.
    Ich will aber, meine Damen und Herren, heute an diesem Punkt der Debatte sieben Beispiele für das geben, was ich unter „wehleidig" und „provinziell" fassen möchte.
    Ich will als erstes Beispiel das gerade bei fast allen Rednern der Union — vielleicht mit Ausnahme von Herrn Dregger — festzustellende Fehlen des ausreichenden Eingehens auf internationale Zusammenhänge nennen. Herr Dregger hat eine Ausnahme gemacht. Er hat ja recht: Man soll sich nicht nur immer mit dem vergleichen, bei dem die einzelnen Zahlen schlechter sind oder eine Zahlenkombination schlechter ist als bei uns. Er hat recht, in diesem Zusammenhang auch Japan und die Schweiz heranzuziehen, wenn dies in differenzierter Form geschieht. Ich bin bereit zuzugestehen, daß die Japaner und die Schweizer — übrigens nicht nur sie — nach dem Krieg Enormes hingestellt haben. Aber, bitte schön, wir doch auch! Es besteht also überhaupt kein Anlaß, uns durch den Vergleich mit Japan und der Schweiz sozusagen als das Armenhaus Europas oder der industrialisierten Welt hinzustellen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was im übrigen dieser internationale Zusammenhang nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern allgemeinpolitisch bedeutet, kann jeder nachlesen, wenn er die neueste Nummer von „Foreign Affairs" zur Hand nimmt. Ich darf dies uns allen wirklich empfehlen; ich meine den Artikel, den der Bundesaußenminister über die Grundfragen der West-West-Politik zu dieser Thematik geschrieben hat.

    (Rühe [CDU/CSU]: Sehr lesenswert!)

    Was die Wehleidigkeit und dieses Selbstmitleid angeht, so habe ich heute in der „International
    Herald Tribune" ein prächtiges Beispiel von John Dornberg gefunden, der in München sitzt und gerade die Bundesregierung in den letzten Jahren außergewöhnlich kritisch begleitet hat. Er schreibt in der heutigen Ausgabe — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Versuch machen, dies frei, aber hoffentlich zutreffend, zu übersetzen — unter der Überschrift „Die Deutschen sehen die Dinge durch ein anderes Prisma":
    Unter den gegebenen Umständen erscheint es fast lächerlich, davon zu reden, daß Deutschland sich wirtschaftlich in Schwierigkeiten befindet. Unter den schlimmsten Umständen ist Deutschlands ,Wunderkind' von damals erwachsen geworden.
    Er schließt seinen Artikel mit dem Hinweis: Aber die Politik
    — und er meint damit unsere Politik hier in unserem Land —
    folgt einer anderen Logik, wenn man sie durch das Zerrglas des Weltschmerzes betrachtet, ein sehr wirkungsvolles Zerrglas, das eine Sternschnuppe wie das Zentrum der Welt erscheinen läßt.
    Wir sollten uns von dieser gelassenen Betrachtungsweise, die Herr Dornberg uns empfiehlt, anstecken lassen. Dann kann man vieles sehr viel ruhiger und, denke ich, auch in der richtigen Proportion diskutieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Drittes Beispiel: Heute morgen ist — ich glaube, Herr Haussmann war es — von dem Anteil der öffentlichen und privaten Investitionen gesprochen worden. Herr Haussmann, Sie haben die Anlageinvestitionen herangezogen. Dann kommt man in der Tat auf einen öffentlichen Anteil von 16%. Wenn wir die Bauinvestitionen hinzunähmen, wären es 25 %. Was mir von meinem Platz aus aufgefallen ist, ist die ganz merkwürdige Beifallsverteilung zu diesem Teil Ihrer Ausführungen. Sie sprachen von der Notwendigkeit, private Investitionen zu stärken. Das ist Allgemeingut aller drei im Bundestag vertretenen Gruppen. Großer Beifall bei der Union. Dann sprachen Sie aber von der ebenso selbstverständlich gegebenen Notwendigkeit, auch öffentliche Investitionen zu stärken. Und bei der Union rührt sich keine Hand. So wird eine an sich ökonomisch sinnvolle und auch haushaltspolitisch relevante Diskussion auf Umstände der Tagestaktik und der Tagespolitik verkürzt. Ich glaube, damit erweist man niemandem einen Dienst.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dann kann man in der Tat zu Gespensterschlachten kommen.
    Daß das heute morgen nach meinem Eindruck nicht der Fall war, ist — das möchte ich persönlich sagen — sicherlich auch ein Verdienst meines Kollegen Graf Lambsdorff, für dessen Ausführungen heute morgen ich mich für meinen Teil ausdrücklich bedanken möchte. Daraus hat sich eine Diskussion ergeben. Interessant ist nur — ich hoffe, daß das



    Bundesminister Lahnstein
    auch draußen nicht unbemerkt geblieben ist —, daß die Diskussion, sobald sie sachlich und in Einzelfragen geführt wurde, an der Mitte des Hauses vorbeiging. Diese Diskussion ist in durchaus sachlicher Form zwischen Herrn Haussmann, Herrn Roth und Herrn Mitzscherling geführt worden. Auch das wird man wohl konstatieren dürfen.
    Viertes Beispiel für „provinziell": Ich halte es nicht für gut — wie das gestern ein paarmal passiert ist —, daß sozusagen, wenn der eine oder andere den Fall AEG erwähnt, wie ein Pawlowscher Reflex irgendeiner Neue Heimat ruft. Ich hielte auch das Umgekehrte für schlecht. Was soll damit bewirkt werden? Es sind ja nicht nur die beiden großen Unternehmen in Schwierigkeiten, sondern viele andere mehr. Sich sozusagen gegenseitig Etiketten oder — wie Herr Schmitz gestern in einem anderen Zuammenhang gesagt hat — Bonbons ans Hemd zu kleben, das wird dem Problem nicht gerecht und schadet insgesamt unserem Ansehen im In- und Ausland. Wir sollten das nicht tun.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Fünfter Punkt: Der Umgang mit Zahlen. Da bin ich nun bei Herrn Dregger.

    (Zuruf von der [CDU/CSU]: Oberlehrerhaft!)

    — Ich bin zwar kein Lehrer, aber ich erlaube mir jetzt ein Urteil über die Ausführungen von Herrn Dregger heute morgen. Das darf ich wohl als Finanzminister.

    (Beifall bei der SPD)

    Er kann nicht hier sein. Bitte, geben Sie es ihm weiter.
    Es ist unredlich, jedenfalls ist es unrichtig, so zu tun, als ob sich die Investitionsströme aus irgendwelchen ideologischen und politischen Gründen in den letzten Jahren total in das Gegenteil verkehrt hätten. Auf einen Grund ist schon hingewiesen worden: auf die völlig veränderte Kursrelation zwischen D-Mark und Dollar. Ein anderer Grund muß hinzugefügt werden: die enorme Differenz beim Nominalzins zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten. Aber immerhin sind 1981 — das ist das letzte Jahr, hinsichtlich dessen wir über Statistiken verfügen — 8 Milliarden DM in die Bundesrepublik Deutschland als Anlage geflossen. Allein die Zunahme im Bestand deutscher Aktien in der Hand von Ausländern hat zwischen 1979 und 1981 1,3 Milliarden DM betragen. Dann von einer irgendwie politisch-psychologisch motivierten großen Flucht zu reden, das verkehrt die Realität eher in ihr Gegenteil.
    Das gleiche gilt im Zusammenhang mit Konkursen. Viele haben heute morgen und auch gestern die Konkurse beklagt. Wer wird das denn nicht tun? Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß 1981 die Zahl der Selbständigen in der Bundesrepublik Deutschland um 4 000 höher lag als 1976,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    daß die Zahl der Neugründungen die Zahl der Betriebsschließungen jahrelang, bis 1981, bei weitem überstiegen hat.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Augenwischerei!)

    Wir haben genügend Leute in unserem Land, die auch unter schwierigen Umständen bereit sind, sich selbständig zu machen. Dieser Weg muß natürlich erleichtert werden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Augenwischerei!)

    — Das ist überhaupt keine Augenwischerei. Ich würde diese Zahlen nie irgendeiner Bundesregierung sozusagen auf die gute Seite legen wollen. Aber sind Sie dann bitte auch so gut und tun nicht permanent das Gegenteil, insbesondere draußen, oder vermitteln zumindest den Eindruck!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das letzte, was ich „wehleidig und provinziell" nennen möchte, ist der Weg in die persönliche Herabsetzung, den Herr Waigel heute morgen gewählt hat, als er von Herrn Matthöfer gesprochen hat, indem er so tat, als wäre Herr Matthöfer nur deshalb, weil er hier finanzpolitisch und gesamtpolitisch unbequeme Dinge ausgesprochen habe, sozusagen degradiert worden. Das ist im übrigen auch kein zutreffendes Urteil über die große Aufgabe der Deutschen Bundespost.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich habe bereits gestern darauf hingewiesen: Sie ist der größte Investor in unserem Lande.
    Nun ein Hinweis zu den Zahlen und zu ihrer Vorläufigkeit. Wir brauchen diese Debatte hier ja nicht wieder voll aufzunehmen; nur sage ich, wie auch Graf Lambsdorff es heute morgen gesagt hat, noch einmal: Wir haben auf diese Risiken seit Anfang Juli immer wieder und in aller Offenheit hingewiesen, vor der Pressekonferenz, hier im Deutschen Bundestag und auch sonstwo. Wir haben diese Risiken nicht geleugnet. Deshalb ist die Unterstellung von Herrn Glos, dahinter stecke wohl Methode, noch einmal mit allem Nachdruck zurückzuweisen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein inhaltlich am Ende dieses Abschnitts der Debatte sehr viel gewichtigerer Teil war die Auseinandersetzung über die zusammenhängenden Fragen von Steuerlast, Abgabenlast und Steuerpolitik. Herr Häfele sagte gestern — und auch heute morgen ist dies wieder erwähnt worden —, wir dürften nicht die Steuerquote allein sehen, sondern müßten dies auf die Abgabenquote fortschreiben. Herr Häfele, ich würde Ihnen voll zustimmen! Aber wenn man das tut, sagen Sie damit doch zweierlei. Erstens erkennen Sie an, daß die Steuerlastquote, für sich genommen, seit 1952 stabil geblieben ist.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Es kommt immer auf das Vergleichsjahr an!)




    Bundesminister Lahnstein
    Das ist in sich — und dies ist doch der direkte Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt — eine enorme politische Leistung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Zweitens bleibt noch die Frage der Sozialabgaben, wobei es nicht ganz richtig ist — aber ich gebe zu, hier ist vielleicht die Sprache etwas ungenau —, alles, was im sozialen Bereich — auch an Beiträgen — läuft, nun gleich mit dem leicht negativ besetzten Wort „Abgabe" zu belegen.
    Hier liegt nun — und das ist, glaube ich, politisch wichtig — nicht erst seit heute, sondern spätestens seit dem von Ihnen immer wieder angegriffenen Münchener Parteitag meiner Partei ein für Sozialdemokraten sehr weitgehendes Angebot vor, daß Herr Mitzscherling eben noch einmal in die dürren Begriffe der Ökonomie gekleidet hat. Es ist das Angebot, das Gesamtsystem der sozialen Sicherungsleistungen und der sozialen Transfers, Herr Müller, an die kleiner gewordenen ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten anzupassen. Dieses Angebot so und so weitgehend zu formulieren, wie wir es getan haben, ist uns gewiß nicht leichtgefallen. Von mir aus geht die herzliche Bitte an Sie und auch an die Kollegen aus der FDP, dieses Angebot nicht leichten Herzens und leichtfertig aus der Hand zu schlagen. Man kann dies in der Tat nur langfristig, geduldig und — wie Herr Mitzscherling gesagt hat — behutsam beginnen. Ich habe mich gestern bemüht, auf den gleichen Punkt hinzuweisen.
    Nur, Herr Müller, bei aller Wertschätzung, die ich für meinen ersten Arbeitgeber habe: Sie haben heute mit dem, was Sie gesagt haben, nach meinem Eindruck den Januskopf der Union vorgeführt,

    (Zuruf von der SPD: So ist es!) und zwar in aller Klarheit.


    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Zudem hörte sich vieles von dem, was Sie z. B. zum hier immer wieder zitierten Papier von Graf Lambsdorff gesagt haben, ganz anders an als das, was aus der gleichen Fraktion gestern nachmittag und heute morgen dazu zu hören war.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch dies muß ausdiskutiert werden und darf ja wohl nicht unbemerkt bleiben.
    Zur Steuerpolitik selber: Herr Dregger fordert die Rücknahme der „heimlichen Steuererhöhungen". Auch Herr Häfele hat, glaube ich, gestern diese Forderung erhoben. Diese Forderung verwendet wiederum einen doch etwas unscharfen Begriff. Wir haben natürlich in der Tat — Sie haben die Bezugsgrößen gewählt, und auch ich würde keine anderen wählen — rein nominal Steuererhöhungen in einem Teil unseres Steuersystems, Herr Häfele.

    (Roth [SPD]: Die sind doch nicht heimlich! Siehe Steuertabelle!)

    — „Heimlich" meine ich nicht in dem Sinne, daß sie
    nicht offen ausgewiesen wären. Denn in der Tat, aus
    der Lohnsteuertabelle kann man sie ja fein herauslesen. Aber ich darf diesen Begriff einmal verwenden.
    Wir haben dann aber mindestens auch zu sehen, daß es den gleichen Prozeß in umgekehrter Richtung gibt. Ich nehme also einmal dieses schlimme Wort „heimlich", wende es an und sage: „heimliche Steuerentlastungen".

    (Roth [SPD]: Auch die sind nicht heimlich!)

    Wir müssen beides zusammen sehen. Wenn wir die Steuerlastquote insgesamt konstant halten wollen — und ich habe begriffen, das will hier jeder —, dann muß jeder Ausgleich im Steuersystem selber diesem Gebot unterworfen werden. Zu diesem Ergebnis führt nicht jeder Diskussionsbeitrag der letzten Tage. Wenn das jedoch richtig ist, wie kann man sich dann hier hinstellen und mit einem leisen Triumph in der Stimme, wie Herr Dregger dies heute morgen getan hat, darauf hinweisen: Und wir haben euch die für den 1. Juli 1983 vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung Gott sei Dank kaputtgemacht; denn die hätte nur zur Abgabenerhöhung geführt. — Hätte sie nicht! Sie wissen doch ganz genau, daß die Mehrwertsteueranhebung die Gegenrechnung für die Investitionszulage war, also für eine Steuererleichterung, die strukturell völlig in die gleiche Richtung geht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir wollten an sie anschließen.

    (Roth [SPD]: Herr Minister, ist das nicht ein eigenartiger Debattenteilnehmer, der nicht einmal die Antworten abwartet?)

    — Ich will niemanden kritisieren.

    (Roth [SPD]: Dregger hat geredet und war weg in den Wahlkampf! Unanständig ist das!)

    Ich habe jedenfalls die ganze Zeit hier gesessen. Das gehört sich auch so.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der Herr Bundeskanzler, Herr Minister?)

    Wir werden, wenn wir dann über Steuerlastquoten und Verschiebungen in der Steuerstruktur diskutieren, nicht ganz übersehen dürfen, mit welchen Argumenten zweimal hintereinander unser Vorschlag für eine etwas zeitnähere Bewertung baureifer, aber unbebauter Grundstücke von Ihnen abgelehnt worden ist. Auch der Punkt gehört dann wohl in die Diskussion der nächsten Monate hinein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Einen interessanten Vorschlag fand ich den über einen teilweisen Schuldzinsenabzug bei Hypotheken. Es gibt ja Vorschläge, die bei der Bausparzwischenfinanzierung ansetzen, wenn ich es recht sehe, übrigens in beiden Parteien der Koalition. Hier sind Ansätze, die man vielleicht im Gesamtzusammenhang der nächsten Monate zusammen mit unseren anderen Vorschlägen für Abbau von Steuervorteilen oder in einem anderen geeigneten Zusammenhang sinnvoll diskutieren kann.



    Bundesminister Lahnstein
    Noch einmal, der hauptsächliche Punkt: Wir müssen bei all dem an zwei Dingen festhalten. Ein Grundsatz ist die Konstanz der Steuerquote in beiden Richtungen; laßt uns nicht auf ein Zehntelprozent genau rechnen, das kann niemand sagen. Der zweite Punkt ist ebenso wichtig und muß uns allen gleichmäßig am Herzen liegen, egal, wieviel Kämmerer wir in den Kommunen stellen: Die kommunale Finanzautonomie muß bei all dem uneingeschränkt aufrechterhalten werden, sonst wird da kein Schuh draus.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Bleiben wir noch eine Minute bei der Steuerpolitik. Herr Häfele, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie unter dem Etikett „familienfreundliches Steuersystem" letzten Endes ein Zurück hinter die Kindergeldregelung gefordert.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Duales System!)

    Technisch gesprochen: Kinderfreibetrag und Kindergeld als Restgröße

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Ergänzend!)

    für die besonders Bedürftigen. So haben Sie sich, glaube ich, ausgedrückt.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Wie man es ausgestaltet!)

    Das heißt also, der volle Progressionsvorteil soll für die höherverdienenden Familien mit Kindern wiederhergestellt werden.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Ja, das müssen wir festhalten. Unser Weg geht ja eher in die gegenteilige Richtung. Wir fragen uns in der Tat — und ich glaube, dafür gibt es gute Gründe —, warum denn jemand —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum kürzt ihr das Kindergeld?)

    nehmen wir den berühmten Mann — mit seinen 100 000 DM Jahreseinkommen noch Kindergeld bekommen muß.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Häfele [CDU/ CSU]: Der kriegt es ja nicht!)

    Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie haben das geklärt. Sie wollen zum alten System zurück: Kinderfreibeträge im Zusammenhang mit dem Tarif, d. h. also, voller Progressionsvorteil, und unten für die Härtefälle Kindergeld.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Wer Kinder hat, soll nicht so besteuert werden wie der ohne!)

    Das wird man dann gut diskutieren können.

    (Zuruf von der SPD: Das ist soziale Gerechtigkeit!)

    An dieser Stelle wiederhole ich meine Bitte, weil hier häufiger das Wort vom Klassenkampf in die Debatte geworfen worden ist. Ich bin ein Besserverdienender; und hier sitzen viele solche im Saal. Bitte einen Vorschlag an Stelle der Vorschläge, die wir hier in der vergangenen Woche eingebracht haben, der mich treffen würde! Bitte einen einzigen Vorschlag! Dann könnten wir weiterdiskutieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP— Dr. Hävfele [CDU/CSU]: Zurücktreten ohne Bezüge!)

    — Ja, das habe ich gedacht, daß Sie mir das sagen würden: Wenn ich ohne Bezüge zurückträte, dann wäre der Beitrag geleistet. Sie werden zugeben: Erstens ist er ein bißchen radikal und wird zweitens auch nicht aufgehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der geht schon finanziell nicht auf, auch sonst nicht.
    Aber denjenigen, die in diesem Zusammenhang über die Ergänzungsabgabe reden, muß man doch bei allen Vorbehalten — der eine oder andere weiß ja, daß ich technische Vorbehalte habe — folgendes sagen. Dieses Instrument ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es macht doch überhaupt keinen Sinn, dies sozusagen vom Grund her zu verteufeln oder zu lobpreisen. Die Frage ist doch nur die Zweckmäßigkeit der Anwendung. Sie ist unter Franz Josef Strauß praktiziert worden. Und hier, dachte ich, bietet möglicherweise der Gesichtspunkt, den Herr Haussmann und Herr Roth heute morgen ausgetauscht haben, den Ansatz für eine wirklich vernünftige Debatte: Wie finde ich also einen Weg — ich weiß auch noch nicht, wo er endet; aber wir sollten uns der Diskussion nicht verweigern —, an die soziale Ausgewogenheit über eine Belastung der Höherverdienenden unter den Kautelen, die der Bundeskanzler in der letzten Woche zusätzlich in die Diskussion eingeführt hat, heranzukommen, ohne die schädliche Nebenwirkung auf die investiv verwendeten Einkommens- und Gewinnanteile dabei in Kauf nehmen zu müssen? So ist die Frage präzis und richtig gestellt. Und an diesem Punkt, denke ich, werden wir wie zu allen anderen Fragen zum gegebenen Zeitpunkt mit präzisen Vorschlägen kommen können.
    Ich fand es im Zusammenhang mit den Steuervorteilen interessant — damit bin ich bei den Subventionen; dazu nur einen Satz —, daß außer Herrn Waigel heute morgen niemand mehr aus der Opposition die Querbeetkürzungen gefordert hat. Das ist ein Fortschritt. Den muß man objektiv feststellen. Das macht uns vielleicht den Umgang mit diesem Tatbestand in allen Gruppen etwas leichter.
    Ich wollte ein Wort zu den heutigen Ausführungen von Herrn Cronenberg und den gestrigen von Herrn Zumpfort sagen. Lieber Herr Cronenberg, noch einmal: Wir haben doch die Absicht — ich habe es in der Einbringungsrede gestern gesagt — und den Willen, soziale Transfers an ökonomische Gegebenheiten anzupassen. Dies kann man ohne gegenseitige Schelte und ohne gegenseitigen Vorwurf tun, sicher mit Engagement, aber, wie ich sagte, in Ruhe und Behutsamkeit.
    Herrn Zumpfort wollte ich nur sagen, daß ich sehr wohl die Frage der Zinslasten für den Bundeshaushalt erwähnt habe, und zwar zweimal.



    Bundesminister Lahnstein
    Wir müssen festhalten, was Herr Glos gesagt hat, auch vor landespolitischem Hintergrund, der j a nicht ganz uninteressant ist. Ich jedenfalls möchte dies festhalten: Herr Glos hat den untauglichen und wirklich schlimmen Versuch unternommen, die Schwierigkeiten bei AEG der Bundesregierung politisch ans Bein zu binden. Herr Glos war es, der, übrigens in vollem Gegensatz zu Herrn Dregger, die Behauptung aufgestellt hat, die Lohnkostenentwicklung im Jahr 1982 sei ökonomisch über das Maß des Notwendigen und Vernünftigen hinausgegangen. Herr Glos hat die, die ein 50-Milliarden-Beschäftigungsprogramm gefordert haben, wörtlich als „Quacksalber" bezeichnet. Das verdient, hervorgehoben zu werden. Dabei muß man nicht mit jeder Forderung des DGB einiggehen. Auch ich tue das nicht. Aber die Sorge und die richtigen Denkansätze hinter den Anstößen des DGB, die u. a. zu der Gemeinschaftsinitiative geführt haben, schlichtweg als Quacksalberei zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück — muß ich sagen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Schäuble [CDU/CSU])

    — Ja, so hat er im Zusammenhang formuliert.
    Ein allerletzter Hinweis. Herr Schröder hat gestern, wie ich fand — und das hat doch mit Zensur nichts zu tun; ich darf doch die Debatte aus meiner Sicht bewerten; das muß ich doch tun; denn wir müssen ja mit dem Haushalt weiter umgehen —, völlig zu Recht auf die Verteilungswirkung der Kreditaufnahme hingewiesen. Ich will wiederholen, was in Antwort darauf Herr Hoffmann gestern schon gesagt hat: Das ist in der Tat nicht unbedenklich. Die Verteilungswirkung von Kreditaufnahme über die Zinszahlungen wirft Fragen auf, die möglicherweise weiter reichen als die Verteilungswirkung der einen oder anderen alternativen Finanzierung, also über Steuern und Abgaben.
    Darauf muß man in zwei Richtungen antworten. Und darauf ist Herr Schröder leider die Antwort schuldig geblieben. Erstens gilt es, durch Auswahl im Debt-Management die negativen Verteilungswirkungen zu minimieren — man wird sie nicht ganz ausschalten können. Zweitens. Wo diese negativen Verteilungswirkungen dann verbleiben, da muß man allerdings eine Antwort auf die Frage geben, die Herr Hoffmann gestern dazu gestellt hat: Wie haltet Ihr es denn — nicht mit den kleinen Sparern; an die denkt ja sowieso niemand in der Richtung, daß man ihnen ihre Erträge wegnehmen will — mit denen, die hier über wesentlich größere Einkünfte aus Kapital- und Zinserträgen verfügen?
    Mein allerletzter Punkt kann sehr kurz sein. Den habe ich überschrieben: Vorschläge der CDU. Ich habe genau zwei Vorschläge gefunden. Ich habe mich bemüht, wirklich alles zu lesen. Der eine präzise Vorschlag war der mit dem teilweisen Schuldzinsenabzug von Herrn Dregger heute morgen. Der andere Gedankengang war der von Herrn Häfele unter dem Rubrum familienfreundliche Ausgestaltung der Lohn- und Einkommensteuer. — Und sonst nichts. Deswegen höre ich an dem Punkt auf.
    Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten mit einem Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute schließen. Die Überschrift lautet:
    Remmers: Wirtschaftskonzept der Union Aufforderung an die Bundespartei/ ..
    Es heißt dort:
    Die niedersächsische CDU drängt die Union, als Opposition in Bonn nun nicht länger mit der Vorlage eines Gesamtkonzepts für die Belebung der Wirtschaft, den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Sanierung der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik zu warten. Ihre Landtagsfraktion und auch die Mitglieder des Kabinetts Albrecht halten einen solchen Vorstoß für dringend erforderlich, und sie erwarten, daß er spätestens gleich nach der Landtagswahl in Hessen unternommen werde.
    Vielleicht stimmt diese Prognose, im Unterschied zu mancher anderen. — Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)