Rede von
Dr.
Hans-Joachim
Jentsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die augenblickliche relative Ruhe täuscht: In der Bundesrepublik Deutschland wird nach wie vor entschlossen versucht, unsere Sicherheitsorgane zu schwächen. Polizei einschließlich Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Geheimdienst werden systematisch als Einrichtungen abgestempelt, die nicht der Freiheit unserer Bürger dienen, sondern eine Bedrohung dieser Freiheit darstellen. Ich muß nicht im einzelnen die zahlreichen Indikatoren dieser Kampagne aufzählen. Die Diffamierungen aus der jüngsten Zeit sind noch gut in Erinnerung; wir haben hier darüber diskutiert.
Die Kampagne begann, nachdem der Innenminister höchstpersönlich das große Aufräumen angekündigt hatte. Bezeichnungen wie „Schnüffler vom Dienst", „Sonderpolizei", „gestapoähnlich" finden sich dann auch gerade in der Presse, die der Bundesregierung und dem Innenminister höchst wohlwollend gegenübersteht. Diese Diffamierungen und Verleumdungen sind aber alles andere als eine ernsthafte Diskussion darüber, wie weit denn nun die Zuständigkeiten der Sicherheitsorgane gehen dürfen. Sie machen deutlich, daß es den Initiatoren dieser Kampagne darum auch gar nicht geht. Hier sind nämlich diejenigen am Werk, die die Freiheit diesseits von Mauer und Stacheldraht nicht für bedroht und deshalb Einschränkungen oder Opfer auch im Bereich des persönlichen Freiheitsraumes nicht für berechtigt halten. Hier sind diejenigen am Werk, die den sogenannten kapitalistischen und faschistischen Staat Bundesrepublik Deutschland seiner die Freiheit sichernden Einrichtungen berauben wollen. Alle, die leichtfertig unsere Sicherheitsorgane ins Zwielicht bringen, müssen wissen, wessen Geschäft sie betreiben. Ich meine, ein Bundesinnenminister muß es ganz besonders gut wissen.
Vor diesem Hintergrund gibt die Lage des Bundesgrenzschutzes Anlaß zur Sorge. Der Bundesgrenzschutz darf nämlich nicht zum Werkschutz verkümmern, der an irgendwelchen Objekten Wache schiebt und bei Passagieren und Besuchern das Gepäck kontrolliert. Der Bundesgrenzschutz darf nicht stillschweigend zur bloßen Schutzpolizei umfunktioniert werden, wenn er seinen Aufgaben gerecht werden will, die ihm kraft Gesetzes aufgetragen sind.
Ich verkenne nicht die Pflicht des Bundesgrenzschutzes, in Notzeiten auch dort einzuspringen, wo die übrigen Sicherheitsorgane Hilfe und Unterstützung benötigen. Zu diesem Zweck haben wir ja das Bundesgrenzschutzgesetz geändert und den Aufgabenbereich des Bundesgrenzschutzes 1972 erweitert. Diese Aufgabenerweiterung — das ist das Entscheidende — hat aber nicht zu einer Befreiung von den ursprünglichen Aufgaben oder etwa zu deren Minderbewertung geführt. So steht auch in der jetzigen Fassung des BGS-Gesetzes nicht ohne Grund der grenzpolizeiliche Schutz an erster Stelle im Aufgabenkatalog, gefolgt von den polizeilichen Schutz- und Sicherungsaufgaben in den Fällen des Art. 91 und des Art. 115 f des Grundgesetzes; das sind der Notstands- und Verteidigungsfall. Mit Beginn eines bewaffneten Konflikts ist der Bundesgrenzschutz Teil der bewaffneten Macht der Bundesrepublik Deutschland. So sieht es § 64 des Bundesgrenzschutzgesetzes ausdrücklich vor. Der Bundesgrenzschutz muß also kraft Gesetzes auf diese Sicherheitslagen vorbereitet sein.
Um diesen bedeutsamen Sicherheitslagen gerecht werden zu können, ist der Bundesgrenzschutz als Truppenverband organisiert worden. Er ist in Abteilungen und Hundertschaften gegliedert. Wenn diese Gliederung, meine Damen und Herren, nicht nur auf dem Papier stehen soll, muß der Bundesgrenzschutz aber auch in dieser Formation handlungsfähig und einsatzfähig sein. Das ist er zur Zeit weder in personeller noch in technischer noch in organisatorischer Hinsicht.
Ich darf folgende typische Lage schildern, die ich beim Besuch einer Einsatzabteilung vorgefunden habe: Von den ca. 540 Angehörigen der Abteilung waren 99 durch Ausbildung gebunden, und zwar die Mehrzahl als Auszubildende, die also noch gar nicht für einen vollen Einsatz zur Verfügung standen. Auf Grund von Abordnungen, Krankheit und Abteilungsdienst standen weitere 265 Beamte zum Einsatz nicht zur Verfügung. Weitere 19 Beamte waren in Werkstätten und im Abteilungsstab eingesetzt. 47 Beamte waren wegen geleisteter Dienststunden freigestellt, so daß 110 von 540 verfügbar waren. Von diesen 110 allerdings mußten alle zwei Wochen 85 Beamte für die Bewachung zweier Objekte in 150 km Entfernung abgestellt werden.
Dieses Beispiel zeigt ganz klar, daß der Bundesgrenzschutz als Verband überhaupt nicht zur Ver-
13972 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Dr. Jentsch
fügung steht. Er ist auch als Verband nicht eingeübt; denn Übungen einer geschlossenen Abteilung haben seit vielen Jahren nicht mehr stattgefunden. Selbst Hundertschaften werden im Ernstfall zusammengewürfelt, wenn sie irgendwo eingesetzt werden müssen.
Der Polizeidirektor Schubarth-Engelschall hat gestern abend im ZDF-Magazin in bewundernswerter Offenheit auf die Frage, ob er seine Abteilung geschlossen einsetzen könnte, erklärt: „Nein, das kann man im Augenblick nicht; denn die Abteilung als Verband ist zur Zeit mit zwei Hundertschaften in der Ausbildung der Beamten des zweiten Dienstjahres gebunden; die dritte Hundertschaft als Einsatzhundertschaft verfügt zur Zeit nur noch über einen Einsatzzug; die Stabshundertschaft mit den Spezialzügen ist ebenfalls nicht in der Lage, da auch diese Kräfte nur zum Teil noch vorhanden sind und somit nicht die vollen Züge einsatzbereit sind."
— Den haben Sie gestern abend und heute mittag noch einmal hören können!
Auf die Frage, ob sich dieser Zustand in absehbarer Zeit ändern werde, erklärt der Kommendeur, daß dies wahrscheinlich über etliche Jahre hinweg nicht der Fall sein werde. Die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes sprechen übrigens in diesem Zusammenhang von „Geister-Hundertschaften", die nur auf dem Papier stehen und in Wirklichkeit gar nicht einsatzbereit, gar nicht vorhanden sind.
Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Hieran ist sicherlich das Personalstrukturgesetz von 1976 schuld, das die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes den Polizeibeamten der Länder gleichstellen will. Hierdurch ist eine erhebliche Ausbildungslawine auf den Bundesgrenzschutz zugekommen, die natürlich wesentliche Kräfte bindet. Der Regierung muß jedoch gesagt werden, daß dies alles seinerzeit voraussehbar war. Es war meine Fraktion, die Fraktion der CDU/CSU, die damals deutlich darauf hingewiesen hat, ihre Zustimmung zum Personalstrukturgesetz erfolge nur unter der Voraussetzung, daß der Truppen- bzw. Verbandscharakter des Bundesgrenzschutzes in keiner Weise eingeschränkt werde. Uns ist dies damals zugesichert worden. Wir haben dem Personalvertretungsgesetz im Vertrauen darauf zugestimmt, daß die Änderung des persönlichen Status des Bundesgrenzschutzbeamten nicht zu einer Veränderung der Funktionsfähigkeit und der Aufgabenstellung des Bundesgrenzschutzes führt.
Heute müssen wir feststellen, daß die Änderung genau mit der Zielsetzung erfolgt ist, den Charakter des Bundesgrenzschutzes zu verändern und ihn seiner Truppenstruktur zu entkleiden.
Hierfür gibt es zwei Belege: Erstens. Die Bundesregierung, voran der Bundesinnenminister, und die sie tragenden Parteien verharmlosen und verniedlichen die Unfähigkeit des Bundesgrenzschutzes, als Verband zu agieren, derart, daß verbale Bekenntnisse zum Truppencharakter, die wir sicherlich nachher auch wieder hören werden, nur als Beruhigungspillen angesehen werden können. Herr Minister Baum, Ihr verbales Bekenntnis zum Truppencharakter auch vor einigen Tagen auf dem Verbandstag des Bundesgrenzschutzverbands ist solange wertlos, wie Sie nichts unternehmen, um diesen Truppencharakter wiederherzustellen.
Zweitens. Von anderer Seite wird jeder Hinweis auf die Notwendigkeit der Wiederherstellung des Truppencharakters des Bundesgrenzschutzes als „paramilitärisch" verunglimpft. Zugleich wird aus dieser Richtung die Abschaffung des Kombattantenstatus des Bundesgrenzschutzes verlangt.
Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß sich Minister Baum auf dem schon erwähnten Verbandstag des Bundesgrenzschutzverbands eindeutig von diesen Bestrebungen distanziert hat. Ich begrüße das. Nur, Herr Minister Baum: Ich weiß nicht so recht, ob dies augenblickliche Taktik oder wirkliche Überzeugung bei Ihnen ist; denn Sie bleiben auch in dieser Frage solange im Zwielicht, wie Sie nicht entschlossen mit Taten für die Wiederherstellung des Truppencharakters eintreten.
Meine Damen und Herren, so wie der Bundesgrenzschutz zur Zeit seinen polizeilichen Schutz-und Sicherungsaufgaben im Falle eines inneren Notstands oder im Verteidigungsfall nicht gerecht werden könnte, so müssen auch erhebliche Zweifel angemeldet werden, ob er der Aufgabe des grenzpolizeilichen Schutzes des Bundesgebietes gerecht wird. Soll man wirklich davon ausgehen dürfen, daß dieser Schutz gewährleistet ist, angesichts der Tatsache, daß die Grenzstreifentätigkeit vom Jahre 1977 auf das Jahr 1978 von 46 000 auf 31 000 Grenzstreifen zurückgegangen ist? 31 000 Grenzstreifen pro Jahr — so steht es im Tätigkeitsbericht des Bundesinnenministeriums — bedeuten, daß täglich 88 Streifen am rund 1 800 km langen Gebiet zur DDR und zur CSSR tätig sind. Eine gleiche rückläufige Tendenz findet sich übrigens bei den Grenzüberwachungsflügen mit Hubschraubern.
Der Bundesgrenzschutz kann seine Aufgabe auch nur dann wahrnehmen — damit komme ich zu einem nächsten Punkt —, wenn er einem Truppenverband entsprechend ausgerüstet ist. Deshalb verfolgen wir mit großer Sorge Bestrebungen, die Ausstattung mit Sonderwagen zu reduzieren. Der Bundesgrenzschutz verfügt derzeit über 513 solcher Sonderwagen. Diese sind bei großen gewalttätigen Demonstrationen unentbehrlich, weil sie die Gefährdung des einzelnen Polizeibeamten mindern. Dieser findet Schutz in der Nähe dieser Wagen. Die mit Gittern bestückten Sonderwagen erlauben bewegliche Straßensperren, die sonst von den Polizeibeamten selbst gebildet werden müßten. Wer also diese Sonderwagenausstattung des Bundesgrenzschutzes reduziert, muß sich schlicht und ein-
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Dr. Jentsch
fach sagen lassen, daß er unnötig das Leben von Polizeibeamten aufs Spiel zu setzen bereit ist. Diesen Vorwurf wird sich sicherlich niemand einhandeln wollen.
Deshalb ist es völlig unverständlich, wenn die Bundesregierung nur bereit ist, etwa, wie sie erklärt hat, 300 bis 350 der vorhandenen Sonderwagen zu ersetzen oder zu modernisieren, und in Kauf nimmt, daß die restlichen ausfallen, wenn sie verschlissen und nicht mehr einsatzfähig sind.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist es auch dringend erforderlich — auch das wird demjenigen, der den Bundesgrenzschutz häufig besucht, auffallen —, die Zahl der geländegängigen Fahrzeuge zu erhöhen. Wir können uns auch in diesem Punkt mit der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage vom Frühjahr des letzten Jahres nicht zufriedengeben. Dort wird darauf hingewiesen, daß das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verkehrsmäßig sehr gut erschlossen sei. Neben Bundes-, Land- und Kreisstraßen ständen fast überall im Gelände zahlreiche befestigte oder gut ausgebaute Feld- und Waldwege zur Verfügung, so heißt es in dieser Antwort. Der Verfasser dieser Antwort darf es mir nicht übelnehmen, aber ich werde bei derartigen Formulierungen eher an das Räuber- und Gendarm-Spiel erinnert als an einen polizeilichen Truppenverband, der auch in Sicherheitslagen eingesetzt werden soll, in denen die Existenz unseres Staates bedroht ist. Sowohl in einem solchen Fall als auch dann, wenn ein aus der DDR Geflüchteter — das haben wir ja gestern im ZDF-Magazin in einem Film vorgeführt bekommen — und auf unserem Gebiet niedergeschossener Mitbürger verblutet, muß wohl jeder Grenzschützer so ausgestattet sein, daß er nicht mit seinem feinen Auto irgendwo im Dreck steckenbleibt, sondern schnellstmöglich an die Stelle herankommt.
Meine Damen und Herren, Gegenstand unserer Sorge ist auch die Ausstattung des BGS mit Waffen. Wir fühlen uns hier ein wenig hinters Licht geführt, denn in unserer Kleinen Anfrage hatten wir damals nach der Entwicklung auf diesem Gebiet gefragt und die Antwort bekommen, daß zwar an anderer Stelle abgebaut werde, aber eine Erhöhung der Zahl von Maschinengewehren für den Einsatz von Sonderwagen in Aussicht gestellt sei. Wir fühlen uns deshalb hinters Licht geführt, weil wir jetzt feststellen müssen, daß diese Sonderwagen reduziert werden. So geht es natürlich nicht, uns auf der einen Seite darauf hinzuweisen, daß auf der einen Seite der Einsatz dieses Gerätes vermehrt möglich ist, anschließend aber erkennen zu geben, daß man die Sonderwagen reduzieren will.
In diesem Zusammenhang soll auch ein deutliches Wort zu der Polemik gegen eine wirksame Bewaffnung des Bundesgrenzschutzes gesagt werden. Die Bestrebungen, die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes ausschließlich auf Handfeuerwaffen zu begrenzen, sind nach meiner Auffassung ein Teil des Versuches, den Bundesgrenzschutz von einer. hochqualifizierten Polizeitruppe auf eine reine
Schutzpolizei umzufunktionieren. Eine auf jede Sicherheitslage vorbereitete Polizeitruppe benötigt auch Maschinenwaffen, Maschinengewehre und Maschinenkanonen.
- Ich habe das Vergnügen, jawohl, Herr Pensky, mich in diesem Zusammenhang auf Justizminister Vogel beziehen zu dürfen. Er hat in der „Neuen Ruhrzeitung" vor etwa zwei Jahren — Sie kennen das Zitat sicherlich - gesagt:
Nach den heutigen Erfahrungen kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß Terroristen mit Handgranaten, Maschinengewehren und anderen Waffen auftreten. Was will ein Polizeibeamten mit einer Pistole gegen einen Terroristen mit einem Maschinengewehr ausrichten?
An anderer Stelle dieses Interviews sagt er:
Man sollte vielmehr ernsthaft überlegen, ob der Bundesgrenzschutz mit solchen Aufgaben betraut und mit einer entsprechenden Bewaffnung ausgerüstet werden kann.
Ich darf Ihnen sagen, wir sind zu diesen Überlegungen bereit, denn wir meinen, daß die Ausrüstung und Bewaffnung den möglichen Sicherheitslagen adäquat sein muß und nichts anderes.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir sind mit der Überweisung unseres Antrages zur Beratung im Innenausschuß einverstanden. Am Ende dieser Beratung muß aber die Entschlossenheit dieses Deutschen Bundestages deutlich werden, den Bundesgrenzschutz, die Polizei des Bundes, als Polizeitruppe zu stärken, damit sie als Eingreifreserve für alle, auch die schwierigsten Sicherheitslagen zur Verfügung steht. Sie darf nicht das Sicherheitspotential der Länderpolizeien ersetzen, sondern muß dieses Sicherheitspotential ergänzen. Das sind wir meines Erachtens unseren Bürgern schuldig; denn Sicherheit dient der Freiheit, und Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Ich meine, das gilt auch hier.