Rede von
Dr.
Friedrich
Wendig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine allgemeine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Jentsch. Sie haben an den Anfang Ihrer Ausführungen für die Opposition wieder einmal die Behauptung von der systematischen Schwächung der Sicherheitsorgane in unserem Lande gestellt. Wir müssen uns an dieses Thema gewöhnen, das in gewissem Sinne System hat.
Nicht gewöhnen kann ich mich allerdings daran, daß ich am Beginn einer solchen Debatte für mich eine Bildungslücke bekennen muß, insofern nämlich, als ich nicht in der Lage war, die gestern stattgefundene und so oft zitierte ZDF-Sendung zu hören. Ich finde es also nicht so furchtbar begeisternd, wenn eine solche Sendung — ob sie gut oder schlecht war, vermag ich nicht zu beurteilen; ich habe sie, wie gesagt, nicht gesehen — nun so stark in den Mittelpunkt einer Debatte hier im Deutschen Bundestag gestellt wird.
13976 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Dr. Wendig
— Abgeordnete haben bisweilen auch abends noch etwas anderes zu tun, als sich ZDF-Sendungen anzusehen.
Der Bundesgrenzschutz — meine Damen und Herren, damit komme ich jetzt zum Thema — ist als Verband und als Polizei des Bundes nach seinem gesetzlichen Auftrag ein unverzichtbarer Garant für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch glaubt die Opposition — ich sage: wieder einmal — Veranlassung zu der Behauptung zu haben, der Bundesgrenzschutz sei zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht in der Lage. Ich sage „wieder einmal", weil die Bundesregierung erst im vergangenen Jahr auf eine entsprechende Kleine Anfrage der CDU/CSU eine, wie ich meine, durchaus erschöpfende Antwort gegeben hat. Was soll also der heutige Antrag?
Am Anfang dieses Antrages steht, wie immer, die Frage nach dem Verbandscharakter des Bundesgrenzschutzes, den niemand in Zweifel gezogen hat und den, wie ich sehe, in Zukunft auch niemand in Zweifel ziehen wird. Gewiß gibt es Fragen, Probleme und Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Auf ihre Ursachen komme ich gleich zu sprechen. All dies ist aber in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU aus dem Jahre 1978, wie ich meine, überzeugend und klar dargestellt. Deshalb wiederhole ich wiederum meine Frage: Was soll der heutige Antrag? Ich habe den Eindruck, die Opposition will einige ganz klare Tatsachen und einige ganz klare Entwicklungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen.
Erstens. Das Bundesgrenzschutzgesetz mit dem in der Fassung von 1972 festgeschriebenen Aufgabenkatalog enthält neben verbandspolizeilichen Aufgaben eine Fülle von Aufgaben, die nicht durch verbandspolizeilichen Einsatz im alten Stil zu bewältigen sind. Das Bundesgrenzschutzgesetz von 1972 hat diese Erweiterung der traditionellen grenzpolizeilichen Aufgaben um andere Sicherungsaufgaben im Inneren der Bundesrepublik Deutschland bewußt fortgeschrieben. Wir alle haben dem zugestimmt. Daß dies gewisse Konsequenzen haben mußte und gehabt hat, kann 'sicherlich nicht in Zweifel gezogen werden, aber das ist nicht der Kern des Problems. Auch ich erinnere hier unter Punkt 1 daran, daß dies alles, was 1972 Gestalt gewonnen hat, dem gemeinsamen Sicherheitsprogramm der Innenminister aller Länder in der IMK entspricht.
Zweitens. Die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere seit 1976, hat den Bundesgrenzschutz in sehr viel stärkerem Maße als in den vergangenen Jahren zwangsläufig auf Aufgaben hingelenkt, die überwiegend oder nur allein im Einzeldienst zu bewältigen sind. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß der Bundesgrenzschutz in .den letzten Jahren durch binnenländische allgemeinpolizeiliche Aufgaben zur Unterstützung — nicht zum Ersatz — der Polizeien der Länder gefordert gewesen ist. Ich würde von der Opposition gerne einmal hören, auf welche der zusätzlichen Aufgaben des BGS, die in den letzten Jahren für alle erkennbar zwangsläufig gewesen sind, sie
glaubt verzichten zu müssen oder wo sie Einschränkungen für zulässig hält.
Drittens. Das Personalstrukturgesetz aus dem Jahre 1976, das den Ausbau des Bundesgrenzschutzes als der Polizei des Bundes mit Zustimmung aller Fraktionen erfreulich fortentwickelt hat, mußte Umstellungsschwierigkeiten mit sich bringen. Es hat aber durch die Verbesserung der sozialen Absicherung der Angehörigen des BGS, durch die Verwirklichung des Lebenszeitprinzips das Grundgefüge des BGS ganz eindeutig verstärkt. Wir haben hier gewisse Schwierigkeiten in der Umstellung, die niemand bestritten hat und auch von uns niemand bestreiten wird; aber ich sage noch einmal: Man darf diese Schwierigkeiten hier nicht zum Kern der Debatte machen.
Ich will heute der Einzelberatung im Innenausschuß zu den einzelnen Punkten des Antrages gewiß nicht vorgreifen. Schon jetzt dürfte indessen sicher sein, daß der Antrag der Opposition einer soliden sachlichen Grundlage entbehrt, es sei denn, ich würde die Konzeption des Bundesgrenzschutzes, die sich aus dem BGS-Gesetz und dem Personalstrukturgesetz ergibt, in wesentlichen Positionen in Frage stellen.
Das A und O Ihrer Ausführungen ist immer wieder die Klage über den angeblich bedrohten oder gar verlorengegangenen Verbandscharakter des Bundesgrenzschutzes. Die Verbandsstruktur des Bundesgrenzschutzes hat sich bewährt. Sie wird von niemandem, auch, wie ich weiß, von der Bundesregierung nicht, in Frage gestellt. Ich erinnere nur an die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Bundesregierung. Ich erinnere auch an die Ausführungen, die Innenminister Baum erst vor etwa zwei Wochen vor dem BGS-Verband gerade diesem Thema gewidmet hat.
Schon in der Antwort auf die Kleine Anfrage aus dem Jahr 1978 ist ersichtlich klar dargelegt worden, daß die Umstellung von Einsatzabteilungen in Ausbildungabteilungen die Leistungsfähigkeit des Bundesgrenzschutzes nicht geschwächt, seine Ausbildungskapazität aber verstärkt hat. Gerade diese Verstärkung der Ausbildungskapazität ist aber, wenn man eine Übergangsphase überwunden hat, eine sehr wertvolle und wesentliche Voraussetzung dafür, daß auch die Einsatzfähigkeit des Bundesgrenzschutzes im Verband wie im Einzeldienst in Zukunft noch besser sein wird.
Man kann nach meiner Überzeugung auch nicht daran zweifeln, daß die Neuerrichtung des Grenzschutzkommandos West von der vorgegebenen Sicherheitslage her geboten war. Es läßt sich doch nicht leugnen, daß sich im Gefolge dieser Sicherheitslage, die wir ja alle ganz genau kennen, die Einsatzschwerpunkte des Bundesgrenzschutzes in gewissen Zeiten und in gewissen Bereichen grundlegend verschoben haben. Ich würde es eher für eine Schwächung der Einsatzfähigkeit des Bundesgrenzschutzes gehalten haben, hatte man der besonderen Sicherheitslage im Westen der Bundesrepublik Deutschland — nehmen wir den Raum Bonn als Beispiel — im Rahmen der alten lokalen Strukturen Rechnung tragen wollen. Ich glaube, das hätte nicht gepaßt.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979 13977
Dr. Wendig
Dann kommen Sie mit den angeblich fehlenden Übungen des BGS in größeren Verbänden. Was ist in den letzten Jahren tatsächlich geschehen? Gerade die vielfachen Großeinsätze, die durch die besondere Sicherheitslage bedingt waren und über den Rahmen der einzelnen Einsatzabteilungen oft hinausgingen und den BGS mit den Polizeien der Länder zu einer gemeinsamen Operation zusammengeführt haben, haben in der Praxis das erbracht, was Sie in der Theorie zu einem wesentlichen Teil zu vermissen meinen. Zusätzliche Übungen größerer Art, etwa im Großverband, hätten in dieser Phase, von der wir ja alle sprechen, die Leistungsfähigkeit des BGS unzumutbar und, wie ich meine, unnötig überfordert.
Zusammenfassend kann man deshalb heute schon folgendes feststellen: Erstens. Die Konzeption des Bundesgrenzschutzes besteht in der doppelten Aufgabe, die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu schützen und zugleich in besonderen Fällen als Sicherheitskräfte zur Unterstützung »der Polizeien der Länder im Innern zur Verfügung zu stehen. Diese neue Konzeption hat ihre Bewährungsprobe in den letzten Jahren glänzend bestanden. Die FDP-Fraktion steht unverändert hinter dieser schon seit Jahren vertretenen Konzeption.
Zweitens. Der grundsätzliche Verbandscharakter des Bundesgrenzschutzes steht »außer Zweifel. Er ist nicht nur verbal erklärt worden, wie Sie, Herr Jentsch, gemeint haben. Ich meine, er ist auch in der Praxis nie in Frage gestellt gewesen.
Drittens. Die Ist-Stärke des Bundesgrenzschutzes ist heute höher als je zuvor.
Viertens. Durch die Einführung des Lebenszeitprinzips im Personalstrukturgesetz ist der Beruf des Grenzschutzbeamten sicherer als je zuvor.
Umstellungsschwierigkeiten waren vorauszusehen. Ihr Ende ist aber absehbar. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Einsatzfähigkeit des Bundesgrenzschutzes hierdurch in keiner Weise vermindert wurde. Ich habe dies schon ausgeführt.
Ich verkenne nicht, daß dies alles von den einzelnen Angehörigen des Bundesgrenzschutzes ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft und Einsatzfreude voraussetzt. Diese Einsatzbereitschaft und diese Einsatzfreude waren unvermindert zu jeder Zeit vorhanden. Sie haben sich in dieser schwierigen Phase praktisch bewährt. Hierfür gebührt allen Angehörigen des Bundesgrenzschutzes unser Dank.
Die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes mit modernen Waffen und Fahrzeugen, die zur Durchführung der gesetzlichen Aufgaben notwendig sind, ist nach Zahl und Qualität im Prinzip sichergestellt. Minister Baum hat vor etwa zwei Wochen vor dem BGS-Verband dargelegt, daß lediglich die bestehende Haushaltssituation zu einer stufenweise Ersatzbeschaffung älterer Fahrzeuge Veranlassung gegeben hat. Ich nehme an, »das ist auch die gegenwärtige Situation.
Was der Bundesgrenzschutz braucht, ist eine Phase der Konsolidierung, d. h. praktisch der Ruhe. Dieser Forderung wird man nicht gerecht, wenn man ihn hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit immer wieder öffentlich in Frage stellt. Für diese Forderung müssen oder sollten wir alle in diesem Hause Verständnis haben.
In einer solchen Situation, in der — ich sage das noch einmal — Übergangsschwierigkeiten nicht beschönigt werden sollen, ist der Antrag der Opposition im Grunde nicht verständlich. Bisweilen beschleicht mich bei diesem Tun allerdings die Sorge, daß Sie noch immer dem Modell einer — ich nenne das Wort einmal — paramilitärischen Einheit alten Stils nachtrauern, daß Sie sich von diesem Modell nicht lösen können. Wenn dem so ist, sollten Sie das offen sagen und nicht mit den Thesen des heutigen Antrages Ihr wahres Anliegen verbergen.
Ich halte es nicht für gut, wenn durch eine immerwährende Debatte zum gleichen Thema in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschlands sei durch die gegenwärtige Verfassung des Bundesgrenzschutzes nicht gewährleistet.
Die FDP-Fraktion wird den Antrag der Opposition im Innenausschuß sorgfältig beraten. Ich habe indessen schon heute keinen Zweifel daran, daß sich am Ende dieser Beratung jenes Gesamtbild bestätigen wird, das zu zeichnen ich soeben in kurzen Sätzen versucht habe.