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    Plenarprotokoll 9/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. November 1980 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Schmidt, Bundeskanzler 217 B Dr. Dregger CDU/CSU 230 B Liedtke SPD 238 C Dr. Hirsch FDP 243 B Baum, Bundesminister BMI 246 B Nächste Sitzung 251 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 253*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1980 217 8. Sitzung Bonn, den 28. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 28. 11. Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens* 28. 11. Amrehn 28. 11. Dr. Barzel 28. 11. Dr. Dollinger 28. 11. Egert 28. 11. Dr. Faltlhauser 28. 11. Dr. von Geldern 28. 11. Dr. Häfele 28. 11. Handlos 28. 11. Höffkes 28. 11. Hoffie 28. 11. Dr. Hornhues 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Korber 28. 11. Dr. Kreile 28. 11. Kunz (Berlin) 28. 11. Landré 28. 11. Máhne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Michels 28. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Milz 28. 11. Müller (Bayreuth) 28. 11. Müller (Remscheid) 28. 11. Neuhaus 28. 11. Neumann (Bramsche) 28. 11. Pawelczyk 28. 11. Picard 28. 11. Pohlmann 28. 11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Repnik 28. 11. Dr. Ritz 28. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Schmöle 28. 11. Dr. Schwarz-Schilling 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Sprung 28. 11. Dr. Stark (Nürtingen) 28. 11. Dr. Steger 28. 11. Timm 28. 11. Dr. Todenhöfer 28. 11. Dr. von Wartenberg 28. 11. Dr. Wieczorek 28. 11. Zierer 28. 11. für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Was das zweite angeht, muß ich dem deutlich widersprechen. Was das erste angeht: Ich war gerade in Amerika, Herr Wörner, und ich habe mich mit allen politischen Lagern unterhalten; ich glaube, nacheinander mit 10 oder 12 Senatoren der republikanischen wie der demokratischen Seite, mit dem demokratischen Präsidenten, mit dem republikanischen President elect genauso, mit vielen, vielen Beratern, mit dem Verteidigungsminister, mit dem Außenminister, auch mit McCloy und McNamara.
    Ich habe von dem, was Sie in Amerika provoziert haben, kein großes Echo mehr gehört, Herr Wörner.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Es ist nämlich so, daß die Bundesrepublik Deutschland und ihre Regierung in den Vereinigten Staaten von Amerika eine ziemlich große Glaubwürdigkeit besitzen. Wenn wir dort sagen: „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen", wird uns das abgenommen, Herr Wörner.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Wörner [CDU/CSU]: Eben nicht mehr!)

    Sie haben sich hier in vehementer Weise, Herr Wörner, für alle möglichen Waffenprojekte und für Mehrausgaben eingesetzt. Das ist von einem rein militärischen Standpunkt aus durchaus verständlich. Ich habe auch durchaus Verständnis für militärische Forderungen. Generale wollen immer das Größte und das Neueste und das Modernste, und zwar mehr als der Gegner. Das ist ganz klar. Teilweise entspricht das auch militärischen Notwendigkeiten.
    Aber nicht alles, was technisch machbar erscheint, muß deswegen schon zwingend notwendig sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nicht alles, was technisch machbar erscheint, muß deswegen schon bezahlt werden können. Politiker müssen darauf achten, daß die Balance zwischen militärischen Erfordernissen einerseits — diese orientieren sich nach dem Gleichgewichtsmaßstab — und finanzielle Möglichkeiten andererseits gewahrt bleibt. Wir müssen darauf drängen, daß bei der Einführung moderner Waffensysteme, Herr Wörner, nicht die allerletzten Prozente wünschbarer Leistungen auch noch berücksichtigt werden.

    (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Ich sprach nur von den Projekten, die Ihr Verteidigungsminister dem Parlament vorgeschlagen hat!)

    — Wissen Sie, auch ich bin schon einmal Verteidigungsminister gewesen und habe eine Menge von Projekten abschneiden müssen, die mir von dem Vorgänger hinterlassen wurden. Es gehört zur notwendigen Arbeit eines Verteidigungsministers auf der Hardthöhe, daß von Zeit zu Zeit, alle paar Jahre alle Projekte überprüft werden und überflüssiges Fett abgeschnitten wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß wirklich, wovon ich rede; ich habe das j a auch gemacht. Ich habe j a eine ganze Menge an Projekten abschneiden müssen, die ich von Herrn Kollegen Schröder übernommen hatte. Und Herr Schröder hatte seine Aufgabe — ich sage das ohne eine Spur von Andeutung einer Kritik — sehr verantwor-

    Bundeskanzler Schmidt
    tungsbewußt geführt. Trotzdem muß das alle paar Jahre überprüft werden.
    Technik, Militär und Rüstungsindustrie haben nämlich die Tendenz, während der Zeit, in der ein Projekt entwickelt oder gar produziert wird, immer noch neue Details nachzuschieben, immer noch neue Apparate einzubauen. Hinterher ist das Flugzeug dann dreimal, viermal so teuer, wie es am Anfang in der Planung dem Bundesverteidigungsausschuß vorgestellt worden war. Das kennen wir doch. Da muß man reinschneiden!
    Sie haben das alles, Herr Wörner, in einer Attitüde vorgetragen, als ob heiligste Güter der Nation in Gefahr seien. Da habe ich mich an ein Zitat erinnert, das ich kürzlich durch Zufall bei Ernst Niekisch gefunden habe. Er zitiert einen großen Mann. Dieser große Mann hat gesagt: „Es ist nicht schwer. den deutschen Philister zu Äußerungen nationaler Erregtheit hinzureißen. In jeder Versammlung ist eine sonore Stimme und eine blühende Phrase ausreichend." Das war Bismarck, Herr Wörner.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die sonore Stimme will ich Ihnen nicht attestieren.

    (Erneute Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Sie haben sodann das Reservistenpotential der Bundeswehr lächerlich gemacht. Hier muß ich nun Wert darauf legen — auch gegenüber unseren Verbündeten -, daß das was der Außenminister, was der Bundeskanzler in Washington und anderswo im Bündnis erklären, nicht im eigenen Hause der Unglaubwürdigkeit geziehen wird.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich habe gesagt, wir könnten im Spannungsfalle 1,2 Millionen ausgebildete und ausgerüstete Soldaten auf die Beine bringen. Da haben Sie eine politische Zahl genannt. Jemand anderes hat, wenn ich richtig erinnere, geschrieben: homunculus strategicus. Alle Voraussetzungen für eine solche kurzfristige Mobilisierung — vielleicht sind es nicht 72, sondern 86 oder 84 Stunden; das will ich einmal offenlassen, das kann niemand prophezeien, das käme auf die Praxis an — sind erfüllt.
    Sie wissen, wie viele hunderttausend Menschen — teilweise kurz, teilweise länger — jedes Jahr als Reservisten von Übungen betroffen sind. Unser Reservistenpotential ist ein wichtiger Teil unseres Beitrags zur gemeinsamen Abschreckung. Ich weiß, daß dieser Beitrag ernst genommen wird, nicht nur im Westen, auch im Osten. Ich habe mich darüber lange — d. h., ich war gar nicht allein, wir waren zu mehreren: Herr Genscher, unser Botschafter und ich — mit den Marschällen Ustinow und Oggarokw unterhalten. Das wird ernst genommen. Ich wünschte mir, auch Sie nähmen es ernst, Herr Wörner.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Natürlich kann dieses Reservistenpotential die spezifische friedensmäßige Rolle präsenter Kräfte nicht ersetzen. Das ist wahr. Ich registriere in dem
    Zusammenhang, was die präsenten Kräfte angeht,
    mit Genugtuung, daß inzwischen auch Herr Wörner
    — ich sage das nicht als Spitze, sondern mit Genugtuung — die Auffassung der Bundesregierung teilt
    — und ich nehme an, inzwischen auch Herr Dregger —, daß ein deutscher militärischer Beitrag im Persischen Golf nicht möglich ist.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist nie gesagt worden!)

    — Wir hatten das früher ganz anders gehört, Herr Kohl.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Nein, das haben Sie nicht! Sie wollten das hören! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    -- Wir hatten es ganz anders gehört.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie wollen deutsche Männer an den Golf schicken!)

    Aber das, was Herr Wörner vorgestern verlangte, ist doch nun längst geschehen; nämlich wir haben gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika die Bereitschaft zu einer Arbeitsteilung innerhalb der Allianz erklärt. Das ist auch öffentlich geschehen. Das gilt sicherlich nicht nur für uns Deutsche, sondern für alle Partner innerhalb der Allianz.
    Was nun unsere wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, von denen bei der Opposition am Mittwoch die Rede war, in diesen Raum hinein angeht: Wir haben sie lange vor dieser Aufforderung und vor Afghanistan gestärkt und intensiviert. Wir stehen bilateral in einem ständigen politischen und wirtschaftlichen Austausch mit den Golf-Anliegerstaaten. Mit einem der wichtigsten, nämlich mit Saudi-Arabien pflegen wir intensivste — auch persönliche — Kontakte, und das doch nicht erst seit einem Jahr, Herr Wörner. Zählen Sie einmal die Besuche und Gegenbesuche auf, die da stattgefunden haben. Wir.
    — ich muß genauer sagen: Herr Genscher — haben dafür gesorgt, daß sich die Europäische Gemeinschaft aktiv damit befaßt, Kooperationsabkommen mit den arabischen Golf-Anrainern ins Werk zu setzen. Wir haben den Bündnispartner Türkei — das ist ja ein Schlüsselland für die Stabilität jener Weltregion — durch einen enormen Beitrag im Rahmen einer multilateralen Aktion gestärkt. Einer der Ihren, Herr Kiep, hat aus gemeinsamem Grundverständnis Wesentliches dazu beigetragen. Da können Sie doch nicht so tun, wie Sie das vorgestern getan haben, als hätten Sie das alles erfunden und als sei das eine ganz neuartige Forderung im Deutschen Bundestag, die die Bundesregierung bisher leider nicht beherzigt hätte. Das können Sie doch nun wirklich so nicht vortragen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir haben unsere Hilfe für Pakistan auf einen enormen Betrag gesteigert. Vergleichen Sie es einmal mit der Hilfe irgendeines anderen Staates in der Welt; das gilt auch für die Türkei-Hilfe. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten im Wege der Arbeitsteilung Gewaltiges für die Stabilisierung jenes Teiles der Welt getan.
    Schließlich müssen die Wiederbelebung des europäisch-arabischen Dialogs und dessen Erweiterung
    Deutscher Bundestag --- 9. Wahlperiode 8. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1980 223
    Bundeskanzler Schmidt
    auf politische Themen genannt werden, die wir betreiben. Gemeinsam mit unseren EG-Partnern tragen wir wichtigen übergreifenden Aspekten des Konflikts im Golf Rechnung.
    Herr Kohl hat sich beklagt — ich bin immer noch beim Verhältnis zu Amerika —, wir würden da nicht genug tun, wie es auch Herr Wörner behauptete, und ich hätte nicht einmal dem Präsidenten Carter gedankt. Da waren Sie schlecht informiert, Herr Kohl. Ich habe das vor dem Weißen Haus in die Kameras aller amerikanischen -

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das habe ich auch gar nicht gesagt! Ich habe gesagt: hier in diesem Hause!)

    — Gut, sehr gern. Wenn Sie nur den Ort gemeint haben, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich das im amerikanischen Fernsehen, in alle amerikanischen networks und vor der ganzen amerikanischen Presse auch in Ihrem Namen, nämlich im Namen des deutschen Volkes, getan habe. Ich will hier heute morgen gern daran erinnern.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will Ihnen aber gern vorlesen, was ich dort gesagt habe. Es ist ein etwas längerer Text, aber immerhin — zur Beruhigung des Herr Wörner kommt darin vor, daß wir unsere Freundschaft unshakable, unerschütterlich, nennen. Weiter: Ich wünschte, daß auch heute — nämlich an dem Tage, an dem Präsident Carter und ich uns voneinander verabschiedeten — im Weißen Haus, das die amerikanische Kraft und die amerikanische Eleganz in sich vereinigt, zu wiederholen: sein Beitrag zur Festigung der Bindungen zwischen uns sei bedeutsam gewesen und bleibe bedeutsam. Der scheidende Präsident habe in der Politik seiner Regierung den atlantischen Beziehungen der USA von Anfang an eine hohe Priorität gegeben. Ich habe unterstrichen, daß er dabei geblieben sei, daß die deutsch-amerikanische Freundschaft natürlich ein ganz wichtiger Bestandteil dieser atlantischen Beziehungen sei, daß sich die beiden Nationen in der Vergangenheit gegenseitig vertraut hätten, daß sie es gegenwärtig täten, daß sie es auch in Zukunft tun würden und daß man, solange dies so bleibe, Herr Wörner, es nicht nötig habe, sein Vertrauen in die Zukunft aufzugeben usw. usf. — Ich habe eben ein bißchen holperig geredet, weil ich aus dem Englischen zurückübersetzen mußte.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Es könnte sonst jemand den Eindruck gehabt haben, ich hätte geklittert.
    Ich möchte auf ein paar Bemerkungen zurückkommen, die Herr Stoltenberg gemacht hat. Ich weiß, daß Herr Stoltenberg eines Trauerfalles wegen heute nicht hiersein kann. Er weiß aber andererseits auch, daß ich ihm sorgfältig zuhören wollte, was ich getan habe, und auf ihn antworten wollte. Herr Stoltenberg hat behauptet, die Bundesregierung habe in der letzten Legislaturperiode den Haushalt nicht konsolidiert. Hier muß nun einmal — auch von rein politischer Warte her — in Erinnerung gebracht werden, wie es wirklich war.
    Der Bund ist in seiner Ausgabengestaltung in den letzten zehn Jahren zurückhaltender gewesen als die Länder. Der Bund hat in den letzten zehn Jahren seine Ausgaben um 131 % gesteigert, die Länder aber um 146 %. Der Bund hat die Ausgaben um 131 % gesteigert, Schleswig-Holstein um 137 %, Niedersachsen um 162 %, Bayern um 156 %, um nur einige wichtige Länder zu nennen. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht auf andere mit Steinen werfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In Wirklichkeit sitzt er gar nicht im Glashaus, denn die ganzen Vorwürfe, dies alles sei falsch gewesen, gehen in die Irre. Dieses alles war schon richtig, denn es hat die Bundesrepublik Deutschland davor bewahrt, in solche Arbeitslosigkeitsziffern zu fallen, wie wir sie in unmittelbarer Nachbarschaft erleben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Notabene ist in diesen zehn Jahren, von denen ich spreche, auf Grund dieser Ausgabenpolitik — es waren j a zum großen Teil Investitionen — das Anlagevermögen des Staates gestiegen. Ich zitiere aus dem Statistischen Jahrbuch 1980: Unser Anlagevermögen ist um rund 550 Milliarden DM auf rund 900 Milliarden DM gestiegen. Das Geld ist ja nicht verpulvert. Mit dem Geld ist vielmehr gearbeitet worden, und Menschen haben dafür Lohn bekommen. Das Ergebnis der Arbeit waren Investitionen, angefan-gen bei Hochbauten bis hin zu Tiefbauten mit allem, was dazwischenliegt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Hier ist Volksvermögen geschaffen worden. Jemand, der jetzt den Kopf schüttelt, sollte in sein eigenes Bundesland schauen und feststellen, ob sein Land dabei mitgemacht hat. Und wenn j a, dann hat das Land richtig gehandelt, Herr Kollege.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kohl hat dazu am Mittwoch gemeint — ich zitiere ihn —: Wir alle haben die Zeche dieser verfehlten Politik zu bezahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

    Ich weiß nicht, ob Sie sich genau vorstellen können, wovon die Rede ist, wenn „die Zeche bezahlen" gesagt wird. Seit 1969 sind die realen Einkommen der aktiven Arbeitnehmer um ein Drittel, die Renten sogar um 45 % gestiegen. Es ist wahr: Wir haben das zum Teil in Form von Preissteigerungen bezahlt. Wir haben aber eben auch einen realen Wohlstand, Herr Kohl, wovon sich in den 60er Jahren kein Deutscher, kein Regierungsmitglied und kein Bundeskanzler etwas hätten träumen lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der eigentliche Wohlstand liegt nicht einmal in der absoluten Höhe dieser Reallöhne und Realrenten, sondern der eigentliche Wohlstand liegt in der Stabilität dieser Entwicklung, darin, daß man nicht Angst zu haben braucht, sie kippe morgen in sich zu-



    Bundeskanzler Schmidt
    sammen. Das ist der eigentliche Wohlstand unseres Volkes.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir haben, was die Preissteigerungen angeht, eine Dämpfung erreicht. Inzwischen haben wir, wie die OECD behauptet, in diesem Bereich sogar die Schweiz unterschritten. Wir haben die niedrigsten Arbeitslosenquoten in der Europäischen Gemeinschaft. Sie kommen doch in der Europäischen Volkspartei mit Ihren Freunden aus anderen Staaten, die dort regieren, zusammen, Herr Kohl. Ist es nicht so, daß Sie dauernd gefragt werden: Wie macht ihr Deutschen das eigentlich? Ist es nicht wahr, daß Sie das gefragt werden?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ich nehme Sie gern einmal mit, Herr Bundeskanzler!)

    — Ich bin viel in Europa unterwegs. Ist es nicht wahr, daß inzwischen sogar Ihre früheren Bundestagskollegen hier aus diesem Hause zur Erklärung des Sozialklimas gegenüber Christdemokraten aus Italien und anderen Ländern darauf hinweisen, daß das mit Betriebsverfassung, Mitbestimmung, mit der ganzen sozialen Sicherung in diesem Lande zusammenhängt?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Stoltenberg hat behauptet, der Bund habe sich in den letzten Jahren zu hoch verschuldet. Der Bund hat in den letzten zehn Jahren von 1970 bis 1979 Kreditaufnahmen mit einer Steigerung um 322 % getätigt. Es ist wahr, das ist viel Geld. Nun wollen wir die anderen auch einmal dagegen vergleichen: 322 % beim Bund, 460 % in Bayern, 442 % in Niedersachsen, 408 % in Baden-Württemberg, 371 % in Schleswig-Holstein und in Rheinland-Pfalz 353 %, immer noch weit über dem Bund. Was soll denn dann diese Polemik, die wir hier gehört haben!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Dadurch, daß eine Polemik im Gewande sachlicher Darlegungen und zurückhaltenden Tones vorgetragen wird, kann sie noch nicht zur Wahrheit werden. Es tut mir leid, daß Herr Stoltenberg das nicht selber hören kann.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das gilt aber auch für die Antwort!)

    Ich freue mich allerdings, daß sich Herr Stoltenberg ein Argument nicht zu eigen gemacht hat, das wir von anderen dauernd gehört haben, nämlich das Argument, mit dieser Kreditaufnahme würden künftige Generationen unzulässig belastet werden. Das habe ich Gott sei Dank von Herrn Stoltenberg nicht gehört, auch nicht den Unfug, als ob deswegen morgen eine Währungsreform bevorstehe. Diesen ganzen Quatsch haben wir Gott sei Dank nicht mehr gehört.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU)

    — Ja, ich spreche nicht nur von Herrn Stoltenberg,
    ich spreche auch von anderen, die das geredet haben
    und jetzt schweigen; ich bin für dieses Schweigen dankbar.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Herr Stoltenberg hat sich einen Trick erlaubt. Er hat gemeint, bei der Errechnung der Bundeshilfen, die in der Regierungserklärung vorkamen, hätten wir Geldleistungsgesetze einbezogen. Das ist unzutreffend, muß ich ihm sagen. Herr Matthöfer ist ja schon darauf eingegangen. Das ist unzutreffend und möge bitte in Kiel nachgerechnet werden.
    Wichtiger ist dann, daß Herr Stoltenberg vor einem abrupten Kurswechsel in der Haushaltspolitik warnt. Er hat zwar keine eigenen Vorschläge für die von ihm geforderten Konsolidierungsbemühungen gemacht; das nicht. Das ist auch bei Herrn Kohl in der ganzen Rede nicht der Fall. Die Regierung wird kritisiert. Die alternative, andere Politik fehlt. Das wird man konstatieren dürfen.
    Dem Herrn Stoltenberg erscheinen die Einsparungen auf kurze Sicht zu hoch, aber auf lange Sicht unzureichend, wenn ich ihn richtig verstanden habe.
    Dann sprach er von Schnellbremsung. Wir haben keine Schnellbremsung vor, sondern was wir mit dem Haushalt tun, den wir Ihnen im Januar vorlegen werden, ist, der Empfehlung zu entsprechen, die der Finanzplanungsrat im Juni — am 4. Juni, glaube ich — letzten Sommers einstimmig gegeben hat. Da hat ja auch Schleswig-Holstein mitgestimmt. Vielleicht halten sich die Länder auch alle daran, dann werden wir ihnen jedenfalls nicht den Vorwurf einer Schnellbremsung machen.
    Die einzige Ausnahme, die Herr Stoltenberg gemacht hat, als er öffentlich hörbar darüber nachdachte, was denn vielleicht noch zusätzlich geschehen könnte, war sein Nachdenken über Variationen bei der Beamtenbesoldung. Ich bin gerne bereit, in Überlegungen darüber einzutreten, wenn von der Länderseite dieser Vorschlag ernsthaft ins Spiel gebracht und nicht nur hier seiner Publikumswirkung wegen vorgetragen wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen muß sich Herr Stoltenberg sagen lassen, daß der Bundeshaushalt 1981 den Einstieg in eine mittelfristig angelegte Konsolidierung bilden wird. Ein Teil der Sparbeschlüsse kann sich schon aus zeitlichen, aus technischen Gründen 1981 gar nicht auswirken und wird erst später zum Tragen kommen. Aber das Festhalten an der vom Finanzplanungsrat, von Ländern und Bund festgelegten Größe des Nettokredits 1981 auf der Vorjahreshöhe wird nun angesichts der konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen und der ungeschmälerten Verwirklichung des Steuer- und Familienpakets schon ein Erfolg sein; eine relative Minderung der Kreditaufnahme ist aber doch keine Schnellbremsung.
    Herr Stoltenberg hat gemeint, der Bundestag sei allein verantwortlich für ausgabenwirksame Gesetze. Tatsache ist die verfassungsmäßig gegebene, unausweichliche Regel, daß kaum ein ausgabenwirksames Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen werden kann. Hier handelte es sich bei dem-



    Bundeskanzler Schmidt
    jenigen, der für die CDU-Länder im Bundesrat in eindrucksvoller Weise gestern das Wort ergriff, um Berufung auf eine doppelte politische Moral. Sich berufen auf eigene politische Verantwortung, wo es der Bundesratsmehrheit um Veränderung politisch unerwünschter Gesetze geht, auch wenn sie mit Kosten gar nichts zu tun haben, aber sich verstecken hinter der Verantwortung dieses Hauses, des Bundestages, wo es um allseits erwünschte, aber kostenwirksame Gesetze geht, so kann man das nicht machen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Ministerpräsident hat an meiner Kritik der Tendenz Anstoß genommen, daß der Bundesrat sich als ein Ersatz, als ein Substitut für fehlende Bundestagsmehrheiten verstehe. Aber ich muß bei dieser Aussage bleiben. Der Bundesrat ist kein parlamentarisches Organ wie der amerikanische Senat. Das ist er nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Grundgesetz sagt im Art. 50: Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit. Das ist die grundlegende Bestimmung für den Bundesrat. Soweit dann das Grundgesetz Zustimmungsrechte einräumt, dienen diese Zustimmungsrechte der Wahrung länderspezifischer Interessen, z. B. bei Verwaltungsorganisation oder Verwaltungsverfahren, z. B. im finanziellen Bereich. Das Grundgesetz hat den Bundesrat nicht als politische Gegenmacht gegenüber dem Parlament konzipiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich denke nicht, daß jemand — wie Herr Stoltenberg gesagt hat — seine politische Überzeugung an der Garderobe des Bundesrates abgeben soll. Das denke ich nicht. Aber politische Überzeugungen sind nicht in jedem Falle eine ausreichende verfassungspolitische Legitimation für Abstimmungen im Bundesrat.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Stoltenberg hat am Schluß seiner Rede vom Abbau investitionshemmender Vorschriften gesprochen und gemeint, das wäre doch nun eine große Sache gewesen, wenn die Regierung da endlich auf die Berichte der Landesregierungen hin etwas veranlaßt hätte. Wollen wir das mal genau untersuchen! Es war sehr publikumswirksam, und es war nicht sehr fair. Denn diese Berichte gehen auf einen gemeinsamen Beschluß zurück, den Länder und Bund vor mehr als drei Jahren gefaßt haben. Jetzt, vor wenigen Tagen, haben die Länder die Berichte geschickt. Da verlangt er mit Stentorstimme und staatsmännischem Auftreten, das wäre doch nun eine Sache gewesen, wenn wir auf Grund dieser Berichte einen großen Abbau der Bürokratie ins Werk gesetzt hätten. Ich bin sicher, in dem Bericht ist eine ganze Menge Erwägenswertes. In den letzten Tagen haben wir schon einmal hineingeguckt. Ein bißchen fragwürdig ist die Sache, wenn darin steht, daß den Regierungschefs der Länder zum Abbau von Investitionshemmnissen im eigenen Bereich — bei den Landesregierungen — nichts eingefallen ist, bei den
    Gemeinden auch nichts eingefallen ist, nur bei der Bundesregierung.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es j a auch noch Landesregierungen. Es gibt auch noch Regierungspräsidenten. Und wenn ich unsere Oberbürgermeister richtig verstehe, schimpfen die mehr über die Regierungspräsidenten als über die Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber die Bundesregierung und ihre Verwaltung ist weiß Gott hier der Kritik nicht nur zugänglich, sondern sie bedarf dringend, wie auch ich überzeugt bin, der Kritik an überflüssigen bürokratischen Vorschriften.
    Aber wenn man dann unter der Überschrift „Subventionswesen" als Vereinfachung liest, daß die Länder die Erhöhung der Subventionszulage von 7,5% auf 10 % vorschlagen, dann ist das keine Verwaltungsvereinfachung, sondern das ist nichts weiter als die Erhöhung einer Subvention. Das ist keine Verwaltungsvereinfachung.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann kann man nicht in derselben Rede diesen Bericht preisen und in derselben Rede sagen, es solle mehr gespart werden.
    Ferner lese ich als Vereinfachungsvorschlag, daß im Steuerrecht die Schuldzinsen wieder abzugsfähig gemacht werden sollen. Das ist vielleicht eine Vereinfachung für den, der das aufrechnen muß, aber gleichzeitig wäre es eine fabelhafte Wohltat für den, der in Zukunft weniger Steuern zu zahlen braucht.

    (Beifall bei der SPD)

    Oder wenn ich unter dem Stichwort Städtebauförderungsgesetz lese, daß ganz allgemein ein Abbau der Mischfinanzierungstatbestände verlangt wird, und anderes, was ich richtig finde, dann kann Herr Stoltenberg nicht gleichzeitig, gestern oder vorgestern, gegen gewisse Entflechtungen polemisieren, die wir vorhaben, um Mischfinanzierungen und Mischverantwortungen abzubauen.
    Andere Dinge hat die Bundesregierung von sich aus zur Vereinfachung ins Werk gesetzt. Ich erinnere an die Beschleunigungsnovelle zum Städtebauförderungsgesetz. Die ist nun schon zwei Jahre früher in Kraft getreten. Das muß Herrn Stoltenberg eigentlich auch bekannt gewesen sein.
    Auch was er über DESY und Grundlagenforschung gesagt hat, hat mich sehr erstaunt. DESY ist dieses große Zyklotron/Synchroton, in Hamburg, wo die Elektronen immer im Kreise rumsausen. Ich habe mir das einmal angeguckt.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Bundeskanzler, dann hat er doch wenigstens was erreicht, wenn Sie erstaunt sind! Das ist doch ungewöhnlich!)

    — Ich war erstaunt, weil er doch eigentlich ein seriöser Mann ist, der genau Bescheid weiß. Dieses Synchroton wird jedes Jahr 14 Tage abgeschaltet, nicht

    Bundeskanzler Schmidt
    nur 1980. Dieses Jahr geschieht das ein bißchen früher. Dadurch spart man ein paar, ich glaube, 8 oder 10 Millionen DM, wenn man es in einem Jahr etwas länger abschaltet. Es muß jedes Jahr abgeschaltet werden. Das hätte Herr Stoltenberg auch wissen müssen. Das muß nämlich auch jedes Jahr überholt werden. Es wird Anfang 1981 wieder in Betrieb genommen. Ich war ganz erstaunt. Ich dachte, da ist wirklich etwas Schlimmes im Gange, was Stoltenberg herausgefunden hat. Das war gar nichts Schlimmes. Er hat es bloß schlimm dargestellt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Oder diese schnapslangen Tränen über die Grundlagenforschung, die zugrunde gehe: 1980 sind im Bundesministerium für Forschung und Technologie für Grundlagenforschung 1,74 Milliarden DM ausgegeben worden. 1981 werden es etwas über 1,8 Milliarden DM sein — voraussichtlich, je nach dem, wie das Bundeskabinett und wie der Bundestag den Haushalt beschließen werden. Beide Male sind das rund 30 % des Haushaltes des Ministeriums für Forschung und Technologie. Im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft waren es im Jahre 1979 rund 420 Millionen DM, 1980 450 Millionen DM, und 1981 werden es wahrscheinlich 475 Millionen DM sein, die für Grundlagenforschung ausgegeben werden. Und da redet der Ministerpräsident von einem erschreckenden Rückgang bei der Grundlagenforschung. Hört sich wirklich erschreckend an, nur stimmt es nicht, wie vieles nicht stimmt, was er vorgetragen hat. Da kann keine Rede von sein. Ganz abgesehen davon trägt nicht der Bund allein die Finanzverantwortung für Grundlagenforschung, keineswegs.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe Herrn Stoltenbergs Rede sorgfältig behandeln müssen, weil sie beim Publikum des sachlichen Tones wegen Eindruck gemacht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen war es notwendig, zu zeigen, was alles daran sachlich falsch war.
    Ich habe nach dem Beifall das Gefühl: Sie scheinen der Philosophie zu huldigen, es sei bloß der Ton, der die Musik mache. Nein, der Inhalt der Musik muß auch geprüft werden, Herr Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP) Das gilt auch für Ihre Musik.

    Aber ich will ausdrücklich begrüßen — und richte mich an den etwas dünn besetzten Bundesrat —

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP — Dr. Wörner [CDU/CSU]: Aber seien Sie doch wenigstens Kavalier! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Wörner, Sie werden doch zugeben — —


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sie meinen, zahlenmäßig dünn besetzt, Herr Bundeskanzler?

(Heiterkeit)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Präsident.