Herr Präsident, nein; wir sind schon sehr knapp mit der Zeit. Nachher hat ja noch jemand die Möglichkeit, sich hier zu Wort zu melden. Das wird noch geschehen.
Mein Eindruck ist: Hier sollten wir uns schleunigst verständigen. Das, was der Bundesminister zum Teil angesprochen hat, etwa in der Medienpolitik, hat letztlich auch mit der Frage der Technologiefolgenabschätzung zu tun. Es hat letztlich auch damit zu tun, daß man bei der Bevölkerung nur dann eine Zustimmung bekommen kann, wenn man mit den Folgen einer technologischen Entwicklung ins reine kommt. Aber mein Eindruck ist auch, Herr Mi-
15378 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Lenzer
nister: Es darf nicht soweit kommen, daß vor lauter kritischem Hinterfragen letztlich die Entscheidungen ausbleiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte unsere Position in der Forschungs- und Technologiepolitik noch einmal ganz klar thesenhaft zusammenfassen. Ich muß das etwas schnell tun, weil sonst die Zeit davonläuft.
Die direkte Forschungsförderung muß im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft und auf der Basis von Subsidiarität die begründete Ausnahme bei volkswirtschaftlich bedeutsamen Großprojekten sein. Indirekte Forschungs- und Entwicklungsförderung sollte die Regel sein. Die Unternehmen sollten im Regelfalle immer in der Lage sein, ihre Investitionen aus eigenen Erträgen, aus eigenen Gewinnen zu finanzieren. Das gilt auch im Bereich der Forschungs- und Entwicklungspolitik. Der Wettbewerb muß erhalten bleiben. Die Forschungs- und Entwicklungspolitik muß mittel- und langfristig angelegt werden. Sie eignet sich nicht für stop and go und für aktuelle Konjunktursteuerung.
Das oberste Prinzip der Forschungs- und Technologiepolitik muß sich ganz einfach im Setzen politischer Rahmenbedingungen erschöpfen. Die Autonomie der dezentralen Entscheidungen in den Unternehmen, in den Forschungseinrichtungen muß respektiert werden.
Diesen Forderungen stehen die Schwachpunkte der Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung gegenüber, die der Kollege Stavenhagen bereits charakterisiert hat. Ich nenne nur die Stichworte Projektfülle, Überbürokratisierung, Bevorzugung von Großunternehmen. Ich darf Sie auch noch einmal auf das hinweisen, was der Kollege Stavenhagen gesagt hat. Wer die Äußerungen des FDP-Kollegen Haussmann in dieser Sache nachlesen will, die unsere Haltung bestätigen, möge das im „Handelsblatt" vom 18. Oktober 1979 tun. Wer zusätzlich noch etwas wissen will, der möge sich an Hand der Rede des Bundeswirtschaftsministers vom 7. Dezember 1979 sachverständig machen. Dort heißt es — ich darf einmal wörtlich zitieren —:
Gezielte Projektforschung mag in manchen Fällen der Großforschung unvermeidbar sein. Übertreibungen führen jedoch sehr schnell dazu, daß die Gelder in den Taschen eines großen Mitnehmers verschwinden, der einer Förderung im allgemeinen am wenigsten bedarf.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen.
— Ich weiß, jetzt kommt der Kalauer vom Dienst, und nur diejenigen, die im Verein der geistigen Tiefflieger Ehrenmitglied sind, klatschen an dieser Stelle. — In den letzten zwei Jahrzehnten — das sollten wir sehr ernst nehmen — hat sich in der Einstellung vieler Menschen zu Wissenschaft und Technik eine dramatische Veränderung vollzogen. Vor 20 Jahren, als z. B. die ersten Satelliten die Erde umkreisten, waren Wissenschaft und Technik die Zukunftshoffnung der Menschheit. Man verstand, daß Wissenschaft und Technik u. a. ihren Beitrag
dazu geleistet hatten, die großen Probleme der Menschheit zu lösen, nämlich den Hunger zu überwinden, die Not in den Industrieländern zu beseitigen. Erst Wissenschaft und Technik haben das ermöglicht.
In der Zwischenzeit ist aber — das wird man in der Debatte zum Einzelplan 30 wohl noch anmerken dürfen — eine beträchtliche Ernüchterung eingetreten, die uns Probleme schafft. Man mißtraut Wissenschaft und Technik und lastet ihnen alle möglichen Mängel an, z. B. bei den Umweltproblemen, oder aber man spricht von der Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Kernwaffen. Damit verbunden ist eine Art Irrationalismus, ein neues Mittelalter. Der Versuch, die Welt und den Menschen mit den Mitteln der Vernunft zu lenken und zu erklären, wird nicht mehr recht ernst genommen. Man verurteilt alles, was groß ist. Man spricht von „small is beautiful", und das in einer Welt mit vier Milliarden Menschen. Die Prediger dieser neuen Religion haben bisher nur vage Vorstellungen entwickelt. Ihr Gott ist z. B. die energiespendende Sonne und ihr Teufel
— ein anderes Beispiel — das Plutonium. Aber seine Gläubigen brauchen Benzin, um zur nächsten Antikernkraftdemonstration zu fahren.
Was sind die Ursachen der mißtrauischen Einstellung zu Wissenschaft und Technik?
— Ich möchte Ihnen noch ganz andere Dinge sagen. Aber dann wird mich der Präsident wahrscheinlich zur Ordnung rufen. — Man kann nicht darüber hinwegsehen, daß die Ursachen zum großen Teil in der Entwicklung von Wissenschaft und Technik selbst liegen. Gerade in der Kernenergiefrage zeigt sich die Ambivalenz der menschlichen Schöpfungen. Hier kann die technische Entwicklung wie in vielen anderen Bereichen sowohl zum Guten wie zum Bösen eingesetzt werden. Den Zweiflern möchte ich in diesem Zusammenhang ein Zitat des Atomwissenschaftlers Professor Grümm vorlesen. Er hat einmal gesagt — das bestätigt nur, was ich sage —: „Die friedliche Nutzung der Kernenergie hat mit der Atombombe genausoviel und -sowenig zu tun wie die Elektrizität mit dem elektrischen Stuhl.
Eine weitere Ursache für das wachsende Mißtrauen gegen die Wissenschaft liegt aber auch im Verhalten der Wissenschaftler selbst.
Fachleute sind vielfach nicht imstande, sich mit klaren Worten und in einer verständlichen Sprache auszudrücken.
— Wer das nicht versteht, der muß, meine ich, irgendwo gefehlt haben. Ich versuche ja schon, mich so auszudrücken, daß selbst Sie es verstehen.
Die Wissenschaftler erzeugen ein Fachchinesisch, das der Offentlichkeit oft unverständlich ist. Es fehlt offensichtlich an einer geeigneten Zahl von Dolmetschern.
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Meine Damen und Herren, es ist die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung in dieser Diskussion ihrer Verpflichtung nachgekommen ist.
— Die Diskussion um den technischen Fortschritt, Herr Kollege Stahl, muß geführt werden. Ich hoffe, auch Sie sind damit einverstanden. Die Diskussion um das Wachstum muß geführt werden. Aber die Bundesregierung hat auch hier eine Führungsaufgabe. Die Bundesregierung hat die Pflicht und Schuldigkeit, nicht alles nur kritisch zu hinterfragen, sondern auch die Chancen der Technik für die Menschheit klarzustellen. Sie hat auch eine Art Leitfunktion. Sie darf nicht nur Wasser in den Wein gießen und alle Optionen offenhalten, sondern sie hat die Aufgabe, Vertrauen zu vermitteln. Bei der immer wieder nötigen Güterabwägung sollte herausgestellt werden, daß ohne technischen Fortschritt die Zukunftsprobleme mit Sicherheit nicht gelöst werden können.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.