Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben allzu hämisch das Kontrastprogramm der CDU/CSU und unseres Kandidaten Franz Josef Strauß kritisiert. Dieses Programm, Herr Minister, ist von der CDU/CSU gemeinsam ausgearbeitet worden. Es liegt vor. Es ist sozial. Es ist finanzierbar. Wir werden es gemeinsam vertreten und gemeinsam durchsetzen, meine Damen und Herren.
Die Sozialdemokraten haben dieses Thema auf ihrem Parteitag zunächst einmal vertagt. Die Unsicherheit bleibt, was Sozialdemokraten und Freie Demokraten endgültig beschließen werden.
Die Rede Norbert Blüms, Herr Minister, scheint Ihnen wehgetan zu haben. Warum haben Sie den Ball denn nicht aufgegriffen? Warum sind Sie auf diese Angriffe nicht eingegangen? Was Norbert Blüm gesagt hat, war die Realität. Das können Sie, meine Damen und Herren, nicht mit dem Hinweis auf den Haushalt zudecken.
Herr Ehrenberg, draußen gibt es Unsicherheit. Draußen gibt es Angst vor der Zukunft.
Die Rentner erhalten in diesem Jahr weniger, als die Preissteigerungen ausmachen, und zwar zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Zum erstenmal ist das bruttolohnbezogene System außer Kraft gesetzt.
Diese Kürzungen werden sich weiterhin auswirken. Ein Rentner wird in zwei Jahren eine Monatsrente weniger erhalten, und das, was in den nächsten Jahren dazukommt, wird weniger sein, als es vorher war.
Das sind Tatsachen, meine Damen und. Herren, und diese Tatsachen schaffen draußen Unsicherheit.
Betrachten Sie doch einmal Ihre Bilanz wie ein nüchterner Kaufmann! Unsere Schlußbilanz, Ihre Eröffnungsbilanz aus dem Jahre 1969, war solide.
Die Kassen haben gestimmt. Heute ist das soziale Netz auf das äußerste angespannt. Das gab es in diesem Umfang noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik.
Ich komme noch einmal auf die Witwenrenten zurück. Es gibt 3,9 Millionen Witwenrenten. Zwei Drittel der Witwenrenten in der Arbeiterrentenversicherung liegen unter dem Sozialhilfeniveau. Herr Minister, im 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz sind Sie mit der Heckenschere hindurchgelaufen. Sie haben die kleinen Renten nicht geschont, während wir eine Konzeption hatten, die, wenn sie auch Opfer gefordert hätte, Renten unter 500 DM verschont hätte. Das ist ein großer Unterschied. Das werden wir den Rentnern draußen immer wieder sagen müssen.
Diese Unsicherheit bleibt. Es ist unvergessen, daß es der Bundeskanzler war, der als erste Amtshandlung nach der von Ihnen gewonnenen Bundestagswahl vorgeschlagen hat, die Renten zu kürzen. Das war seine erste Entscheidung, meine Damen und Herren. Das ist unvergessen, und das hat bei den Rentnern diesen Vertrauensschwund ausgelöst.
Ich möchte nun zur Familienpolitik kommen. Die CDU/CSU hat erreicht, daß Familienpolitik zu einem zentralen Thema geworden ist. Es gibt keine Sicherheit in den 80er Jahren ohne gesunde Familien. Die gerechte Familienpolitik ist deshalb für uns ein Hauptanliegen.
Die moderne Forschung hat bestätigen können, was die christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg erkannt, beachtet und zu bewahren getrachtet haben, nämlich die einzigartige Bedeutung des Familienlebens für die Entwicklung des Kindes und des jugendlichen Menschen. Diese unersetzbare Bedeutung der Familie wird heute in mancher Hinsicht bestritten. Es wird versucht, das Leben in den Familien in Funktionen zu zerlegen, die Familienmitglieder nur noch als Träger von Rollen anzusehen und zahlreiche Aufgaben auf andere Institutionen zu übertragen. Diese Politik gefährdet die Einheit, die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit der Familie. Die politische Verantwortung für diese bedenkliche Entwicklung trägt die Bundesregierung und tragen die sie stützenden Parteien, SPD und FDP.
Wir, die CDU/CSU, fordern eine Familienpolitik, welche die Familie als Institution schützt, die personale Lebensgemeinschaft der Eltern und Kinder stärkt, ihre Rechte achtet und den Freiraum für die Familie fördert.
Es gibt Meinungsunterschiede darüber, was Familie ist und welche Aufgaben sie heute zu erfüllen hat. Es gibt die sozialistische Grundposition, die einen weitgehenden Einfluß des Staates und der Gesellschaft auf die Familie fordert, und es gibt die christlich-freiheitliche, nach der die Familie einen prinzipiellen Vorrang vor Gesellschaft und Staat hat. Wir, die CDU/CSU, treten mit Nachdruck ein für eine rechtlich starke Stellung der Familie, für ihre materielle Absicherung und für eine Verbesse-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979 15337
Burger
rung der Beratung und Familienbildung zur Stärkung der Erziehungskraft der Familie.
Trotz ihrer Widerstandsfähigkeit ist die Familie heute in eine Situation geraten, die krisenhafte Züge trägt. Wir haben uns mit ganzer Kraft gegen diese Entwicklung gewandt. Unser Engagement wurde von SPD und FDP jahrelang ignoriert. Bei den Sozialdemokraten blieb leider ein gewisses altes marxistisches Mißtrauen gegenüber der Institution der Familie. Doch die Kritik nimmt zu.
Sehr deutlich wird der 3. Familienbericht. Die Gutachter kommen zu dem Schluß, daß die Familie in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung erschüttert, in ihrer Funktionsfähigkeit geschwächt und in ihren wirtschaftlichen Belangen deklassiert worden sei. Dieser Bericht, meine Damen und Herren, ist eine vernichtende Absage an die Familienpolitik der Bundesregierung. Der Katalog der Forderungen bedeutet eine Umkehrung der offiziellen Familienpolitik. Die Gutachter verlangen eine volle Anerkennung der gesellschaftlichen Leistungen nichterwerbstätiger Mütter; Emanzipation dürfe nicht länger mit Erwerbstätigkeit der Frau gleichgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, das sind schlechte Noten für die Bundesregierung. Familienministerin Huber ist angeschlagen. Kürzlich noch spottete sie über die Opposition, diese wolle sozusagen am vergoldeten Zügel die Frau wieder an den Herd locken, damit sie sich ausschließlich der Familie widme. Dies entspreche, so meint Frau Huber, den alten Rollenbildern vom „Mann im feindlichen Leben" und „der züchtigen Hausfrau, die drinnen waltet".
Auch Schillers „Glocke" macht diese Argumentation nicht besser. Frau Minister, lassen Sie doch die Frauen getrost selber entscheiden, was sie wollen!
Zweimal wird die Hausfrau benachteiligt: Sie bekommt kein Mutterschaftsgeld, und auch bei den Kinderbetreuungskosten geht die Hausfrau, die ihre Kinder selber betreut, leer aus.
— Richtig, auch bei der Rente schlägt sich das nieder, was hier versäumt worden ist.
Diese Gesetze, meine Damen und Herren, schaffen Staatsverdrossenheit. Lautstark meinte Herr Koschnick im Bundesrat, weil die erwerbstätige Mutter jahrelang gearbeitet und zum Produktiveinkommen beigetragen habe, erhalte sie Mutterschaftsgeld. Als ob die Hausfrau und Mutter nicht auch ihren Beitrag zum Sozialprodukt leisten würde!
Familienpolitik muß darauf ausgerichtet sein, Benachteiligungen so weit abzubauen, daß vorhandene Kinderwünsche nicht unterdrückt werden, sondern verwirklicht werden können. Wer fordert denn Staatsprämien, Herr Ewen? Kein Mensch hat sie gefordert. Wer redet denn davon? Was wir wollen, ist ein vernünftiger Familienlastenausgleich.
Wenn wir über die Kinder sprechen, dürfen wir die Sorgenkinder, die Behinderten, nicht vergessen. Wir verabschieden heute einen Gesetzentwurf für die Contergan-geschädigten Kinder. Diese materielle Sicherung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die berufliche Eingliederung dieser mehrfach behinderten Menschen besonders schwierig ist. Die Sorgen der Eltern dieser Kinder waren sehr groß, die beruflichen Möglichkeiten dieser Schwerstbehinderten — das stellt sich jetzt heraus — sind sehr problematisch. Ich darf ein Beispiel nennen: 21 können ohne fremde Hilfe keine Verkehrsmittel benutzen, 31 % können sich nicht allein an- und auskleiden, 31 % beherrschen das Toilettenproblem nicht; zwar können 91 % mit der Hand schreiben, aber 10% müssen dies mit dem Fuß, mit Hand und Fuß oder mit Hand und Mund tun.
Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, die Integration dieser Kinder ist außerordentlich schwierig. Herr Minister Ehrenberg, der Elternverband hat mir berichtet, daß insbesondere in Kreisen der Wirtschaft die Unternehmer allergrößtes Verständnis gerade für diese Kinder haben und daß ihre Eingliederung dort keine Probleme geschaffen hat, wo sie angenommen werden konnten.
Die Probleme gehen viel tiefer. Wenn wir diesen schwerstbehinderten Kindern, diesen Jugendlichen helfen wollen, reicht das jetzige Instrumentarium nicht aus, Herr Minister. Wir müssen ganz sorgfältig darüber nachdenken, wie wir es erreichen können, daß diese jungen Menschen, die ebenfalls Glück und Selbstverwirklichung suchen, einen Platz finden. Wir bleiben jedenfalls an der Arbeit und werden uns darum kümmern, wie diese Dinge weitergehen.
Zu den Schwerpunkten unserer Politik in den 80er Jahren gehört die Verbesserung der wirtschaftlichen Förderung und die Entlastung der Familie. Der von uns heute eingebrachte Gesetzentwurf über die Einführung eines Familiengeldes soll mit Wirkung vom 1. Januar 1980 den Müttern für sechs Monate nach der Geburt eines Kindes monatlich 600 DM geben. Wir wollen damit die seit dem 1. Juli bestehende Ungerechtigkeit gegenüber den Hausfrauen und den selbständig tätigen Müttern beseitigen.
Leistungen und Entlastungen für die Familien haben im Rahmen des von unserem Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß am 12. Dezember der Öffentlichkeit übergebenen Steuerentlastungsprogramms für 1981 eine herausragende Bedeutung erhalten. Das Kindergeld soll in einem Jahresvolumen von etwa 3 Milliarden DM aufgestockt werden. Damit könnten entweder die Kindergeldsätze für das erste und zweite Kind um jeweils 20 Mark oder für die ersten beiden Kinder um je 15 Mark und ab drittem Kind um 30 Mark erhöht werden. Wir werden uns
15338 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Burger
die Entscheidung nicht leicht machen, für welchen Weg wir uns entscheiden werden.
Unter Beibehaltung des steuerlich absetzbaren Betreuungsbetrages, der ab 1. Januar 1980 wirksam wird, soll ab 1981 ein Steuerfreibetrag von 300 DM je Elternteil und Kind je Jahr vorgeschlagen werden, der die Familien steuerlich in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden DM jährlich entlasten soll.
Damit erfahren die Familien Entlastungen in einer Größenordnung von etwa 6,25 Milliarden DM jährlich, die eine echte Verbesserung des Status der Familien darstellen. Diese Verbesserungen sollen ergänzt werden durch Vorschläge zur Verbesserung der Wohnungssituation und der Wohngeldleistungen, durch gezielte sozialpolitische Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens und Konzeptionen zum Ausbau der Familienbildung und der beratenden Hilfen für die Familien.
Meine Damen und Herren, uns kommt es darauf an, deutlich zu machen, daß die wirtschaftliche Absicherung der Familien kurzfristig in Angriff genommen wird. Bei dem vorgeschlagenen Steuerfreibetrag handelt es sich um einen sehr bescheidenen Einstieg, der sozial ausgewogen ist, weil die vorgeschlagenen Kindergelderhöhungen das größte Gewicht haben. Eines muß aber deutlich herausgestellt werden: Die wirtschaftliche Belastung von Familien mit Kindern wird im gegenwärtigen Steuerrecht nicht angemessen berücksichtigt. Es kann nicht länger hingenommen werden, daß Familien mit Kindern steuerlich genauso behandelt werden wie Einkommensbezieher ohne Kinder, obwohl ihre Lebensbedingungen erheblich voneinander abweichen. Dies widerspricht dem Grundsatz der gerechten Besteuerung.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß folgendes sagen: Politik für die Familien ist zum zentralen Thema geworden, auch zum zentralen Wahlkampfthema. Dies ist gut so. Die Familien standen zu lange im Schatten. Ich darf Ihnen versichern, gemeinsam werden CDU und CSU mit Franz Josef Strauß auch ausführen, was sie einmütig beschlossen haben, denn die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft für die Sicherheit der 80er Jahre.