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ID0900604000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/6 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Italien 45 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Berger (Berlin) und Ronneburger 45 B Erweiterung der Tagesordnung 45 B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl CDU/CSU 45 B Brandt SPD 57 C Hoppe FDP 68 C Dr. Zimmermann CDU/CSU 75 C Genscher, Bundesminister AA 83 B Bahr SPD 91 D Dr. Wörner CDU/CSU 97 C Dr. Ehmke SPD 105D Möllemann FDP 108 A Dr. Apel, Bundesminister BMVg . . . 114C Dr. Holtz SPD 120 B Pieroth CDU/CSU 122 D Dr. Vohrer FDP 124C Präsident Stücklen 91 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen — Drucksache 9/10 — 75A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Einsetzung von Ausschüssen — Drucksache 9/11 — 75 B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksache 9/16 — 75B Nächste Sitzung 126 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 127* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1980 45 6. Sitzung Bonn, den 26. November 1980 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Barzel 28. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Höffkes 28. 11. Frau Hürland 28. 11. Landré 28. 11. Mahne 28. 11. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 11. Pawelczyk 28. 11. Picard 28. 11. Rappe (Hildesheim) 28. 11. Rayer 28. 11. Reddemann * 27. 11. Schmidt (Wattenscheid) 28. 11. Spilker 28. 11. Dr. Steger 28. 11. Dr. Vohrer * 26. 11. Frau Dr. Wisniewski 26. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Horn, ich befinde mich auch hier in der angenehmen Lage, mit Ihnen übereinstimmen zu können.

    (Zurufe von der CDU/CSU: „Auch"? — Wo noch? — Zuruf von der SPD: In allen Punkten!)

    — Es ist doch wirklich sehr leicht, Ihre Freude und Befriedigung zu erzielen. Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz sicher, ob uns das in dieser Form schon vor vier, fünf Monaten gelungen wäre. Wir machen alle Fortschritte im Umgang miteinander, und das ist eigentlich ganz hoffnungsvoll.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Zusammenarbeit zwischen Ost und West sprechen, dann muß das ernstgenommen werden, was der Bundeskanzler hier gesagt hat über die Belastung der Ost-West-Beziehungen durch die sowjetische Intervention in Afghanistan, durch das Fortdauern dieser Intervention. Im Zusammenhang mit der Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten ist von Publikationsorganen der Sowjetunion daran erinnert worden, daß sich vor einigen Jahren — im Jahre 1972 — die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gegenseitig Gleichberechtigung eingeräumt haben. Das war eine wichtige Voraussetzung für das Zusammenwirken der beiden Großmächte in der internationalen Politik. Das ist richtig so.
    Allerdings muß ergänzend bemerkt werden, daß dabei auch festgelegt worden ist, daß keiner sich auf Kosten des anderen Vorteile in bestimmten Teilen der Welt verschafft. Das gehört zu diesem Umgang miteinander hinzu, so daß nicht nur die Schlußakte von Helsinki und viele internationale Verpflichtungen wie auch der Grundsatz der Souveränität und Unabhängigkeit Afghanistans es erzwingen, daß die Sowjetunion dieses Land verläßt, sondern auch das Verhältnis der beiden Großmächte zueinander.
    Ich erwähne das hier noch einmal, weil ich an einen anderen Vorgang anknüpfen möchte, der für jeden von uns bewegend ist und wo sich zeigt, daß der Deutsche Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit ihre Verantwortung sehr wohl kennen. Ich meine die Vorgänge in der Volksrepublik Polen, die wir alle mit großer Anteilnahme verfolgen.
    Ich möchte dem Herrn Kollegen Kohl sagen, daß seine Bemerkungen, die Union werde Bemühungen unterstützen, den Überfluß der Europäischen Gemeinschaft auch zur Überwindung ökonomischer Probleme in Polen einzusetzen, voll unseren Auffassungen entspricht. Wir sind in der Regierung und in der Eurpäischen Gemeinschaft — gestern ist darüber gesprochen worden — bemüht, durch Nahrungsmittelhilfen dazu beizutragen, daß schlimmste Not abgewendet werden kann.
    Es wird hoffentlich niemanden geben, der diese Bemühungen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Landes mißdeuten will.

    (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Zumal da wir Butter in die Sowjetunion liefern!)

    Es wird sicher auch nicht als Einmischung angesehen werden, wenn wir unsere Überzeugung äußern, daß es das Recht des polnischen Volkes und das Recht der Verantwortlichen in Polen sein muß, die schwerwiegenden Probleme des Landes in eigener Verantwortung zu lösen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es ist notwendig, daß wir uns selber verantwortungsvoll zeigen und daß wir nichts tun, was jemand, und sei es auch nur böswillig, als Einmischung auslegen kann. Das gilt für alle westlichen Länder.
    Aber ich denke, es ist auch notwendig, zu sagen, daß Nichteinmischung nicht nur eine Verpflichtung der westlichen Demokratien in Westeuropa ist, sondern daß Nichteinmischung in jeder Form eine Verpflichtung aller am Entspannungsprozeß Beteiligten sein muß, wenn diese von uns mit Leidenschaft verfolgte Entwicklung den Verlauf nehmen soll, den sich die Menschen in Polen — niemand sonst hat darüber zu entscheiden — wünschen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Hoffentlich ist sich jeder auch bewußt, daß ein anderes Verhalten, von welcher Seite auch immer, das auslösen würde, was so nachdrücklich in der deutsch-französischen Erklärung vom Februar 1980 gesagt worden ist.
    Der sechste Grundsatz unserer Außenpolitik muß sein, daß wir ein Europa wollen, das Ausgangspunkt friedlicher Konfliktlösung in aller Welt ist, das sich, wie mein Kollege Hoppe zu Recht gesagt hat, gegen die Übertragung des Ost-West-Gegensatzes auf die Dritte Welt ausspricht und das Spannungsexport nicht will. Das bedeutet Zurückhaltung in den Angelegenheiten der Dritten Welt und wirkliche Hilfe für sie.
    Wir stellen — siebentens — die Unterstützung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt gegen eine Politik der Einflußnahme- und Vorherrschaftszonen, die die Dritte Welt nur zum Ausgangspunkt neuer Spannungen machen würde. Hierzu ist es erforderlich, daß wir uns von manchen Vorurteilen gegenüber Entwicklungen in der Dritten Welt freimachen. Ich sage jetzt ganz unpolemisch und ohne Ironie: Wenn ich vorhin gesagt habe, bemerkenswert sei auch vieles, was Herr Kollege Dr. Kohl nicht erwähnt habe, so meinte ich auch, daß er darauf verzichtet hat, die Teile der Re-



    Bundesminister Genscher
    gierungserkärung zu kommentieren, kritisch zu kommentieren, die sich mit der Dritte-Welt-Politik der Bundesregierung, einschließlich der Befreiungsbewegungen und ihrer Rolle, befaßten.

    (Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Wenn es dabei bleibt, würde das ein ganz erheblicher Fortschritt für die gemeinsame Politik sein. Denn, meine Damen und Herren, wir müssen uns von einer verallgemeinernden Bewertung der Vorgänge in der Dritten Welt freimachen. Wer jede Befreiungsbewegung in der Dritten Welt als 5. Kolonne des Kreml diffamiert, darf sich nicht wundern, wenn die dann letztlich, weil sie sich gar keinen anderen Rat wissen, an der Kremltür auch noch anklopfen in der Erwartung, wenigstens von dort Unterstützung zu bekommen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich denke, daß wir uns auch darüber im klaren sein müssen, daß unsere Politik der Hilfe für die Dritte Welt, unsere Politik zur ökonomischen und politischen Stabilisierung der Staaten der Dritten Welt auf jeden Fall nicht ein Beitrag zur Stabilisierung überholter Systeme in bestimmten Staaten der Dritten Welt sein darf. Hier wird unsere Politik gegenüber Mittelamerika ein Testfall für die Aufrichtigkeit dieser Zielsetzung sein müssen. Das gleiche gilt für unser Verhältnis zu der Politik, die in Südkorea gemacht wird. Unser Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung ist durch den Hinweis auf den Nahen Osten, durch den Hinweis auf die Politik im südlichen Afrika in der Regierungserklärung dargelegt worden.
    Politik gegenüber der Dritten Welt muß heißen: handeln aus moralischer Verantwortung. Dazu ist es notwendig, daß wir uns — achtens — unserer Verantwortung für die Dritte Welt stellen, auch im Nord-Süd-Dialog; Herr Kollege Brandt hat mit Recht darauf hingewiesen. Deshalb war es notwendig, daß wir zu den Ländern gehörten, die sich auch für den im Juni in Mexiko geplanten Nord-Süd-Gipfel eingesetzt haben, damit in einer von den Beratungsformen der internationalen Organisationen abweichenden Form versucht werden kann, einen Weg nach vorn zu finden, den man gemeinsam gehen kann. Wir sind der Meinung, daß das eine Verpflichtung ist, die nicht nur die westlichen Demokratien angeht, sondern die in gleicher Weise auch die kommunistischen Industriestaaten angeht. Wir haben uns dafür eingesetzt, daß auch die Sowjetunion eine Einladung zu dieser Konferenz erhält, damit sie dort Gelegenheit hat, sich ihrer Verantwortung zu stellen.
    Meine Damen und Herren, es wird auch notwendig sein, daß durch eine West-Ost-Süd-Kooperation in der Energiepolitik — und das steckt hinter unserer Bereitschaft, an der Einsetzung einer europäischen Energiekonferenz mitzuwirken — die Gefahr eines weltweiten Energieverteilungskampfes abgewendet werden kann. Das wird eine ganz entscheidende Aufgabe sein, um deren Lösung wir ringen müssen. So ist es notwendig, daß wir uns an der Schwelle einer neuen Legislaturperiode — man kann auch sagen: an der Schwelle der 80er Jahre — in diesen grundlegenden Fragen unserer außenpolitischen Verantwortung stellen. Das sind die Perspektiven der Politik der Bundesregierung, für die jede Unterstützung willkommen ist. Diese Politik setzen wir ganz zielstrebig fort, weil wir wissen, daß ihre Berechenbarkeit, ihre Stetigkeit und ihre Dauerhaftigkeit ein ganz wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung in der Welt sind.
    Diese Stabilisierung müssen wir bewirken, weil wir ja auch im Innern, meine Damen und Herren, eine Fülle von Problemen haben, deren Lösung uns nicht leicht fallen wird. Da haben wir alle eine gemeinsame Überzeugungsaufgabe, der wir uns im Bundestagswahlkampf schon gestellt haben. Unser Volk hat sich an steigende Wohlstands- und Wachstumskurven gewöhnt. Damit sind auch die materiellen Ansprüche gestiegen. Nun kommt es angesichts völlig veränderter außenwirtschaftlicher und binnenwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, veränderter ökologischer Einsichten, auch veränderter Machtstrukturen in der Welt darauf an, die notwendigen Anpassungsprozesse ohne Gefahr für die soziale und damit auch für die demokratische Stabilität zu steuern.
    Da ist mit Recht in dieser Regierungserklärung auf die Notwendigkeit sparsamer Haushaltsführung hingewiesen worden. Aber sparsame Haushaltsführung darf uns nicht zum Verzicht auf politische Gestaltung bringen. Die Reformfähigkeit unserer Ordnung kann sich auch, ja, ich behaupte: sie muß sich gerade unter strengeren Haushaltsgesetzen bewähren können.
    Dann müssen wir ein höheres Problembewußtsein für alles entwickeln, was die Menschen in unserem Lande beeinträchtigt. Da gibt es nicht nur Probleme der Mehrheiten, sondern auch Probleme der Minderheiten.
    Man kann nicht an mehr Bürgerengagement und mehr Bürgerinitiative appellieren, man kann nicht gleichzeitig — wie der Herr Kollege Dr. Kohl dankenswerterweise — auf die Bedeutung des Umweltschutzes hinweisen und dann in der Form, wie es Herr Kollege Dr. Zimmermann getan hat, gegen die Verbandsklage zu Felde zu ziehen. Das eine oder das andere stimmt dann nicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich dachte, das sei nur eine Minderheitsmeinung der CSU. Aber ich stelle fest: Auch in der CDU hat die Ablehnung der Verbandsklage eine massive Unterstützung.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU)

    Das zeigt: Da haben wir noch eine große Überzeugungsarbeit vor uns.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Zeit wird es notwendig sein, daß die politische Führung — und damit sind nicht nur Regierungen gemeint, sondern auch Parteien, und das gilt auch für die Opposition — ihre Aufgabe sieht und sich ihrer Aufgabe bewußt zeigt. Hier sind heute morgen in



    Bundesminister Genscher
    den Diskussionsbeiträgen eine Reihe von Fragen aufgeworfen worden, die jenseits materieller Erfordernisse auf Probleme in unserer Gesellschaft verwiesen haben. Ich kann nur denen zustimmen, die eine Absage fordern an die Gigantomanie im öffentlichen Bauwesen jeder Art. Ob das die zu großen Schulen sind oder die zu großen Krankenhäuser oder die zu großen Rathäuser, allesamt Großeinheiten, in denen sich der Mensch nicht mehr zurechtfinden kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, da haben wir alle eine gemeinsame Verantwortung. Da wird auch keine Partei sagen, daß sie auf diesem Felde nicht gesündigt habe. Da kann auch keiner im Bundestag sagen, das sei eigentlich mehr Angelegenheit der Länder oder der Gemeinden. Wir repräsentieren hier auch politische Parteien, die eine durchgängige Verantwortung von der Gemeinde über die Länder bis zum Bund tragen, übrigens auch noch eine europäische Verantwortung. Wenn deshalb hier vom Deutschen Bundestag die Forderung ausginge: Schluß mit dieser Gigantomanie!, wäre das ein ganz ermutigender Schritt — auch von dieser Debatte, meine Damen und Herren.
    Der Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir ein erfreuliches Ansteigen bei der Gründung selbständiger Existenzen haben. Das ist auch ein Ausdruck eines veränderten gesellschaftlichen Bewußtseins — übrigens auf Grund von der Bundesregierung richtig gesetzter Rahmenbedingungen —, daß Leistung und Wille zur Selbständigkeit sich lohnen.
    Was wir brauchen, ist im Rahmen und im Verhältnis der Generationen zueinander auch mehr Einsicht in das menschlich Notwendige und nicht in das ökonomisch vielleicht Leichtere und Bessere. Wenn wir über Wohnungsbau und Städtebau reden, bitte, dann seien wir uns auch bewußt, daß eine, wenn auch vielleicht etwas teurere Wohnung für alte Menschen in einem Hause, in dem auch andere Familien anderer Generationen wohnen, auf jeden Fall menschlicher und besser ist als das am Stadtrand stehende noch so komfortable, zur Vereinsamung zwingende Altenheim, das wir alle kennen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Bildungspolitik muß auch über ein Problem gesprochen werden, das ein qualitatives Bildungsproblem ist. Es ist über Notwendigkeiten, Aufgaben und Bedingungen von Sicherheitspolitik und unseren Beitrag dazu zu reden. Das reicht aber allein nicht aus. Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen — es ist doch ganz legitim, daß er Niedersachsen und Bayern vergleicht —, wohin es führt, wenn Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden. Glauben Sie denn eigentlich — dies frage ich die Bundesländer und die Kultusminister —, daß Sie junge Menschen für diese Demokratie gewinnen können, wenn innerhalb der wahrlich nicht großen Bundesrepublik Deutschland bestimmte Bildungsabschlüsse nur in einem Teil unseres Landes anerkannt werden sollen?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das ist ein Austragen von ideologischen Grabenkämpfen auf dem Rücken von Kindern, Eltern und Lehrern.
    Was wir in dieser Hinsicht brauchen, ist mehr Einsicht in die gemeinsame Verantwortung. Jedermann in diesem Hause weiß, daß ich mich seit langem für mehr Bundeskompetenzen auf dem Gebiet der Bildungspolitik einsetze. Ich habe das früher nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit getan. Inzwischen ist dies — dieser Meinung bin ich — auch noch aus Gründen der Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Staatswesens notwendig.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir müssen noch eine Menge tun, um auch im Bildungswesen zu erkennen, daß Reformfortschritte notwendig sind, aber bitte so, wie es der Bundeskanzler in der Regierungserklärung gesagt hat: unter Berücksichtigung der Pluralität in unserem Lande, unter Berücksichtigung des Elternwillens. Es kann eben nicht so sein, daß es in einem Lande praktisch nur noch Gesamtschulen und in dem anderen praktisch keine Gesamtschulen geben soll. Nicht die Kultusminister, nicht Kultusbürokratien sollen entscheiden, welche Schulen unsere Kinder besuchen. Das ist vielmehr Aufgabe der Eltern, wenn wir es mit dem Elternrecht ernst meinen.

    (Allseitiger Beifall)

    Man muß es sogar ertragen können, wenn das, was gewünscht wird, nicht mit dem jeweiligen Parteiprogramm übereinstimmt.
    Wenn wir schon über Hochschulprobleme reden, sei auch dies gesagt. Die Bundesregierung wird den Versuch unternehmen, das Hochschulrahmengesetz zu novellieren. Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen der Opposition noch einmal prüfen würden, ob sie nicht zustimmen könnten, wenn es darum geht, die verfaßte Studentenschaft wieder für alle Bundesländer vorzusehen. Gibt es eigentlich wirklich Gründe, die es wert erscheinen lassen, in einem wichtigen Bereich unseres Bildungswesens ohne Not zu Konfrontationen Anlaß zu geben? Prüfen Sie sich doch bitte einmal.

    (Beifall bei der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir müssen uns, wenn wir über das Bildungswesen sprechen, über gleiche Lebenschancen unterhalten. Wir müssen sehr viel über Inhalte im Bildungswesen sprechen, damit die Schulen den großen Anspruch erfüllen können, der in diesem Lande mit Recht an sie gestellt wird.
    Meine Damen und Herren, die sozialliberale Koalition läßt sich in ihrer gemeinsamen Politik bei der Lösung aller Zukunftsprobleme von der Forderung nach Liberalität und nach Solidarität leiten. Wir sehen zwischen beiden keine Gegensätze. Im Grunde ist beides notwendig, um in einem freiheitlichen und demokratischen Staatswesen in gegenseitiger Ach-



    Bundesminister Genscher
    tung miteinander umzugehen. Weil wir in einer pluralistischen Gesellschaft und in einer pluralistischen Demokratie leben, müssen wir auch fähig sein, zwischen den Parteien und untereinander Kompromisse zu schließen. Der Kollege Willy Brandt hat heute morgen die Auffassung seiner Partei zur Mitbestimmungsfrage erläutert und hat dabei auch erkennen lassen, was die beiden Regierungsparteien unterscheidet. Er hatte aber recht, als er auf das verwiesen hat, was freie Demokraten und Sozialdemokraten auf diesem Gebiet bei der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 und auch mit der jetzt gefundenen Einigung gemeinsam geschaffen haben. Da soll man den Kompromiß gar nicht herabsetzen. Es ist einiger Fortschritt darin. Möge die Opposition bitte auch bewerten, daß wir anstelle der Entsendung von Gewerkschaftsvertretern jetzt ein Vorschlagsrecht haben, das der Bestätigung und Auswahl durch die vorhandenen Wahlkörper bedarf.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich will Ihnen ganz offen sagen: mit uns kann man auf der Mitbestimmungsstraße noch sehr, sehr weit gehen, wenn es darum geht, die Freiheitsrechte des einzelnen Arbeitnehmers, seine Mitwirkungsrechte weiter auszugestalten und auszubauen.

    (Beifall bei der FDP)

    Das ist ein Angebot, und da werden wir weiter mit unserem Koalitionspartner sprechen. Da wird es vieles geben, was wir wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft gemeinsam regeln können.
    Meine Damen und Herren, die Opposition ist natürlich eingeladen, unter Wahrmachung ihrer Ankündigung aus der Zeit vor der Bundestagswahl die hier gefundene Regelung zu unterstützen. Sie haben die Möglichkeit, die Entsendungsrechte abzulösen durch ein Wahlrecht für die bestehenden Wahlkörper. Sie hatten das nicht vorgesehen. Aber ich hoffe, daß Sie dabei zustimmen können, daß Sie das überwinden, was Sie damals vergessen hatten vorzubringen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Bundesminister, Sie schauen bei Ihrer Rede in die falsche Richtung!)

    Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir in einer pluralistischen Gesellschaft zum Kompromiß fähig sein müssen, so bedeutet das, daß wir in einer pluralistischen Gesellschaft nicht von dogmatischen Vorstellungen ausgehen dürfen. Das gilt nicht nur für die Zusammenarbeit in der Bundesregierung, wo das für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Nein, das gilt frei von dogmatischen Vorstellungen und kleinlicher Rechthaberei, mit dem Willen zur Zusammenarbeit, auch mit der Opposition dort, wo die sachlichen Positionen es zulassen, im Interesse unseres Landes, vor allem auch in Fragen der Außenpolitik. Mit diesem Willen beginnen wir die Parlamentsarbeit im neuen Bundestag. Das ist Entschlossenheit zur Fortsetzung einer vereinbarten Regierungspolitik, und das ist Bereitschaft zu konstruktiver und sachlicher Zusammenarbeit auch mit der Opposition. Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben ein Mitglied dieses Hauses als Verleumder bezeichnet. Ich rufe Sie zur Ordnung.

(Wehner [SPD]: Ich nehme den Ordnungsruf entgegen und werde ihn solange wieder so nennen, solange ich weiter als Landesverräter bezeichnet werde! — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! Das ist schlimm!)

— Herr Abgeordneter Wehner, Sie wissen, daß eine Diskussion über Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten nicht — —

(Br andt [SPD]: Mit dem, was er gemeint hat, hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion recht, Herr Präsident! — Zustimmung bei der SPD)

- Auch Herr Abgeordneter Brandt: wir müssen uns in dieser Frage an die Geschäftsordnung halten.

(Wehner [SPD]: Ja, und die müssen sich an den Anstand halten! — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)

Meine Damen und Herren, wir wollen uns nicht aufregen. Wir haben eine Geschäftsordnung, die vorsieht, daß Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten nicht kritisiert werden können. Es gibt in der Geschäftsordnung einen anderen Weg, aber nicht denjenigen, der hier versucht worden ist.
Ich fahre in den Wortmeldungen fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist im Laufe des heutigen Tages sehr viel von Gemeinsamkeiten die Rede gewesen. Der Parteivorsitzende der SPD hat heute früh sehr ernst und sehr ruhig dazu etwas gesagt. Ich möchte das in gleicher Weise fortsetzen, gerade nach dem, was wir eben erlebt haben, gerade nach dem, wie der Kollege Zimmermann gesprochen hat, und gerade nachdem er die Gelegenheit nicht genutzt hat, einen Beitrag zu leisten, zu dem er mehr gefordert ist als jeder andere in diesem Haus.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Gemeinsamkeiten mit der „Moskau-Fraktion", das ist doch wohl nicht zumutbar. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt:
    Der Wahlkampf ist vorüber. Ich begrüße die Appelle des Alterspräsidenten und des Bundestagspräsidenten als erste Schritte in Richtung auf normale parlamentarische Arbeit.
    Ich stimme jedem Wort zu. Es waren erste Schritte. Die entscheidenden müssen von denen kommen, die jene Broschüre verfaßt haben,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die von „Friedensunfähigkeit" gesprochen haben, Herr Bahr!)




    Bahr
    in der Mitgliedern dieses Hauses vielfach unterstellt wurde, daß sie Geschäfte einer anderen Macht besorgen, und die damit Mitglieder dieses Hauses verleumden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, hier reicht es nach meiner Auffassung auch nicht aus, das gleichzustellen mit einer Äußerung des Bundeskanzlers in diesem hohen Hause in der Juni-Debatte, die zu Recht weder damals noch seither gerügt wurde. Viele Sprecher der Opposition haben sich angewöhnt, Sozialdemokraten nur noch Sozialisten zu nennen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sind sie auch!)

    — Befolgen Sie doch einmal den Rat Ihres Vorsitzenden und gewöhnen Sie sich die Fähigkeit an, auch ruhig zuzuhören.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Es ist doch völlig klar, daß diese Bezeichnung nicht gemeint ist als Anerkennung der Formulierungen, wie sie in unserem Godesberger Programm stehen. Wer in der CDU und der CSU Sozialisten und Kommunisten nebeneinandersetzt — und ein Stück davon haben wir auch heute morgen wieder erlebt — und daraus die Kampfformel entwickelt hat und weiterführt, es ginge um Freiheit oder Sozialismus, der hat die Gräben zu verantworten, die er damit zu der traditionsreichsten Partei unseres Volkes aufgerissen hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Wahlkampf ist vorbei, und die meisten Bürger in diesem Lande sind froh darüber, die meisten in diesem Hause sicher auch.

    (Windelen [CDU/CSU]: Bloß Herr Bahr nicht!)

    Es ist aber eine Frage der Selbstachtung, nicht so zu tun, als könne man diese Dinge durch Schweigen aus der Welt bringen. Es ist übrigens auch eine Frage, bei der die Menschen in unserem Volke sehr genau hinsehen, ob die Gewählten sich vertragen, als ob sie sich nie geschlagen hätten. Insofern glaube ich, daß hier noch etwas in Ordnung zu bringen bleibt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir haben in den zurückliegenden Wochen, aber auch im Verlaufe dieses Tages eine interessante Diskussion innerhalb der Opposition erlebt und verfolgen können. Sie fand darüber statt, ob die Opposition ihre Haltung zur Ostpolitik neu überdenken müsse, um sie auch innerlich und nicht nur auf der Basis geschlossener Verträge zu überdenken und sich auf diese Basis zu stellen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Leber)

    Argumentiert wurde, man könne sich nach drei Wahlgängen gegen die Ostpolitik der Koalition nicht einen vierten Wahlgang 1984 — insoweit unverändert — vorstellen. Das ist eine taktische Überlegung,
    während es in Wirklichkeit um Inhalte geht. Aber auch die Taktik ist j a erlaubt.
    Die Gegenposition kam aus Kreuth. Nach der fünften Klausurtagung dort schrieb der Kollege Zimmermann — ich zitiere —:
    Nicht die Union, sondern die SPD/FDP-Koalition steht vor einem ostpolitischen Godesberg. Die Ostpolitik, so wie sie die Herren Brandt, Bahr und Wehner 1970 angelegt haben, ist nicht mehr.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Waterloo!)

    Mit anderen Worten: die Opposition hat auch heute über einen Kurswechsel ihrer Ostpolitik diskutiert. Dabei ist das, was der Kollege Zimmermann jetzt eben zu Gehör gebracht hat, jedenfalls logisch: Wer die Wende gerade auch auf diesem Gebiet verlangt hat, kann nach der verlorenen Wahl die Wende nicht selbst vollziehen, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren will. Natürlich kann man niemandem verwehren, neue Erkenntnisse zu gewinnen, einen neuen Anfang zu machen. Aber nun soll die „Bestandsaufnahme" das Zauberwort sein, um der CDU/CSU ihr ostpolitisches Godesberg noch eine Weile zu ersparen.
    Es hat in diesem Zusammenhang eine Spekulation gegeben, die der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe in der ihm eigenen freundlichen Art so formuliert hat — ich zitiere ihn —: „Wir wollten damit der SPD/FDP-Koalition die Chance geben, neuen Boden zu betreten, nachdem sich der alte als nicht tragfähig für Belastungen erwiesen hat."
    Der Herr Kollege Kohl wollte heute morgen vergessen machen, daß auch er eine Wende herbeiführen wollte. Der Kollege Zimmermann will die Wende und ihre Notwendigkeit wenigstens in Worten weiterführen. Wenn man das erlebt hat und vergleicht, was die beiden miteinander gesagt haben, dann ist ihnen zu empfehlen, daß die Bestandsaufnahme über Ost- und Deutschlandpolitik zuerst einmal innerhalb der Opposition erfolgt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Aber alle diese Unterschiede und Spekulationen sind durch die Regierungserklärung beendet. Die Regierungserklärung hat ein Faktum gesetzt, von dem im Inland wie im Ausland auszugehen ist. Die Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Regierungserklärung setzt nahtlos die Politik fort, die die sozialliberale Regierung seit 1969 verfolgt hat. Für diese Politik — und nicht zuletzt für diese Politik — ist uns das Vertrauen ausgesprochen worden. Auch wegen dieser Politik sind die beiden Koalitionsparteien gestärkt in diesen Bundestag zurückgekehrt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist nur folgerichtig, daß eine bewährte Politik fortgesetzt werden soll, nachdem die Menschen in unserem Lande die Wende abgelehnt haben. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, was die Wähler abgelehnt haben.



    Bahr
    Der Bundeskanzler hat den Frieden und den Kurs des Friedens wieder an die erste Stelle gesetzt. Das entspricht nicht nur den Gefährdungen der internationalen Lage, über die wir im wesentlichen keine unterschiedlichen Meinungen haben, sondern es entspricht auch unserer Überzeugung, daß es angesichts der Krisen in der Welt, des nicht gestoppten Rüstungswettlaufs, der zunehmenden Verschärfung der Nord-Süd-Gegensätze keine wichtigere Aufgabe gibt. Es entspricht auch der über alle Jahre hinweg verfolgten Priorität dieser sozialliberalen Regierung; denn Sicherheit und Entspannung, Gleichgewicht und Zusammenarbeit sind Mittel und kein Selbstzweck. Das Ziel muß nicht nur bleiben, Krieg zu verhindern, soweit wir dazu mit unseren begrenzten Kräften beitragen können. Ziel muß es sein, einen Zustand zu erreichen, in dem der Friede in Europa und — wenn möglich — auch in anderen Regionen, also global, nicht mehr gefährdet werden kann.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Was heißt das inhaltlich?)

    Angesichts der ungeheuren Zerstörungskräfte, die heute in der Welt militärisch existieren, ist dieses Ziel aus dem Bereich der gewagten Utopie in den des Interesses zur Selbsterhaltung der Menschheit gerückt. In dieser Dimension werden die 80er Jahre entscheidende Jahre sein. In dieser Dimension sehen wir das Ziel der Regierungserklärung, auch den Punkt, den Rahmen der Verträge nicht nur auszufüllen, sondern auch weiterzuentwickeln. Die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ist langfristig angelegt. Das Verhältnis zu den anderen osteuropäischen Staaten und zur DDR ist langfristig angelegt. Es hat nicht nur formale Gründe, daß die geschlossenen Verträge zeitlich nicht begrenzt sind.
    In dieser Dimension sehen wir die Notwendigkeit, das militärische Gleichgewicht zu erhalten oder wiederherzustellen, möglichst auf einem niedrigeren Niveau. In dieser Dimension erhält das Bündnis seinen Zweck, ebenso die Beiträge und persönlichen Opfer, die wir unseren Bürgern, sei es finanziell, sei es durch den Dienst in und für die Bundeswehr, abverlangen.
    Es war der Sinn aller Verträge, im Interesse des Friedens Zusammenarbeit zu entwickeln, obwohl wir wußten und gesagt haben, daß es tiefgreifende und grundsätzliche ideologische Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen uns und unseren Partnern gibt. Durch keinen Vertrag können sie wegverhandelt werden. Man muß nur dafür sorgen, daß diese ideologischen Auseinandersetzungen an die zweite Stelle rücken, also nicht mit Gewalt ausgetragen werden. Das ist ein zentraler Punkt der Vertragspolitik. Ich sehe keinen einzigen Gesichtspunkt, der nicht heute genauso gilt. Deshalb ist es richtig, daß diese Politik fortgesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, niemand wird es mißverstehen, wenn ich erst an zweiter Stelle die menschlichen Erleichterungen nenne, die wir erreicht haben. Sie werden von der Opposition ja auch anerkannt. Kein Rückschlag kann die Summe dessen mindern, was sehr, sehr vielen einzelnen Menschen und Familien an Erleichterungen verschafft werden konnte. Aber es wäre eine unzulässige Verengung, wenn wir den Blick nur darauf richteten, als würde sich der Inhalt unserer Politik in weiteren technischen Absprachen und weiteren menschlichen Erleichterungen erschöpfen — so wichtig das ist und sowenig wir uns mit Rückschlägen abfinden dürfen. Je fester die Sicherung des Friedens wird, je stärker gleichgerichtete Interessen zu Absprachen führen, um so mehr wird das auch den Menschen dienen. Das gilt global, das gilt in Europa, das gilt zwischen den beiden deutschen Staaten.
    Um diese Politik ungefährdet und sicher führen zu können, brauchen wir das militärische Gleichgewicht. Das eine wie das andere ist keine taktische Frage, das eine wie das andere ist durch die Bundesrepublik Deutschland berechenbar und auf Dauer angelegt. Seit 1969 hat sich da nichts verändert und darf sich auch gar nichts verändern.
    Natürlich kommt dabei unserem Verhältnis zu unserem stärksten Verbündeten eine besondere Bedeutung zu. Hier hat es in letzter Zeit hörbare Sorgen gegeben. Ich gestehe: ich habe sie geteilt, wenngleich nicht ausgesprochen. Natürlich hätte es gewaltige Folgen, wenn die Schwierigkeiten, den Rüstungswettlauf zu beenden, wie das so eindrucksvoll der Bundesaußenminister als Notwendigkeit gerade dargelegt hat, dadurch beseitigt würden, daß man ihn nun erst richtig beginnt. Eine Politik der Überlegenheit, von wem auch immer formuliert, ist mit unserer Überzeugung von der Politik des Gleichgewichts nicht zu vereinbaren.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Daß der Bundeskanzler seine seit vielen Jahren vertretene Überzeugung vom Gleichgewicht in voller Klarheit wiederholt hat, nachdem er mit dem neugewählten amerikanischen Präsidenten gesprochen hat, ist besonders wichtig.
    In der Vorstellung vom Gleichgewicht ist übrigens auch enthalten, daß die Sicherheit in und für Europa nicht ohne die Vereinigten Staaten zu erhalten ist und daß es dazu gehört, die Solidarität des Risikos zu erhalten. Gleichgewicht und Abkoppeln, das verträgt sich nicht.
    Wir haben zu SALT j a gesagt, weil es nach unserer Auffassung auch unseren Interessen entspricht. Wir sind überzeugt, daß SALT auch den amerikanischen Interessen entspricht; denn SALT ist ein wichtiges Instrument, bindet auch die Sowjetunion, die ihr militärisches Potential, wie wir gesehen haben, leichter steigern kann als westliche Länder.
    Wir haben den Doppelbeschluß der NATO unterstützt. Herr Kollege Zimmermann und Herr Kollege Kohl, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß wir da mit den Augen zwinkern.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Um Sie mache ich mir immer Sorgen!)

    Wir haben den Doppelbeschluß unterstützt in
    Kenntnis der zusammenhängenden Zeitabläufe. Wir
    unterstützen die Bundesregierung und ermutigen



    Bahr
    sie, den SALT-Prozeß nach ihren Kräften zu fördern.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das haben wir übrigens auch getan!)

    Auch auf diesem Gebiet stehen in den vor uns liegenden Jahren wichtige und schwierige Entscheidungen an, bei denen die konstruktive Haltung auch der Sowjetunion erforderlich sein wird.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Da hat der Bahr recht!)

    Was da zuweilen an Vorwürfen gegen die Bundesrepublik und gegen die Bundesregierung gedruckt oder gesendet wird, ist nicht hilfreich. Wenn der Bundesregierung Doppeldeutigkeit vorgeworfen wird, so muß das zurückgewiesen werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir begrüßen, daß die Verhandlungen über das Gebiet der Mittelstreckenraketen in Genf begonnen haben. Daran haben der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister ihr persönliches Verdienst. Das ist international anerkannt. Es hätte der Opposition nicht geschadet, es auch anzuerkennen, wenn ihr Wort von der Rüstungsbegrenzung nicht nur als bloßes Lippenbekenntnis erscheinen soll.

    (Beifall bei der SPD)

    Allgemeine Bekenntnisse kennen wir. Bei der konkreten Politik wird sich zu erweisen haben, ob es wie bisher bleiben soll: theoretisch j a, praktisch immer nein.