Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem wiederholt von den Kollegen der SPD vorgebrachten Argument, wir würden die Beratungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" vorwegnehmen, eine Bemerkung machen.
Auf dem Parteitag der SPD hat der Abgeordnete Reuschenbach an die Abgeordneten Ueberhorst und Schäfer gewandt folgendes gesagt:
Ich finde es wirklich nicht kollegial, wenn bei verschiedenen Gelegenheiten das Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission durch Formulierungen in Parteitagsanträgen vorweggenommen wird. In dem Umfang, wie das häufig versucht wird, führt das am Ende dazu, daß wir die Arbeit dieser Enquete-Kommission einstellen können.
Sie sehen also: dort hat man sich längst festgelegt, gleichgültig, wie die Enquete-Kommission entscheidet.
Aber nun zum Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie. Dieser Haushalt ist bei den Haushaltsberatungen um 208 Millionen gegenüber dem Regierungsentwurf gekürzt worden.
Damit haben SPD und FDP in vielen Punkten unserer Kritik im Grunde genommen recht gegeben.
Einmal war es eine globale Minderausgabe von 120 Millionen DM, weil man den Haushalt für übersetzt hielt. Weiter haben die Koalitionskollegen einer Kürzung um 8 Millionen bei der Humanisierung der Arbeitswelt zugestimmt. Sie konnten nicht widerlegen, daß unter der Regie des Forschungsministers das Programm Humanisierung der Arbeitswelt zum Selbstbedienungsladen für Großunternehmen geworden ist, die sich dort Dinge bezuschussen lassen, die sie ohnehin durchführen würden. Eine lange Liste von abgebrochenen Projekten stellt den Programmverwaltern ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Es geht dort offenbar weniger darum, in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern Bedingungen in der Arbeitswelt zu verbessern, sondern es geht dort um praxisfremde Ideologie.
Eine herbe Niederlage mußte der Bundesforschungsminister bei der Beratung des Titels für Informationstechnologien einstecken; von beantragten 31,5 Millionen DM wurde mehr als die Hälfte gestrichen. Das ging sogar weit über meinen Antrag hinaus, weil die Kollegen der Koalition von diesem Programm überhaupt nicht überzeugt werden konnten.
Der Kollege Dübber hat einen Antrag gestellt, dem der gesamte Haushaltsausschuß zugestimmt hat, nämlich bei der Reaktorsicherheit 5,5 Millionen DM einzusparen. Damit ist auch von der SPD dokumentiert, daß auf dem Felde der Reaktorsicherheit deutsche Ingenieure und Techniker Vorbildliches leisten; es ist gut so, daß das einmal dokumentiert wird.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß die SPD des Landtags in Baden-Württemberg einen Antrag, einen Titel „Haftung für Reaktorunfälle" im Landeshaushalt einzustellen, mit der Begründung abgelehnt hat, dies schüre nur die Angst in der Bevölkerung vor Kernkraftwerken; tatsächlich seien Unfälle aber unwahrscheinlich. Dann verstehe ich
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Dr. Stavenhagen
nicht, wie Sie an anderer Stelle ganz anders argumentieren.
Im Bereich Transport und Verkehr kürzte der Haushaltsausschuß 12 Millionen. Ein Projekt — beispielhaft herausgegriffen — ist das „Zukunftsauto", das über drei Jahre mit 110 Millionen DM gefördert werden soll. Ich bin der Meinung, daß Unternehmen, die Autos bauen, sich auch um die Zukunftsprobleme des Automobilbaues zu kümmern haben und nicht Bürokraten des Forschungsministeriums. Wenn man sich dann noch die Bilanzen dieser Unternehmungen anschaut und weiß, wie diese Unternehmungen Anlagen für liquide Mittel suchen, dann wird um so deutlicher, daß sie nicht mit Steuermitteln solche Projekte finanzieren müssen, sondern durchaus selbst dazu in der Lage sind.
Wenn es aber den Beamten des Forschungsministeriums darum geht, uns das Auto ihrer Vorstellung zu verordnen, dann muß ich sagen, dieses Auto möchte ich lieber nicht fahren.
Das Konzept „Zukunftsauto" ist kein Ausrutscher dieser Forschungspolitik, sondern es ist Ergebnis der These von der Kurzsichtigkeit des Marktes, die zum Kredo der Forschungspolitik von Herrn Hauff geworden ist.
Er sagt, daß die Wirtschaft ein charakteristisches Defizit an vorausschauender Technologieentwicklung habe. Die Praxis seiner eigenen Politik aber ist, daß sie keine langfristigen Perspektiven mehr hat. Programme, die in den 50er und 60er Jahren als zukunftsweisend begonnen wurden im Bereich der Kernenergie, im Bereich der Raumfahrt, im Bereich der Luftfahrt, sind heute zu kurzfristigen und kurzatmigen Sammelsurien von Einzelprojekten zusammengeschrumpft. Gutachterfilz, Selbstbedienung und die Trägheit der Etablierten verhindern das Aufkommen neuer und unkonventioneller Lösungen.
Die Verzettelung der Mittel auf zu viele, zu kleine, zu unbedeutende Projekte führt dazu, daß die Effizienz der Forschungsförderung immer weiter abnimmt. Die Bürokratie gerät in kurzfristigen Erfolgszwang, was dazu führt, daß der Blick für langfristige Konzeptionen verstellt ist. Dies gilt beispielsweise für drei zukunftsweisende Entwicklungslinien der Solarenergie, nämlich der Photovoltaik, der Photochemie und der Photobiologie, wo man bei uns wenig oder nichts tut.
Man muß, wenn man Solarenergie wirklich erforschen will, mit der gleichen Systematik und der gleichen Methodik an die Sache herangehen wie z. B. bei der Kernenergie, damit man auch dort einen Spitzenplatz bekommen kann. In der Solarenergieforschung wird mit der Technik von gestern versucht, die Probleme von morgen zu lösen: Einfachkollektoren bei einer Schwimmbadheizung beispielsweise, Niedertemperaturkollektoren für 10 kw-Kraftwérke in Ägypten und Indien mit einem Wirkungsgrad von 2 %, dadurch Herstellungskosten von 100 000 DM pro Kilowatt installierter Leistung. Damit kann niemand etwas anfangen. Da werden Versuche gemacht, mit dem Solarturmprinzip Großkraftwerke zu bauen, obwohl man heute schon weiß, daß dieser Strom nie wirtschaftlich sein kann. Man muß, wenn man es mit der Solarforschung wirklich ernst meint, an zukunftsweisende und auch risikoreiche Projekte rangehen und nicht hier kurzatmig, nur damit man was vorweisen kann, von der Hand in den Mund leben.
Noch etwas zu dieser These von der Kurzatmigkeit des Marktes. Vielleicht überlegen Sie mit mir auch einmal, wovon eigentlich die zeitliche Tiefe unternehmerischer Entscheidungen abhängt. Ich glaube, daß eine zentrale Abhängigkeit das politische Umfeld darstellt. Unsichere Umstände lenken Risikokapital in Aktivitäten mit schnellem Kapitalumschlag. Langfristige Investitionen haben in einem solchen Klima keine Chance. Welcher Unternehmer wird schon Investitionsanreize in Anspruch nehmen wollen, wenn er für morgen den konfiskatorischen Zugriff des Staates bei Erfolg befürchten muß. Solange die Unsicherheit über den materiellen Inhalt des Eigentums an Produktionsmitteln bestehen bleibt,
führt auch dies deutlich zu einer Verkürzung des Planungshorizonts von Unternehmen.
Angesichts solcher Überlegungen gerät das Argument derer ins Zwielicht, die immer meinen, daß sie hier Probleme des Marktes beseitigen müßten. Tatsache ist, daß sie diese Probleme überhaupt erst auftürmen.
Meine Damen und Herren, die Forschungspolitik der Bundesregierung umfaßt die Wirtschaft in einer Art Zangengriff. Auf der einen Seite führt die sprunghafte Ausweitung des Etats zu einer Art Abholmentalität der Industrie, wie dies übrigens der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff genannt hat. Die Firmen suchen weniger nach dem, was der Markt von morgen verlangt, als nach dem, was die Bürokraten heute wünschen. Zehntausende von Unternehmen beschäftigten sich zwar mit Innovation, aber nur einige hundert erhalten Forschungsmittel auf Grund der Kenntnis der Schleichwege zu den staatlichen Töpfen. Andererseits werden technologische Entwicklungen nach Kräften behindert, wenn sie nicht in das Konzept des Forschungsministers passen. Ich finde es schon sehr merkwürdig, daß der Forschungsminister dem Bundeskanzler Vorschläge gemacht hat, wie man Radio Luxemburg im Wege einer Art Großmachtpolitik daran hindern könne,
hier einen Satelliten zu plazieren, um ein privates Programm auszustatten.
Im Haushaltsausschuß hat die Koalitionsgruppe
dies unterstützt, indem sie 6 Millionen DM für einen
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Fernsehsatelliten gesperrt hat. Dies mutet komisch an angesichts der Formulierung des Bundeskabinetts am 26. September, man solle mit den neuen Medien die aktive Beteiligung des Bürgers am Informationsprozeß erhöhen.
Am 13. August 1546, meine Damen und Herren, wurde in Paris Etienne Dolet auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er unerlaubt Veröffentlichungen vorgenommen hat, die der herrschenden Lehre zuwiderliefen. Er hatte unter anderem einen Dialog von Plato verlegt. Solche Publikationen waren nach herrschender Meinung geeignet, die unsterblichen Seelen der Zeitgenossen zu verwirren.
Heute nennt man das „Reizüberflutung'. Ausgerechnet hier entdeckt die SPD ihr Herz für die Familie und überlegt, wie sie die Familie vor der Reizüberflutung retten kann. Dies ist komisch angesichts der Tatsache, daß sie diese Probleme in den 25 Jahren des Bestehens des Fernsehens nicht sah, aber jetzt, da die SPD Gefahr läuft, daß das einseitige Monopol durchbrochen wird, bekommt sie plötzlich diese Ängste.
In elf Großstädten wollte die Bundespost flächenmäßig verkabeln. Dies hat die Bundesregierung abgeschmettert. Sie nimmt damit aus ideologischen Gründen in Kauf, daß wir nach dem Gebiet der Kernenergie auch auf diesem Gebiet ins Hintertreffen geraten.
Dem Forschungsminister fällt zum Energieeinsparen nur die Energieverbrauchsordnung ein. Er schlägt eine Abwärmeabgabe vor, von der selbst Vertreter des Wirtschaftsministeriums befürchten, daß sie verfassungswidrig sei. Die Hochschulen beklagen, daß dort zuviel vom Bund direkt hineinregiert würde, nach dem Motto „Wer zahlt, bestellt auch die Musik".
Ich muß sagen: Es ist eine kaum zu überbietende Kaltschnäuzigkeit, wie Sie den Beschluß des Bundeskabinetts, als Sitz für das Polarforschungsinstitut Bremen zu bestimmen, durchgedrückt haben — gegen den Willen, gegen die Gutachten, gegen die Stellungnahmen aller beteiligten Wissenschaftler. Der Wissenschaftsrat sagt: Für Kiel sprechen die hohe wissenschaftliche Qualität der dort tätigen Wissenschaftler, das große Spektrum direkter Polar-und Meeresforschung und sehr nahe Forschungsaktivitäten sowie das weitere wissenschaftliche Umfeld.
Meine Damen und Herren, wenn man sich an die Fachleute nicht halten will, wenn einem das schnurz ist, dann soll man aber auch nicht die Farce machen, sie um ihre Meinung zu fragen, sondern es gleich in den Hinterzimmern der Partei auskungeln.
Deswegen haben wir auf Drucksache 8/3499 den Antrag eingebracht, die Titelgruppe 08 in Kap. 30 06 in der Bezeichnung zu ändern in „Alfred-WegenerInstitut für Polarforschung in Kiel". Dies ist die Möglichkeit des Haushaltsausschusses, deutlich zu machen, daß wir wünschen und der Meinung sind, daß dieses Institut in Kiel errichtet wird.