Nein, ich komme sonst mit der Zeit nicht aus.
Politisch bedenklich wird eine solche Diskussion aber dann, wenn sie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aussagen und Dementis im zuständigen Ministerium geführt wird. An sich unverbindliche Parteidiskussionen erhalten dann nämlich eine ganz andere Dimension, wenn sie an die Stelle des fehlenden verbindlichen Rentenkonzepts der Regierung treten.
Ein solches verbindliches Konzept fehlt aber bisher im Hause Ehrenberg. Wie anders sollen wir denn die widersprüchlichen Verlautbarungen des Ministers und seiner Staatssekretärin Frau Fuchs werten? Wir kommen doch gar nicht umhin, angesichts der Situation in diesem Ministerium nicht nur das Vakuum in der politischen Sachaussage zu kritisieren, sondern ebenfalls ein Führungs- und Kompetenzdefizit.
Vor allem stellt sich doch die Frage, wie die sich abzeichnende Haltung der SPD bei der Bewältigung des Rentenproblems mit der in vielen Bereichen gegensätzlichen Auffassung des kleineren Koalitionspartners FDP überhaupt zu einer effektiven Arbeit im Ministerium führen kann. Nicht nur uns hier im Hause, sondern auch dem Bürger draußen drängt sich der Verdacht auf, daß 1980 das gleiche erbärmliche Spiel mit dem Wähler getrieben werden soll wie schon bei der Wahl,
eine Neuauflage des Rentenbetrugs von 1976, nach dem Motto: Verharmlosung vor der Wahl als ein „Problemchen", und nach der Wahl das Kanzlereingeständnis, das vermeintliche Problemchen habe zu einer „ernsthaften Beunruhigung und zu einer Belastung des Vertrauens in die sozialliberale Koalition und in die Bundesregierung" geführt.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 13. Dezember 1979 15313
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
— Sie haben es gerade nötig, das hier noch dazwischenzurufen. Das muß man immer wieder sagen. Ich lese Ihnen gern die Anzeigen aus dem Wahljahr 1976 vor, damit Sie sehen, wie wir belogen und betrogen worden sind!
Ihr Kollege Hermann Schmidt und Ihre Kollegin Frau Steinhauer haben gesagt: Die Renten sind sicher, es gibt keine Abstriche. Sie müßten ganz ruhig sein!
Wen kann es — auch bei solchen Zwischenrufen — noch wundern, daß die Verunsicherung der Bevölkerung hinsichtlich der Alterssicherung wächst, das Vertrauen in Staat und Regierung schwindet angesichts der Erfahrungen in den letzten Jahren, angesichts eines zuständigen Ministers, der mit Blick auf Wahltermine ausweichend und hinhaltend taktiert?
Alterssicherung heißt für jeden Bürger: langfristige Lebensplanung. Sie setzt Stetigkeit, Rechtssicherheit und Vertrauen voraus.
Aber keine dieser Voraussetzungen wird von der jetzigen Bundesregierung erfüllt.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bleiben bei unserer Zusage: Wir halten an dem Grundsatz der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente ohne Wenn und Aber fest.
Wir lehnen eine Besteuerung der Renten ab. Sie würde verfassungspolitisch bedenklich und sozial ungerecht auf eine Doppelbesteuerung, nämlich heute der Sozialabgaben und morgen der Renten, hinauslaufen. Sie würde als Steuer die Staatskasse, nicht aber die Rentenkasse füllen und damit den politischen Einfluß des Staats auf die Rentenversicherung stärken, deren Selbstverwaltung aber empfindlich schwächen.
Das eine solche, von uns für schädlich gehaltene Entwicklung offenbar von Teilen der SPD im Hinblick auf das Ziel Nivellierung, Einheitsrenten, Volksversicherung gewünscht wird und aktiv gefördert wird, ist schon lange kein Geheimnis mehr.
Was Manipulationen an der Rentenformel anrichten, lehren uns die Folgen des 21. Rentenanpassungsgesetzes. Die in diesem Gesetz vorgenommene Durchbrechung des in 20 Jahren bewährten Prinzips hat bereits Millionen von Rentnern Nachteile gebracht.
Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten um unterdessen 5,7 % binnen Jahresfrist haben die Rentner im Jahre 1979 bereits einen Kaufkraftverlust hinnehmen müssen, da ihre Renten zu Jahres-
beginn lediglich um 4,5 % erhöht wurden. 1980 werden die Rentner einen weiteren realen Einkommensverlust hinnehmen müssen, wie das jüngste Sachverständigengutachten über die wirtschaftliche Entwicklung darlegt. Durch diese Zangenbewegung wird die Lohnersatzfunktion der Renten ernsthaft in Frage gestellt. Die Versicherten werden durch die unstete Politik der Regierung und deren Folgen geradezu gezwungen, ihre Alterssicherung zu überdenken und sich um eine langfristige solidere Basis zu bemühen, als sie von der jetzigen SPD /FDP-Regierung erhoffen können, zumal dann, wenn SPD und FDP in diesem empfindlichen Bereich der Rentenversicherung weiter so wirtschaften wie bisher.
Ein anderer Problembereich. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erhält aus dem Bundeshaushalt für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik im kommenden Jahr rund 200 Millionen DM und weitere 60 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Im Hinblick auf die nach wie vor unbefriedigende Arbeitsmarktsituation, die von nahezu 800 000 registrierten Arbeitslosen gekennzeichnet ist, kann man im Prinzip gegen solche Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik nichts einwenden. Das gilt um so mehr dann, wenn solche Hilfen gezielt den Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt zugute kommen, nämlich den Älteren, den gesundheitlich Beeinträchtigten und den Ungelernten unter den Arbeitslosen.
Unter diesem Aspekt haben wir gegen das im Frühjahr beschlossene arbeitsmarktpolitische Programm der Bundesregierung für die Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen keine Einwendungen gehabt. Zwischen den propagandistischen Verheißungen der Bundesregierung in der Öffentlichkeit einerseits und dem Vollzug des Programms andererseits werden aber erhebliche Diskrepanzen offenbar, die zur Kritik Anlaß geben. Statt, wie ursprünglich vom Arbeitsminister versprochen, den Akzent des Programms auf gezielte Hilfen für die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt zu legen, nämlich auf die ungelernten und die längerfristig Arbeitslosen, wird aus sachwidrigen, d. h. wahltaktischen Erwägungen nunmehr der Löwenanteil der Mittel für allgemeine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgegeben. Hiermit wird einer kurzfristig wirksamen, aber im wesentlichen nur vorübergehenden Entlastung des Arbeitsmarktes speziell im Problembereich Nordrhein-Westfalen, im Ruhrgebiet, der Vorzug vor dauerhaften Problemlösungen gegeben.
Ratgeber für diese nachträgliche massive Verlagerung der Prioritäten kann nicht der Sachverstand von Arbeitsmarktexperten gewesen sein. Hier war offensichtlich die Angst vor einer drohenden Wahlniederlage bei der entscheidenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen maßgebend.
15314 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1979
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Die Angst ist anscheinend so groß, daß sogar die schwerwiegenden Beanstandungen des Bundesrechnungshofes aus den Jahren 1977 und 1978 schlichtweg mißachtet werden. Der Bundesrechnungshof hatte u. a. kritisiert, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überraschend geringe positive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt erzielten, und daher im Hinblick auf die ungünstige KostenNutzen-Relation — ich zitiere — „die Berichterstattung der Bundesregierung über die Wirkung und den Erfolg der besonderen arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungshilfen für unzureichend und zum Teil irreführend" gehalten. Außerdem kritisiert der Bundesrechnungshof, daß erhebliche Mitnahmeeffekte bei den Kommunen im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgelöst wurden.
Das ist auch bei dem Vollzug des hier zur Diskussion stehenden Sonderprogramms zu befürchten, wenn jetzt entgegen der vorgesehenen strikten Plafondierung der für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur vorgesehenen Mittel die Grenze von 150 Millionen DM gesprengt wird. Nunmehr sollen 434 Millionen DM, also rund das Dreifache des ursprünglichen Ansatzes, vorgesehen werden, was erhebliche neue Mitnahmeeffekte befürchten läßt. Das steht im klaren Gegensatz zum arbeitsmarktpolitischen Programm, nach dem ausdrücklich kein Austausch zwischen den Schwerpunkten erfolgen sollte, Herr Kollege Grobecker, in diesem Fall zugunsten des Schwerpunktes III, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur. Damit ist im Haushaltsausschuß für das Programm geworben, damit ist es begründet worden, und kaum hat man ja gesagt, wird diese Linie rigoros verlassen. Man macht ganz etwas anderes, Hauptsache man hat das Geld.
Dies erscheint besonders bedenklich vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Strukturwandels bei den Arbeitsplätzen, der mit einem Verlust von Arbeitsplätzen im privaten Bereich und einer Aufblähung des öffentlichen Sektors einhergeht. Während der Anteil der in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in der Industrie oder in Handel und Verkehr Beschäftigten seit 1970 ständig zurückgeht, hat beispielweise allein der Anteil der im öffentlichen Dienst Beschäftigten in den Jahren 1970 bis 1978 um 17 % zugenommen.
Die Verlagerung dieser Prioritäten im Sonderprogramm leistet einer solchen negativen Tendenz Vorschub.
Während man im Rahmen des Sonderprogramms nichts unversucht läßt, Millionenbeträge für arbeitsmarktpolitisch umstrittene Maßnahmen, konzentriert auf das Problemgebiet Ruhrgebiet, auszugeben, widmet die Bundesregierung anderen Gebieten der Arbeitsmarktpolitik leider nicht die gebotene Aufmerksamkeit.
Wie anders ist es zu erklären, daß noch Haushaltsreste aus früheren Programmen zur Arbeitsbeschaffung in Milliardenhöhe bei der Bundesanstalt für Arbeit und im Bundeshaushalt am Jahresende 1979 vorhanden sein werden?
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung — und damit komme ich zu einem weiteren Problembereich — erhält aus dem Bundeshaushalt für die Durchführung des Zivildienstes nach Vornahme einvernehmlich beschlossener Kürzungen fast 400 Millionen DM. Ungeachtet des vorliegenden Kürzungsantrages der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den ich hier gleich mit begründe, in einer Höhe von 10 Millionen DM wird im übrigen der Ansatz für den Zivildienst im Prinzip von uns mitgetragen; denn die CDU/CSU steht vorbehaltlos zum Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Wir erkennen an, daß junge Männer, die in unserem freiheitlichen Staat von diesem Grundrecht Gebrauch machen, durch Ableistung dieses Zivildienstes vorbildliche Leistungen zum Wohle der Allgemeinheit, vor allem im sozialen Bereich, erbringen.
Fehlentwicklungen und Mißstände dürfen also nicht den Zivildienstpflichtigen angelastet werden, sondern gehen zu Lasten des zuständigen politisch verantwortlichen Ministers, der auch in diesem Bereich seiner Aufsichtspflicht unzulänglich nachgekommen ist.
Auch dies stellt — nebenbei — der Bundesrechnungshof in einem Bericht fest.
— Sie sollten mal den Bericht des Bundesrechnungshofes lesen, Herr Jaunich, dann würden Ihnen die Augen aufgehen. Es kann nicht hingenommen werden, daß Zivildienstpflichtige beispielsweise ohne Aufsicht und Anleitung tätig sind und in einigen Fällen in Bereichen und zu Zeiten eingesetzt werden, für die im Zivildienstgesetz keine Rechtsgrundlage vorhanden ist.