Rede von
Dr.
Rolf
Meinecke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Natürlich, Herr Kollege Probst. So gut kann man gar nicht sein, wie die Dame eben gewesen ist. Es war ein bildungspolitisches Sackhüpfen auf einer konservativen Wiese, wenn Sie so wollen.
Ich werde erst einmal über das reden, worüber wir eigentlich zu reden haben.
— Unterbrechen Sie mich möglichst wenig, denn ich habe wenig Zeit, und die möchte ich Ihnen zuliebe gerne einhalten, Herr Kollege Probst.
Zunächst einmal müssen wir ja wissen, worüber wir reden. Wir stehen hier mit leeren Händen da, hat die Frau Kollegin gesagt. Wir reden hier über einen Haushalt mit einem Volumen von 4,124 Milliarden DM. Die Schwerpunkte dieses Haushalts sind die Ausbildungsförderung mit einer geringen, aber immerhin doch ins Gewicht fallenden Steigerung, auch für andere Förderungsmaßnahmen für Studierende, für Graduierten-, Studien- und Promotionsförderung sowie für Studentenwohnraumförderung. Die zweite große Position umfaßt die berufliche Bildung, Geldausgaben für betriebliche und überbetriebliche berufliche Aus- und Fortbildung einschließlich der Ausbilderförderung mit 334 Millionen DM. Dann kommt eine Summe von 850 Millionen DM für den Ausbau der Hochschulen und Universitäten. Ich hätte gedacht, daß hier die Kürzung um 100 Millionen DM, die im Rahmen der parlamentarischen Beratung vorgenommen wurde, bei Ihnen Kritik hervorgerufen hätte. Das ist nicht geschehen.
Ich meine, man kann im kommenden Jahr mit dieser Summe leben und wir können vernünftig verfügen. Aber es wäre im Interesse einer politischen Deutlichkeit und Klarheit gut, wenn der Herr Minister uns nachher mitteilen würde, welche Haushaltsreste im Jahr 1979 unter dem Titel Hochschulausbau nicht abgeflossen sind und ob es daher gerechtfertigt ist, die Summe ein klein wenig niedriger zu veranschlagen. Wir sind doch alle wohl der Auffassung, daß wir auch unter dem Gesetz des Sparens stehen.
Der Entwurf des Haushalts ist im Ausschuß beraten worden. Wir haben geringfügige, aber immerhin ins Gewicht fallende Umschichtungen vorgenommen. Er ist im Ausschuß nicht abgelehnt worden. Ich bin neugierig, ob Sie ihn hier ablehnen werden, entweder weil Ihnen die letzte Rede oder die jetzt kommende Rede des Ministers nicht paßt oder weil Ihnen vielleicht neuerdings auch sein sehr intelligenter Kopf nicht mehr paßt. Das werden wir ja nun gleich erleben.
Immerhin werden wir der Bevölkerung sagen müssen — und wir müssen es auch uns selbst einmal vor Augen führen —: Was geben nun in dieser Bundesrepublik Deutschland Bund, Länder und Gemeinden für das gesamte Bildungssystem einschließlich der Forschung an Hochschulen — außer der technischen Forschung — aus? Das waren im Jahr 1976 57 Milliarden, und es sind im Jahr 1979 69 Milliarden, und es werden wahrscheinlich im Jahr 1980 noch einmal 10 bis 15 Milliarden mehr sein.
Wer im Jahre 1970, als wir hier eine Summe von 27 Milliarden DM zur Verfügung hatten, voraussagte — auch ich habe meine Prügel auf Parteitagen bekommen —, daß wir diese enorme Kraftanstrengung bewältigen, dem wurde nicht geglaubt.
Nun will ich gar nicht verhehlen, daß die finanziellen Hauptanstrengungen natürlich von den Ländern und den Gemeinden aufzubringen sind. Ich weiß, daß einige Bundesländer — Flächenstaaten wie Rheinland-Pfalz und das Saarland — enorme Anstrengungen unternommen haben, um die gesamte Bildungslandschaft bei uns weiterzuentwikkeln.
Aber dieser Haushalt und dieses Ergebnis stehen auch unter dem Gesetz und unter dem Willen der Bundesregierung wie der sie tragenden Fraktionen, den Bildungsgesamtplan zu vollziehen und fortzusetzen.
Wo wären wir denn 1970/71 ohne diesen Gesamtplan gewesen? Wo würden wir heute stehen? Vielleicht verwenden Sie auch einmal einige Betrachtungen auf dieses Thema.
15386 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Dr. Meinecke
Wenn wir über diesen Plan und über die Möglichkeiten der Fortschreibung reden, dann möchte ich gern auf einen Punkt hinweisen. Ich beginne bei den Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten Vogel aus Rheinland-Pfalz, der in seinen Ausführungen selbst darauf hingedeutet hat:
Der Bildungsgesamtplan von 1973 gehört für mich ausdrücklich zu diesen positiven Ergebnissen. Es hat sich gelohnt, daß wir so um ihn gekämpft haben.
Das ist auch sicher richtig so. Aber er hat einen kleinen Fehler bei der Debatte gemacht. Er hat so getan, als wenn dieser Bildungsgesamtplan ausschließlich Ausdruck des 1969 neu in die Verfassung eingegangenen Art. 91 b des Grundgesetzes ist. Das ist nicht der Fall. Wir haben damals vier neue Instrumente bekommen. Wir haben Art. 91 a bekommen. Wir haben die gemeinsame Planung auf dem Gebiet des Hochschul- und den Ausbau des Hochschul- und Universitätswesens gekommen. Wir haben die Ausbildungsförderung in unsere Obhut genommen. Mit diesen vier Instrumenten haben wir dieses Ziel erreicht. Es ist unvernünftig, heute einen Mosaikstein, ein Element aus diesem Bukett herauszubrechen und dies mit einer Erpressung in der Weise zu verbinden, daß gesagt wird: Ja, wir schreiben weiter fort, aber nur, wenn ihr die Gesamtschule ablehnt und bekennt, daß wir falsche Reformen vorgenommen haben.
Das halten wir nicht für den richtigen Weg; ich komme nachher noch darauf zu sprechen.
Wir haben heute in den Zeitungen gelesen, daß es neue Erhebungen über diese soziale Situation und über die Art und Weise des Studierens und des Lebens unserer Studenten gibt. Ich bekenne in dem Zusammenhang, daß wir im kommenden Jahr darauf achten müssen — und ich bitte die Regierung sehr, darauf zu achten —, gewisse Elemente dieser veröffentlichten Erhebung zu berücksichtigen. So glaube ich zum Beispiel, daß wir uns mehr um das Studentenwohnheimprogramm kümmern müssen. Es fällt unheimlich schwer, heute in den Großstädten und am Rand der Großstädte Wohnungen zu bekommen. Es ist nicht nötig, daß man ein Drittel des Jahres jobben muß, um die Mieten zu bezahlen.
Es ist wohl auch bewiesen, daß sich die Studienzeiten an den Hochschulen nicht permanent verlängert haben. Die Studenten sind verdammt vernünftig; sie haben nur ihre Schwierigkeiten.
Das ist ein gemeinsamer Weg.
Wir stehen vor schwierigen Operationen in der Zukunft. Wir haben auch mit Ihrer Hilfe im Ausschuß ernst um die Lösung der Probleme gerungen, die wir im kommenden Jahrzehnt vor uns haben: das Problem der Kinder unserer ausländischen Wander- oder Gastarbeiter oder wie immer man sie nennen mag, das Problem der zweiten Ausländergeneration, das Problem der Behinderten, das Problem, wie auch die Schule und die weiterführenden Schulen helfen, den Weg nach Europa zu finden. Das reicht dann in die Kategorie des Sprachunterrichts hinein: wie man sich verständigt, daß man vielleicht Unterschiede formuliert zwischen den aktiven Fähigkeiten, eine Sprache zu beherrschen, und dem passiven Verstehen einer weiteren dritten Sprache. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten alle auf dem Wege sein, uns hier noch zu bemühen, auch diejenigen, die normalerweise nicht mehr zur Schule gehen.
— Es geht hier nicht um schlechte und gute Minister, sondern um die Zukunft.
Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Schülerzahlen im Bereich der Grund- und Hauptschulen um Hunderttausende zurückgehen und daß in der Sekundarstufe und später auf den Hochschulen eine ungeheure Erhöhung der Zahlen zu verzeichnen ist, werden wir uns mehr um die Innenstruktur unseres Bildungswesens bemühen müssen. Das erfordert ein ernstes Miteinanderarbeiten. Wenn ich dann das Trauerspiel um den Bildungsgesamtplan sehe und vor zwei Tagen die Behauptung des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten gehört habe, die bayerische Staatsregierung hätte nichts blockiert, sie hätte überhaupt niemanden blockiert, sondern neuerdings blockierten die Finanzminister,
dann bitte ich doch den Herrn Minister, dazu Näheres auszuführen. Wenn das so ist, dann müssen wir Bildungspolitiker eine Koalition nicht gegen, aber vielleicht mit den Finanzministern bilden. Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß wir nicht erkennen, daß in den inneren Strukturen der Schule noch so viel zu tun ist, daß man nicht mit dem Argument, man benötigte soundso viel tausend Lehrer weniger, die Fortschreibung des Planes verhindert.
Die Möglichkeit der Lehrer, an den Schulen mit ihren Schülern und Schülerinnen zu sprechen und mit ihnen Kontakt zu pflegen, ist auch ein Mittel, ein Instrument, das, was unter Schulangst verstanden wird, vielleicht zu mindern. Ich habe meinen 17jährigen Sohn gefragt, wohin er denn lieber gegangen wäre, dorthin, wohin er jetzt gehe, oder in die Gesamtschule. Er hat mir gesagt, das sei ihm völlig egal; er möchte ein paar anständige Lehrer haben, mit denen er reden könne, und zwar auch außerhalb der Schulzeit.
Dies scheint ein Kardinalproblem der neuen Schule zu sein.
Heute nachmittag hat es eine interessante Aussprache über die Situation unserer jungen Generation überhaupt gegeben. Ich würde ganz gerne darauf abheben, von jungen Generationen zu sprechen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15387
Dr. Meinecke
Ich sehe nämlich mit einer großen Besorgnis, wie rasch sich der Zustand einer Generation von Jugendlichen und von Kindern ändert. Ich meine behaupten zu dürfen — das ist auch wissenschaftlich belegt —, daß die Generationsspannen heute nicht mehr als fünf bis acht Jahre betragen. Wir reden hier über die Sechs- bis Vierundzwanzig-, Dreißigjährigen.
Ihr Kollege Remmers hat z. B. unlängst an der Akademie von Loccum in einer nach meiner Meinung vernünftigen Weise dargestellt, welches eigentlich heute der Auftrag der Schule ist. Er hat sehr wohl Elemente wie Erziehung zur Toleranz, zur Mitmenschlichkeit, zum Miteinander-Reden genannt. Ich bejahe dis.
Wir sehen heute, welchen Randgebieten sich die Jugendlichen aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit auch gegenüber der Schule zuwenden. Dahin gehören auch die Randerscheinungen, die dankenswerterweise von Herrn Kroll-Schlüter, aber auch von meinen Kollegen heute nachmittag genannt wurden, wie Drogensucht, Fernsehsucht, Spielsucht, Sektensucht und vieles Weitere. Hier werden doch Ersatzlandschaften erobert, die über die Realitäten hinweghelfen sollen. Mit einer gewissen Berechtigung versucht heute auch die Welt der Erwachsenen klarzumachen, daß auch sie in einer Zeit gewisser Lebensängste lebt. Eine Fernsehserie hat unlängst bewiesen, daß auch unsere Erwachsenen das Gefühl haben, in einem Zeitraum der Umwertung aller Werte zu leben.
Herr Kroll-Schlüter hat gesagt, die Jugend müsse wissen, wohin der Weg gehe. Ich sage: Nein, die Jugend muß wissen, wie sie diesen Weg gehen kann und mit welchen Fähigkeiten sie vertraut gemacht werden muß und wie sie diese Wirklichkeit erkennt.
Angesichts dieser Schwierigkeiten frage ich mich: Mit welcher Überheblichkeit, die teilweise bei Ihnen festzustellen ist, ja, mit welcher bürgerlichen Sicherheit, aber auch mit welcher intellektuellen Aroganz behaupten Sie eigentlich, das dreigliedrige Schulsystem sei das einzige Wahre und dürfe nicht verändert werden?
Das ist für mich die kardinale Frage. Nun lassen Sie uns doch die richtigen Schwierigkeiten erkennen und sie meistern! Lassen Sie diese beiden Systeme im Angebot nebeneinander leben.
Das Richtige wird sich schon durchsetzen. Sie können sich darauf verlassen. Die inneren Strukturen sind wichtiger. Hören Sie also auf mit Ihrem Krampf, hören Sie auf mit Ihrem Trauma von der Gesamtschule! Das Teiltrauma bei Ihnen, Frau Benedix, sind doch die sogenannten Modellversuche.
Sie haben zuviel in den Anzeigenblättern der Zeitungen gelesen. Sie müßten nicht soviel von Modellversuchen reden, sondern von Schulmodellversuchen. Überall in der ganzen Welt werden doch neue Schulformen erprobt. Nun sehen Sie doch endlich in die Vereinigten Staaten. Der kardinale Spruch dieses großen Landes lautet: Unser Reichtum liegt in der Vielfalt. Ich kann dem nichts hinzufügen.
Wir werden dem Haushalt mit Freuden zustimmen und freuen uns auch auf die Rede des von uns geschätzten und unterstützten Ministers.