Rede:
ID0900608500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Pieroth.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/6 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Italien 45 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Berger (Berlin) und Ronneburger 45 B Erweiterung der Tagesordnung 45 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl CDU/CSU 45 B Brandt SPD 57 C Hoppe FDP 68 C Dr. Zimmermann CDU/CSU 75 C Genscher, Bundesminister AA 83 B Bahr SPD 91 D Dr. Wörner CDU/CSU 97 C Dr. Ehmke SPD 105D Möllemann FDP 108 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 114C Dr. Holtz SPD 120 B Pieroth CDU/CSU 122 D Dr. Vohrer FDP 124C Präsident Stücklen 91 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 9/10 — 75A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 9/11 — 75 B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 9/16 — 75B Nächste Sitzung 126 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 127* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 45 6. Sitzung Bonn, den 26. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28. 11. Picard 28. 11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. Dr. Vohrer * 26. 11. Frau Dr. Wisniewski 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Uwe Holtz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bundesverteidigungsminister Hans Apel hat gerade darauf hingewiesen, daß in der Frage der Sicherheits- und Friedenspolitik auch die Südpolitik, die Entwicklungspolitik, eine große Rolle spielt. In der Tat, Entwicklung trägt zur Freiheit von Not und Zwang bei und hilft, Spannungen und Konfliktpotentiale abzubauen; sie hilft, das Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd, zwischen den Entwicklungsländern und auch innerhalb der Entwicklungsländer zu verringern.
    Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung die Arbeit der Soldaten und der Zivildienstleistenden zu Recht gewürdigt. Ich möchte hinzufügen, auch die Entwicklungshelfer, die an Stelle des Wehrdienstes ihren Dienst für mindestens zwei Jahre in der Dritten Welt machen, leisten eine wertvolle Arbeit. Sie leisten einen Friedensdienst.

    (Beifall der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Für die Erneuerung und Bekräftigung des Engagements der Bundesregierung in der Dritten Welt, die der Bundeskanzler in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, möchte ich der Bundesregierung nachdrücklich danken. Wir alle wissen: Streichen bei finanzpolitisch schwierigen Verhältnissen allein bedeutet noch keine Wirtschafts- oder Finanzpolitik. Die notwendigen Einsparungen müssen nicht nur sozial ausgeglichen sein, es müssen auch die langfristig richtigen Prioritäten gesetzt werden. Die Regierungserklärung setzt eine richtige Priorität. Sie bietet eine wichtige Perspektive für die 80er Jahre, eine wichtige Perspektive auch für die Jugend, wenn sie dem Nord-Süd-Dialog eine starke Bedeutung zumißt.
    Trotz wachsendem Zahlungsbilanzdefizit ist die Bundesregierung willens, die Entwicklungshilfe überproportional zu steigern. Hier haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ein Beispiel auch für die menschliche Dimension der sozialliberalen Politik. Ich bin dankbar, daß Ihre Sprecher deutlich gemacht haben, daß Sie die überproportionalen Steigerungsraten mittragen werden.
    Entwicklungspolitik ist also keine Schönwetterveranstaltung, die man bei Turbulenzen einfach abblasen kann. Deshalb gilt es, diese besonders klaren Aussagen in der Regierungserklärung nochmals festzuhalten. Die Jugend hat vorwiegend SPD und FDP gewählt, weil sie die Politik der Rechten — Sie, Herr Minister sagten: der Selbstgerechten — ablehnt, auch, wie ich glaube, die Südpolitik der Rechten, wie sie in den vergangenen Jahren betrieben wurde.
    Wie viele junge Menschen wende ich mich dagegen, daß die Länder der Dritten Welt zu Bauern auf dem Schachbrett der Ost-West-Auseinandersetzungen gemacht werden. Herr Wörner, ich meine, es ist zu kurzsichtig, dies etwa nur auf die Sowjetunion zu schieben. Wir wissen, daß viele Ihrer Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode gerade das NordSüd-Feld als ein Feld der Auseinandersetzung betrachtet haben, auf dem es gilt, den Ost-West-Streit auszufechten. Ich hoffe, daß dies jetzt beendet ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich bin dagegen, daß den Ländern der Dritten Welt
    ordnungspolitische Vorstellungen übergestülpt wer-



    Dr. Holtz
    den. Ich bin auch darüber entsetzt gewesen, daß rechtskonservative Politiker mit, ich sage nur, „seltsamen" Regimen verkehrt haben, ja, diese sogar hoffiert haben.
    Sich eindeutig davon unterscheidend, hat der Herr Bundeskanzler die Haltung der Bundesregierung dargestellt. Ich möchte gerne die Opposition fragen, ob sie bereit ist, diese Ziele mitzutragen. Die Bundesregierung will nämlich nicht neue Abhängigkeiten für die Länder der Dritten Welt, sondern sie fördert deren wirtschaftliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit. Die Bundesregierung sucht eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern auf der Grundlage der Gleichberechtigung und wendet sich gegen jedes Vormachtstreben. Sie lehnt die Rassenpolitik in der Südafrikanischen Republik ab. Ich würde dem Herrn Kollegen Zimmermann gerne sagen: Dies ist keine Bevormundung , wie er heute meinte, sondern klarer Ausdruck einer Regierung, die auf Grund der Geschichte des eigenen Volkes weiß, wie verhängnisvoll sich Rassismus über die eigenen Grenzen hinaus auswirkt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bundesregierung sucht den Dialog mit allen politischen Kräften im Süden des afrikanischen Kontinents einschließlich der Befreiungsbewegungen, und sie will ihre Bemühungen energisch fortsetzen, Namibia in eine international anerkannte Unabhängigkeit zu führen. Mit diesen Zielen können sich viele, besonders entwicklungspolitisch und auch christlich engagierte Menschen, Gruppen und Organisationen identifizieren. Wir bitten sie alle um Kritik, Ermunterung und Unterstützung bei dieser Arbeit.
    Die Regierungserklärung hatte vier tragende Säulen der Außenpolitik genannt. Die Nord-Süd-Politik zählt in der Tat in den 80er Jahren zu den wichtigen Aufgaben. Der Bericht der Nord-Süd-Kommission, der sogenannte Brandt-Bericht, nennt sie „die Herausforderung unserer Zeit". Für uns Sozialdemokraten ist dieser Nord-Süd-Bericht ein wichtiger Kompaß für die Politik in den nächsten Jahren.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch deshalb ist es wichtig, diese Herausforderung zu bestehen, weil das in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse liegt. Weltweite Lösung der Energieprobleme heißt sichere Energieversorgung für uns. Gute Rohstoffexporterlöse für die Entwicklungsländer tragen zu einer sicheren Rohstoffversorgung für uns bei. Umweltschutz ist oft nur weltweit realisierbar. Entwicklung im Süden bedeutet mehr Arbeitsplätze bei uns. Wirtschaftlich starke Entwicklungsländer sind starke Handelspartner.
    Kaum ein Staat in der westlichen Welt — schreibt Klaus Natorp in der FAZ —
    ist so sehr auf kontinuierliche Rohstoffeinfuhren und einen florierenden Welthandel angewiesen wie der westdeutsche. Daher ist ein gutes Verhältnis zu möglichst vielen Staaten der Dritten Welt lebenswichtig für die Bundesrepublik. Das kostet seinen Preis.
    Also: Die Unterstützung der Dritten Welt ist nicht nur eine Frage der Moral, sie ist auch eine Frage der Vernunft. Es liegt im deutschen Interesse, wenn der Nord-Süd-Dialog erfolgreich zu Ende geführt wird. Er ist ins Stocken geraten.
    Noch kürzlich ist wiederum eine Chance verpaßt worden: bei der letzten Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir begrüßen deshalb ganz besonders, daß der Bundeskanzler angekündigt hat, er wolle an dem für Juni 1980 in Mexiko vorgesehenen Gipfelgespräch von Regierungschefs über Nord-Süd-Fragen aktiv teilnehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir hoffen, daß die Bundesregierung an ihrer Seite auch die USA haben wird, aber ebenso, daß die Sowjetunion und daß die Volksrepublik China neben anderen Staaten an dem Gipfel teilnehmen werden.
    Richtig ist: alle Staaten müssen ihre Anstrengungen verstärken, die westlichen Industriestaaten, die östlichen Industriestaaten, die viel zuwenig tun, und die OPEC-Staaten. Aber nicht ganz bekannt ist, daß die OPEC-Länder — proportional gesehen zum Bruttosozialprodukt — mehr Entwicklungshilfe als die westlichen Industriestaaten im Durchschnitt geben. Ich meine dennoch, daß sie eine besondere Verantwortung gegenüber ihren Solidaritätspartnern haben.
    Ich hoffe, daß die Hinhaltetaktik, die des öfteren im Nord-Süd-Dialog zu spüren war, der Vergangenheit angehört. Durch Hinhalten erreichen wir nur mit Sicherheit eines: Der Preis, den wir für einen friedlichen Ausgleich mit der Dritten Welt eines Tages zwangsläufig werden entrichten müssen, wird von uns selbst in die Höhe geschraubt. Er verlagert sich zudem mehr und mehr auf Qualitäten, die für uns existenzbedrohend sein können. Eine solche Haltung ist darüber hinaus ökonomisch kurzsichtig und schädlich. Im Ergebnis haben die Industrieländer für ihre mangelnde Leistungsbereitschaft und den fehlenden politischen Verständigungswillen in der Vergangenheit bezahlt, nämlich mit einer Reduzierung künftiger Entwicklungschancen ihrer eigenen Wirtschaft.
    Deshalb betone ich nochmals: ich finde es sehr gut, daß die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe weiter steigern wird. Wir werden nicht morgen das 0,7 %-Ziel erreichen können. Aber es gilt zu sehen, daß viele andere westliche Länder ihren Entwicklungsetat zurückfahren, während wir ihn überproportional steigern.
    Es kommt jetzt darauf an — da kann Bundesminister Offergeld auf unsere Unterstützung zählen —, Prioritäten auch bei der Entwicklungspolitik zu setzen, die Qualität der Entwicklungshilfe weiter zu verbessern und sich auf Schwerpunkte wie etwa die ländliche Entwicklung, Energie und Schutz der natürlichen Ressourcen zu konzentrieren. Dazu gehört aber auch die Unterstützung demokratischer Entwicklungen in der Dritten Welt, wie sie sich z. B. in Lateinamerika abzeichnen.



    Dr. Holtz
    Wir stimmen voll mit den entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung vom Juli 1980 überein, in denen es heißt: Die Bundesregierung unterstützt Regierungen, die sich die Verwirklichung des sozialen Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte zum Ziel gesetzt haben.
    Wir begrüßen die Demokratisierungsprozesse in Afrika, etwa in Ghana und Nigeria. Wir fordern Hilfe für Mozambique; ich hoffe, daß die Berlin-Klausel da nicht weiter ein Hindernis sein wird. Die Befreiungsbewegungen in Südafrika wie etwa den ANC und in Namibia — dort die SWAPO — erkennen wir als wichtige Sprecher ihrer Völker an. In der Westsahara sehen wir die Frente Polisario als politische Vertretung zur Verwirklichung der Selbstbestimmung des sahaurischen Volkes an, energisch sollte die Bundesregierung den Namibia-Plan vorantreiben.
    Wir beklagen die Rückfälle in die Diktatur und sind entsetzt über die Zustände in vielen Staaten und über den Mangel an Bereitschaft und/oder Möglichkeiten, der Demokratie wieder Geltung zu verschaffen. Wir beklagen die Besetzung Afghanistans und das Flüchtlingselend in südostasiatischen Staaten, dessen Hauptursache Menschenrechtsverletzungen sind, wir verurteilen das zur Demokratie unwillige Regime Südkoreas, und wir erwarten die baldige Rückkehr der Türkei zur Demokratie. Wir bedauern das Abgleiten von demokratischen Staaten in aller Welt. Ich verurteile besonders die jüngst begangenen Militärputsche, z. B. den in Guinea-Bissau. Er geht auch uns an, weil die regierende Partei, die PAIGC, sowohl auf den Kapverden als auch in Guinea-Bissau bislang eine blockfreie Politik verfolgt hat. Ich fände es sehr gut, wenn das Auswärtige Amt sicherstellen könnte, daß wir in solchen Staaten, mit denen wir Beziehungen haben, zumindest eine Vertretung haben — vielleicht nicht eine volle diplomatische Vertretung, daß wir aber wenigstens anwesend sind. Die anderen sind „vor Ort".
    Wir warnen vor den Forderungen nach Auflockerung unserer Haltung gegenüber Chile. Chile ist immer noch eine blutige Diktatur, und die Politik der Junta ist immer noch entwicklungsfeindlich und gegen die breiten Massen gerichtet. Deshalb würde ihnen auch Entwicklungshilfe nicht helfen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In El Salvador erleben wir den grausamen Versuch einer verhaßten Junta, deren Helfer vor nichts zurückschrecken, sich an der Macht zu halten. Wir appellieren an alle, nicht zugunsten dieser Junta zu intervenieren — ein Mitglied dieses Hauses hat das getan —, sondern den Demokraten zu helfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir verurteilen den blutigen Putsch in Bolivien und bezeugen unsere Wertschätzung der tapferen und von hoher demokratischer Reife zeugenden Haltung vieler Bolivianer im eigenen Land und im Ausland, auch dem Generalkonsul in Hamburg.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Die geltende Weltwirtschaftsordnung kennt noch keine gleichberechtigten Partner. Die Weltwirtschaftsordnung bedarf also tiefgreifender Korrekturen. Der Prozeß der Unterentwicklung muß in vielen Bereichen gestoppt werden. Das sind auch die Länder der Dritten Welt selbst aufgerufen. Sie müssen ihre eigenen Anstrengungen verstärken, sie müssen zu Reformen — etwa im Agrarbereich — fähig sein.
    Unter dem Mantel des Neoliberalismus macht sich in der Dritten Welt ein wirtschaftspolitischer Konservatismus breit. Selten gibt es für Wirtschaftswissenschaftler Gelegenheit zum Ausprobieren ihrer Theorien. Milton Friedman und seine Schüler erhielten diese Gelegenheit in Chile und auch in Großbritannien. Selten gab es eine solche Klarheit über die negativen Folgen für das Volk.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wirksame Partnerschaft ist auf die Zustimmung und Mitarbeit breiter Bevölkerungsschichten in den Industrieländern und auch in den Entwicklungsländern angewiesen. Die Bundesregierung bemüht sich darum, in der Bundesrepublik Deutschland das Verständnis für die Ursachen der Unterentwicklung, für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage in den Entwicklungsländern und für die Notwendigkeit erhöhter Leistungen zu vertiefen.
    Wir wenden uns, wie dies auch im Vorwort zum Brandt-Bericht zum Ausdruck kommt, insbesondere an die Jugend, an die Schulen, an die Einrichtungen der Erwachsenenbildung, an die Mitglieder von Parteien, kirchlichen Organisationen und Gewerkschaften und bitten sie, sich für eine stärkere Berücksichtigung der Nord-Süd-Probleme in ihrer Arbeit einzusetzen. Die Erziehung zum Frieden — in der Debatte über die Bundeswehr war von Curricula in den Schulen die Rede —, zur Gerechtigkeit, zur Solidarität muß ein Schwerpunkt der schulischen und außerschulischen Bildung werden, weil auf dem gerade geschilderten Felde moralisches, wertorientiertes Handeln gefordert ist.
    Lassen Sie uns gemeinsam dabei wetteifern, die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern noch besser und erfolgreicher zu gestalten!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Elmar Pieroth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß es so unerwartet heute abend noch zu einer entwicklungspolitischen Debatte gekommen ist. Das zeigt möglicherweise einen wachsenden Stellenwert der Entwicklungspolitik. Es gibt auf jeden Fall eine Gelegenheit, einige Klarstellungen zu treffen und auch Fragen für die große entwicklungspolitische Debatte im Januar anzumelden.
    Die erste Frage stellt sich, weil Herr Kollege Holtz, der Bundeskanzler, der Parteivorsitzende der SPD, weil sie alle so die überproportionale Steigerung des Einzelplans 23 angeführt haben, der doppelt so stark steigen soll wie der Gesamthaushalt.



    Pieroth
    Wenn das echt ist, dann begrüßen wir das. Aber die Opposition und die Öffentlichkeit haben häufig schlechte Erfahrungen mit angekündigten Steigerungsraten in der Entwicklungshilfe machen müssen. Da wurden Verlagerungen aus den anderen Einzelplänen in den Einzelplan 23 vorgenommen, um für diesen dann einen höheren Prozentsatz der Steigerung ausweisen zu können. Da wurde vor der Wahl die baldige Verwirklichung des Ziels von 0,7 in die Programme von SPD und FDP geschrieben. Der Finanzminister hat Ihnen etwas anderes gesagt, noch vor der Wahl. Trotzdem wurde der Wahlkampf so geführt.
    Jetzt hören wir etwas von diesen rund 540 Millionen DM, um die gesteigert werden soll. In der Tat: Bei rund 5 Milliarden DM im Einzelplan wären das 10,3 %. Das wäre etwa doppelt soviel, wie der Gesamthaushalt gesteigert wird. Rechnen wir die 540 Millionen DM auf rund 6 Milliarden DM Entwicklungshilfeleistungen insgesamt, dann sind es nur noch 9 %.
    Aber, meine Damen und Herren und Kollege Holtz, wie halten wir es denn mit dem Nachtragshaushalt in diesem Jahr, mit diesen 239 Millionen DM für die Türkei? Die müssen wir doch in diesem Jahr einrechnen. Wenn wir sie aber einrechnen, dann beträgt die Steigerung für das nächste Jahr nicht mehr 540 Millionen, sondern nur noch runde 300 Millionen DM. Bezieht man diese Summe auf rund 6 Milliarden DM bisherige Entwicklungshilfeleistungen, sind das 5 % Steigerung. Wenn ich einigermaßen richtig rechnen konnte, wären also die von Ihnen groß angekündigten 10 % im wahrsten Sinne des Wortes eine „getürkte" Zahl, und das soll doch wohl nicht sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die 5 % entsprächen dann nur noch der durchschnittlichen Steigerungsrate des Gesamthaushalts.
    Diese 5 % — jetzt geht es an das Eingemachte — sind aber nur eine nominale Steigerung. Ziehe ich die Inflationsrate davon ab, die ja auch 5 % beträgt, dann bleibt real keine Steigerung übrig. Dabei habe ich den tendenziell gesunkenen Wechselkurs der D-Mark, den wir dem Ausland gegenüber berücksichtigen müssen, noch gar nicht in Ansatz gebracht.
    Helfen Sie, im Januar das mögliche Mißverständnis — ich hoffe immer noch, daß es ein solches ist — aufzuklären, sonst ergäbe diese Rechnung ein Ergebnis, das real keine Steigerung ermöglicht, sondern real weniger als bisher für die Entwicklungshilfe bringt.
    Der Union geht es um eine reale Steigerung der Entwicklungshilfe. Daß Sie dem entsprechen, müssen Sie im Januar beweisen, um die Bevölkerung nicht zu enttäuschen; denn sie hilft gern: Ob es die unglücklichen Vietnamesen auf hoher See waren, die Kambodschaner, die Menschen in Somalia und Uganda, ob es die gewaltigen kirchlichen Hilfsprojekte sind — immer dann helfen unsere Mitbürger, wenn sie sich darauf verlassen können, daß die Hilfe für konkrete Aufgaben sinnvoll verwandt wird.
    Wenn nur die Politik der Regierung vor Ort glaubwürdiger wäre, könnten wir die großen Überzeugungsprobleme in der Entwicklungspolitik leichter meistern. Deshalb muß es uns in den nächsten Jahren um viel, viel mehr Glaubwürdigkeit gehen. Glaubwürdiger werden wir, wenn der Herr Bundeskanzler endlich aus seinem bisherigen Desinteresse gegenüber der Entwicklungspolitik heraustritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieses Desinteresse hat ja der frühere Staatssekretär Kollatz vor kurzem deutlich kritisiert. Das ist auch vorgestern in der Regierungserklärung nicht anders geworden.
    Was hat der Herr Bundeskanzler gebracht? Das reicht nicht, den schlechten Eindruck der letzten Jahre wegzuwischen. Es reicht nicht, Probleme der Entwicklungsländer in allgemeiner Form zu beschreiben. Und es reicht nicht, zur Lösung dieser Probleme vornehmlich, fast ausschließlich, an andere zu appellieren: an den Gipfel, an den Osten — so richtig das in dem Fall war —, an die OPEC, an die Entwicklungsländer selbst. Was notwendig ist, sind handfeste Lehren aus der Vergangenheit, konkrete Handlungsanweisungen für die Gegenwart und wirkliche Perspektiven für die Zukunft. Der Bundeskanzler muß hier mehr leisten als bisher.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen: Geld reicht auch dann nicht, wenn es überhaupt dazu kommt, daß mehr Geld real eingeplant werden kann. Geld ist kein Alibi für persönliches Engagement — bei Weihnachtsgeschenken nicht und erst recht nicht in der Politik. Unsere Mitarbeiter draußen in den Entwicklungsländern und zu Hause in den Institutionen können erwarten, daß sich der Bundeskanzler mehr als bisher für Entwicklungshilfe engagiert, wo diese Mitarbeiter so aufopferungsvoll arbeiten. Ihnen allen danken wir, ob sie in die Entwicklungsländer anstatt des Wehrdienstes oder zusätzlich zum Wehrdienst gegangen sind. Diese Unterscheidung, Herr Kollege Holtz, möchten wir nicht machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Entwicklungshelfer werden gebraucht; sie werden in den nächsten Jahren noch mehr gebraucht. Das gilt auch für Bauern, die zeigen, wie man dort mehr aus dem Boden herausholt, und für Handwerker, die dort ihre Fähigkeiten vermitteln. Bei einer glaubwürdigen Entwicklungspolitik — davon bin ich überzeugt — können wir junge Menschen für diese große Aufgabe gewinnen. Diese Jugend findet es hier doch häufig langweilig, weil schon alles da ist, während es in den Entwicklungsländern so trostlos ist, weil dort noch alles fehlt. Wir müssen diese Jugend gewinnen. Nur mit ihr können wir Armut, Hunger und Elend in der Welt bekämpfen.
    Glaubwürdig wird die Politik aber auch nur dann, wenn sie die Hungernden erreicht, wenn die Steuerzahler nicht befürchten müssen, daß die Entwicklungshilfe in der Bürokratie und in den Großstädten hängen bleibt. Die Grundbedürfnisse der Armen müssen nicht nur in den Papieren der Regierungen,



    Pieroth
    sondern in der Wirklichkeit der Projekte Vorrang haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Alle Menschen in den Industrieländern und alle Parteien sind hier aus christlicher und menschlicher Verantwortung gleichermaßen gefordert.
    Diese Not der Armen läßt sich nicht nach Freunden und Feinden aufteilen. Herr Kollege Holtz, als Sie eben all die Rechtsregime aufgezählt und kein Linksregime genannt haben, hatte ich den Eindruck, daß Sie in der falschen Art aufteilen. Jeder Arme in der Welt ist unser Freund.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Glaubwürdig werden wir, wenn wir damit erst recht keinen Verzicht auf politische Ziele verbinden. Im Gegenteil: Wir müssen bei unserer Politik viel mehr auf die Verwirklichung der Menschenrechte achten. Wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, macht weder der bloße Antikommunismus ein Regime, noch das bloße Etikett „Befreiungsbewegung" eine Gruppe zu unserem zuverlässigen Partner im Kampf gegen sowjetisches Vormachtstreben in der Dritten Welt und in unserem Bemühen, Völker in ihrem Freiheitsdrang zu unterstützen. Kollege Holtz, ich betone „sowjetisches Vormachtstreben", weil Sie meinten, die westlichen Länder würden da heute auch nicht anders handeln. Welches westliche Land hat — wie Sie formulierten — in den letzten Jahren Entwicklungsländer zu „Bauern auf dem Schachbrett der Machtpolitik" gemacht? Sie haben so formuliert, das Land aber nicht genannt. Was denken denn unsere Landsleute in der DDR, wenn sie dies von Ihnen in der Übertragung so hören mußten und damit die dortige Propaganda nur bestätigt wird?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich kann Ihnen aber zustimmen, wenn Sie sagen, daß Entwicklungspolitik nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch der Vernunft ist. Das dürfen wir auch in unserem ureigensten wirtschaftlichen Interesse sagen. Langfristig können die Industrieländer nicht auf einer Insel des Wohlstands und der Freiheit überleben, wenn die übrige Welt in Armut und Elend versinkt.
    Unser Interesse am Frieden verlangt, daß die soziale Ungleichgewichtigkeit in den Entwicklungsländern und die Kluft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern verringert werden. Unser Wohlstand läßt sich auf Dauer nur erhalten, wenn wir kaufkräftige Handelspartner und Märkte auch in der Dritten Welt finden und dort unsere Rohstoffund Energieversorgung gesichert wird. Das erfordert eine liberale Handelspolitik. Verketzern Sie nicht so leicht Milton Friedman! Wir sehen in zwei Jahren, wie weit er dann in England gekommen sein wird.

    (Zurufe von der SPD)

    Das erfordert eine stärkere Förderung nichtstaatlicher Initiativen, wie die Privatinvestitionen, die Investitionen der Kirchen und gesellschaftlichen Gruppen. Wir müssen noch die Methode finden, wie wir kleine und mittlere Unternehmer für die „least developed countries", die ärmsten Entwicklungsländer, gewinnen können, weil die großen von sich aus dort gar nicht anfangen. Das erfordert Phantasie, erfordert Mut, erfordert auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine Wirtschaftspolitik, die unserer Industrie die Bewältigung des weltweiten Strukturwandels erleichtert.
    Meine Damen und Herren, die CDU/CSU fordert die Regierung zu einem neuen Stil in der Entwicklungspolitik auf, beginnend mit einer kritischen Bestandsaufnahme. Wir sind bereit, hieran mitzuarbeiten; von einigem unnötigen ideologischen Ballast müssen Sie sich allerdings befreien.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Von welchem?)

    Wir werden dann zu gegebener Zeit unsere eigenen Vorschläge vorlegen. Bei einem entwicklungspolitischen Neubeginn in diesem Sinn wird die Regierung in uns eine kritische und konstruktive Opposition vorfinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)