Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses Gerede — etwas anderes ist es nicht — ist eine schlichte Täuschung der deutschen Öffentlichkeit.
Es ist doch ausgeschlossen, daß ein Mann mit Ihren Einsichten, mit Ihren Kenntnissen, mit Ihrer Intelligenz glaubt, daß das für die Sowjetunion möglich ist. Das heißt doch, jede Erfahrung der Geschichte in den Wind schlagen. Das ist ein Idealzustand, den Sie an die Wand malen, von dem Sie ganz genau wissen, daß er zu unseren Lebzeiten niemals Realität in Europa wird. Sie erwecken Hoffnungen, die zu schweren Enttäuschungen, nicht zuletzt bei jungen Leuten, führen müssen, wenn die NATO letztendlich gezwungen sein wird, in zwei Jahren die ersten Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren. Jede Erfahrung spricht dagegen, daß die Sowjetunion auf diese Rüstung verzichtet.
Wenn Sie schon von Idealvorstellungen reden, dann gebietet es Ihre Verantwortung als Regierungschef, ganz deutlich zu sagen, daß das genauso ein schöner Traum ist wie der Frieden ohne Waffen.
Ebenso bedenklich, Herr Bundeskanzler, ist Ihre jüngste Einlassung zu der amerikanischen Entscheidung, die Neutronenwaffe zu produzieren. Sie erwecken einmal den Eindruck, als seien Sie gegen diese Waffe. Ein andermal erwecken Sie den Eindruck, als seien Sie nur gegen den Zeitpunkt.
Ich will hier, weil es schon einmal von diesem Platz aus eine Kontroverse gab, daran erinnern, daß der Bundessicherheitsrat am 20. Januar und am 14. März 1978 den Bau der Neutronenwaffe und ihre Stationierung in der Bundesrepublik Deutschland befürwortet hat. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben mir damals in einer Kontroverse dankenswerterweise Einsicht in Unterlagen gewährt, damit deutlich werden sollte, daß Sie keinen negativen, verschiebenden Einfluß auf die Entscheidung von Präsident Carter — was ich vermutet hatte — genommen hatten, die Produktion zurückzustellen. Sie sind damals — das stelle ich, weil ich damals anderes gesagt hatte, auf Grund der Einsicht in diese Unterlagen fest — klar und entschieden für die Produktion und die Dislozierung eingetreten.
Ich frage Sie sehr konkret: Ist das heute noch Ihre Politik?
Sie haben damals, am 13. April, hier im Bundestag erklärt, daß die Bundesregierung bereit sei, der Lagerung der Neutronenwaffe auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zuzustimmen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren entsprechende Resultate der Rüstungsbegrenzungsverhandlungen vorlägen. Heute, drei Jahre danach, ist doch nachprüfbar: Weder liegen Verhandlungsergebnisse vor — weil die Sowjetunion jeden Fortschritt blockiert hat —, noch hat Moskau den damaligen Verzicht des Präsidenten Carter in irgendeiner Weise honoriert. Nein, im Gegenteil; nach dem Verzicht Carters hat sie Afghanistan überfallen; das war ihre Art des Honorierens des amerikanischen Schrittes.
Dennoch, Herr Bundeskanzler, ist es Ihre Partei, die SPD, die öffentlich Propagandakampagnen gegen diese Neutronenwaffe betreibt.
Ich habe den Eindruck — ich hoffe, ich täusche mich —, daß Sie heute selber auf Distanz zur damaligen Überzeugung gehen.