Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf meinem Herrn Vorredner insoweit zustimmen, als ich ebenfalls die Auffassung vertrete, daß man das Thema, das hier zur Erörterung steht, möglichst emotions-frei erörtern sollte.
Es tut mir an sich schon leid, daß wir darüber nicht so reden können, wie Herr Kleinert von der FDP vorhin gesprochen hat. Das würde mir nämlich wesentlich mehr liegen; ich glaube, diesem Hohen Hause schadet es grundsätzlich überhaupt nicht, wenn hier etwas Heiterkeit hereinkommt.
Ich darf das als Parlamentsneuling sagen, als der ich hier stehe.
— Ich kann das im Augenblick nicht beurteilen. Ich darf Ihnen aber jetzt schon sagen: ich werde bei diesem Thema wohl kaum zu Heiterkeitsausbrüchen Anlaß geben können, weil das Thema einfach zu ernst ist. Ich glaube auch, daß wir uns darüber emotionslos unterhalten sollten.
Meine Damen und Herren, das Thema ist für diejenigen, die schon länger im Parlament sind, nicht mehr neu. Hier sind viele Debatten geführt worden. Das Gesetz ist nicht mehr in Kraft getreten; es ist der Diskontinuität zum Opfer gefallen, und wir haben heute wieder die erste Lesung. Der Gesetzentwurf ist derselbe geblieben. Geändert hat sich, daß es nicht mehr ein Regierungsentwurf ist, sondern ein Entwurf von SPD und FDP. Inhaltlich ist es der gleiche Gesetzentwurf. Infolgedessen mögen uns die Damen und Herren von der Koalition bitte nicht böse sein, daß wir natürlich der Meinung sind, daß das Gesetz dieselben Fehler hat, die es auch in der letzten Legislaturperiode gehabt hat. Es ist dieselbe Regierung; auch wenn sich einige Personen geändrte haben mögen, so ist doch wahrscheinlich die Intention dieselbe.
Die Kritik der Opposition an diesem Gesetzentwurf setzt einmal an der sogenannten Mindestzeit zur Strafverbüßung an, bei der die Koalition für 15 Jahre plädiert. Wir sind der Meinung, 15 Jahre können und dürfen grundsätzlich nicht in Betracht kommen, weil sonst eine Gleichschaltung mit den zeitigen Freiheitsstrafen, eine Nivellierung Platz greifen würde. Selbstverständlich, 15 Jahre ist die höchste zeitige Freiheitsstrafe. Eine solche Mindestzeit würde sich durch die Kombination ergeben. Sie würde aber, meine ich, die hier hervorgehobene Abschreckungswirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe im Prinzip außer Kraft setzen. Die lebenslange Freiheitsstrafe muß eine besondere Art der Bestrafung bleiben, da ihr eine besondere Art des Deliktes vorausgeht. Dieses besondere Delikt des Totschlages oder Mordes muß eben auch mit einer besonderen Strafe belegt werden.
Ich glaube nicht, daß wir in diesem Parlament so tun dürfen, als ob die Bevölkerung draußen Verständnis dafür hätte, wenn wir im Endeffekt bei Mördern und Totschlägern über diesen Paragraphen, der hier zur Debatte steht, eine Strafe in derselben Länge zuließen wie bei anderen Tätern, die sich beispielsweise nur Eigentumsdelikte haben zuschulden kommen lassen.
Ich meine, daß die exemplarische Bestrafung durch eine lebenslange Freiheitsstrafe für Mörder und Totschläger unbedingt erforderlich ist, um die Abschreckungswirkung zu erhalten.
Ich bin auch der Meinung, meine Damen und Herren von der Koalition, daß das gesamte Strafengefüge bei Herabsetzung der Mindestverbüßungsdauer auf 15 Jahre ebenfalls einer Revision unterliegen müßte. Damit müßten zwangsläufig auch die anderen Strafen geringer werden, sie müßten verkürzt werden. Ich glaube, damit würde das bewährte Strafengefüge in unserem Staate ganz erheblich ins Wanken geraten. Deshalb wendet sich die Opposition nach wie vor gegen diese Mindestverbüßungsdauer von nur 15 Jahren und beharrt auf den vorgeschlagenen 20 Jahren.
Meine Damen und Herren, eines darf ich hier gleich sagen, und das gilt für alle Ausführungen, die ich von dieser Stelle mache: Selbstverständlich bin ich und selbstverständlich sind meine Parteifreunde und meine Fraktionsfreunde immer bereit, über Positionen zu sprechen. Wir werden in den Ausschüssen, insbesondere im Rechtsausschuß, diese Fragen besprechen können. Wir haben noch zwei weitere Lesungen vor uns. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, in dem einen oder anderen Punkt Verständnis füreinander zu finden.
Nicht allein die Mindestverbüßungsdauer ist für uns ein Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, sondern vor allem die sogenannte Prognoseklausel. Ich bin davon überzeugt, daß sie nach wie vor mit dem Manko einer zu laschen Prognose behaftet ist. Sie haben eine Formulierung, die man einfach wie-
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derholen muß, weil sie, wie ich glaube, fast auf der Zunge zergeht.
Herr Kollege Lambinus, Sie kannten mich nicht. Wir sind vorhin zusammen ins Gebäude gegangen, und Sie sprachen mit einem Kollegen über diese Formulierung. Ich weiß nicht, ob es so intim war, daß man es hier nicht darstellen darf. Sie sprachen ebenfalls über „eine sehr unglückliche Formulierung". Ich fand es gut und gab mich nicht zu erkennen, weil ich dachte, ich könnte es vielleicht heute abend noch gebrauchen.
Ich teile also insofern Ihre Auffassung sehr wohl, Herr Lambinus. Es heißt nämlich in Ihrem Entwurf zur Prognoseklausel, es könne verantwortet werden, „zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird". Ich bin der Meinung, daß das Wort „Erprobung" in dem Zusammenhang absolut deplaziert ist. Da darf man einfach nicht „Erprobung" sagen.
Was heißt es denn, eine Erprobung zu verantworten? Da kann ich gleich sagen: Ich möchte einen Versuch versuchen. Das ist fast dasselbe. Das gehört nicht in ein Gesetz. Wenn wir vor Juristen sprechen,
dann sollte man von Juristen erwarten, daß sie bessere Formulierungen finden.
Was soll denn sein, wenn diese Probe nicht gelingt? Es liegt im Wesen einer Probe, daß sie vielleicht schiefgeht. Wer von Ihnen und wer sonst, welcher Richter, der gezwungen war, eine solche Probe aufs Exempel zu machen, wird sich im Falle einer fehlgeschlagenen Probe vor die Allgemeinheit stellen und vor der Allgemeinheit rechtfertigen, daß hier ein neues Verbrechen geschehen ist, das man vielleicht hätte verhindern können? Wer wird den Opfern dieser Verbrechen erklären, warum diese Probe fehlgeschlagen ist? Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 10. Dezember 1980 verweisen, in der über einen ausgesprochen tragischen Fall berichtet wird. Herr Lambinus, auch hierzu — seien Sie mir nicht böse — kenne ich schon Ihre Meinung, auch wenn Sie es nicht wußten. Es wird aus München über einen Fall eines Begnadigten berichtet, der, wie es leider Gottes öfter vorkommt und wie es sicherlich — das möchte ich konzedieren — durch kein Gesetz und durch keine besondere Sorgfalt, weder eines Ministerpräsidenten noch zukünftig eines Richters, auf die Dauer verhindert werden kann, bereits einmal wegen Raubmordes im Gefängnis gesessen hat, vor zehn Jahren begnadigt wurde und nun wiederum einen Raubmord begangen hat. Das ist selbstverständlich ein tragischer Fall. Aber ich glaube, man muß ihn hier zitieren; denn mit diesem Problem sind wir konfrontiert. Wir wollen zusätzlich zur Gnadenpraxis das auch für den Richter auf eine gesetzliche Ebene stellen und müssen uns darüber im klaren sein, daß wir dieses Problem auch für den Richter auf den Tisch legen müssen. Es handelt sich dann
eventuell um eine Fehlentscheidung, die dem Richter kein Mensch übelnehmen kann — wir sind alle Menschen —, und eines Tages wird er sich damit auseinandersetzen müssen. Man sollte das nicht mit so vagen Formulierungen erfassen wollen: Es kann erwartet werden oder man muß erwarten können, daß die Probe gut geht.
Ich meine, die Mindestformulierung muß mindestens auf der Basis einer Erwartungsklausel liegen. Ich will nicht sagen, daß es eine Sicherstellungsklausel sein muß; denn das kann kein Mensch sicherstellen oder gewährleisten. Aber ich muß es auf Grund vorhandener Fakten erwarten können. Ich muß zumindest davon ausgehen können, daß keine Gründe vorliegen, die diese Erwartung als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Jedenfalls können Sie sich nicht allein mit Ihrer Probe, die Sie meinen verantworten zu können, vor die Öffentlichkeit stellen und auch nicht die Sicherheit in diesem Staat garantieren.
Eine De-facto-Probezeit — das würde es nach dieser Formulierung sein —, wo bei Nicht-Bestehen, etwa wegen eines neuerlichen Mordes, wie hier zum Ausdruck gebracht, die Strafaussetzung einfach zu widerrufen wäre, lehnen wir aus diesen Gründen ab. Es ist unabdingbar, daß bei sorgfältiger Würdigung der Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Lebensverhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß er in Zukunft ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen wird.
Für die CSU- und CDU-Fraktion muß eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe auf einem vernünftigen Kompromiß zwischen dem Resozialisierungsgedanken, dem Sühnegedanken und dem Schutzgedanken unseres Strafrechts beruhen. Meines Erachtens reicht der derzeitige Entwurf für diesen Kompromiß nicht aus. Für den Erfolg des Resozialisierungsversuchs ist nach meiner Empfindung und der Empfindung meiner Fraktionsfreunde eine Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren nicht ausreichend. Ich sage Ihnen noch einmal ganz ehrlich meine persönliche Meinung: Wenn Sie 15 Jahre ansetzen, dann müßten Sie mit gleichem Recht auch noch über die 15 Jahre diskutieren können. Sie könnten dann von mir aus auch noch über 10 oder 5 Jahre diskutieren.
— Herr Lambinus, lassen Sie mich bitte ausreden, Herr Sauter durfte vorher Ihre Ungeduld etwas bremsen. Wenn Sie der Meinung sind, daß jemand nach 15 Jahren bereits irreparablen Persönlichkeitsschaden genommen haben kann, dann frage ich Sie, mit welcher Begründung Sie das nicht auch schon bei 10 und auch bei 5 Jahren sagen können. Sie beziehen sich nämlich auf die physische und psychische Belastbarkeit eines einzelnen Täters. Dann können Sie die gesamten Mindeststrafen absetzen und sagen: Ich bestrafe jeden so, wie er es gerade noch verträgt. Dann möchte ich aber fragen, woher die abschreckende Wirkung unseres Strafrechts kommen soll.
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Meine Damen und Herren, wenn Sie mit uns insoweit konform gehen und eine 20jährige Mindestverbüßungszeit akzeptieren könnten, würde man hier vielleicht doch zu einem Ergebnis kommen, und zwar möglichst rasch; denn das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Auftrag gegeben, dem wir alle zustimmen.
Natürlich wollen wir den Sühnegedanken, der bei der Mindestverbüßungszeit eine entscheidende Rolle spielt, nicht durch eine Nivellierung der lebenslangen Freiheitsstrafe mit den zeitigen Freiheitsstrafen aufgeben. Vor allem wollen wir nicht den Schutzgedanken unseres Strafrechts durch eine risikoreiche Prognoseklausel belasten, die die innere Sicherheit in unserem Staat in höchstem Maße gefährdet.
Aus diesen Gründen können CDU und CSU der vorgelegten Fassung dieses Entwurfs nicht zustimmen. Wir behalten uns allerdings vor, zu gegebener Zeit einen Änderungsantrag zu stellen, und sind zwischenzeitlich, wie versprochen, bereit, mit uns über alles zumindest reden zu lassen. Welche Ergebnisse dabei herauskommen, wage ich heute noch nicht vorauszusagen. — Ich bedanke mich sehr herzlich.