Was ist denn die geschichtliche Perspektive, die realistische Einschätzung der Zukunft der heute lebenden Generation? Diese Perspektive — das ist doch hoffentlich unter uns unstreitig — heißt doch vorrangig: Überwindung der Folgen der Teilung, weil wir wissen, daß wir gegenwärtig die Teilung selbst nicht überwinden können. Diese Perspektive muß dann doch sein: Mehr menschliche Erleichterungen, mehr Reisemöglichkeiten in beide Richtungen, mehr Menschenrechte. Darüber muß, wann immer möglich, mit der DDR-Führung gerungen werden, zäh und ausdauernd, um jeden Fortschritt für die Menschen selbst. Deswegen sind wir ja für Gespräche mit der DDR.
Ist es dann aber richtig, so hohe Erwartungen, so große Zumutungen an die DDR-Adresse zu richten, wie sie sagen? Handelt es sich nicht einfach um Mitmenschlichkeit, schlichte Mitmenschlichkeit, wenn wir fordern, die Zwangsumtauschgebühren zu senken — vor allem für Rentner und junge Leute —; getrennte Familien zusammenzuführen, Kinder zu ihren Eltern, Eheleute zueinander kommen zu lassen; mehr Reisemöglichkeiten bei den verschiedenen Familienanlässen oder überhaupt mehr Reiseerleichterungen in beiden Richtungen — und nicht erst im Rentenalter — zu gewähren? Das sind nur wenige Beispiele für die Probleme, die den Menschen im geteilten Deutschland auf den Nägeln brennen. Wir müssen sie um der einen Nation willen und um unserer bedrängten Landsleute willen der DDR-Führung zumuten. Das muß Teil deutscher Politik sein.
Es ist ein eigenartiger Zustand auch in diesem Hohen Haus, daß manche schon glauben: Wenn man über Menschenrechte mitten in Deutschland redet, redet man im Geist des Kalten Krieges.
— Doch, Herr Kollege, Sie wissen, daß dies so ist. Meine Damen und Herren, wer soll eigentlich über Menschenrechte in Deutschland reden — wenn nicht die Deutschen selbst im freien Teil unseres Vaterlandes?
In Ihrer Tischrede sagten Sie zu Recht: „Nach meiner tiefen Überzeugung ist der Nations-Gedanke bei allen Deutschen unverändert lebendig." Wir stimmen Ihnen zu. Wie lebendig dieser Gedanke für die SED ist, sahen wir in Güstrow, als die Bürger dieser Stadt eingesperrt wurden, weil der Gast aus Bonn da war.
Es muß uns immer wieder um die nationale Identität gehen, um das Gesicht der Deutschen und ihr Bewußtsein von sich selbst. Es geht um die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft — und es ist unser Auftrag, hier immer wieder Zeichen zu setzen.
Wir müssen begreifen, daß sich seit jenem Ulbricht-Aufruf von 1947 „Vorwärts zum sozialistischen Deutschland" drüben zwar viel geändert hat — nicht aber der fundamentale Anspruch der Machthaber in Ost-Berlin, daß der Sozialismus/ Kommunismus siegen und auf diese Weise eine deutsche Wiedervereinigung im Zeichen des Sozialismus stattfinden werde.
Die DDR hat bei der Betrachtung der nationalen Frage mancherlei Wandlungen durchgemacht. Die amtliche DDR hat auf die Theorie der friedlichen Koexistenz mit einer scharfen Ideologisierung ihrer Politik und mit dem Mauerbau geantwortet. Sie hat auf die Politik der Entspannung, der Ostverträge und des nüchternen Interessenausgleichs mit im-
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mer neuen Aufrufen zu Abgrenzungsaktionen geantwortet. Der Begriff Deutschland sollte getilgt werden. Jede Erinnerung an die gemeinsame deutsche Geschichte wurde verdammt. Das alles paßte — und paßt — in das Bild einer durch und durch unsicheren Führung, die vom freien Austausch der Ideen nichts Gutes erwarten kann.
Und doch werden wir seit Jahren Zeugen einer konsequenten Aneignung der deutschen Nationalgeschichte durch die DDR und ihre Staatspartei. Ihr geht es um die gesamte deutsche Vergangenheit. Geschichte ist in der DDR nicht eine Sache für Festtagsreden und für's Feuilleton. Geschichte ist ein Element der geistigen Herrschaftssicherung. Wer über die Geschichte verfügt, verfügt über den Schlüssel zur Deutung der Gegenwart und zur Bestimmung der Zukunft. Die deutsche Geschichte ist für die DDR in den letzten Jahren zum Schlüssel für die deutsche Identität, für die deutsche Nation und für die Zukunft unseres Volkes geworden.
Im Zusammenhang mit diesem Besuch hat uns eine Bemerkung des Bundesaußenministers mit Sorge erfüllt. Er sagte, daß bei den Gesprächen Schmidt/Honecker besonders dem Thema Abrüstung große Bedeutung zukomme. Herr Honecker hat dieses Thema gern aufgegriffen und ein umfangreiches Programm für einen — wie er es nannte — konstruktiven Beitrag beider deutscher Staaten zu Frieden und Abrüstung vorgeschlagen. Er hat gegenseitige Konsultationen auf der Ebene der Außenminister und ihrer Stellvertreter angeregt. Wir sind davon überzeugt, daß es nützlich ist, Gespräche zu führen. Aber wir warnen davor — und wir haben Grund dazu —, daß damit die politischen Gewichte verschoben werden.
Die Abrüstungsverhandlungen finden auf einer ganz anderen Ebene statt — und sie müssen dort stattfinden —, nämlich zwischen den beiden Weltmächten USA und Sowjetunion und zwischen den Bündnissen und ganz gewiß nicht zwischen den einzelnen Mitgliedern der Allianz.
Was wir erreichen müssen, was wir hoffen erreichen zu können, ist, daß die DDR auf ihren Verbündeten einwirkt, damit die Moskauer Führung wirklich zu Abrüstung und Rüstungskontrolle bereit ist; damit in Wien, in Madrid, in Genf, in der UNO in New York Fortschritte erzielt werden. Wir lehnen es ab, daß über den sogenannten großen Fragen das vergessen wird, um was es für die Menschen im geteilten Deutschland wirklich geht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht zunächst großmäulige Erklärungen über die Notwendigkeit von Frieden und Abrüstung; wir sind alle dafür. Wir brauchen mehr menschliche Erleichterungen. Sie wären aus dem Willen der SED-Machthaber ein sehr konkreter und ein sehr substantieller Beitrag zum Frieden zwischen beiden deutschen Staaten — und damit auch generell zwischen Ost und West. Das ist vorrangig unsere nationale Aufgabe, etwas für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu tun.
In diesem Zusammenhang wird immer viel über den politischen Spielraum der DDR-Führung diskutiert. Wir kennen die Bedeutung der DDR im Rahmen des Systems des Warschauer Pakts. Wir kennen auch die Probleme eines Systems, das bis zum heutigen Tag nie eine demokratische Legitimation gefunden hat. Dennoch bin ich überzeugt, daß der politische Spielraum der DDR heute größer ist, als viele selbst in der DDR es wahrnehmen wollen.
Wie wenig sich die SED-Führung zutraut, hat der Besuchsablauf in Güstrow gezeigt. Ich finde, der Führung der DDR muß deshalb immer wieder klargemacht werden, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, normale und nachbarschaftliche Beziehungen möglich zu machen. Sie sind keine Belastung für das Regime. Sie nützen dem Regime nach innen wie nach außen. Die Führung der DDR muß wissen, daß eine Politik des Friedens, der Entspannung und der Zusammenarbeit mit einer Politik der Abgrenzung, mit einer stalinistischen Politik nach innen nicht zu vereinbaren ist.
Was ist eigentlich jetzt aus diesem Gespräch — auch nach dem Bericht des Kanzlers heute — herausgekommen?
Betrachtet man das, was bei dem Treffen am Werbellinsee herausgekommen ist, so kann man im Grunde überhaupt nicht von einem Ergebnis, sondern nur von einem Zwischenbericht sprechen. Er gibt Auskunft über ein Experiment, dessen Ausgang niemand vorhersagen kann. Das Experiment besteht darin, daß man den DDR-Machthabern Gelegenheit gibt, von sich aus praktische Beweise für ihren schon im Grundlagenvertrag bekräftigten Willen zur guten Nachbarschaft zu liefern. Nach allen bisherigen Erfahrungen, Herr Bundeskanzler, ist das ein gewagtes Experiment?
Sie selber haben ein Stück Ihres Ansehens dafür verpfändet, daß es in den nächsten sechs Monaten zu echten Fortschritten kommt — zu Fortschritten, die den Menschen in Deutschland persönliche Erleichterungen bringen. Aber ich finde: Auf dem Prüfstand steht auch die Glaubwürdigkeit von Herrn Honecker; die Glaubwürdigkeit seiner Aussage, daß es ihm mit einer Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen ernst sei. Sein Interview im „Neuen Deutschland" von vorgestern schloß Honecker mit den Worten — ich zitiere —:
Gerade in einer Situation, in der sich die internationale Lage verschlechtert, gewinnen die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland Gewicht als Faktor für Frieden und Stabilität in Europa. Wenn wir uns dessen bewußt sind und danach handeln, kann es Schritt für Schritt vorwärtsgehen. Wir sind dazu bereit.
Alle Deutschen in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland müssen Herrn Honecker an dieses
Wort immer wieder erinnern. Er muß jetzt den Be-
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weis antreten, daß er wirklich gutnachbarliche Beziehungen will.
Die Bundesregierung hat bei dieser Reise einmal mehr konkrete Leistungen erbracht. Der zinslose Überziehungskredit für die DDR, der Swing, ist bis zum 30. Juni 1982 verlängert worden. Und dann kommen so Dinge, die viele nicht beachten, die aber langfristig Wirkung haben: Die „Treuhandstelle für den Interzonenhandel" ist auf Wunsch der DDR in „Treuhandstelle für Industrie und Handel" umbenannt worden. Warum eigentlich nicht in „Treuhandstelle für den innerdeutschen Handel", Herr Bundeskanzler? Herr Minister Franke, in dem gemeinsamen Kommuniqué ist Ihr Amtstitel nicht aufgeführt worden, dagegen die vollständigen Amtstitel Ihrer Kollegen aus der DDR. Das ist nicht irgendeine versehentliche Unterlassung; dahinter steckt eine klare politische Linie.
Es wäre vielleicht auch ein interessantes Thema für den Herrn Bundesaußenminister. Wir hatten doch die Diskussion über das Umweltbundesamt. In der ging es auch nicht nur um Worte, sondern jeder wußte: Es geht um ein Stück mehr.
Dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie Korrekturen von Maßnahmen bundesdeutscher Behörden zugesagt, die im Zusammenhang mit unserem Staatsangehörigkeitsrecht stehen. Was ist damit gemeint? Das ist die Frage, die sich aufdrängt.
Was steht diesen Vorleistungen gegenüber? Erwartungen, Hoffnungen, Ankündigungen. Sie sagten: „ein zusätzliches Stück ... gegenseitiger zuverlässiger Berechenbarkeit" und „ein Stück Vertrauen" seien geschaffen worden. Ich zitiere wörtlich: In der Folge unserer Gespräche kann eine positive Bewegung entstehen. Wir haben eine Reihe von schwierigen Fragen, die zwischen uns bestehen, einer Lösung nähergebracht. Die Frage, was dabei herausgekommen ist, werden alle Leute besser beurteilen können heute in zwölf Monaten. Man muß schon die Qualität eines Tiefenpsychologen besitzen, um voll ausloten zu können, was das bedeuten kann. Wir werden binnen zwölf Monaten, Herr Bundeskanzler, auf diese Äußerungen zurückkommen.
Herr Honecker hat erklärt, die Ergebnisse würden eine langfristige Wirkung haben.
Ich hoffe sehr, daß all diese Erwartungen nicht wieder bitter getäuscht werden.
Bereits die weiteren Ereignisse in Polen werden zeigen, ob die Gespräche mit Honecker wirklich ein Stück mehr an gegenseitiger Berechenbarkeit und Vertrauen schaffen. Wir wünschen uns das im Interesse unseres Volkes im geteilten Deutschland.
Herr Honecker hat sich nicht gescheut, die Fortentwicklung der innerdeutschen Beziehungen mit einer Drohung zu verbinden. Wenn, so sagte er, die NATO am Doppelbeschluß festhalte, dann wäre diese Fortsetzung des Kurses folgenschwer. Er fügte hinzu:
Wer wollte leugnen, daß so etwas weder im Interesse der Bürger der DDR noch der Bürger der Bundesrepublik liegen kann.
Aber nicht nur die Geschehnisse in Polen und der Ablauf der Genfer Verhandlungen über Mittelstrekkenwaffen können die Beziehungen belasten. Es ist offensichtlich, daß die SED und auch Honecker für eine — wenn auch nur bedingte — Rückkehr zur Geschäftsgrundlage der Verträge und Abkommen im Bereich des Zwangsumtausches wie für weitere menschliche Erleichterungen neue Leistungen von der Bundesrepublik Deutschland erwarten. Damit liegen klare Vorbehalte, Vorbedingungen und Forderungen seitens der DDR auf dem Tisch.
Ich will hier namens der CDU/CSU-Fraktion klar erklären: Wir halten an der Einheit der deutschen Nation ohne Wenn und Aber kompromißlos fest. Das ist Leitlinie unserer Politik. Daraus folgt für uns, daß das Staatsangehörigkeitsrecht in gar keiner Weise zur Diskussion gestellt werden kann.
Die Ausstellung von vorläufigen Reiseausweisen der Bundesrepublik Deutschland an Bewohner der DDR darf nicht eingestellt werden. Wir wollen die Bewohner der DDR nicht gegen ihren Willen in Anspruch nehmen. Wir respektieren ihre persönliche Entscheidung, ob sie einen Ausweis der Bundesrepublik Deutschland nutzen wollen oder nicht.
Die Aufwertung der Ständigen Vertretungen in Botschaften ist für uns nicht verhandlungsfähig. Über die Regelungen im Grundlagenvertrag kann nicht hinausgegangen werden.
Herr Bundeskanzler, Leistungen und Gegenleistungen müssen ausgewogen sein. Ich zitiere Ihr Wort: Keiner wird den anderen überfordern dürfen. Wir unterstreichen auch das Wort von Herrn Honekker, daß er keine Politik des Junktims und der Vorbedingung, keine Politik des Ausklammerns offener Grundfragen betreiben wolle. Ich sage dies deshalb so nachdrücklich, weil Herr Honecker von seinem Eindruck gesprochen hat — und das ist für uns interessant —, daß sich im Ergebnis der Gespräche am Werbellinsee die Dinge etwas mehr in die richtige Richtung bewegen werden. Sollte sich dieser Hinweis auf die genannten Grundsätze — wie etwa die Staatsangehörigkeitsfrage — beziehen, müssen Sie wissen: Dies wird unseren entschiedensten Widerstand finden.
Unser Ziel bleibt: mehr menschliche Erleichterungen, mehr Reisemöglichkeiten in beiden Richtungen. Mauer, Stacheldraht, Minenfelder müssen endlich verschwinden. Das sind klare Ziele deutscher Politik.
Gerade weil dies so ist, treten wir auch angesichts dieser elenden Verhältnisse für vernünftige Begegnungen und Gespräche ein.
Im Dom von Güstrow haben Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Antwort auf die Ausführungen des Landesbischofs gesagt — ich zitiere —:
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Da Sie den Marxisten Honecker und den Christen Schmidt angeredet haben, so weit, wie es manchmal scheint, sind die nicht auseinander.
Sie haben dabei vom Prinzip Hoffnung gesprochen. Ich bin mir nicht sicher, Herr Bundeskanzler, ob Sie sich diesen Satz wirklich gut überlegt haben — angesichts der Lage mitten in Deutschland, angesichts jener Grenze, die auch Sie passieren mußten und die zum permanenten Unrecht der Geschichte gehört. Es trennen uns Welten von jenen Menschen, die alles das gegenüber unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands zu verantworten haben.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zu den Vorgängen in Polen. Alle unsere Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland — jeder von uns spürt dies in den Begegnungen Tag für Tag — sind zutiefst betroffen und bedrückt über die Ereignisse in Polen. In Warschau hat ein Militärrat die Macht übernommen. Viele Zehntausende, vielleicht schon 100 000 Polen sind verhaftet, interniert und eingesperrt worden. Ein Volk, das um seine Freiheiten, um seine Menschenrechte und um die Menschenwürde gerungen hat, steht wieder einmal vor einem Abgrund. Wir sind über diese bedrückende Entwicklung tief erschüttert. Unsere Sympathie und unsere Solidarität gehören dem polnischen Volk.
Wir haben eine lange tragische, blutige, mit Schuld beladene gemeinsame Geschichte. An diesem Pult hat in seiner ersten Regierungserklärung nach seiner Wahl zum Bundeskanzler Konrad Adenauer 1949 — auch vor Weihnachten — davon gesprochen, daß die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger den Frieden, den Ausgleich und, wenn möglich, die gute Nachbarschaft mit allen Kriegsgegnern von gestern suchen wolle. Er sagte dann, dies gelte besonders für unsere Nachbarn in Polen, für unsere Nachbarn in Frankreich und für das Volk und den Staat Israel. Es ist uns gelungen, in über 30 Jahren aus der Erbfeindschaft von gestern die deutsch-französische Freundschaft zu begründen — eine Freundschaft, die nicht auf der Begegnung zwischen den Regierenden ruht, sondern die im Herzen der Menschen, der Völker, vor allem der jungen Generation, lebendig ist. Wir haben erlebt, daß nach all dem Schrecklichen, was auch im deutschen Namen geschehen ist, die Freundschaft, die Partnerschaft zum Volke und zum Staate Israel möglich war. Das sind beglückende Ereignisse unserer Geschichte in diesen Jahrzehnten.
Wir wollen alles tun, um unseren Beitrag dafür zu leisten, daß auch das, was zwischen uns und Polen an schrecklichem Geschehnis steht, Vergangenheit bleibt — und daß die jungen Generationen aufeinander zugehen können. Es gibt viele hoffnungsvolle Ansätze in den letzten Jahren.
Um so bedrückender ist es für uns, wenn wir jetzt täglich die Hiobsbotschaften aus Polen hören. Das ist keine Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Landes, das ist ein Miterleben, für viele ein Mitleiden mit einem Volk, mit dem uns in guten wie
in schlimmen Zeiten so viel Gemeinsames verbindet.
Deshalb empfinde ich es als kläglich, wenn das Wort von der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse kommt; denn darum geht es nicht. Ich empfinde es auch als kläglich, wenn gesagt wird, Polen müsse seine Probleme selbst lösen. Jeder weiß doch, wer Polen bedroht. Wie kläglich klingt da auch die Mahnung, jetzt dürfe man keine starken Worte gebrauchen! Wer gebraucht sie denn eigentlich in diesen Tagen? Wie niederträchtig, wie schäbig und arrogant zugleich wirken all jene, die jetzt sagen, die Reformkräfte hätten den Bogen überspannt, und die Maßnahmen des Militärrates hätten nur noch eine größere Katastrophe verhindert. Dabei ist die Katastrophe doch längst da. Ein Volk darf nicht seinen Weg gehen, weil es der übermächtige Nachbar nicht duldet. Das ist doch die reale Lage in Polen.
Weil Menschen, europäische Mitbürger, um ihre Menschenwürde gekämpft haben, weil sie das mit heißem Herzen getan haben, sollen sie jetzt den Bogen überspannt haben und gewissermaßen froh sein, daß ein Regime zum Mittel der Militärdiktatur greift, um mit blanker Gewalt die von der Partei angeblich im Namen des Proletariats ausgeübte Herrschaft über die Arbeiterschaft zu sichern. Müssen wir das alles wirklich schweigend ertragen? Schweigen wir nicht bereits auch deshalb, weil wir stumpf geworden sind gegenüber Unrecht und Unmenschlichkeit, wenn sie von Mächtigen begangen werden?
Wir haben keinen Grund, zu schweigen und zu verschweigen. Wir sind dafür dankbar, daß ganz spontan viele, viele Tausende in unserem Lande in diesen Tagen darangegangen sind, ihre ganz persönliche Hilfsaktion für Polen einzuleiten;
wir sollten dazu ermuntern, daß es möglichst viele tun, damit sich in diesen Tagen erweist, daß deutschpolnische Geschichte auch deutsch-polnische Hilfsbereitschaft heißen kann.
Seit Sonntag haben spontane Demonstrationen in Rom, in Paris und anderswo stattgefunden; das französische Parlament hat seine Sitzung unterbrochen, damit die Mitglieder des Parlaments an Demonstrationen teilnehmen konnten. Ich frage mich und manchen im Lande: Wo waren eigentlich jene in diesen letzten acht Tagen, die so laut für den Frieden eingetreten sind?
Das polnische Volk, die polnischen Nachbarn brauchen unsere Solidarität, die Solidarität der Freiheit gegen die Unfreiheit. Der Primas von Polen, Erzbischof Josef Glemp, sagte in seiner ersten Predigt nach dem Ausrufen der Militärdiktatur: „Um Menschenleben zu retten, werde ich vor keiner Demütigung zurückschrecken und, wenn es sein muß,
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barfuß und auf Knien um die Freilassung von Inhaftierten bitten." Diese Worte richten sich natürlich an die Machthaber in Polen. Aber in einem weiteren Sinne richten sie sich an alle Menschen guten Willens; auch an uns. Denn es muß uns gerade in diesen Tagen vor dem Fest des Friedens um den Menschen gehen.
Deshalb treten wir ein für den Frieden und die Freiheit im eigenen Lande, aber auch dort, wo andere Völker unter Diktaturen leben. Es ist ganz gleich, ob dies eine rote oder eine braune Diktatur ist — jede Diktatur, die die Menschenrechte mit Füßen tritt; jede Diktatur, die menschliches Glück und Freiheit nicht zuläßt, findet unsere erbitterte Gegnerschaft.
Ich hoffe, daß die Resolution, die wir heute gemeinsam beschließen werden, ein Beitrag dazu sein könnte, auch in diesem Haus ein Stück Gemeinsamkeit zur Bekämpfung der Feinde der Menschenrechte zu begründen.