Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher richtig, daß der Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften Anlaß gibt, eine ganze Reihe von Zukunftsbetrachtungen anzustellen, was in den nächsten Jahren geschehen wird, denn dies ist der Beginn der zweiten Beitrittsrunde. Wir werden uns an Hand der Erfahrungen, die wir mit dem Beitritt Griechenlands machen, auch auf den Beitritt weiterer Länder einzurichten haben. Nur, meine Fraktion möchte zunächst einmal ganz klar und ohne Blick auf diese anderen Perspektiven festhalten, daß wir den Beitritt dieses neuen Mitgliedslandes ohne jeden Vorbehalt begrüßen und daß wir deswegen auch zunächst einmal ohne Blick auf weitere Perspektiven sagen: Es ist gut, daß Griechenland der Europäischen Gemeinschaft angehören wird; es ist gut für diese Gemeinschaft; es ist auch gut, wie wir hoffen, für Griechenland selbst, für die Gemeinschaft in jedem Fall schon deswegen, weil wir ja zwei unterschiedliche Europas haben.
Wir haben das politische Europa, das sich in der Europäischen Gemeinschaft zunehmend auf sich selbst besinnt, zusammenarbeitet, dabei aber auch nach außen hin schärfere Konturen annimmt, und wir haben ein Europa, das ja weit über dieses' politische Gebilde hinausreicht, ein Europa der Tradition, ein Europa gemeinsamer kultureller Inhalte, ein Europa, das zum Teil leider auch heute nicht denselben politischen Idealen leben kann. Deswegen empfinden wir es als eine neue Dimension der Europäischen Gemeinschaft, daß Griechenland — das Land, in dem die politische Tradition der Demokratie ihren Beginn gefunden hat — nun Mitglied dieser Gemeinschaft wird. Wir werden dadurch vielleicht ein wenig von dem selbst wiederfinden können, was wir immer vermissen, wenn wir die Gemeinschaft betrachten, nämlich ein politisches Identitätsgefühl, das dieser Gemeinschaft vielleicht tatsächlich verlorengegangen ist, weil sie sich zu sehr mit einzelnen Sachproblemen befaßt hat.
Ich glaube, daß die Zugehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft der Demokratien auch eine Stärkung der Demokratie in Griechenland selbst bedeuten kann. Wir wissen alle, daß das natürlich nicht allein von uns abhängen kann, auch nicht von diesem Beitritt. Ich darf hier noch einmal — wie auch die Kollegen — die Bewunderung der liberalen Fraktion für diejenigen Politiker aussprechen, die in Griechenland dazu beigetragen haben, daß die Mutter der Demokratie wieder diese Staatsform praktizieren kann. Es war nicht einfach. Vieles an Hilfe, was damals von den griechischen Demokraten erwartet worden ist, ist auch geleistet worden. Man muß aber gestehen, daß einiges an Hilfe, was hätte geleistet werden können, von den damals schon existierenden klassischen Demokratien in Europa nicht geleistet worden ist. Manche griechischen Demokraten waren ziemlich allein beim Kampf um die Wiedererringung der Demokratie in ihrem Lande.
Aber wir wollen nicht einen Blick zurück, auch nicht einen Blick zurück im Zorn tun, sondern uns nun einmal mit den Zukunftsaspekten beschäftigen, die dieser Beitritt auch für uns bedeutet. Es ist
Dr. Bangemann
ohne jeden Zweifel wichtig, daß man ihn in den größeren Zusammenhang des außenpolitischen Wirkens der Gemeinschaft stellt. Die Gemeinschaft grenzt heute schon durch zwei Mitgliedsländer an den Mittelmeerraum. Sie wird durch Griechenland ein drittes Mitglied haben, das im Mittelmeerraum lebt, und sie wird durch den Beitritt von Spanien und Portugal vollends zu einem nördlichen Anrainerstaat des Mittelmeeres, wenn ich einmal einige wenige Staaten ausnehme, die jetzt hier keine Rolle spielen. Das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß das Mittelmeer, die Probleme des Mittelmeerraumes, die Entwicklungschancen, die dort liegen, für die Europäische Gemeinschaft in Zukunft eine größere Bedeutung haben werden. Diese Europäische Gemeinschaft muß sich stärker politisch engagieren. Sie muß das auch dann tun, wenn sie glaubt, daß sie damit vielleicht neue Probleme auf sich zieht, denn wir können die Probleme dieses Raumes nicht auf sich beruhen lassen oder sie anderen größeren Mächten aufbürden. Wir müssen hier selber zur Lösung dieser Probleme beitragen.
Das bedeutet, daß wir uns sowohl mit dem Problem Nahost, mit dem Konflikt in Nahost als auch mit einem vernünftigen Verhältnis zu den südlichen Anrainern des Mittelmeerraumes befassen müssen. Beides geht ineinander über. Die Europäische Gemeinschaft wird mit der Unterstützung Griechenlands vielleicht dafür sorgen können, daß wir zu einem Element des Friedens und der Zusammenarbeit in diesem Raum werden.
Daß wir beim Vollzug des Abkommens eine Reihe von praktischen Schwierigkeiten haben werden, möchte auch meine Fraktion deutlich sagen. Denn es wäre verhängnisvoll, wenn wir sozusagen bei der Feier, die wir heute veranstalten, vergaßen, welche Probleme in den künftigen Alltagswochen auf uns beide zukommen, auf uns wie auf Griechenland. Deswegen ist es wichtig, uns darüber Rechenschaft zu geben, daß nicht nur finanzielle Vorteile, nicht nur die Erweiterung eines Marktes beschlossen werden, sondern auch eine ganze Reihe von Fragen für beide Teile auftauchen werden. Ich nehme einmal den Bereich der Landwirtschaft heraus. Wir können mit einiger Befriedigung zur Kenntnis nehmen, daß Herr Staatsminister von Dohnanyi erklärt hat, daß die Bundesregierung sehr wohl diese Probleme sieht und daß sie neue Anstrengungen unternehmen will, um besonders die Überschußproduktionen zu beseitigen. Ich möchte für meine Fraktion sagen: So wichtig die Agrarpolitik in ihren Grundsätzen ist und obwohl sie heute, allgemein gesehen, fast schon zu einem Faktor der Preisstabilisierung geworden ist — wenn Sie sich die inflationäre Entwicklung der letzten Monate ansehen, werden Sie feststellen, daß wir in der Landwirtschaft überhaupt keine wesentlichen Preissteigerungen zu verzeichnen hatten —, darf gleichwohl nicht allein der Preis der Güter, die gekauft werden, in Rechnung gestellt werden, sondern man muß auch die Kosten der Überschußproduktion mit in Rechnung stellen. Ich bin sehr gespannt darauf, was die Bundesregierung hierzu vorschlagen wird. Wir sollten sie dabei unterstützen, dieses Problem in Angriff zu nehmen.
Im Zusammenhang mit dem Beitritt Griechenlands darf ich auch einen anderen Effekt erwähnen, den Herrn von Dohnanyi nicht ausdrücklich erwähnt hat. Er ist für mich aber fast noch wichtiger, wenn man den Beitritt Griechenlands und die Chancen, die das Land erhalten soll, beurteilen will. Der gesamte Geldtransfer, der über die Agrarfonds — besonders über den Garantiefonds — abgewickelt wird, macht ein Vielfaches der Summe aus, die wir über den Regional- oder den Sozialfonds für die Weiterentwicklung unterentwickelter Gebiete ausgeben. Das heißt, wenn man sich heute darüber beklagt, daß die Einkommens- und Wohlstandsdisparitäten in der Europäischen Gemeinschaft größer geworden sind einfach ausgedrückt: die armen Regionen werden ärmer, die reichen Regionen werden reicher —, so liegt das zum Teil auch daran, daß der Transfer, den wir über den Haushalt vornehmen, um die Ärmeren zu unterstützen und die Reicheren zur Solidarität zu bringen, nicht funktioniert, weil der Strom des Geldes aus dem Sozial- und Regionalfonds konterkariert wird durch den Strom des Geldes, der über die Garantiefonds in die reicheren Regionen fließt. Der Herr Staatsminister zuckt nicht einmal mit der Augenbraue, weil er weiß, daß das das eigentliche Problem der Europäischen Gemeinschaft ist. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich nicht nur mit der Überschußproduktion zu beschäftigen, sondern auch mit der Frage, was man tun kann, um über die sonstigen Finanzmechanismen eine wirkliche Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft herzustellen.
Dann war noch die Rede davon, daß wir uns auch mit der Frage der Freizügigkeit der Arbeitnehmer beschäftigen werden. Das ist mehr ein Problem für uns. Wir sollten das gar nicht verheimlichen. Selbstverständlich gibt es auch für uns Probleme. Meine Fraktion unterstützt voll und ganz die Lösung, die in dem Vertrag gefunden worden ist: an dem Grundsatz der Freizügigkeit festzuhalten und gleichzeitig durch Übergangsregelungen eine Lösung praktikabel zu machen, die unnötige Spannungen vermeidet. Ich glaube, daß das die richtige Lösung ist. Denn wenn man eine solche Freizügigkeit dem Grundsatz nach ausgeschlossen hätte, hätte das erhebliche Folgen gehabt. Bekanntlich gab es dazu Vorschläge in der deutschen Debatte. Ich will das jetzt gar nicht wieder aufgreifen, weil es möglicherweise mißverstanden werden könnte. Aber es gab wichtige politische Persönlichkeiten bei uns, die diesen Grundsatz der Freizügigkeit für den Beitritt Griechenlands und der anderen Beitrittskandidaten ausgeschlossen wissen wollten. Das geht nicht. Wir können nicht ein ungleiches Recht für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft schaffen. Ich halte es aber für ganz wichtig
— meine Fraktion möchte das unterstreichen —, daß wir in der Übergangsregelung versuchen, diese Fragen — und zwar im Interesse der Arbeitnehmer
— besser in den Griff zu bekommen, als das in der Vergangenheit vielleicht der Fall war.
Wir stehen weiter vor einer Frage, die hier auch schon mehrfach angeklungen ist, nämlich vor der Frage der institutionellen Entwicklung der Gemein-
13930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 177. Sitzung. — Bonn, Donnerstag, den 11. Oktober 1979
Dr. Bangemann
schalt. Ich glaube, daß man den Beitritt Griechenlands zum Anlaß nehmen sollte, diese institutionelle Entwicklung voranzubringen. In der Tat werden ja der Bericht und die Stellungnahme der Kommission sowie die Haltung des Rates hier in den nächsten Monaten eine große Rolle spielen. Ich möchte diesem Bericht nicht das Schicksal des TindemansBerichts wünschen. Dann nämlich, wenn der Ministerrat seine Tätigkeit bei der Weiterentwicklung der Institutionen der Gemeinschaft darauf beschränkt, von Zeit zu Zeit weise Männer einzusetzen und deren Rat anzuhören, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen, werden beide, sowohl der Minsterrat als auch die weisen Männer, Schaden nehmen, weil dann Weisheit in Zukunft als folgenlos gilt, und das liegt sicherlich nicht im Interesse des Ansehens von Weisheit und von weisen Männern. Weisheit muß Folgen haben, auch in der Politik, Herr Staatsminister. Ich bitte darum, daß die Bundesregierung im Ministerrat daraus Konsequenzen zieht und nun wirklich einmal etwas tut, damit die institutionelle Entwicklung besser als in der Vergangenheit verläuft.
Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung zu dem Vorschlag der Fraktion der Europäischen Volkspartei, der hier von dem Kollegen Narjes eingeführt worden ist, machen. Wenn man das rechtlich tun wollte, würde man sicher feststellen, daß es nicht geht. Dann, wenn Sie einen Blick in den Vertragstext werfen, werden Sie feststellen, daß die vertragschließenden Parteien die Mitgliedsländer auf der einen Seite und Griechenland auf der anderen Seite sind, daß also die Europäische Gemeinschaft als Rechtssubjekt von den Folgen dieses Vertrages betroffen wird, aber im Vertragstext nicht als vertragschließende Partei angesehen wird.
In Zukunft aber — und in Zukunft werden solche Fragen anders gelöst werden müssen — bedarf es natürlich auch einer Teilnahme des Europäischen Parlaments am Ratifikationsprozeß, und dies allein schon deswegen, weil die Haushaltsauswirkungen eines solchen Vertrages durch das Europäische Parlament genehmigt werden müssen. Das heißt, ich möchte den Zustand vermeiden, daß man das Parlament an der Ratifikation nicht beteiligt, wohl aber nachher das Parlament zwingt, haushaltsrechtliche Konsequenzen daraus zu ziehen, oder aber vielleicht sogar die Situation herbeiführt, daß dieses Parlament diese haushaltsrechtlichen Konsequenzen ablehnt, was meiner Meinung nach noch viel schlimmer wäre. Hier müssen wir also für die Zukunft eine Lösung ausarbeiten, und wir werden sie auch finden.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen, die sich auf die Schlußbemerkung in der von der Bundesregierung gegebenen Begründung zum Vertragsgesetz bezieht. Es heißt dort — wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, darf ich zitieren —:
Dem Bund entstehen unmittelbar keine Kosten. Mittelbar wird der Bundeshaushalt durch erhöhte Abführung von Mehrwertsteuereinnahmen an den Gemeinschaftshaushalt im Rahmen der Regelung über die eigenen Einnahmen der
Gemeinschaft betroffen. Der deutsche Anteil an der Mehrwertsteuer, die nach dem Beschluß des Rates vom 21. April 1970 über die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft an die Gemeinschaft abzuführen ist, beträgt z. Z. rund 32 Prozent.
Dann wird gesagt, das würde mittelbar eine neue deutsche Belastung von rund 320 Millionen DM bedeuten.
Diese Begründung ist nicht direkt falsch, aber sie ist — wenn ich die Worte „mittelbar" und „unmittelbar" hier einmal sinngemäß aufgreifen darf — indirekt falsch. Damit habe ich übrigens, Frau Präsidentin, einen Anknüpfungspunkt an die vorige Debatte, der es mir erlaubt, dazu einige Bemerkungen zu machen, ohne daß das geschäftsordnungswidrig wäre. Richtig ist ja gar nicht mehr, daß wir über den Mehrwertsteueranteil unmittelbar eine Belastung herstellen könnten, sondern richtig ist allenfalls, daß dieser Mehrwertsteueranteil steigt, wenn die Ausgaben der Gemeinschaft steigen, und daß sich dadurch eine Mehrbelastung ergibt. Es gibt aber keine unmittelbare Verbindung zwischen den Mehrkosten und unserem Anteil. Ich möchte das hier einmal deutlich sagen, damit dieses Argument aus den Debatten in diesem Hause verschwindet. Ich kann mich an eine Debatte in einer Nachtstunde erinnern, in der ich einmal versucht habe, die Problematik des europäischen Haushalts und der gemeinschaftlichen Finanzinstrumente unseren eigenen Haushaltsexperten nahezubringen, wobei ich sehr viel gelernt habe. Ob unsere eigenen Haushaltsexperten sehr viel gelernt haben, werden wir in den nächsten Monaten sehen.
Meine Fraktion, die liberale Fraktion dieses Hauses, unterstützt rückhaltlos den Beitritt Griechenlands in die Gemeinschaft. Dieser Beitritt entspricht auch einer alten liberalen Forderung. Wir haben uns immer dafür eingesetzt. Wir begrüßen das neue Mitglied in der Gemeinschaft, weil wir glauben, daß wir dadurch selber sehr viel an politischer Substanz, an politischer Identität zu gewinnen haben, und wir hoffen, daß unsere griechischen Freunde nicht enttäuscht sein werden, wenn sie Mitglied dieser Gemeinschaft sind.