Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zum zweiten Mal das Wort zu nehmen. Herr Dr. Linde, es wäre sehr schön, wenn wir uns alle hier unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesbereinigung ans Werk begeben und zwei Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch streichen könnten. Auch ich habe meinen Wählern Gesetzesbereinigung versprochen. Aber es wäre der falsche Ansatzpunkt, zwei Paragraphen zu streichen, die zwar nach Ihrer Meinung nicht mehr notwendig sind, aber nach unserer Ansicht dringend erforderlich sind, um in unserem Staat den dadurch abgedeckten Teil der inneren Sicherheit aufrechtzuerhalten.
Es ist in diesem Zusammenhang ganz interessant, einmal die Entwicklungsgeschichte dieser beiden Paragraphen — 88 a und 130 a — zu sehen. Ich meine das nicht formal. Wir wissen, daß sie denselben Schicksalsgang hatten wie die Vorschrift, die wir beim Entwurf eines Neunzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes erörtert haben — jedenfalls materiell an Hand der Aussagen, die uns insbesondere von der Bundesregierung in der 8. Wahlperiode geliefert worden sind. Ich habe mir die — fast muß ich sagen — Freude gemacht, die folgenden Zitate zusammenzustellen.
Denn bei dem, was da von Bundesministern der sozialliberalen Koalition in der 8. Wahlperiode gesagt wurde, hätte ich in der 8. Wahlperiode vielleicht gern auf dieser Seite gesessen;
denn da wurde sehr viel Richtiges gesagt. Warum
das heute allerdings nicht mehr richtig sein soll, ist
mir absolut schleierhaft, da keine neuen Erkenntnisse gesammelt werden konnten.
— Das mag sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich schon vor zwei Stunden davor gefürchtet hat. Im übrigen weiß er j a hoffentlich noch, was er vor einigen Jahren dazu gesagt hat.
Aber ich will gar nicht mit Herrn Vogel anfangen, sondern mit der Gesetzesbegründung zu § 88 a, der damals von allen Fraktionen getragen wurde. In der Gesetzesbegründung hieß es damals:
Der Grund der Vorschrift liegt in der Gefährdung der Allgemeinheit durch die Schaffung eines psychischen Klimas, in dem schwere Gewalttaten gedeihen und nachgeahmt werden.
Jetzt der Herr Vogel:
Der Sinn des Gesetzes ist, die Vergiftung der Atmosphäre, die auch in unserem Land durch die Befürwortung von schweren Gewalttaten eingetreten ist, einzudämmen und ihr einen Riegel vorzuschieben. Wir haben die Erfahrung, daß der Befürwortung etwa von Morden an Polizeibeamten und auch von Morden an Politikern dann durch dieses Klima auch die Tat folgt. Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden.
Das ist eine Erkenntnis, die sicherlich nicht nur zeitbezogen gewesen sein kann. Denn das Klima — wann immer es entsteht — muß j a wohl die gleichen Konsequenzen, die gleichen Folgen haben.
Noch am 9. Mai 1979 hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz im Bundestag auf die Frage der Abgeordneten Matthäus-Maier nach den Erkenntnissen der Bundesregierung über die Erfahrungen nach Einführung des § 88 a folgende Antwort gegeben:
Bisher haben sich keine Erkenntnisse ergeben, nach denen die Vorschrift gestrichen werden sollte.
Und:
Bisher liegen keine Erkenntnisse vor, die anders lauten als die, die damals galten, als die Vorschrift eingeführt wurde.
Weiter:
Ich kann nicht sehen, daß die Meinungsfreiheit
— die ja auch hier merkwürdigerweise gar nicht so sehr angesprochen wurde —
durch diese Vorschrift beeinträchtigt worden sei.
Schließlich — das finde ich ganz wesentlich, und es ist auch ein Grund, weshalb ich mich hier für die Beibehaltung der Vorschrift ausspreche —:
Der Wert einer Vorschrift liegt auch darin, daß
sie eine gewisse Abschreckungswirkung hat.
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Dr. Götz
Von Zeit zu Zeit ist das daran ersichtlich, daß entsprechende Delikte abnehmen.
Ich würde sagen: Sehr richtig, Herr Minister.
Sie, Herr Dr. Linde, führen j a das Abnehmen der Delikte oder das Nichtvorhandensein von Delikten in erster Linie als Argument dafür an, daß man die Vorschrift nicht mehr braucht. Nun, dann müßte man natürlich — es kam vorhin schon mal der Zwischenruf — auch andere Paragraphen abschaffen, z. B. den Paragraphen des Völkermords; denn Gott sei Dank ist Völkermord nicht vorgekommen. Aber keiner von uns hier im Hause wird doch dafür stimmen, daß der Paragraph des Völkermords — und auch noch einige andere Paragraphen bei denen es ebenfalls keine Delikte gab — abgeschafft wird. Also: dieses Argument brauchen wir doch, glaube ich, in diesem Haus nicht zu erörtern.
Außerdem ist mir an dieser Stelle auch unverständlich, weshalb genau zum derzeitigen Zeitpunkt die Frage der Abschaffung des § 88 a diskutiert wird, nämlich zu einem Zeitpunkt, in dem wir sicherlich nicht behaupten können, daß die Situation in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der inneren Sicherheit wesentlich entschärft sei. Noch vor wenigen Wochen: Brandanschlag auf das Kreiswehrersatzamt München. Ich glaube nicht, daß er ein Zeichen dafür war, daß nun die große Beruhigung eingetreten ist. Ich meine — das geht aus der juristischen Praxis wie auch aus den Erfahrungen der Polizei hervor —, daß noch Gewaltakte befürchtet werden müssen. Ich möchte das jetzt hier coram publico nicht ausbreiten. Aber uns sind diese Erfahrungsberichte der Polizei sehr wohl bekannt. Ich meine nicht, daß wir hier leichthin darüber hinweggehen und sagen sollten, es könnten Paragraphen abgeschafft werden; denn diese sind vielleicht geeignet, solche Delikte im Vorfeld zu bekämpfen.
Die nunmehr von der SPD und der FDP vorgetragenen Argumente können insofern die Streichung der Bestimmung meines Erachtens nicht rechtfertigen.
Ich möchte mich zu § 88 a relativ kurzfassen. Denn hier sind ja die Argumente im wesentlichen bereits in der vergangenen Legislaturperiode ausgetauscht worden.
Die Streichung des § 130 a kommt nun so klamm und heimlich — das Wort möchte ich hier gar nicht in dem Zusammenhang erwähnen, es paßt eigentlich nur — —
— Nein, das ist kein heimlicher Ort. Aber „klamm und heimlich" möchte ich in diesem Zusammenhang nicht bringen. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das Wort auch irgendwie geläufig ist.
§ 130 a wird in diesem Zusammenhang in den neuen Entwurf mit hineingemogelt. Wir haben natürlich schon festgestellt: Wenn da einer behauptet, daß hier koalitionspolitische Gesichtspunkte nicht Vorrang gehabt hätten — das haben sie Gott sei
Dank nicht behauptet —, dann kann ich Ihre Minister und Ihre Sprecher in der 8. Legislaturperiode, meine Herren von der SPD, nicht verstehen, die nämlich genau den 130 a als einen der wichtigsten Paragraphen bezeichnet haben. Das kann doch nicht innerhalb von wenigen Wochen nach der Bundestagswahl anders geworden sein. Ich werde Ihnen Gott sei Dank beweisen können — —
— Herr Linde, ich habe j a nicht Sie zitiert. Ich weiß nicht, welche Bedeutung Sie im letzten Bundestag gehabt haben. Ich habe Sie nicht zitiert, weil ich keine Äußerung von Ihnen gefunden habe.
Aber ich habe natürlich andere gefunden. Ich darf insbesondere die Bundesregierung — ich will gar keinen Namen nennen — zitieren. Sie hat ebenfalls auf die schon zitierte Anfrage der SPD und der FDP betreffend die Auswirkungen der gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zur Antwort gegeben — das war am 17. Januar 1980, es ist also noch nicht lange her —, daß ihr keine Strafverfahren und Verurteilungen nach § 130 a bekanntgeworden seien. Herr Linde, Sie haben das heute wiederholt. Ich finde es sehr, sehr nachlässig, die Recherchen so zu betreiben, wie das offensichtlich geschehen ist.
Ich habe mir als neuer Abgeordneter die Mühe gemacht, auch zu recherchieren. Ich habe festgestellt, daß nach § 130 a sehr wohl bestraft worden ist, und zwar im Jahr 1979 allein viermal. Ich hoffe, daß ein Vertreter des Justizministeriums anwesend ist. Ich zitiere aus der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes. Ich nehme doch an, daß auch das Justizministerium über diese Verfolgungsstatistik verfügt. Selbst wenn ich Ihrer Argumentation folgen und sagen würde — was ich j a nicht tue —, wenn keine Delikte vorkommen, können wir den Paragraphen abschaffen, käme ich dennoch nicht zur Streichung des § 130 a, weil eben tatsächlich Delikte dieser Art bestraft worden sind. Ich bitte Sie, sich demnächst etwas besser zu informieren, damit solche Dinge nicht noch einmal vorkommen.
Aber unabhängig von der Zahl der Delikte nach § 130 a hat die Vorschrift ja eine ganz wesentliche präventive Wirkung gehabt. Ich glaube, das ist überhaupt nicht zu leugnen. Diese präventive Wirkung darf nicht unterschätzt werden. Wer die Flut der schriftlichen Erzeugnisse der 60er und 70er Jahre zur Anleitung von Straftaten zur Kenntnis genommen hat, muß jetzt feststellen, daß es wesentlich weniger geworden sind. Ich bezweifle, daß die Produktivität, die Kreativität — oder wie man das sonst nennen mag — dieser „Schriftsteller" — wenn man sie einmal so bezeichnen soll — nachgelassen hat, sondern ich kann mir sehr wohl vorstellen — einen unmittelbaren Beweis dafür wird man selbstverständlich nicht antreten können —, daß der präventive Charakter einer Vorschrift gelegentlich die Wirkung hat — um noch einmal Herrn Bundesjustizminister Vogel zu zitieren —, daß Delikte nicht mehr oder nur
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Dr. Götz
noch in geringer Zahl begangen werden. Die abschreckende Wirkung des § 130a hat eben dazu geführt, daß Delikte dieser Art in größerer Zahl nicht mehr vorgekommen sind. Dann lassen wir diesen Paragraphen doch im Strafgesetzbuch stehen! Seien wir doch froh, wenn es nicht oder kaum zu Bestrafungen gekommen ist, sondern wenn die Täter bereits im Vorfeld ihres Tuns an der Begehung des Delikts gehindert worden sind! Das ist doch die Hauptaufgabe des Strafrechts.
Ich kann dem damaligen rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Emmerlich, beipflichten, der noch am 27. März. 1980 in einer Presseerklärung formuliert hat:
Für eine Streichung des § 130a StGB besteht keine Veranlassung. Es ist und bleibt unerträglich,
— sehr schön, richtig gesagt —
daß jemand öffentlich in Schrift, Bild und Ton anderen straflos Anleitungen zur Begehung schwerster Straftaten geben darf.
Und dann weiter:
Die bloße Existenz dieser Vorschrift hat dazu geführt, daß es niemand mehr riskiert, öffentliche Anleitungen für die Begehung von schweren Straftaten zu geben.
Ich danke Herrn Emmerlich dafür, daß er auch unsere Auffassung vertritt. Ich hoffe, daß er das auch heute noch tut.
— Vertritt er sie heute nicht mehr? Das ist sein Problem.
Ich habe den Eindruck — das ist die Erkenntnis, die man aus dieser Debatte mitnehmen muß; ich habe das schon gesagt und darf damit schließen —, daß die SPD, die zunächst einen richtigen Standpunkt eingenommen hat, wahrscheinlich unter dem Druck der koalitionspolitisch notwendigen Vereinbarungen einen Teilbereich unserer inneren Sicherheit geopfert hat. Sie müssen das mit sich abmachen, Sie müssen der Bevölkerung draußen erklären, warum das so geschehen ist. Gott sei Dank ist das nicht unser Problem. Ich kann allerdings für die CDU und CSU erklären, daß wir dieses Spiel Gott sei Dank nicht mitzumachen brauchen.
— Erstens freue ich mich darüber, Herr Kollege Wehner, daß Sie mir Ihren ersten Zwischenruf gönnen;
denn man hat mir gesagt, wenn das der Fall sei, habe einer gut gesprochen. Zweitens gebe ich Ihnen zur Antwort: weil ich dieses Wort gerne gebrauche. Ich bin Christ,
ich glaube an Gott, und ich danke Gott des öfteren.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sir mir dennoch, daß ich feststelle: Die CDU/CSU wird der Streichung dieser Vorschriften nicht zustimmen. Darüber brauchen wir nicht lange mit uns diskutieren zu lassen. Das kann ich Ihnen jetzt schon verbindlich sagen. — Herzlichen Dank.