Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Rose hat mit seiner Erstlingsrede einen Stil in dieses Haus eingeführt, den wir bisher nicht kannten.
Damit anzufangen, einen Beamten, der eingestellt wird, zu beschimpfen, ist in diesem Hause noch nie üblich gewesen.
Deshalb muß ich zunächst dazu etwas sagen.
Herrn Abteilungsleiter Zahn als Karrieristen zu bezeichnen, ist deshalb anmaßend, weil Herr Zahn als Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes acht Jahre vom Vertrauen aller Fraktionen dieses Hauses getragen war und vorher im Arbeitsministerium Baden-Württemberg seine Pflicht als Beamter zur vollsten Zufriedenheit erfüllt hat. Einen solchen Mann als Karrieristen zu bezeichnen, ist anmaßend und wird zurückgewiesen.
— Das möchte ich wohl annehmen; denn wenn sich einer mit den Problemen der Entwicklungsländer beschäftigt, dann hat er sich gerade auch mit Familienpolitik beschäftigen müssen; das geht ja wohl nicht anders.
Ich möchte nun auf den Einzelplan 15 zu sprechen kommen. Der Ansatz beläuft sich auf fast 19 Milliarden DM und hat dadurch eine Steigerung nicht von 2 %, wie Sie gesagt haben, Herr Dr. Rose, sondern von 3,5 % erfahren. Darin ist das Kindergeld mit 17,6 Milliarden DM erneut der größte Posten. Dieser Posten ist gegenüber 1979 nicht nennenswert erhöht worden. Das hängt natürlich auch mit der Kinderzahl zusammen. Man kann nicht einen Etat in Bereichen ausweiten, in denen nicht mehr Geld auszugeben ist. Aber dafür ist der Etat ohne Berücksichtigung des Kindergeldes um fast 60 % gestiegen und allein bei den Zuschüssen für die Familienverbände um 30,8 %. Ich meine, das sind Zahlen, die sich sehen lassen können, weil dahinter auch Politik für die Bürger in unserem Staate deutlich wird.
Es ist gesagt worden, für die Kinder tun wir zuwenig. Auch dazu einige Zahlenangaben.
Wir haben die Maßnahmen zur Förderung der Familie in den letzten zehn Jahren drastisch erhöht. 1969 standen für den Familienlastenausgleich 9,5 Milliarden zur Verfügung; heute sind es — wie schon gesagt — 17,6 Milliarden. Durch die wiederholte Erhöhung des Kindergeldes in den letzten zwei Jahren um allein 4 Milliarden DM beträgt der gesamte Familienlastenausgleich, einschließlich der Steuervorteile durch Ehegattensplitting mittlerweile rund 60 Milliarden DM. Das ist eine Summe, die auch einmal genannt werden muß.
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— Das ist keine ganz unseriöse Rechnung, weil Ehegattensplitting gerade für Familien auch dann einen Vorteil bedeutet, wenn die Frau nicht berufstätig ist. Das muß eindeutig gesagt werden.
Familienpolitik kommt insgesamt etwa zwei Millionen Familien mit drei und mehr Kindern zugute. Die Leistungen gerade für diese Familien mit den besonderen Problemen sind in den letzten zehn Jahren um 230 % angehoben worden.
Die Mehrwertsteuer hat ja — und darauf wird mein Kollege sicherlich noch eingehen — Gott sei Dank auch in Familien mit mehreren Kindern nicht mehr die zentrale Bedeutung, die sie früher einmal hatte. Die direkte Besteuerung hat einen viel größeren Einfluß. Das wissen Sie so gut wie ich.
— Ja, die Zeiten haben sich in der Tat geändert. Der Anteil des Einkommens, der z. B. für Grundbedürfnisse ausgegeben werden muß, ist deutlich geringer geworden, als er noch vor zehn Jahren, vor zwanzig Jahren war. Das wissen Sie auch.
Das Gerede der Opposition, die Familie mit mehreren Kindern lebe durchweg am Rande der Sozialhilfe, wird durch die Wirklichkeit widerlegt. Der durchschnittliche Lebensstandard der Mehr-Kinder-Familien in Deutschland ist heute höher als in fast allen Ländern der Welt. Selbstverständlich kann und soll das bisher Erreichte noch kein Endpunkt sein. Es sind viele Verbesserungen möglich und nötig, und das Kinder-Haben und das Kind-Sein in Deutschland kann angenehmer und attraktiver sein.
Es besteht Einigkeit darüber, daß alle Maßnahmen, die der Verbesserung der Lebensbedingungen von Familien und Kindern dienen, wünschenswert sind. Aber auch die Opposition wird doch wohl zugeben, daß es nicht möglich ist, alle zur Zeit diskutierten Vorschläge zu verwirklichen und schon gar nicht alle gleichzeitig und alle sofort. Nicht nur Finanzierungsprobleme, sondern auch mittelbare Wirkungen, etwa bei einem dreijährigen Elternurlaub Ausfall von Arbeitskräften, Schwierigkeiten bei kleinen und mittleren Unternehmen, sind zu bedenken und zu berücksichtigen. Es ist daher zu vermeiden, wenn man eine solide Politik machen will, wegen vordergründiger Effekte — vielleicht noch kurz vor der Wahl — eine Maßnahme durchzupauken, die dann viel Geld kostet und mehr Schwierigkeiten für die Gesamtheit als Hilfe für den einzelnen bringt.
Hüten wir uns auch, wie schon so oft gesagt, aber auch von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, immer noch nicht endgültig begriffen, vor Maßnahmen, die als Staatsprämien für Kinderreichtum betrachtet werden können.
Denn erstens werden dadurch unselige Erinnerungen geweckt. Wir Sozialdemokraten respektieren die freie Entscheidung der Eltern, die sich diese auch nicht abkaufen lassen sollten.
Da befinde ich mich in hervorragender Übereinstimmung mit dem „Bayernkurier", der am 24. März eindeutig festgestellt hat:
Noch viel furchtbarer ist ein Volk, dem man mit staatlichen Geldprämien Kinder aufschwatzen könnte. Wer Kinder unter Kostengesichtspunkten in einem der wohlhabendsten Länder der Welt parlamentarisch kalkuliert, muß doch in der Bevölkerung die Vorstellung erwecken, Kinder seien drückende Hypotheken, für die der Staat die Zinslast zu übernehmen habe.
Das ist doch wohl eindeutig. So der „Bayernkurier" vom 24. März. Gucken Sie es nach. Hier wird auch deutlich, daß die Auffassungen in Ihren Reihen durchaus nicht übereinstimmen.
— Doch, ich habe insgesamt richtig gelesen, Herr Reddemann.
Geburtenrückgang und angeblich drohende Gefahr des Aussterbens darf nicht zu einer Kampagne gegen die berufstätige Frau mißbraucht werden.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist ein Antrag, der wählerwirksam zur zweiten Lesung eingebracht wurde, weil die vorgesehenen Leistungen natürlich bei den betroffenen werdenden Müttern auf viel Sympathie stoßen werden. Leider ist er nicht genauso wählerwirksam finanziert. Was sollen denn eigentlich diejenigen Frauen und Männer denken, die unter Umständen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, wie es ja der Herr Kollege Carstens gestern durchaus für möglich gehalten hat, wenn sie dann erfahren müssen, daß die CDU/CSU ausgerechnet den größten Teil der Deckung in dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sucht, wo wir doch wissen, daß der Betrag von 440 Millionen DM notwendig ist, um gegebenenfalls gezielte Hilfen für Arbeitsuchende anbieten zu können, insbesondere auch für die rund 134000 zusätzlichen jugendlichen Arbeitskräfte, die im nächsten Jahr in den Berufsprozeß eingegliedert werden müssen!
Auch die übrigen Einsparungsvorschläge sind nicht realistisch, weil die Ansätze im Haushalt eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt worden sind. Aber auch die Einführung eines Familiengeldes selbst ist nicht unproblematisch.
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Einig sind wir uns in dem Bestreben, die Lage der Familie weiter verbessern zu wollen. Denkbar sind Einführung eines steuerlichen Kindergrundfreibetrages, Anhebung des Kindergeldes, Zuschlag zum Kindergeld in der frühkindlichen Lebensphase, Zuschlag zum Kindergeld für Familien mit drei oder mehr Kindern, jeweils mit oder ohne Einkommensgrenze. Auch die Zahlung eines Familiengeldes ist grundsätzlich denkbar. Daneben könnten familienbezogene Verbesserungen im Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Maßnahmen zur Verbesserung familiengerechten Wohnens, Verbesserung des Wohnumfeldes, der Verkehrssicherheit sowie Maßnahmen zugunsten von benachteiligten Kindern in Betracht kommen.
Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten.
Wenn nur das von der CDU/CSU vorgeschlagene Familiengeld gezahlt wird, bleiben eine Menge offener Fragen für alle Familien, in denen keine weiteren Kinder zu erwarten sind. Solange Familien mit Kindern bei der Wohnungssuche diskriminiert werden, wird dies nicht -gerade ermutigend auf junge Leute wirken, die eine Familiengründung erwägen.
Da hilft auch kein Familiengeld.
Arbeitszeitregelungen, Versorgung mit Kindergartenplätzen, Einrichtung kleiner Klassen, in denen genügend ausgeruhte Lehrkräfte unterrichten, Sporteinrichtungen, Einrichtungen für die musische Bildung — z. B. Musikschulen — und vieles andere mehr tragen mehr zur Erleichterung der Situation der Familie bei als nur kurze Zeit helfende finanzielle Direktzuweisungen.
Unter diesen Gesichtspunkten, Herr Burger, müssen Gemeinden und Länder in die Diskussion einbezogen werden. Deshalb, so meine ich, sollten wir in den nächsten Monaten gemeinsam ein Gesamtkonzept entwickeln, das in der Lage ist, den Familien bei der Bewältigung von Schwierigkeiten zu helfen. Dazu gehört dann auch, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bereit sind mitzuhelfen, das Jugendhilferecht zu verabschieden und wirksam werden zu lassen.
Lassen Sie mich zum Bundeshaushalt 1980 und zum Einzelplan 15 zurückkehren. Zahlreiche neue Aktivitäten werden finanziell möglich gemacht. Wir stocken das Stiftungsvermögen der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" um 35 Millionen DM auf, um für Contergangeschädigte eine um 13 % höhere Rente zahlen zu können.
— Gott sei Dank ist das unbestritten. So etwas gibt es Gott sei Dank auch noch. Deshalb war die Rede des Kollegen Rose auch kämpferischer und angriffslustiger, als wir es im Ausschuß miteinander zu besprechen haben.
Wir haben im Bundesjugendplan ein Flüchtlingsprogramm aufgelegt, das helfen soll, junge Menschen in unsere Gesellschaftsform einzugliedern und ihnen Sprachkenntnisse beizubringen.
Wir haben den Heizölkostenzuschuß, der insbesondere Rentnern und Familien zugute kommt, mit 263 Millionen DM neu veranschlagen müssen. Wir haben neu — ab 1. Januar 1980 wirksam — das Unterhaltsvorschußgesetz mit 72 Millionen DM, aus dem diejenigen zunächst aus staatlichen Mitteln eine Hilfe bekommen, die ihre Ansprüche gegen den Ernährer nicht ohne weiteres durchsetzen können.
Wir kümmern uns in besonderer Weise um das Drogenproblem. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen, weise ich auf folgendes hin: Wir meinen, daß wir die Ursachen der Drogenabhängigkeit weiter bekämpfen müssen. Dazu sind nicht nur Maßnahmen im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung, der Therapie und der Rehabilitation nötig, sondern vor allem auch die Bekämpfung der illegalen Einfuhr von Drogen. Hierzu ist eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Wir sind bereit, den Suchtstoffonds der Vereinten Nationen im Vergleich zu 1979 stärker zu bedienen. Wir steigern unseren Beitrag von 500000 auf 2 Millionen DM. Dieses Geld wird dazu verwendet, den Anbau von Pflanzen zur Drogengewinnung einzugrenzen, die Farmer aufzuklären, sie auf neue Produktionsmethoden hinzuweisen und dafür notfalls auch die Infrastruktur zu schaffen.
Wir haben einen erheblichen Betrag, nämlich mehr als 80 Millionen DM, vorgesehen, um Verbesserungen auf dem Gebiet der Psychiatrie erwirken zu können. In den Folgejahren sind jährlich 100 Millionen DM für diesen Bereich vorgesehen. Ich meine: Hier sind Verbände und Ministerium gemeinsam aufgefordert, dieses Geld im Interesse der psychisch Kranken anzulegen und gemeinsam zu Taten zu kommen.
Ich will nun auf den Vorwurf eingehen, daß 30% der eigentlich zu gebärenden Kinder das Licht der Welt nicht erblicken. Nun weiß ich nicht, von welchen Zahlen Sie ausgehen, Herr Dr. Rose. Wenn ich die Zahlen richtig errechnet habe, haben wir im Jahre 1978 rund 570 000 Geburten gehabt. Dagegen sind 1978 nach Angaben der Stellen, die man dafür in Anspruch nehmen kann, einschließlich einer kleinen Dunkelziffer 80 000 bis 90 000 Abtreibungen erfolgt. Das ist weit weniger als 30%, wenn ich auch zugebe, daß es noch viel zu viele sind.
— Darüber müssen wir streiten. Ich habe offenbar andere Zahlen als Sie.
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Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die Familien in der Bundesrepublik sollen wissen, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nimmt die im Grundgesetz festgelegte Pflicht zum Schutz der Familie ernst. Wir nehmen aber auch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ernst. Wir respektieren nicht nur, sondern wir haben eine hohe Achtung vor den Entscheidungen von Mann und Frau sowie der jungen Menschen in der Familie, die getroffen werden, um das Leben in der Familie angemessen zu regeln.
Mütter, ob verheiratet oder nicht, ob im Hause tätig — und dadurch eine auswärtige Tätigkeit .des Mannes oft erst ermöglichend — oder zusätzlich im Beruf tätig — sie alle sollen eine Hilfe erhalten, die den jeweiligen besonderen Bedürfnissen Rechnung trägt. Mütter sollten sich nicht als „Nur-Mütter" oder „Auch-Erwerbstätige" gegeneinander ausspielen lassen,
sondern ihre Forderungen solidarisch an die Gesellschaft richten. Es wird dann immer noch schwer genug sein, die sachlichen Notwendigkeiten und die finanziellen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen.
Wer der Familie wirklich massiv helfen will, darf dann aber auch nicht Steuerentlastungen in einer Größenordnung von mehr als 16 Milliarden DM fordern, wie es der Herr Ministerpräsident aus Bayern getan hat.