Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Merkwürdige an dieser Haushaltsdebatte ist, daß es über lange Strecken hier gar nicht um den Haushalt 1980 ging oder geht. Der Bürger hat ja eigentlich ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Entwicklung gewesen ist, die zu den neuen Zahlen im Haushalt. 1980 geführt hat, wo die Schwerpunkte sind und wie sie finanziert werden.
Aber noch ehe wir hier heute zur Behandlung des Haushalts Jugend, Familie und Gesundheit gekommen sind, hat Herr Strauß eine Pressekonferenz zur künftigen Steuer- und Familienpolitik gemacht
— die tut mir gar nicht weh; das werden Sie gleich sehen —, um der Offentlichkeit das zu erzählen, was er im Plenum am Dienstag ausgelassen hat. Ich meine, der Zweck des 16,6-Milliarden-Programms — das in Wirklichkeit mindestens 17,5 Milliarden DM kostet, und zwar ohne Familiengeld — war offensichtlich der, unsere sachliche Debatte hier zu verdunkeln und die These zu untermauern, daß die Familie seit Bestehen der sozialliberalen Koalition im Abseits ist.
Abgesehen von der Frage, welches Risiko solche Summen für einen Staatshaushalt bedeuten, der seine Kredite zurückfahren will, muß man das Strauß-Papier aber richtig lesen, und Herr Burger hat es ja auch hier behandelt. Beim Lesen erkennt man, wem es nützen soll, wem es mehr und wem es weniger nützt.
Am Schluß des Textes sind nämlich vier ganz konkrete Beispiele beigefügt. Danach hat der hier genannte Industriearbeiter mit 3 300 DM Einkommen
15344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Bundesminister Frau Huber
durch Steuerersparnis und Kindergeldanhebung 1386 DM jährlich mehr im Portemonnaie,
ein verheirateter Angesteller mit 4 000 DM Einkommen 1 505 DM mehr und ein Rechtsanwalt mit 80 000 DM Gewinn 1 936 DM mehr.
Die Beispiele sind so gewählt, daß der Unterschied zwischen dem Arbeiter und dem Rechtsanwalt nur 650 DM beträgt, 650 DM, die der Anwalt mehr hat. Aber wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, daß der Arbeiter in diesem Beispiel drei Kinder hat, der Angestellte zwei Kinder und der Rechtsanwalt ein Kind. Das muß man in die richtigen Relationen bringen, dann sieht man die wirklichen Unterschiede.
Das Schwergewicht der vom Kanzlerkandidaten der Union geplanten Steuerentlastung liegt zwischen 60 000 DM und 120 000 DM Einkommen und dann beim progressiv wirkenden steuerlichen Kinderfreibetrag.
Bei den Kindergeldanhebungen weiß man nicht so genau, was man will. Einmal lautet die Alternative: nur für das erste und das zweite Kind, dann bezieht man sich wieder deutlicher auf die große Familie.
Herr Strauß hat am Dienstag seine guten Beziehungen gerade zu den ärmeren Bevölkerungskreisen betont.
Ich persönlich glaube nicht, daß er denen schon erklärt hat, wie der steuerliche Kinderfreibetrag wirkt.
— Nein, das hat mich nicht gestört; denn ich weiß, daß wir eine Antwort darauf haben, die wir gerade den ärmeren Familien gut vorlegen können.
Es nehmen sich solche sozial klingenden Floskeln merkwürdig aus, wenn sie gerade an diejenigen adressiert sind, die wirklich etwas für die Familien getan haben, die besonderer staatlicher Hilfe bedürfen. Noch nie hat es einen Haushaltsplan gegeben — auch Herr Fiebig ging schon darauf ein —, in dem alles in allem soviel Leistungen für die Familie verankert waren wie in diesem. Das geschieht nicht nur im Einzelplan 15. Der Einzelplan 15 steigt um 58 %, wenn man das Kindergeld ausklammert. Aber auch beim Kindergeld werden wir noch Erhöhungen bekommen; denn wir wissen jetzt, daß wir beim Kindergeld eine Nachforderung noch für dieses Jahr in Höhe von 70 Millionen DM erhalten werden.
Die kräftigen Kindergelderhöhungen für die Mehrkinderfamilie — 200 DM ab dem 3. Kind — sind noch kein Jahr in Kraft, die Erhöhung des Zweitkindergeldes knapp ein halbes Jahr, ebenso der Mutterschaftsurlaub. Die von Bund und Ländern gemeinsam getragene Unterhaltskasse, aus denen allein erziehenden Eltern mit Kindern unter sechs Jahren geholfen werden soll, tritt erst am 1. Januar 1980 in Kraft. Die Heizölkostenzuschüsse für Familien mit kleinen Einkommen werden in diesem Winter beantragt werden können. Heute stocken wir die Mittel für das Hilfswerk für behinderte Kinder auf.
Im Einzelplan 15 stellen wir auch mehr Mittel bereit, um die Familien der Aussiedler, Zuwanderer, Flüchtlinge zu unterstützen, um deren Kindern die notwendigen Hilfen zu geben.
Bitte qualifizieren Sie diese wichtigen Hilfen nicht ab, wie Sie das gerade getan haben.
Wir wissen selbst, daß es immer noch eine Menge zu tun gibt, auch nach diesem Haushaltsplan. Aber das, was ich hier vorgetragen habe, sind konkrete Verbesserungen, die gerade angelaufen sind oder in wenigen Tagen in Kraft treten, während wir doch das ganze Jahr über von der Opposition — angefangen von der Dynamisierung und Kapitalisierung des Kindergelds über das Erziehungsgeld und Familiengeld bis zu den Steuerfreibeträgen — immer Neues und Unterschiedliches gehört haben, und zwar in einer Größenordnung zwischen 4 Milliarden DM und 20 Milliarden DM.
Da halte ich es schon mit dem Kommentator, der gestern in einer Tageszeitung schrieb, man sollte mit Versprechungen vorsichtig sein. Wir, so möchte ich sagen, geben uns jedenfalls ganz große Mühe, ein verkraftbares Steuer- und familienpolitisches Paket für 1981 vorzulegen.
Heute nun, meine Damen und Herren, gilt es, Bilanz zu ziehen. Prüfen wir die hier von den Herren Strauß und Kohl gemachten Vorwürfe, daß es der Familie seit dem letzten Jahrzehnt schlechter gehe!
Die Familie eines Industriefacharbeiters mit drei Kindern hatte 1969 einen durchschnittlichen Bruttoverdienst von 1 182 DM. Das machte minus Steuern und Sozialabgaben 967,83 DM netto. Dazu kam Kindergeld in Höhe von 75 DM und eventuell Wohngeld, je nach Wohnung, in Höhe von 22 DM. Kein BAföG. Alles zusammen also höchstens 1 064,83 DM netto.
Die gleiche Familie verdient 1979 brutto 2 620 DM, nett o 1 904,35 DM und erhält dazu 350 DM Kindergeld und 12 DM Wohngeld, zusammen 2 266,39 DM.
Das sind brutto 112 To mehr, real 28,6 % mehr. Und
wenn ein Kind in Ausbildung ist, können heute
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15345
Bundesminister Frau Huber
224 DM BAföG hinzukommen. Das ist dann ein reales Mehr von 44,2 %.