Rede von
Dr.
Rainer
Barzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von allen Seiten des Hauses bin ich gebeten worden, als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses zu der Vorlage zu sprechen. Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages hat gestern gemeinsam mit dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates getagt. Dies geschah zum letzten Mal im Jahre 1963. Ich verweise darauf, weil dieser Vorgang bereits für sich spricht und die Ernsthaftigkeit unserer Bemühungen unterstreicht.
Wir haben einen vertraulichen Bericht des Herrn Bundesaußenministers entgegengenommen, ihn diskutiert und Informationen ausgetauscht. Dies alles fand im Geiste fester Besonnenheit und in dem Bemühen statt, aufeinander zuzugehen.
Der dem Hause vorliegende Antrag aller Fraktionen gibt das Ergebnis der gemeinsamen Auffassungen wieder. Der Bundesaußenminister hat außerdem zugesagt, vor der Entscheidung über weitere öffentliche Hilfsmaßnahmen die zuständigen Ausschüsse zu konsultieren. Was verabredet ist, soll abgewickelt werden.
Wir legen Wert darauf, den Text, der gemeinsam beraten und unterschrieben worden ist, hier vorzutragen:
1. Der Deutsche Bundestag verfolgt mit wachsender Besorgnis die Entwicklung in und um Polen, und er bekundet in diesem schicksalhaften Augenblick seine Solidarität mit dem leidgeprüften polnischen Volk
und seinem Ringen um Menschenwürde,
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
2. Er appelliert an die polnische Militärregierung, ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen durch Freilassung aller Inhaftierten, durch Wiederherstellung der durch den Reform-und Erneuerungskurs erreichten Freiheiten, durch Wiederaufnahme des Dialogs mit den reformwilligen und patriotischen Kräften des polnischen Volks.
3. Die seit August 1980 wirksame polnische Reform- und Erneuerungsbewegung für Menschenwürde, Arbeiterrechte und nationale Selbstbestimmung wird derzeit niedergeschlagen. Der seit dem 13. Dezember 1981 gewaltsam abgebrochene Dialog der polnischen Patrioten, der sich auf die Internationalen Menschenrechtspakte und auf die Schlußakte von Helsinki berufen konnte, muß wieder aufgenommen werden; er darf nicht scheitern.
4. Entgegen dem grundsätzlichen Bekenntnis General Jaruzelskis zum polnischen Reformkurs werden derzeit in Wirklichkeit die Führer der jungen Arbeiter- und Bauern-Gewerkschaften, der Wissenschaftler und Studenten zu Tausenden verhaftet. Der freie Ausdruck des Volkswillens wird unterdrückt, Gewalt wird angewendet.
5. Der Deutsche Bundestag erinnert an die strikte völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten, insbesondere der Unterzeichner der KSZE-Schlußakte, zur Nichteinmischung und zur Achtung der Souveränität aller Staaten im Interesse von Sicherheit, Zusammenarbeit und Frieden in Europa. Er verfolgt deshalb mit ebenso großer Besorgnis das anwachsende propagandistische Kesseltreiben gegen den polnischen Reformkurs und die offenen oder versteckten Gewaltandrohungen gegen die polnische Unabhängigkeit von außen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Dezember 1981 4309
Dr. Barzel
6. Der Deutsche Bundestag appelliert an alle Bürger unseres Landes, an die Gewerkschaften und Parteien, an die Kirchen, an die karitativen und humanitären Organisationen, an die Jugend, gerade jetzt dem notleidenden polnischen Volk jene mitmenschliche und moralische Solidarität zu bekunden und jene materielle Hilfe gegen Hunger, Not und Kälte zu leisten, die dieses Nachbarvolk heute so dringend braucht und verdient.
7. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, staatliche Wirtschaftshilfe an die Volksrepublik Polen so lange offen zu lassen und auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, wie die Unterdrückungsmaßnahmen des derzeitigen Regimes gegen das polnische Volk anhalten.
Verehrte Damen und Herren, ich glaube, wir würden der Sache und der Lage einen guten Dienst tun, das sofort mit breitestmöglicher Mehrheit zu akzeptieren.