Rede von
Hans A.
Engelhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch zu diesem Gesetzentwurf führen wir heute zum zweitenmal eine erste Lesung durch. Auch hier hat in der letzten Legislaturperiode der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Bundesrat hat eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen unterbreitet; ich beschränke mich hier auf die beiden Hauptpunkte, die letztlich auch im Bundestag strittig geblieben sind. Das ist zum einen die Mindestverbüßungsdauer und zum zweiten die Frage, wie die Sozialprognoseklausel am besten formuliert werden sollte.
Die Bundesregierung ist in ihrem Entwurf von einer Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren ausgegangen.
Der Deutsche Bundestag hat sich diese 15 Jahre mehrheitlich zu eigen gemacht. Der Bundesrat und die Opposition hier im Hause haben den Vorschlag unterbreitet, auf 20 Jahre zu gehen. Dieser Vorschlag hat uns einigermaßen überrascht. Sie selbst werden sich erinnern: Als die Beratungen seinerzeit begannen, wurden, etwa vom ehemaligen Kollegen Dr. Eyrich, Erklärungen abgegeben, die darauf hindeuteten, daß man in etwa das Mittel zwischen 15 und 20 Jahren anpeilte.
Wenn wir uns hier um die richtige Zahl der Jahre bemühen, dann ist doch wohl jedem klar: Eine einzig richtige Lösung, sowohl dogmatisch wie von der Durchführung in der Paxis her, gibt es ganz einfach nicht. In der Rede des Kollegen Lambinus haben wir ja vorhin gehört, daß auch in den einzelnen Ländern — nehmen wir nur den europäischen Rechtsbereich — die Zeitdauer sehr stark differiert. Mir scheinen
die 15 Jahre so unrichtig nicht gewählt. Denn es gibt immerhin einen Hinweis: daß die Mindestdauer bei der lebenslangen Freiheitsstrafe abgesetzt sein müßte vom Höchstmaß der derzeitigen Freiheitsstrafe. Hier, Herr Kollege Dr. Götz, muß ich nach Ihrem Beitrag zum wiederholten Male von dieser Stelle ausführen: Es trifft nicht zu, daß der vorgelegte Entwurf die Dauer der lebenslangen Freiheitsstrafen auf das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe reduzieren würde. Denn der zu 15 Jahren verurteilte Straftäter muß entlassen werden, es mag die Prognose für ihn so schlecht sein, daß es schlechter überhaupt nicht geht. Er muß nach Ablauf von 15 Jahren entlassen werden, weil seine Strafzeit eben abgelaufen ist, wohingegen der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte nach Ablauf von
15 Jahren, nach vorheriger genauer Prüfung, erstmals überhaupt die Chance bekommt, in den Genuß der Strafaussetzung zu Bewährung zu kommen. Diesen Unterschied hier so einzuebnen, erscheint mir nicht ganz redlich und beachtet nicht den grundlegenden Unterschied, den wir hier vorfinden.
Im übrigen, Herr Kollege, weil Sie erneut 20 Jahre angesprochen haben: Das ist doch völlig übersetzt. Denn — ich habe das ja bereits in der zweiten Lesung in der letzten Legislaturperiode kurz ausgeführt —: Die durchschnittliche Verbüßungsdauer ist heute in der Bundesrepublik nach Umfrage bei den Landesjustizministern 17,8 Jahre. Ginge man jetzt auf eine Mindestverbüßungsdauer von 20 Jahren, was würde passieren? Die Gnade der Ministerpräsidenten der Länder würde das überholen, wofür wir uns hier so viel Arbeit machen.
Dann könnten wir — dem Bundesverfassungsgericht nur pro forma Rechnung tragend, dem wir im übrigen in seinem Votum nicht folgen würden — uns diese Arbeit hier gleich schenken.
Ich habe von Anfang an die Meinung vertreten, daß viel wichtiger als 14 Jahre, 15 Jahre oder
16 Jahre eine sachgerechte, der Schutzfunktion unserer Rechtsordnung Rechnung tragende und das Vertrauen des Bürgers in diese Rechtsordnung stärkende Prognoseklausel ist. Das ist meines Erachtens das Entscheidene. Denn wer könnte, wessen Vorstellungen nicht allein an Vergeltung orientiert sind, denn etwas dagegen haben, daß der Mörder von ehedem nach früherer oder längerer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt wird, wenn er resozialisiert ist und wenn von ihm keine Gefahr mehr für seine Mitbürger ausgeht? Aber ob er resozialisiert ist, ob noch eine Gefahr von ihm ausgeht, das interessiert die Bürger, das wird diskutiert. Das wird von den Bürgern draußen und von der Rechtsgemeinschaft häufig auch viel differenzierter empfunden und gesehen, als es vielleicht den Anschein haben mag, wenn man die manchmal vordergründigen oder auch abstoßenden Stammtischgespräche verfolgt oder manche Leserbriefe zur Kenntnis nehmen muß.
Nun: Wenn die Mindestverbüßungsdauer nicht, die Prognoseklausel aber wohl das Kernproblem ist, dann müssen wir uns einmal mit den Vorschlägen
324 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1980
Engelhard
auseinandersetzen, die da gemacht worden sind. Das war ja eine ganze Flut von Vorschlägen, auf die ich hier jetzt nicht mehr alle eingehen kann. Daher beschränke ich mich jetzt einmal auf eine kurze Strukturierung. Da hat die Bundesregierung die für die zeitige Freiheitsstrafe festgeschriebene Prognoseklausel übernommen. Die Opposition und der Bundesrat — Sie haben hier soeben etwas andere Akzente gesetzt, Herr Dr. Götz — verlangen die Gewährleistung. Nun wissen wir: Das ist in der Tat eine zu hohe Schwelle. Wer Gewährleistung verlangt, der garantiert, der — ins Zivilrechtliche übersetzt — bürgt. Wer Verantwortung für Gewährleistung übernimmt, muß in der Konsequenz im Grunde bereit sein, mit so einem Entlassenen — ungeschützt und ohne abgesperrtes Zimmer — unter einem Dach zusammenzuleben. Das ist im Grunde die Konsequenz; sonst kann er die Verantwortung für Gewährleistung — als Sachverständiger und dann später als Richter - überhaupt nicht übernehmen.
Aber wir haben bei all diesen Vorschlägen eine andere Problematik, die ich doch noch einmal deutlich hervorheben will: daß nämlich in allen diesen Prognoseklauseln zwischen den verschiedenen möglichen Delikten, die ein Straftäter nach der Strafentlassung begehen könnte, nicht deutlich unterschieden wird. Ich kenne die Argumentation der Bundesregierung. Ich stimme ihr auch insoweit zu: Wenn die Entlassung eines Lebenslänglichen ansteht, wird sich das Gericht natürlich keine breiten Gedanken darüber machen müssen, ob der Täter vielleicht künftig in der U-Bahn ständig als Schwarzfahrer auftreten könnte. Ganz massiv aber wird das Maß der Verantwortung auf dem entscheidenden Gericht bei der Beurteilung der Frage ruhen, ob ein solcher ehemaliger Täter auch als künftiger Täter etwa bei einem Tötungsdelikt in Frage kommen könnte.
Ich bin trotzdem der Meinung, daß man hier nicht alles in einen Topf werfen sollte und man dies auch in der Formulierung im Gesetzestext selbst entsprechend zum Ausdruck bringen sollte. Insofern ist der Vorschlag des Deutschen Richterbundes interessant, dem sich interessanterweise dann auch der Verband der Strafvollzugsbeamten angeschlossen hat. Ich habe versucht, die dort vorhandenen Mängel etwas zu glätten und meinerseits in der letzten Legislaturperiode einen Vorschlag gemacht, wonach der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden soll, wenn nicht zu befürchten ist, daß die durch die Tat angezeigte Gefährlichkeit fortbesteht, und auch sonst verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.
Nun hatten sich — und ich erinnere mich sehr wohl an diese Besprechung — alle drei Fraktionen dieses Hauses auf diesen Entwurf verständigt.
— Es ist nicht so gekommen — ich werde gleich darauf zurückkommen, Herr Kollege Hartmann —, weil Sie auf der Mindestverbüßungsdauer von 20 Jahren beharrten und daraufhin die Koalition, als Gesamt-
heit genommen, nicht mehr bereit war, in jenem anderen Punkt der Prognoseklausel entgegenzukommen.
Nun haben vielleicht auch Sie mit großem Interesse gelesen, was zwei Bürger aus Bonn und Umgebung uns in diesen Tagen geschrieben haben. Sie betreuen seit längerer Zeit einen Lebenslänglichen, der seit 16 Jahren in einer Strafanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen einsitzt. Sie arbeiten mit ihm, sie fördern seine Resozialisierung. Sie haben uns geschrieben, wie sie die Dinge sehen. Am Schluß dieses Briefes findet sich ein interessanter Satz. Dort ist nämlich zu lesen:
Endlich sollte man auch berücksichtigen, daß für die Gefangenen ein Kompromiß zwischen Bundestag und Bundesrat besser ist als ein günstiger Gesetzesvorschlag, der erst in einigen Jahren vielleicht Gesetz wird.
Ich meine, vielleicht kann uns auch dieser Brief einmal an unsere Aufgabe erinnern, künftig weit stärker als bisher Kompromißmöglichkeiten schon bei der Ausschußberatung auszuschöpfen. Unser Vermittlungsausschuß ist j a ein höchst wichtiges Instrument, eine Einrichtung, auf die überhaupt nicht verzichtet werden kann, die in ihrer Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden kann. Aber kann es richtig sein, daß wir ohne Not und manchmal in einer trotzigen Unbeweglichkeit ein gut Teil der Arbeit, die wir eigentlich selbst leisten könnten, diesem Vermittlungsausschuß aufhalsen?
— Herr Kollege, ich spreche zu denen, die es angeht.
— Ich meine ganz sicherlich auch mich selbst, selbstverständlich, Herr Kollege Erhard. Ich meine, wir handeln manchmal nach dem Motto: Der Vermittlungsausschuß wird's schon richten. Wenn er es dann zusammengebracht hat, wird von den Kollegen hinter vorgehaltener Hand über so manche Formulierung gemosert, zu der sie anschließend im Plenum nur noch ja oder nein sagen können. Ich meine, wir sollten auch immer sehen, daß beim soundsovielten Tagesordnungspunkt, wenn Mitternacht heranedämmert ist oder man sich bereits im nächsten Tage befindet, die Leistungsfähigkeit der ehrenwerten Mitglieder des Vermittlungsausschusses auch auf Grenzen stößt. Deswegen, meine ich, sollten wir — und diese Bemerkung halte ich für notwendig zu Beginn einer Legislaturperiode — deutlich sehen, daß wir uns selbst nicht der Verantwortung begeben, sondern viel stärker, als wir dies in der Vergangenheit getan haben, darum ringen sollten, selbst Kompromisse im Ausschuß zustande zu bringen, wo immer es geht.
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