Rede von
Wolfram
Bergerowski
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ziehen heute die Konsequenz aus einem Erfahrungsbericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Das ist der Ausgangspunkt' der Entscheidung, die mit dem Gesetzentwurf verbunden ist, der heute von den Koalitionsparteien vorgelegt wird. Dieser Bericht hat — das ist ja die letzte Bekundung zu diesem ganzen Themenkreis — bezüglich der Vorschriften in den §§ 88a und 130a dargelegt, daß „nicht nennenswert" etwas ausgerichtet wurde bzw. daß die Vorschrift bei der Bekämpfung der Gewaltkriminalität „keine Bedeutung" erlangt habe.
Dieser Bericht wurde erstattet, nachdem zuvor eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen gelaufen sind. Der Herr Kollege Götz hat auch daraus berichtet. Er hat in der Tat abweichende Positionen dargestellt. Wir meinen, das ist das Ergebnis einer überhaupt erst durch Initiativen und Anstöße — auch durch die Kleine Anfrage — notwendig und möglich gewordenen Untersuchung. Das ist der Aufhänger für uns, zu sagen: Wir sehen jetzt, daß eine Entscheidung möglich ist.
Damit ist eingetreten, was viele schon bei der Einführung der §§ 88 a und 130 a gemeint und befürchtet haben, nämlich daß dies unnütze und auch unwirksame Vorschriften sind. Wenn man, wie ich das als Neuling hier im Hause tun mußte, die Akten nachblättert, spürt man, daß weitverbreitet bei der Fraktion der SPD, vor allem aber bei den Liberalen von vornherein Zweifel und Bedenken gegenüber dem Sinn dieser Vorschriften bestanden.
Diese Bedenken wurden aber nachher zurückgestellt, und zwar, wie ich meine, weil es damals darum ging — man kann das alles überhaupt nur aus der Situation des Jahres 1974/75 heraus verstehen —, in dieser schwierigen Lage überhaupt gesetzliche Regelungen zu treffen und dabei das Paket der Terroristengesetzgebung so zu schnüren, daß die Liberalität keinen allzu großen Schaden nahm.
Ich finde, daß es eines Gesetzgebers würdig ist, wenn er — ohne daß wir uns heute, so meine ich, groß vorhalten sollten, was wer zu welchem Zeitpunkt gedacht hat — hinsteht und sagt: Wir wollen ein Gesetz das wir irgendwann beschlossen haben, daraufhin überprüfen, ob es so wirksam war, wie wir uns das vorgestellt haben,
330 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
Bergerowski
ob das Gesetz das gebracht hat, was wir wollten, ob es heute noch notwendig ist. Gesetze zu überprüfen, ist eigentlich eine ganz noble und von einem Gesetzgeber stets zu beherzigende Aufgabe.
Ich meine, wir sollten das jetzt tun. Es ist unsere Einschätzung — ich habe das zu Beginn schon gesagt —, daß die Erwartungen, die an dieses Gesetz geknüpft wurden, nicht erfüllt wurden und daß die Terrorismusbekämpfung durch dieses Gesetz nicht befördert wurde. Dieses Gesetz hat jedenfalls der Terrorismusbekämpfung nicht über das hinaus gedient, was wir ohnehin schon im Gesetz stehen haben, um solche Fälle, wie wir sie hier diskutieren, überhaupt anzugehen. Ich bin deswegen Herrn Dr. Linde sehr dankbar, daß er einmal detailliert dargestellt hat, wie im konkreten Fall das Zusammenspiel zwischen den §§ 88a und 130a auf der einen Seite und den anderen vielfältigen Gesetzen, die alle dazu dienen, bereits im Vorfeld der Tat Strafbares festzulegen, auf der anderen Seite aussieht. Die Lücke, die der Gesetzgeber ursprünglich angenommen hat und die damals geschlossen werden sollte, ist nach unserer Einschätzung so eigentlich überhaupt nicht vorhanden.
Zum einen kann man das mit der Zahl der Fälle begründen. Dies klang schon an, und ich will es gar nicht wiederholen, weil es in den vorangegangenen Debatten schon getan wurde. Die Zahl der Ermittlungsverfahren, die kleine Zahl der Fälle, wo es zur Erhebung der Anklage kam, und der noch geringere Anteil rechtskräftiger Verurteilungen sind ein Indiz dafür. Es gibt nach meinen Feststellungen — ich habe dies aus einer Information der eigenen Fraktion übernommen — nur dieses eine uns bekannte Karlsruher Urteil. Wenn es anders ist, müssen wir uns einmal damit beschäftigen, soweit es um § 130 a geht.
Ich will noch einmal deutlich sagen, daß die Streichung nicht bedeutet, daß strafwürdige Handlungen im Vorfeld der Anwendung von Gewalt nicht strafbar bleiben. Die große Zahl anderer einschlägiger Vorschriften wurde auch schon bei der Gesetzesfassung berücksichtigt. Damals hat man sehr wohl gesehen, daß es wahrscheinlich eigentlich gar keinen Bedarf gibt.
Aber nicht nur die geringe Zahl der Verurteilungen ist ein Argument, sondern auch die unverhältnismäßig hohe Zahl an Ermittlungsverfahren sowie die ganz beträchtlichen Unklarheiten, die in der Auslegung der Vorschrift aufgetreten sind, und die Beweisschwierigkeiten, die sich bei der Anwendung ergeben haben. Auch dies ist ein Argument für die Streichung. Wir haben j a nun aus den Ermittlungsverfahren jedenfalls eine Information: daß ein Großteil der verdächtig Gewordenen nicht überführt werden kann. Es gibt ja eine kleine Arbeit, die einmal darstellt, wo die Beweisschwierigkeiten wirklich gelegen haben, nämlich etwa darin, daß die ohnehin in einer Subkultur des Verbreitens solcher Mitteilungen Arbeitenden genau zu verdecken wissen, wer denn der Autor einer Schrift ist. All dies sind Vorgänge, die uns zeigen, daß wir dann, wenn wir den Paragraphen bestehen lassen, mit ganz nachhaltigen Beweisschwierigkeiten zu kämpfen haben. Dies sollte man sehen. Von daher ist eigentlich die Umgehung das große Problem.
Die zahlreichen Durchsuchungen insbesondere bei den Buchläden haben nach unserer Einschätzung zu einer Verschlechterung des geistigen Klimas in diesem Lande geführt, sie haben Auswirkungen auf das kulturelle Leben gehabt, sie haben eine ganz erhebliche Verunsicherung bei Journalisten, bei Literaten, aber auch bei Verlagen und bei Händlern zur Folge gehabt. Das hat das bewirkt, was wir eigentlich als anderen Punkt der Auswirkung dieser Gesetzgebung sehen sollten.
Es mag sein, daß wir zu der einen oder der anderen Verurteilung kommen, aber die Folgewirkungen dieses Gesetzes sind so nachhaltig, daß wir abwägen müssen, ob wir denn eigentlich wirklich wollen, daß das geistige Klima in diesem Lande etwa durch auffällige und überzogene Zugriffe auf Buchhandlungen leidet.
Der Herr Kollege Hartmann hat in einer früheren Rede davon gesprochen, es handele sich hier um eine Demontage des inneren Friedens. Wenn ich das feststellen könnte, würde ich das schon sehr ernst nehmen, aber ich sehe es eben gerade anders. Ich glaube, daß die Auseinandersetzung gerade um diese beiden Paragraphen bei vielen Leuten die Vorstellung verbreitet hat, eine kritische Auseinandersetzung sei nicht mehr möglich, die freie Meinungsäußerung sei behindert. Das mag ja falsch sein; wir brauchen uns noch nicht einmal darauf einzulassen, daß das wirklich so ist. Es ist sicherlich nicht der Fall. Aber es ist auf diese Art und Weise zu dem gekommen, was in diesem Hause schon einmal das Negativsymbol für die Einschränkung der Meinungsfreiheit genannt wurde, und diese Entwicklung hat jedenfalls von uns niemand gewollt.
Ich meine, wenn wir über die Abschaffung der Paragraphen entscheiden, sollten wir an diesen Punkt denken. Wir brauchen ein geistiges Klima für den Dialog mit weiten Teilen unserer Jugend. Wir haben diesen Dialog derzeit nicht nur aus diesen Gründen nicht mehr zustande gebracht. Da gibt es — nicht daß da ein falscher Eindruck entsteht — viele Gründe. Aber auch dies ist einer der Gründe, der uns daran hindert, mit Teilen der Jugend einen vernünftigen Dialog zu führen. Wir haben uns unsere Position hier selbst erschwert.
Diese Demokratie aber lebt davon, daß wir offene und kritische Auseindersetzungen führen können. Wenn es uns gelingt, das Klima durch einen solchen Beschluß, wie wir ihn hier nach Beratungen fassen müssen, wieder zu verbessern, ist das nach meiner Einschätzung ein wesentlicher Beitrag für den inneren Frieden und stärkt diesen inneren Frieden, von dem vorhin die Rede war.
Wir haben die Ansatzpunkte, die ich in meiner Rede gegeneinandergestellt habe, auch gegeneinander abgewogen. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß es heute Gründe genug gibt, die §§ 88 a und 130 a abzuschaffen. Deshalb haben wir heute zusammen mit
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der SPD-Fraktion diesen Gesetzentwurf vorgelegt. — Danke schön.