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    Plenarprotokoll 9/6 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Italien 45 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Berger (Berlin) und Ronneburger 45 B Erweiterung der Tagesordnung 45 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl CDU/CSU 45 B Brandt SPD 57 C Hoppe FDP 68 C Dr. Zimmermann CDU/CSU 75 C Genscher, Bundesminister AA 83 B Bahr SPD 91 D Dr. Wörner CDU/CSU 97 C Dr. Ehmke SPD 105D Möllemann FDP 108 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 114C Dr. Holtz SPD 120 B Pieroth CDU/CSU 122 D Dr. Vohrer FDP 124C Präsident Stücklen 91 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 9/10 — 75A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 9/11 — 75 B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 9/16 — 75B Nächste Sitzung 126 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 127* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 45 6. Sitzung Bonn, den 26. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28. 11. Picard 28. 11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. Dr. Vohrer * 26. 11. Frau Dr. Wisniewski 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Kollege Mertes, zunächst einmal kann ich nicht sagen, daß das Verhalten von Mitgliedern meiner Fraktion behindernd oder hinderlich oder nicht konstruktiv gewesen ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: 50%!) In keinem einzigen Fall.

    Zum anderen: Die theoretische Bereitschaft der Opposition, Ausgangspositionen nicht zu kritisieren, sondern mittragen zu lassen,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Mitzuerarbeiten!)

    ist bisher deshalb nur von einem akademischen Wert — da sind wir uns sicher einig —, weil es bislang leider nicht zu Verhandlungsergebnissen gekommen ist, über die praktisch entschieden werden muß. Wie wir dann abstimmen, werden wir ja sehen. Mehr wollte ich dazu gar nicht sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn am Beginn der 80er Jahre darüber nachgedacht wird, in welcher Rolle sich Amerika und Europa sehen — hat das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland, wie es die Opposition ja eigentlich immer bestreitet, so zugenommen, daß wir erhöhte Lasten auf uns nehmen sollen? —, muß man sich zunächst vor einem hüten. Ich glaube, man darf aus einer zeitweiligen Konditionsschwäche der Vereinigten Staaten nicht schließen, daß Amerika schwach ist. Es ist ungeheuer stark. Es mag auf einigen militärischen Sektoren einen Nachholbedarf haben, um der Rolle als Weltmacht voll gerecht werden zu können, die ihr niemand abnehmen kann.
    Wir führen unsere Diskussion über unsere Regierungserklärung. Der Bundeskanzler hat einen Punkt nicht erwähnt, und er war dabei wohl gut beraten. Ich meine die Diskussion, ob Europa, genauer gesagt Westeuropa, eine selbständigere Rolle in der Welt übernehmen soll, um seine Interessen in anderen Regionen besser zu wahren, also nicht auf die Hilfe der Amerikaner angewiesen zu sein. Wir werden über diesen Komplex sicher noch mehrfach zu diskutieren haben, vielleicht schon, wenn der neugewählte Präsident seine Form der außenpolitischen Regierungserklärung abgegeben haben wird. Ich sehe in solchen Überlegungen auch etwas Konstruktives, soweit sie unser Land in einem europäischen Verbund sehen.
    Aber es gibt eine Denkrichtung, die ich für gefährlich halte: Die mittelfristigen Vorstellungen der CSU zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der europäischen Integration, wie sie im Sommer veröffentlicht wurden, setzen als Ziel — ich zitiere — „eine europäische Verteidigungsunion". Sie soll „für ein geeintes Europa ... aus eigener Kraft in der Lage sein, seine Sicherheit zu gewährleisten und seine Freiheit zu verteidigen".

    (Dr. Wörner [CDU/CSU]: „Im Rahmen des Atlantischen Bündnisses", sollten Sie fairerweise hinzufügen! — Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Zimmermann [CDU/CSU])

    — Ich bin dankbar, wenn Sie das dementieren. Bisher haben Sie das versäumt.
    Das Atlantische Bündnis ist erwähnt: das ist richtig, Herr Kollege Wörner. Es steht dort allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang. Es soll fortentwickelt werden bis hin zu dem notwendigen „Aufbau eines Westeuropäischen Atlantischen Verteidigungssystems", in dem Amerika auf der einen und Westeuropa auf der anderen Seite Partner sind. In



    Bahr
    der Konsequenz würde das bedeuten, die Einheit der Nordatlantischen Gemeinschaft durch ein Bündnis zwischen der europäischen Verteidigungsunion und den USA abzulösen.
    Nun gibt es bei uns niemanden, der bei solchen Vorstellungen diffamierende Verdächtigungen äußert. Aber soweit es dort zu lesen war, würde es die Abkopplung von der Solidarität und von dem unteilbaren gemeinsamen Sicherheitsrisiko mit den Vereinigten Staaten zum Programm erheben. Das, was der Bundesaußenminister zu diesem Punkt der Gleichheit des Sicherheitsrisikos zwischen uns und Amerika gesagt hat, muß auch dafür voll gelten, bleibt auch dafür in vollem Umfang richtig.
    Ich glaube nicht, daß es auch nur wünschenswert, daß es auch nur möglich wäre, den Versuch zu unternehmen, das Gleichgewicht gegenüber der Sowjetunion aus eigener europäischer Kraft — also zwischen Europa und der Sowjetunion — herstellen zu wollen. Es wäre für die Diskussion über die Perspektiven der 80er Jahre wichtig, von den Kollegen der CDU/CSU zu erfahren, welchen Stellenwert sie solchen formulierten Überlegungen beimessen. Der Kollege Zimmermann hat dazu etwas gesagt; Herr Kollege Kohl hat heute früh etwas gesagt, was in dieser Beziehung dunkel war.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist gegenüber der DDR im Angebot geblieben, d. h. in der Bereitschaft, gegen die Abgrenzung den Willen zur Zusammenarbeit zu setzen. Nach dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, gibt es kaum etwas, was den Willen zur Kontinuität unserer Politik besser und stärker zeigen kann. Auch hier ist die Opposition anderer Auffassung; das ist ihr gutes Recht. Sie hat die Bereitschaft zur Fortsetzung der Zusammenarbeit kritisiert; was sie selbst machen will, hat sie nicht gesagt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist eine Verdrehung!)

    „Maßnahmen" hat Herr Zimmermann gefordert, Herr Kohl nicht. Die Töne von Herrn Zimmermann dazu entsprechen der alten Linie, die eben nicht realisiert, daß es den Grundlagenvertrag gibt. „Weiter wie bisher" ist Ihre Parole, übrigens unsere auch. Auch deshalb wird es schwierig sein, sich zu verständigen, wenn Sie nicht in der Lage sind, sich auf den Boden der Realitäten und der geschaffenen Verträge zu stellen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sie wollen uns nicht verstehen!)

    Natürlich sind die beiden deutschen Staaten ganz besonders betroffen von der allgemeinen Entwicklung zwischen Ost und West. Beide bleiben loyale Bündnispartner, aber darüber hinaus haben sie — wenngleich begrenzt — Möglichkeiten, auch dann kooperativ zu bleiben, wenn das Klima zwischen den beiden Supermächten kühler wird. Viele von uns haben das mit Staunen zur Kenntnis genommen.
    Die DDR hatte aus ihrer bis dahin in all den Jahren feststellbaren Haltung nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan zu einer Haltung gefunden, die die gleichen Sorgen teilte, die man in ganz Europa — in Ost- wie in Westeuropa — hören konnte, und sie hat die Hoffnung geteilt, daß die beiden Großmächte nicht in eine unberechenbare Entwicklung abgleiten. Nach meinem Eindruck wurde die DDR in einem bis dahin nicht gehabten Maße nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan kooperativ. Diese Phase dauerte 8 Monate. Es führt nicht weiter, öffentlich zu spekulieren, was die DDR zu einem Verhalten veranlaßt hat, das sicher ein Rückschlag ist, das sicher nicht ohne Folgen bleiben kann und das jedenfalls vielen Menschen — besonders in der DDR — praktisch etwas weggenommen hat.
    Ich bin übrigens auch hier anderer Auffassung als der Kollege Zimmermann, der auf die Frage, ob Bonn die Erhöhung des Zwangsumtausches von 13 DM auf 25 DM aus Bundesmitteln, aus übergeordneten politischen Interessen, ausgleichen soll, erklärt hat: „Über diese Idee kann man reden." — Ich finde das nicht, weil es zu falschen Schlüssen verleiten könnte. Ich weiß von manchem Bewohner der DDR, der die Politik der sozialliberalen Koalition schätzt und über die Maßnahmen seiner Regierung tief enttäuscht ist, daß es schwer verstanden würde, wenn man der Idee des Kollegen Zimmermann folgte.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das hat er doch gar nicht gesagt, Herr Bahr! Es ist unrichtig, was Sie sagen!)

    — Entschuldigung, ich habe ihn mit Anführungsstrichen aus der „Welt" zitiert. Vielleicht hat er es dementiert; dann ist es nicht abgedruckt worden. Das kann j a passieren. —
    Gegenüber einigen Positionen, die die DDR in letzter Zeit öffentlich vertritt, ist es gut, sich auf den Grundlagenvertrag zu beziehen. Es ist bedauerlich, daß die beiden deutschen Staaten in einer völkerrechtlich komplizierten Situation leben. Der Vertrag zwischen ihnen ist völkerrechtlich gültig. Die beiden deutschen Staaten entwickeln ihre Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung.
    Ich habe zu den Wünschen der DDR, Botschaften zu entwickeln, oder die Ständigen Vertretungen in Botschaften umzubenennen, nur darauf hinzuweisen, daß es sich dabei um eine Vertragsänderung handeln würde, und das setzt bekanntlich die Zustimmung beider Seiten voraus. Ich habe nicht gehört, daß die Bundesregierung das will; aber man kann nicht überrascht sein, daß die DDR das genauso gern will wie vor acht Jahren.
    Was die Staatsangehörigkeitsfragen angeht, so gibt es von beiden Seiten formulierte Erklärungen dazu. Die DDR hat erklärt: „Die Deutsche Demokratische Republik geht davon aus, daß der Vertrag eine Regelung der Staatsangehörigkeitsfragen erleichtern wird." Daß sie diese Erwartung von Zeit zu Zeit wiederholt, kann doch nicht überraschen. Die Bundesrepublik Deutschland hat erklärt: „Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden." Der Hintergrund dieser Erklärung war den Vertragspartnern klar. Er hat sich nicht verändert.
    96 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch. den 26. November 1980
    Bahr
    Es hat sich auch nichts daran verändert, daß durch den Grundlagenvertrag die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte nicht berührt werden können. Beide Seiten haben dies auch in entsprechenden Noten den Drei Mächten und der Sowjetunion mitgeteilt. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland ist schon deshalb nicht möglich.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Die Impotenz-These!)

    Unser Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht schätzeich nicht zu gering ein, wenn ich hinzufüge, daß diese Situation auch nicht durch eine Zweidrittelmehrheit dieses Hauses verändert werden könnte, selbst wenn der Deutsche Bundestag das wollte, was bekanntlich gar nicht der Fall ist.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das war ein echter Bahr!)

    Meine Damen und Herren, die beiden deutschen Staaten werden zu einem geeigneten Zeitpunkt die Gespräche nachzuholen haben, die bedauerlicherweise Ende August nicht stattgefunden haben; denn ihre Verantwortung für die Sicherung des Friedens in Europa, die bei aller Unterschiedlichkeit sonstiger Interessen gleich groß ist, verlangt das.
    Es kann sein, daß dies erst sinnvoll ist, wenn die Entwicklung in Polen überschaubar wird. Wir verfolgen sie mit Sorge und großer Anteilnahme. Insofern sind alle Europäer polnische Nachbarn. Wenn Arbeiter mehr Mitbestimmung wünschen, ist das etwas, was in der geschichtlichen Erfahrung und in der geschichtlichen Entwicklung von Industriestaaten — selbst in einem Land wie dem unseren — nicht ganz einfach ist. In dem dortigen ist es sehr viel schwieriger. Man kann allen Beteiligten nur von ganzem Herzen wünschen, daß sie die Klugheit und die Kraft haben, zwischen Möglichem und Unmöglichem zu unterscheiden. Niemand sollte sich einmischen, auch nicht durch Ratschläge, so gut sie gemeint sein mögen.
    Aber es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, daß Hoffnung und Sorge in bezug auf Polen auch eine europäische und vielleicht darüber hinausreichende Dimension gewonnen haben. Nun hat Herr Kollege Kohl heute früh seine Unterstützung dafür zugesagt, Polen eine nachbarschaftliche Hilfe zu geben. Der Kollege Brandt hat das positiv aufgegriffen. Wenn man diese Idee verfolgt, dann kann an diesem Beispiel deutlich werden, daß der Führer der Opposition es sich heute früh mit einigen allgemeinen, nebeneinander gestellten Grundsätzen seiner bis zur Stunde eben wirklich anderen Ostpolitik ein bißchen zu leicht gemacht hat.
    Er hat etwas von den klaren Bedingungen und von Leistungen und Gegenleistungen gesagt. Das seien Grundsätze, die befolgt werden müßten. Ich glaube, es kann politische Interessen und Situationen geben, in denen man davon abweicht. Das war immer so bei dem, was man „Swing" im innerdeutschen Handel genannt hat. Ich nehme an, es würde auch so sein, wenn man dieser Anregung folgt, d. h. wenn man gegenüber Polen als Europäische Gemeinschaft — und dann wohl ohne Gegenleistung — etwas leistet.
    Wichtiger wird etwas anderes sein. Eine derartige Leistung kann nur mit der polnischen Regierung vereinbart werden. Natürlich würde sie den Menschen zugute kommen. Aber sie würde, wenn sie wirksam wäre, die Dinge in Polen stabilisieren. Und ich habe nicht vergessen, welche leidenschaftlichen Debatten hier und außerhalb des Parlaments geführt wurden, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, kommunistische Regierungen zu stützen.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Aber das Volk zu unterstützen!)

    Wenn man einen Schritt weitergeht und eine derartige Leistung bedingungslos gibt, dann liegt es nahe, sie unter allen Umständen zu geben, gleichgültig, wie sich die Dinge in Polen entwickeln; damit es keinen falschen Nebengeschmack gibt.
    Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir uns darüber einig wären, würde sehr viel von der vergifteten Art entfallen können, die die innenpolitische Auseinandersetzung um die Ostpolitik der Koalition in den zurückliegenden Jahren bestimmt hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen. Ich tue es nur zur Versachlichung. Sie haben auch heute von dem Wunschdenken, von den Enttäuschungen, von den Illusionen gesprochen — Herr Zimmermann noch mehr als Herr Kohl —. Die mit der Entspannung verstärkte Annäherung an den Osten habe drüben einen Wandel gefördert, auch wenn dadurch nicht zugleich eine höhere Stufe der Annäherung erreicht worden und der Frieden zwischen Ost und West nicht unbedingt sicherer geworden seien. Das könne für die Deutschen nicht bedeuten, auf das Ziel der Entspannung zu verzichten. So hat sich laut dpa Herr vom Weizsäcker in Berlin geäußert. Und gestern abend hat er gesagt:
    Entspannung hat gerade dort, wo sie einen wesentlichen Teil des angestrebten Erfolges zu erzielen im Begriff war, auch Spannung erzeugt: in der inneren Situation Osteuropas. Ich denke, es wird im Interesse der Sowjetunion und auch der DDR liegen, diejenigen Teile der Entspannungspolitik fortzusetzen, die ihr Vorteile bringen, andere dagegen abzuwehren, die in ihre Prioritäten nicht reinpassen. Priorität Nummer eins ist die Stabilisierung der inneren Verhältnisse. Und was diese inneren Verhältnisse, die Stabilisierung des Herrschaftssystems in Osteuropa stört, das wird in der Entspannung bis auf weiteres zurückgestellt und ausgeklammert.
    So weit Herr von Weizsäcker.
    Als Sozialdemokraten das gesagt haben — allerdings schon vor Jahren — wurden sie als gefährliche Aufweichler bezeichnet, genauso wie Herr Zimmermann als gefährliche Aufweichlerei dies heute wieder bezeichnet hat — was dann praktisch an Herrn von Weizsäcker geht. Aber es ist immerhin ein Fort-



    Bahr
    schritt, daß einer aus den Reihen der Opposition sich so öffentlich äußert.
    Diese nachdenklichen Töne waren heute morgen von der Opposition nicht zu hören.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch nicht wahr!)

    Jedenfalls haben wir keinen Grund, unseren Kurs der bisherigen Politik der Entspannung zu ändern. Auch nach dem, was die Sprecher der Opposition bisher gesagt haben, bleibt offen: Eine Gruppe bei Ihnen war immer der Auffassung, daß die kommunistischen Systeme unveränderlich seien, eine andere beginnt, Realitäten und Chancen des konstruktiven Miteinander zu sehen. Bisher haben sich immer die ersten durchgesetzt, bis hin zur Ablehnung der Schlußakte von Helsinki, die heute ein wichtiger Punkt dessen ist, worauf man sich in osteuropäischen Ländern beruft, ganz zu schweigen davon, daß die Opposition die Erklärung von Helsinki heute am liebsten wie einen völkerrechtlich ratifizierten Vertrag einklagen möchte.

    (Wehner [SPD]: Sehr wahr! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn dazu?)

    Wenn der Kollege Dregger kürzlich gesagt hat, ein tragfähiges ost- und deutschlandpolitisches Zukunftskonzept könne nicht das der Koalition, auch nicht das der CDU, sondern es müsse ein drittes und gemeinsames sein, so kann es zu diesen Überlegungen nach der Regierungserklärung und nach der Aussprache von heute nur ein Nein geben. Weder SPD noch FDP haben die Absicht, ein neues, drittes Konzept zu entwickeln, da das unsere — auch nach der Auffassung der Union — offenbar gar nicht so schlecht ist und die Opposition übrigens auch heute kein drittes oder neues vorgeschlagen hat.
    Niemand kann der Opposition ersparen, sich über ein geschlossenes Konzept der Entspannungspolitik in sich und mit sich klar zu werden. Dann werden wir sehen, wie sich das im praktischen Verhalten, in konkreten Beschlüssen auswirkt. Unsere Haltung bleibt die Fortsetzung dieser Politik mit dem Ziel, durch Zusammenarbeit Frieden zu sichern und Gräben zwischen Europa einzuebnen.
    Der Bundeskanzler hat die Offenheit der Regierung für neue Gedanken erklärt. Durch das, was die Opposition heute geboten hat, wird er nicht überbeschäftigt werden.
    Außen-, Sicherheits-, Entspannungs- und Deutschlandpolitik sind ein Markenzeichen dieser Koalition seit 1969. Man kann verstehen, daß dies die Opposition stört. Aber nach der Regierungserklärung bleibt das Markenzeichen voll und unversehrt erhalten. Die sozialdemokratische Fraktion wird die Bundesregierung bei der Fortsetzung dieser Politik in den 80er Jahren voll unterstützen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Wörner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Manfred Wörner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben einen ganz interessanten Auftritt von Herrn Bahr erlebt, wie es meistens interessant ist, wenn Herr Bahr redet. Da er seine Worte zu wählen weiß, ist er ein ernstzunehmender Gesprächspartner. Aber während Herr Brandt heute morgen und Herr Genscher sichtbar bestrebt waren, Gemeinsamkeit zu finden und herzustellen, hat Herr Bahr soeben einen ganz anderen Versuch gemacht,

    (Dr. Corterier [SPD]: Nach Brandt hat Zimmermann gesprochen!)

    nämlich die Gemeinsamkeit schon im Ansatz zu zerstören, indem er Strohmänner aufbaut und nach bewährtem Muster auf sie eindrischt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das aber ist Ihr Problem, nicht das unsere. Herr Bahr, das müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Unsere Außenpolitik war nie eine Frage der Taktik, sondern immer eine Frage der Grundsätze. Wir haben es nicht nötig wie Sie, unserem Volk nach den Wahlen etwas anderes zu sagen als vor den Wahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen ist es schon einigermaßen makaber, wenn ausgerechnet Herr Bahr mit uns über die Frage der Taktik philosophiert, Herr Bahr, der sich einmal in einer sehr delikaten Weise dazu geäußert hat, was man diesem Volk vor und was man ihm nach den Wahlen sagen könne. Ich kann in Ihrem Auftritt hier nur eines erkennen, Herr Bahr: einen taktischen Versuch. Aber noch einmal: Das mögen Sie unter sich ausmachen; das ist nicht unsere Sache.
    Wir gehen einem schwierigen, einem krisenträchtigen Jahrzehnt entgegen. Unsere Welt ringt ganz sichtbar um eine Neu- und Umverteilung wirtschaftlichen Wohlstandes, eine Neu- und Umverteilung von Rohstoffen, eine Neu- und Umverteilung auch politischer Macht. Dieses Ringen, dieses globale Ringen wird das kommende Jahrzehnt bestimmen. Einschneidende weltpolitische Veränderungen im Ost-West-Verhältnis und in der Dritten Welt vollziehen sich ganz sichtbar vor unseren Augen. Sie stellen unsere Politik in den 80er Jahren vor neue Herausforderungen.
    Sie aber haben nicht den Mut zu neuen Antworten. Ihre Devise, auch die Devise des Bundeskanzlers, lautet: Weitermachen wie bisher. Sie, Herr Bahr, haben das eben dankenswerterweise noch einmal ausgeführt. Aber darauf sagen wir Ihnen: Mit den Antworten von gestern lösen Sie die Probleme von morgen, die Probleme der 80er Jahre, eben nicht — um das klar und eindeutig zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will es Ihnen an einem Beispiel deutlich machen, das Herr Genscher selbst ins Spiel gebracht hat. Wer gegen die harte Politik der Abgrenzung und des Vertragsbruchs des Ostens nur den guten Willen zur Zusammenarbeit und nur die Formel von der Fortsetzung der Entspannungspolitik setzt, der of-



    Dr. Wörner
    fenbart eben Konzeptionslosigkeit und nicht den Mut zur Zukunft, von dem die Rede war.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Lassen Sie mal hören, Herr Wörner!)

    Ich will jetzt Herrn Genscher die Antwort auf seine Frage geben: Sicher, es ist richtig, daß wir auf Abgrenzung von drüben nicht mit Abgrenzung hier antworten können. Aber das ist nicht die ganze Antwort auf dieses Problem.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Entscheidend ist es, ein Instrument zu finden, das uns in Zukunft in die Lage setzt, auf Vertragsbrüche der anderen Seite angemessen zu reagieren. Wir müssen Leistung und Gegenleistung anders verknüpfen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    sonst stehen wir fortlaufend vor dem gleichen Problem, daß wir das, was wir nach drüben gegeben haben, weggegeben haben, die andere Seite es kassiert hat und wir nicht mehr in der Lage sind, es zurückzufordern. Vertragsbruch darf sich auch im Ost-West-Verhältnis nicht lohnen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das, was ich an dieser Regierungserklärung am meisten bedauert habe, ist das Auseinanderklaffen von schönen Worten auf der einen Seite und Taten auf der anderen Seite.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Sie sprechen von Klarheit und Berechenbarkeit Ihrer Außenpolitik. Aber zur gleichen Zeit brechen Sie ein Versprechen, das Sie feierlich dem Bündnis im Westen gegeben haben.

    (Zuruf von der SPD: Unerhört!)

    Sie reden zu Recht davon, daß ohne Gleichgewicht in unserer Welt kein verläßlicher Friede wäre; aber durch Ihre Politik verschärfen Sie das Ungleichgewicht, indem Sie die Verteidigung schwächen. Und Sie finden goldene Worte zur Bundeswehr, die übrigens charakteristischerweise — wie könnte es anders sein — den stärksten Beifall bei der CDU/CSU-Fraktion gefunden haben. Nur, das eine muß ich Ihnen sagen — und das werden wir Ihnen auch nicht ersparen, insbesondere dem Kanzler nicht —: Solange Jusos und — im übrigen, Herr Genscher — auch Judos zusammen mit Kommunisten gegen die Bundeswehr agitieren und demonstrieren, ohne dafür von der SPD zur Rechenschaft gezogen zu werden, solange können Sie sich diese feierlichen Appelle an diesem Platz sparen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hupka [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)

    Ich war in einer bestimmten Lage, die mir wieder aufgetaucht ist, als der Herr Bundeskanzler hier diese Worte gebraucht hat, von denen wir jedes unterschreiben können. Ich erinnerte mich an die Fernsehsendung als der Kollege Apel vom Bonner
    Marktplatz zurückkam, wo er unter einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert das feierliche Gelöbnis hatte abhalten lassen, während zur gleichen Zeit der stellvertretende Vorsitzende seiner Fraktion namens Ehmke eine Gegenveranstaltung in Bad Godesberg leitete. Da kann ich nur sagen: Das sind die zwei Gesichter der SPD. Solange Sie die nicht beseitigen, sind Sie nicht glaubwürdig, auch und gerade der Jugend gegenüber.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Dem Herrn Bundeskanzler, der j a leider im Moment nicht da ist, hätte ich gerne dies gesagt: Wie will er die junge Generation in der Bundesrepublik Deutschland von der Pflicht zur Verteidigung überzeugen, wenn er noch nicht einmal seine eigene Partei überzeugen kann? Das ist weder Führung noch ist es Mut, sondern das ist das genaue Gegenteil davon.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir von der CDU/CSU lassen uns in der Außen-und Sicherheitspolitik von vier grundsätzlichen Zielen leiten.
    Erstens. Deutsche Politik ist Politik für die Freiheit. Nur eine Welt, in der die Völker frei über ihr Schicksal bestimmen können, nur eine Welt, in der keine Macht nach Vorherrschaft über andere strebt, kann auf die Dauer friedlich und stabil sein.
    Zweitens. Deutsche Politik ist Politik für den Frieden. Es gibt keine wichtigere Aufgabe als die Suche nach Ausgleich, als die Suche nach Stabilisierung gerade in einer krisenträchtigen Welt, als die Suche auch nach Begrenzung und Abbau von Rüstung. Wir suchen Verständigung, und wir suchen Verständnis nach West und Ost gleichermaßen, gerade auch gegenüber der Sowjetunion, gerade auch gegenüber der DDR und den osteuropäischen Staaten. Wir wünschen Miteinander statt Gegeneinander, Gespräch statt Feindseligkeit, Entspannung statt Spannung. Es muß doch erlaubt sein, dies zu sagen: Von der Bundesrepublik Deutschland ist in all den Jahren ihres Bestehens bis zum heutigen Tag keine Gefahr für den Frieden ausgegangen. Wir bedrohen niemanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bundeswehr ist eine reine Verteidigungsarmee, eingegliedert in ein Verteidigungsbündnis. Ich sage hier — ich hoffe, mit Zustimmung des ganzen Hauses —: Die Welt wäre bedeutend friedlicher, wenn alle anderen Völker diesem unserem Beispiel gefolgt wären.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Deutsche Politik ist Politik für die Einheit unseres ganzen Volkes. Das ist für uns kein Lippenbekenntnis. Wir nehmen den Auftrag unseres Grundgesetzes ernst, weil wir aus der Geschichte erkennen müssen, daß man auf die Dauer nicht ohne Gefahr die Zusammengehörigkeit einer Nation künstlich und gewaltsam zerschneiden kann. Gerade die jungen Deutschen müssen wissen: Nation, Volk und Vaterland sind keine altmodischen Begriffe. Ein guter Europäer, ein Weltbürger im besten



    Dr. Wörner
    Sinne kann nur sein, wer ein guter Deutscher, ein guter Franzose, ein guter Italiener oder ein guter Engländer ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wissen aber: Deutschland — auch Deutschland als Ganzes — hat nur im Rahmen eines freien Europa eine Zukunft. Darum bleiben für uns, die CDU/CSU, die Einigung Europas und damit die Stärkung der europäischen Institutionen, der Ausbau der Rechte des Europäischen Parlaments und eine engere politische Zusammenarbeit vordringlich. In dieser Hinsicht wird der Bundesaußenminister keine Mühe mit uns haben. Nach all den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, hat er diese Mühe eher mit den Sozialisten im Europäischen Parlament. Deswegen war vorher der Adressat vielleicht der falsche.
    Ich will auch ganz offen sagen, daß die deutschfranzösische Zusammenarbeit auch für uns das Herzstück der europäischen Einigung ist und bleibt. Wir müssen uns allerdings davor hüten, Europa in das Lager der mächtigen und größeren Staaten auf der einen Seite und das Lager der kleineren Staaten auf der anderen Seite zerfallen zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Viertens. Deutsche Politik ist Politik für die Menschenrechte, für ihre Durchsetzung, ihren Ausbau, ihre Sicherung überall in der Welt. Hier liegt unser ureigenster deutscher Beitrag für eine friedlichere, für eine gerechtere Welt. In der großen Geschichte unseres Volkes hat das Dritte Reich einen schmerzlichen, einen dunklen Makel eingebrannt — eben durch die brutale Mißachtung der Menschenrechte. Kein Volk hat es so schrecklich erfahren wie das unsere, wohin die Vergewaltigung der Menschenrechte führt. Darum ist hier das Feld, wo wir, wo gerade auch die jungen Deutschen, die in der geschichtlichen Haftung unseres Volkes stehen, im besten und im tiefsten Sinne wiedergutmachen können. Hier liegen große, übergroße Aufgaben für unser Volk, für jeden einzelnen Deutschen. Hier bei den Menschenrechten gibt es ein weites, sinnvolles Feld für Idealismus, für Einsatz, für Opferbereitschaft, gerade auch der jungen Deutschen, die uns oft genug fragen, ob wir denn noch lohnende Ziele und Aufgaben für sie bereithielten.
    Freilich — auch das muß gesagt werden — ist ein solcher Einsatz für die Menschenrechte nur dann glaubwürdig, wenn er Ost und West gleichermaßen gilt und weder nach links noch nach rechts Scheuklappen trägt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer lautstark gegen die Verletzung der Menschenrechte in Südafrika und Südamerika vom Leder zieht, zu der Vergewaltigung der Menschenrechte in den Diktaturen des kommunistischen Machtbereichs aber verlegen schweigt, zeigt nur, daß es ihm um Ideologie und nicht um den Menschen geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir unterstützen aus vollem Herzen — übrigens hat das der Kollege Marx für die Fraktion bereits vor einigen Wochen getan — den Appell des Bundeskanzlers an die Adresse Südkoreas, Kim Dae Jung die Freiheit zu geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber wir appellieren gerade im Zusammenhang mit den Menschenrechten auch an die Sowjetunion, Herrn Sacharow und andere Bürgerrechtler nicht länger zu verfolgen und ihrer Menschenrechte zu berauben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Kampf um die Menschenrechte heißt zunächst Kampf gegen Armut, gegen Hunger, gegen das Elend in der Welt. Darum darf Entwicklungshilfe nicht länger Stiefkind der deutschen Politik bleiben. Unsere Beziehungen zur Dritten Welt müssen als eigenständiger Bereich mehr ins Zentrum unserer Politik rücken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sage als Begründung dazu: Wir können auf Dauer nicht ruhig auf einer Insel des Wohlstandes leben, wenn rings um uns ein Meer von Elend, Krankheit und Revolution brandet.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, die Mittel für Entwicklungspolitik doppelt so stark wie für den übrigen Haushalt zu erhöhen, und werden Sie dabei unterstützen.
    Aber auch hier muß noch etwas anders gesagt werden, was leider weder der Kollege Brandt noch der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland in der nötigen Klarheit angesprochen haben. Die Welt wäre in der Bekämpfung von Hunger und Elend längst einen großen Schritt weiter, wenn die Sowjetunion endlich darauf verzichten würde, den Ost-West-Konflikt auf den Nord-Süd-Gegensatz zu übertragen und wenn sie sich statt dessen stärker an der Entwicklungshilfe beteiligen würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist ein Skandal, daß der gesamte Ostblock zusammen nur ein Viertel der Entwicklungshilfe leistet, die die Bundesrepublik Deutschland allein aufbringt. Dafür pumpt aber der Ostblock das dreißig-und mehrfache an Waffen in die Dritte Welt.
    Lassen Sie mich noch etwas zum Nahen Osten sagen, weil das von Herrn Brandt angesprochen wurde. Wir alle wissen, daß der Friedensprozeß dort ungeheuer schwierig ist. Aber wir von der CDU/CSU sind der Meinung, daß es der bessere, sinnvollere Weg für Europa wäre, den Prozeß, den wir Camp-David-Prozeß nennen, den Friedensschluß zwischen Ägypten und Israel, zu unterstützen und von da aus weiterzubauen, statt ihn, wie es die Gemeinschaft der Neun gemacht hat, in gewisser Weise zu behindern, um nicht zu sagen zu torpedieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dort liegt der richtige Ansatz für eine umfassendere Friedensregelung.
    Lassen Sie mich noch etwas anderes als ein unverbrüchliches Prinzip der CDU/CSU hinzusetzen. Die Existenz Israels in gesicherten Grenzen ist für uns nicht nur ein Gebot politischer Zweckmäßigkeit,



    Dr. Wörner
    sondern eine aus der Geschichte erwachsene moralische Verpflichtung, zu der wir stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir stehen vor einer neuen kritischen Phase der Ost-West-Beziehungen. Diese ist im Osten markiert durch eine Politik harter Abgrenzung der Sowjetunion und der DDR, durch Erschütterungen im sowjetischen Machtbereich, durch die anhaltende Besetzung Afghanistans, durch die ungebrochene und massive sowjetische Aufrüstung. Sie wird markiert im Westen durch eine neue amerikanische Führung, die ganz deutlich andere Vorstellungen von der Stellung der USA in der Welt, vom Verhältnis zur Sowjetunion und von Entspannungspolitik hat.
    Sie wird ferner markiert durch ein neues Selbstvertrauen der amerikanischen Nation in sich selbst und ihre Kräfte. Ich kann nur sagen, das muß jeder, der in der Bundesrepublik Deutschland lebt, auf das wärmste begrüßen, weil wir uns darauf verlassen können. Das ist ein Prozeß, der hier in Gang gekommen ist, den wir uns gewünscht haben, um es deutlich zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Täuschen wir uns nicht, die amerikanischen Wahlen haben mehr bewirkt als einen bloßen Regierungswechsel. Hier hat sich eine völlig andere, eine neue Grundstimmung im amerikanischen Volk Bahn gebrochen.
    Wir meinen, diese Veränderungen in Ost und West zwingen die Bundesregierung und natürlich nicht nur die Bundesregierung, zwingen jeden deutschen Politiker zur Überprüfung seiner Politik. Die Amerikaner und die Europäer können sich nicht länger ein unterschiedliches Konzept der Entspannung leisten. Wer, wie der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung, so tut, als ob hier alles wieder beim alten geblieben sei, der legt im Grunde genommen schon wieder den Keim zu einer neuen Spaltung oder zu einer neuen Meinungsverschiedenheit im Bündnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Jetzt sage ich etwas zu Herrn Bahr — ich kann ihn im Moment nicht entdecken, ich habe ihn offensichtlich zu früh gelobt —: Die Entwicklung in Ost und West gerade der letzten Monate, hat unsere Kritik, die Kritik der CDU/CSU, in entscheidenden Punkten sichtbar bestätigt. Darum kann und darum wird es kein ostpolitisches Godesberg geben, um das klar und eindeutig zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber im Unterschied zu Herrn Bahr geht es uns in der jetzigen Situation am Anfang einer Legislaturperiode, am Anfang eines wirklich schwierigen Jahrzehnts, nicht um billige Rechthaberei.

    (Wehner [SPD]: Um Krampf geht es Ihnen!)

    Es geht darum, auf der einen Seite von den illusionären Komponenten Ihrer Politik Abschied zu nehmen und auf der anderen Seite die konstruktiven Ansätze und Elemente, die diese Politik auch hat, fortzuentwickeln.
    Herr Kohl hat es gesagt, ich wiederhole es: Die Epoche der Auseinandersetzung um die Ostverträge ist abgeschlossen. Die Verträge sind eine Realität, sind auch für die CDU/CSU eine der Grundlagen ihrer Politik, und zwar in der Auslegung, die ihnen der Brief zur deutschen Einheit, das Bundesverfassungsgericht und die gemeinsame Erklärung des Deutschen Bundestages gegeben haben. Anstatt die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen, sollten wir jetzt in die Zukunft hinein für die Menschen in ganz Deutschland das Beste aus ihnen machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn ich von konstruktiven Ansätzen sprach, dann meinte ich in erster Linie die menschlichen Erleichterungen, die Erweiterung der menschlichen Begegnungen und Kontakte, die das Leid der Spaltung mindern. Allerdings liegt die grundlegende Schwäche dieser Vorteile darin, daß sie jederzeit widerruflich sind und ja auch von der DDR immer mal wieder zurückgenommen werden. Darum — ich wiederhole das — gilt es, in der Zukunft unsere Leistungen so zu dosieren und sie so mit den Gegenleistungen zu verknüpfen, daß bei vertragswidrigem Verhalten der anderen Seite spürbare Nachteile entstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zu den konstruktiven Elementen gehört auch der Wandel in den Lebensumständen und wohl auch in der Einstellung der Bevölkerung in den Ostblockstaaten durch mehr Information, Begegnung und Austausch. Das hat Richard von Weizsäcker gemeint, und zwar mit Recht, Herr Bahr. Ihnen nehme ich nicht ab, daß Sie nicht intelligent genug sind, den Unterschied im Wandel der Einstellung der Bevölkerung und der Reaktion der Systeme darauf zu sehen. Das sind j a eben die Grenzen dieser Politik, die es klarer zu sehen, klarer zu erkennen gilt. Es gibt hier eine eingebaute Bremse: Je erfolgreicher die Auflokkerung im Ostblock, desto energischer die Reaktion, d. h. die Abgrenzungspolitik der Machthaber. Das ist ja das, was wir in diesen Tagen erleben.
    Ein weiteres konstruktives Element. Sicher hat es eine gewisse Stabilisierung der Lage Berlins gegeben. Allerdings muß man auch hier sehen, die eigentliche Garantie, die Gewähr für die Sicherheit Berlins liegt in der Anwesenheit der alliierten Truppen, d. h. nichts anderes als im Zusammenhalt und in der Entschlossenheit des Bündnisses. Lassen Sie mich das hier an dieser Stelle und in dieser Debatte sagen. Nirgendwo wird deutlicher als in Berlin, welch ein fundamentaler Zusammenhang zwischen Bündnissolidarität und unserer Sicherheit besteht, und daß Westpolitik eine klare Priorität, einen klaren Vorrang im Bezugsrahmen deutscher Politik besitzt und behalten muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden darauf drängen, in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen die Bindungen Berlins an den Bund weiter auszubauen. Dabei geht es nicht nur darum, daß Berlin den wirtschaftlichen Anschluß gefunden hat — so froh wir darüber sind —, es geht auch nicht nur darum, daß der Bundeskanzler gerne an die Berliner Theater, Museen



    Dr. Wörner
    und Konzerte denkt — das tun wir alle; ich will bekennen, ich mit Vorliebe —,

    (Kunz [Berlin] [CDU/CSU]: Wir haben geradezu Tradition darin!)

    sondern das Entscheidende an und für Berlin ist, daß die Stadt mit ihrer Existenz ein Symbol, ein Mittelpunkt deutscher Zukunftshoffungen ist und bleiben muß. Dazu müssen wir beitragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    An welchem Ort, in welcher Stadt könnte das Bewußtsein von der Einheit der deutschen Nation eindrucksvoller und wirksamer wachgehalten werden als in und mit Berlin.
    Wenn wir also von der Fortentwicklung der konstruktiven Ansätze sprechen, dann heißt das zäher Bodengewinn auf dem steinigen Pfad der kleinen Schritte, hin zu mehr Durchlässigkeit, Begegnungen und menschlichen Erleichterungen. Allerdings muß klar sein: Solange die DDR ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, solange sie beispielsweise nicht von der Erhöhung des Zwangsumtauschs abgeht, können keine neuen Vereinbarungen mit ihr abgeschlossen werden. Ich hoffe, daß Ihr Schweigen zu diesem Punkt nicht schon wieder ein Zurückweichen der Bundesregierung von ihrem eigenen ursprünglichen Kurs signalisiert. Dort würden Sie uns nicht mehr auf Ihrer Seite finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Über Polen, unsere Sympathie dem polnischen Volk und jenen gegenüber, die die Rechte der Arbeitnehmer dort vertreten, ist das Richtige schon gesagt worden. Ich will dazu nichts mehr sagen außer dem einen — daran zu denken und daran zu appellieren muß unsere Pflicht sein und ist unsere Pflicht —: Wenn wir Hilfe an Polen geben, müssen auf der anderen Seite auch verbindliche Abmachungen zugunsten der dort lebenden Deutschen und der zügigen Bearbeitung ihrer Aussiedlungsanträge erfolgen. Auch dies kann nicht unterschlagen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)