Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die Debatte, die soeben ablief, verfolgt.
Bevor ich zur Entwicklungspolitik spreche, möchte ich eine Bemerkung machen. Ich empfehle dem Kollegen Lattmann, auch wenn er nicht mehr in den Bundestag zurückkehrt, einmal die Verfassung nachzulesen, welche Möglichkeiten es gibt, einen Bundeskanzler zu wählen. Wir haben jedenfalls unseren Spitzenkandidaten in einem Gremium gewählt, das in der Lage und fähig sein wird, den Bundeskanzler zu wählen, nämlich die Fraktion im Deutschen Bundestag. Bei Ihnen wird der Bundeskanzler von Ihrem Fraktionsvorsitzenden ausgetauscht.
— Wenn Sie das für demokratischer halten, ist das Ihre Sache.
Der verspätete Aufruf des Einzelplans 23 hat mir genügend Zeit gegeben, über eine Anregung des Bundeskanzlers in seiner Rede nachzudenken.
— Ich lasse mir doch von Ihnen nicht vorschreiben, wozu ich reden will. — Er hat nämlich gemeint, meine Damen und Herren, angesichts der Bevölkerungsexplosion — die findet übrigens nicht mehr in dem Maße statt, wie sie immer noch als gegeben angesehen wird; da muß man ein bissel mehr lesen als nur den ersten Bericht des Club of Rome; dann kommt man dahinter, daß die Bevölkerungskurve anders läuft als so, wie sie von vielen noch als Grundlage ihrer Überlegungen unterstellt wird — müsse man doch darüber nachdenken, ob der Bevölkerungsschwund bei uns nicht eine Möglichkeit sei, dem Bevölkerungswachstum, das sich in den Entwicklungsländern vollzieht, entgegenzutreten. Das wäre so ziemlich das Falscheste und Schädlichste,
was wir tun könnten; denn eine schwindende Bevölkerung hat auf Dauer noch nie eine größere Möglichkeit dargestellt, anderen zu helfen, sondern eine abnehmende, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern in jederlei Hinsicht. Unsere Aufgabe ist es ja doch — und das bleibt wahrscheinlich noch lange die Aufgabe der Industrieländer —, den Entwicklungsländern wachsende und bessere Möglichkeiten zu ihrer eigenen Bestimmung und eigenen Entfaltung zu geben.
Das, meine Damen und Herren, ist mir so im Laufe der Debatte eingefallen, die übrigens viel schneller abliefe, wenn Sie sich nicht unablässig mit unserem Spitzenkandidaten beschäftigten. Ich entnehme daraus mit Vergnügen, daß wir doch offenbar den besten Mann aufgestellt haben, den wir haben.
Wir haben uns in den Beratungen des Haushaltsausschusses — und als Mitglied des Haushaltsausschusses will ich hier einige Bemerkungen machen — mit wenigen Problemen im Bereich der Entwicklungshilfe beschäftigt, darunter seit längerem mit der Frage der Aus- und Fortbildung, weil wir der Meinung sind — und ich glaube, darin stimmen wir überein —, daß gerade die Ausbildung und die Fortbildung für Angehörige der Entwicklungsländer so etwas wie eine Schlüsselfunktion zu ihrer eigenständigen Entwicklung darstellen. Deshalb erwarten wir bald eine Stellungnahme der Bundesregierung dazu, wie dem Wunsch des Haushaltsausschusses nach besserer Koordination und höherer Effizienz der beruflichen Aus- und Fortbildung entsprochen werden kann.
Die Bundesregierung hat im September dieses Jahres einen Zwischenbericht vorgelegt, der nach unserem Eindruck eine gute Ausgangsbasis als Analyse der bestehenden Situation und eine gute Grundlage für die Diskussion mit den Beteiligten darstellt. Wir hatten dabei die Hoffnung, daß eine Lösung im Einvernehmen — ich habe das schon im vergangenen Jahr gesagt — mit den Beteiligten gefunden wird; das sind vor allen Dingen die CarlDuisberg-Gesellschaft und die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung.
Es bestand hier Übereinstimmung, daß wir die Chance nutzen sollten, die Reichshauptstadt möglichst vielen Menschen aus der weiten Welt zur Kenntnis zu bringen und die Angehörigen der Entwicklungsländer in die Lage zu versetzen, in Berlin einen wesentlichen Teil dessen, was wir an Bildungs- und Ausbildungsangeboten zur Verfügung stellen können, zu erleben. Wir denken, daß gerade im Hinblick auf den forcierten Ausbau in Berlin Verbesserungen in der Zuordnung der Aufgabenbereiche notwendig seien.
Ich bin nicht der Auffassung, daß alles beim alten bleiben muß. Ich sage jedoch ganz klar, daß nur von der Sache her erforderliche Veränderungen vorgenommen werden sollten. Ich habe den Eindruck, daß nicht immer nur sachliche Gesichtspunkte bei der Frage der Veränderung der Aus- und Fortbildung eine Rolle spielen.
15400 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
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Wir halten es für dringend geboten — und damit komme ich zu einem Punkt, den wir schon mehrmals diskutiert haben —, im Bereich der Aus- und Fortbildung intensiver mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten, die Erfahrungen und Möglichkeiten der Wirtschaft starker zu nutzen, das Gesamtangebot besser abzustimmen und erheblich auszubauen.
Die deutsche Wirtschaft sieht die Notwendigkeit, nicht nur die Übertragung von Kapital in die Dritte Welt vorzunehmen. Es ist übrigens eine sehr große Frage, über die man vielleicht noch einmal nachdenken muß, ob wir genügend Anreize bieten, Investitionen deutscher Unternehmer in Entwicklungsländer zu ermöglichen oder interessant zu machen, weil es ja vielerlei Gesichtspunkte gibt, nicht nur den der Rendite, sondern auch den der Sicherheit,
vielleicht auch der Sicherheit der Arbeitsplätze. Dennoch sind wir nach unserer Kenntnis — und die wird vom Ministerium bestätigt — der Auffassung, daß die deutsche Wirtschaft gar nicht abgeneigt ist, sich aus verschiedenen Gründen in Entwicklungsländern zu engagieren, nicht nur der Rendite wegen, sondern weil sie weiß, daß es auf lange Sicht in unser aller Interessen liegt, Partner in dieser Welt zu haben, und dazu dient am besten eine Übertragung des Wissens und Könnens. Dieses Know-how zu übertragen, bedeutet nämlich eine wachsende Zahl an qualifizierten und hochqualifizierten Leuten in den Entwicklungsländern selbst, nicht hier. Ich meine, dieser Gesichtspunkt muß auch berücksichtigt werden.
Schließlich trägt ein erweitertes Ausbildungsangebot auch der Entwicklung am Arbeitsmarkt Rechnung, die eine deutliche Verknappung an Fachkräften in den nächsten Jahren erwarten läßt. Heute zeichnen sich bereits Schwierigkeiten ab, deutsche Arbeitskräfte für Aufgaben in den Ländern der Dritten Welt zu gewinnen.
Ich bin mir klar darüber, daß es auch noch andere Gesichtspunkte gibt und daß es vielleicht so etwas wie einer Klimaveränderung bedarf, um junge Deutsche wieder dazu zu bringen — ich will nicht sagen, aus Abenteuerlust, aber jedenfalls aus einem gewissen Gespür für Herausforderungen und für Forderungen, die wir zu erfüllen haben —, in andere Länder der Welt zu gehen, statt zu Hause zu sitzen und sich nach dem Studium oder nach der Ausbildung die mögliche Pension auszurechnen. Das ist ja die gängige Meinung, daß das so sei. Das ist nicht so. Aber wir haben nicht genügend junge Mitbürger, die bereit sind, in Entwicklungsländer zu gehen.
So meinen wir, daß diese Gesichtspunkte bei der im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit laufenden Überprüfung des Bereichs Aus- und Fortbildung ausreichend zu berücksichtigen sind. Denn einer der Ausgangspunkte war gerade die gemeinsame Überzeugung im Haushaltsausschuß, daß die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu verstärken und die bestehenden Einrichtungen in die Lage zu versetzen seien, sich mit ihren fachlichen und administrativen Kapazitäten auf diese Notwendigkeit einzustellen. Dieses Ziel würde jedoch mit Sicherheit verfehlt, wenn bei den anstehenden Überlegungen und Entscheidungen in diesem Zusammenhang mehr Bürokratisierung die Folge wäre. Ziel muß vielmehr sein — davon sind wir zutiefst überzeugt —, so weit wie möglich und verantwortbar Flexibilität und Eigenverantwortung der jeweiligen Trägereinrichtungen zu stärken.
Wir halten an dem Ziel fest, Berlin zum Mittelpunkt der Aus- und Fortbildung zu machen. Allerdings — ich bleibe dabei; ich habe das im vergangenen Jahr angedeutet und im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen — darf das nicht bedeuten, daß wir ein Ungleichgewicht zwischen den zu beteiligenden Organisationen bekommen, wenn wir Berlin im Auge gaben. Ich halte es für der Überlegung wert, ob wir nicht so weit sind, daß wir eine Atempause der Konsolidierung zu machen haben, und erst einmal ein Jahr abwarten müssen, um zu sehen, wie weit wir gekommen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eine Bemerkung machen, die ich auch zu später Stunde am Dienstagabend bei der Beratung des Einzelplans 05 — Außenministerium — machen konnte. Wir erwarten dringend, daß Entwicklungshilfeministerium und Außenministerium die Aufgaben der humanitären Hilfe miteinander und nicht nebeneinander lösen. Ich will nicht vom Gegeneinander sprechen, das halte ich nicht für möglich. Aber miteinander, und nicht nebeneinander! Das heißt, wir leisten humanitäre Hilfe, die in aller Regel zu einem Zeitpunkt ausläuft, wo die Ursachen des Problems noch nicht beseitigt sind und wo wir mit Sicherheit erwarten können, daß dieselben Probleme des Hungers, des Elends, der Obdachlosigkeit, der totalen Arbeitslosigkeit wieder auftauchen.
Ich meine also, wir müßten im Anschluß an humanitäre Hilfsmaßnahmen sofort mit Entwicklungshilfemaßnahmen einsetzen. Wenn wir das nicht können oder nicht wollen, dann müssen wir unter humanitärer Hilfe etwas anderes verstehen, müssen die Zweckbestimmung ändern und müssen im Einzelplan 05 halt höhere Beträge auswerfen. Wir engagieren uns in der humanitären Hilfe immerhin für das Jahr 1980 mit einem vorgesehenen Betrag von 50 Millionen DM, der vielleicht auf 80 Millionen DM oder 100 Millionen DM steigen wird, je nachdem welche Ereignisse uns im Laufe des Jahres überraschen. Wir können-es nicht zulassen — meine Damen und Herren, das meine ich sehr ernst —, daß wir als ein bedeutendes Land mit einer so großen Aufgabe, die wir notwendigerweise, aber auch mit Engagement wahrnehmen, nämlich Elend in der Welt zu lindern, dazu beitragen, das Elend zwar für ein paar Tage erträglich zu machen, es dann aber doch wieder voll einbrechen zu lassen.
Ich möchte nach Durchsicht der vertraglichen Erläuterungen, die ich hier nicht zum Gegenstand der Diskussion machen will, folgendes sagen. Wir haben ein Schwergewicht der deutschen Entwicklungshilfe, von der Größenordnung her gesehen, in Afrika, dort insbesondere in Schwarzafrika. Wenn ich über die Landkarte schaue und nur Zeitungen lese und nachdenke, sehe, wo Krisenherde in dieser Welt sind, dann läßt sich es sich nicht leugnen, daß in Zentralamerika und im Karibischen Raum ein Kri-
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senherd ist, in dem es, wenn wir nicht sehr rasch und viel stärker und viel gezielter unsere Aufmerksamkeit dorthin wenden, zu Explosionen kommen wird, die uns in unserem eigenen Interesse, aber auch im Interesse der dort lebenden Menschen Sorge machen müssen. Ich halte es für fragwürdig, daß wir sowohl bei der technischen Zusammenarbeit wie bei der finanziellen Zusammenarbeit nur für Schwarzafrika — ohne Nordafrika — dreimal soviel Entwicklungshilfe geben wie im gesamten lateinamerikanischen Raum, also nicht nur in Zentralamerika.
Meine Damen und Herren, es ist zwar richtig, wenn wir sagen, für uns in Europa seien das Mittelmeer und seine Randstaaten von lebenswichtiger Bedeutung. Es wäre aber eine etwas zu enge und etwas zu kleinkarierte Betrachtungsweise, wenn wir nicht in der Lage wären, über den Atlantik hinauszuschauen. Ich meine, wir hätten auch hier eine Aufgabe in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Wir wissen alle miteinander, daß die Vereinigten Staaten in diesem Bereich, der vor ihrer Haustüre — oder vor ihrer Hintertüre, wie Sie wollen — liegt, weder gern gesehen sind noch — das kann man wohl sagen — immer mit glücklicher Hand operiert haben. Wir sollten uns auch aus dieser Erkenntnis heraus für den freien Westen, für die Industrieländer der westlichen Welt dort etwas stärker engagieren. Wie stellen dazu keinen Antrag. Wir erlauben uns nur diesen Hinweis und sind gespannt darauf, ob das Ministerium eine Akzentverschiebung in seinen von ihm selbst zu leistenden öffentlichen Entwicklungshilfemitteln vornehmen kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Bemerkung machen zur Bedeutung der Schwellenländer. Wir haben im vergangenen Jahr hierzu einen Antrag gestellt. Dieser Antrag ist, soweit ich das aus Papieren des SPD-Parteitages sehen konnte, auch dort debattiert worden, nämlich durch eine Zinsverbilligungsaktion Schwellenländer — —
— Das weiß ich nicht, ob wir — — Wir hatten im vergangenen Frühjahr, Herr Kollege, noch nicht Ihre Papiere vom Parteitag. Vielleicht waren sie schon vorhanden; das ist möglich. Aber ich lese meistens erst einmal meine eigenen Parteipapiere, bevor ich mich für die Ihren interessiere! Nur habe ich festgestellt, daß Sie sich offenbar mit der gleichen Frage beschäftigen. Sich mit der gleichen Frage zu beschäftigen, muß ja nicht verboten sein; es ist unter Umständen sogar ein gutes Zeichen, wenn man im Entwickeln neuer Ideen und Vorstellungen konkurriert.
Ich meine, man sollte trotz aller Bedenken, die Sie ja auch diskutiert haben und die Sie auch kennen und die wir auch diskutiert haben und auch kennen und die bisher die Regierung wohl veranlaßt haben, nicht tätig zu werden, diese Frage noch einmal aufgreifen. Ich glaube, mein Kollege Hoffacker wird sich nachher in seinem Beitrag damit noch eingehender beschäftigen.
Ich will, weil ich das für notwendig halte, das Thema Schuldenerlaß noch einmal aufgreifen, nicht deshalb, weil wir meinen — obwohl es nicht die eleganteste Lösung ist —, daß das einfach mit § 59 Bundeshaushaltsordnung erledigt sei. Ich bin tatsächlich der Auffassung, wir sollten wenigstens einen Vermerk im Haushalt machen. Nur, meine Damen und Herren: Auch die Einzelfallprüfung in diesem Bereich wird uns nicht vor der Schwierigkeit bewahren, weitere Schuldenerlasse vorzunehmen, wenn die Kriterien woanders, wo wir weniger oder gar keinen Einfluß haben, geändert werden. Dann werden wir dasselbe in einer fortlaufenden Bewegung auf uns zukommen sehen.
Meine Damen und Herren, daß sind aus dem Gesichtspunkt eines Mitglieds des Haushaltsausschusses ein paar Bemerkungen, die vielleicht auch bei den Kollegen aus dem Fachausschuß und ansonsten Aufmerksamkeit finden.